Dienstag, 5. Oktober 2010

Deutscher Orientalisten-Tag in Marburg: Über das Fremde im Beschaulichen

In Marburg fand vom 20. bis 24. September unter dem Motto »Spiegelungen, Projektionen, Reflexionen« der 31. Deutsche Orientalisten-Tag statt. Die traditionsreiche Veranstaltung bringt alle drei Jahre die Zunft der »Orientalisten« zusammen


Der »Deutsche Orientalisten-Tag« (DOT) ist eine Instanz für zahlreiche, insbesondere außereuropäische Wissenschaftszweige. Organisiert wurde der DOT 2010 wieder gemeinsam von der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft (DMG) und der Deutschen Arbeitsgemeinschaft Vorderer Orient (DAVO). In diesem Jahr empfing die hessische Universitätsstadt Marburg Teilnehmer verschiedenster Fachgebiete.

 Ähnlich breit wie das thematische Spektrum der Vorträge des DOTs reichte auch das Ambiente der Tagungsinfrastruktur. Während die Eröffnungsfeier noch in der Alten Aula, der guten Stube der ehrwürdigen Marburger Universität abgehalten wurde, tagten die meisten Panels in klassischen Funktionsbauten der 1970er Jahre. Für die passende Geräuschkulisse war in beiden Räumlichkeiten gesorgt. Während das »Shingetsu Music Ensemble« die Eröffnungsveranstaltung begleitete und die Liebhabern arabischer Harmonien mit neuen Eindrücken beglückte, sorgte die Autobahn A3 für ein beruhigendes Hintergrundrauschen während der Vorträge. Manch ein Panelleiter schien sichtlich dankbar dafür, denn die Gefahr peinlicher Stille durch Gesprächspausen in den Panels war damit gebannt.

Vom Krähenmeuchler und anderen Coleoidea
»Spiegelungen, Projektionen, Reflexionen«, so lautete das Motto des diesjährigen DOTs. Im Verlauf der unzähligen Panels und Hunderten Vorträge war es allerdings deutlich schwerer, das Motto wieder zu finden. Dies ist aber auch einfach dem breiten Ansatz des DOT geschuldet, denn der DOT ist ein buntes Treffen der Disziplinen.

Entsprechend schwierig fällt es daher auch ein inhaltliches Fazit des DOTs zu liefern. Diskutiert wurde mehr nebeneinander oder besser gesagt parallel zu einander. Ein gesamt Diskurs oder gar ein Ergebnis kann bei einer so breiten Fächerbasis nicht erwartet werden.

So stehen Vorträge wie »Vom Krähenmeuchler und anderen Coleoidea: Erwähnungen von Tintenfischen in alten chinesischen Texten« neben Vorträgen über zeitgenössischen Moscheearchitektur und neuen Untersuchungen zum Ablativ im Hethitischen. Für manch einen Besucher war dies eindeutig zu bunt und einige Nahostwissenschaftler raunten über die thematische Ausfransung des DOTs. Auf der anderen Seite wäre es sicherlich auch keine Lösung, den »Orient« nur auf die islamische Welt zu begrenzen. Die Kritik daran käme schnell – und zu Recht.

Die Szene der Experten für das Fremde ist breit gestreut und groß, aber manchmal doch erstaunlich übersichtlich. Man kennt sich, freut sich, Kollegen wieder zu sehen, oder tut zumindest so. Für manch einen Tagungspilger war daher die Kaffeepause im Gegensatz zu den Panels viel zu kurz bemessen. Für den anderen liefen einfach zu viele Veranstaltungen zur gleichen Zeit. Die Gefahr von Langeweile war damit jedenfalls gebannt, denn es waren ohnehin genügend Vorträge angemeldet. Von den über 864 Teilnehmern würden 558 Vorträge in 70 Panels gehalten. Daher konnten die Zuhörer jeweils nur einen Bruchteil des Gesamtprogramms in Augenschein nehmen.

»Ich wollte eigentlich zu deinem Vortrag kommen, aber...«
In den Gängen und Fluren war ein bestimmter Gesprächsverlauf ziemlich häufig zu hören: »Ich wollte eigentlich zu deinem Vortrag kommen, aber ... ich musste mir ungedingt den Vortrag von XY anhören.« Wahlweise taugen als Begründungen allerdings auch die Verhinderung durch einen eigener Vortrag, oder noch besser: die Organisation eines ganzes Panels. Damit war der kollegiale Frieden wieder hergestellt.

Ein einziger Kritikpunkt bleibt. Wieso ist es unmöglich ein Programmheft zu entwerfen indem Vorträge nach Zeiten und Tagen aufgelistet sind, in dem Parallel stattfindende Veranstaltungen nebeneinander liegen und das zumindest einen groben Zeitplan erahnen lässt? Stattdessen wurden den Teilnehmern Hefte geliefert, die alphabetisch in Sektionen gegliedert waren und für dessen Bedienung weit mehr Bildung als ein Doktortitel und eine Habil von Nöten zu sein scheint. Um im Dschungel der Veranstaltungen das Passende herauszufiltern, blieb dem  interessierten Teilnehmer daher nur übrig, das gesamte 111 Seiten starke Heft, wie vertieft in einen heiligen Text, in regelmäßig zeitlichen Abständen komplett durchzublättern.

Die Stadt Marburg hatte eindeutig den Nachteil, dass Sie mit ihren gerade Mal 80.000 Einwohnern bei den Ausmaßen des DOTs an ihre Kapazitätsgrenzen stieß, wenn es darum ging alle Teilnehmer in Stadtnähe unterzubringen. Schon zwei Monate vor dem Kongress berichteten Teilnehmer von Schwierigkeiten, geeignete Zimmer zu buchen. Akademiker sind keine Logistik-Profis. Doch der forschende Nachwuchs ist kreativ, das in Studentenkreisen schon längst etablierte Couchsurfing entlastete die hoffnungslos überbuchten Pensionen. Manch einer mag sich an den Beginn seiner Studienzeit erinnert haben. Doch wer einst per Rucksack durch die Syrische Wüste getrampt ist, den schreckt auch nicht die hessische Provinz.zenithonline

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