Die arabische Presse teilt das Unverständnis über die milden Urteile im Mubarak-Prozess. Einige israelische Kommentatoren sehen das ganz anders – und blicken skeptisch auf die politische Stimmung im Nachbarland. Von Dominik Peters und Björn Zimprich.
»Der verborgene Staatsapparat ist wieder zurück im Spiel«, meint Hania Sholkamy von der American University in Kairo in ihrem Gastkommentar für die halb-amtliche al-Ahram. »Aber auch die Millionen, die ein neues Ägypten schaffen wollen.« Der Urteilsspruch, der hohe Offiziere des alten Regimes von jeglicher Schuld am Tod von Demonstranten freisprach, so glaubt Sholkamy, habe in der Bevölkerung für Unmut gesorgt.
Sollte nun eine weitere Revolutionsrunde beginnen, »dann hoffe ich, dass dieses Mal alle aus der Vergangenheit gelernt haben, sich Politiker wie Protestierende engagieren und ihren Frieden mit dem ägyptischen Staat schließen, um ihn von seinem Dämon zu befreien sowie von den Elementen, die ein Interesse an Aufruhr und Hoffnungslosigkeit haben.«
www.ahram.org.eg
Von einem »schockierenden Urteil« spricht Ibrahim Yasri in seinem Kommentar für die in London erscheinende al-Quds al-Arabi. Unter dem Titel »Versuch fehlgeschlagen – Ägypten wird nie Selbstmord begehen« stellt Yasri den Urteilsspruch als politische Bewertung des Mubarak-Regimes dar. »Wenn wir uns daran erinnern, dass er (der Richter) nicht einen einzigen Offizier für die Morde der Revolution verurteilt hat, in diesem Festival der Freisprüche, dann fällt damit der Vorhang über die abscheulichen Verbrechen, die das Mubarak-Regime begangen hat.«
Nach »der Manipulation der Verfassung und der Gesetze« durch den regierenden Militärrat ist dieses Urteil nach Yasri dennoch keine »vollkommene Überraschung«. Im Folgenden geht Yasri detailliert auf die aktuellen Präsidentschaftswahlen und den Entwicklungstand der ägyptischen Demokratie ein. In einem emotionalen Text warnt Ibrahim Yasri eindringlich vor der Gefahr der »konterrevolutionären Kräfte«, die in Form »des Kandidaten des alten Regimes wieder an die Macht gelangen könnten, und so das Blut der Märtyrer verschwenden würden.«
»Wir fordern das Urteil des Volkes ein«
»Die spontanen Demonstrationen, nur Minuten nach der Urteilsverkündung, und die Reaktion des Gerichtspublikum hatten eine klare Botschaft: Es besteht weiter Hoffnung auf eine Vollendung der Revolution.«
Der Autor, der selber aus Ägypten stammt, spielt in seinem letzten Abschnitt mit dem revolutionären Slogan des arabischen Frühling (»Das Volk will den Sturz des Regimes«) und schreibt ihn auf die aktuelle Situation in Ägypten um: »Wir fordern das Urteil des Volkes ein, das es in seiner Revolution erhoben hat und seine revolutionäre Vision trägt – und dessen einzig verbliebene Hoffnung auf eine Vollendung der Revolution der Sturz des Kandidaten der ›Fulul‹ (gemeint ist Ahmed Schafik, d.Red.) und des Mubarak-Regimes ist.«
www.alquds.co.uk
In der libanesischen Ausgabe des Daily Star beschreibt Robert H. Reid Mubaraks Fall »vom Kriegshelden zum Strafgefangenen«. Die Verurteilung war das »unrühmliche Ende eines Führers, der die Nation durch die Wirren des durch Krieg, Terror und religiösen Extremismus erschütterten Nahen Osten führte«. Der 84-jährige Angeklagte nahm das Urteil auf seiner Krankentrage im Gefangenenkäfig entgegen. »Diese Szene war im krassen Kontrast zu dem Bild, das Mubarak versuchte von sich zu zeichnen, als der »felsenfeste Vater der Nation«.
Reid zeichnet das politische Leben Mubaraks nach, der nach Reids Darstellung den personifizierten Status quo darstellte. Mubarak verwaltete die Stagnation des einst mächtigen Ägyptens, während der Reichtum in den Golfstaaten sprudelte, die Hamas und die Hizbullah mit ihrem Anti-Israelkurs Anhänger gewinnen konnten und die demokratische Türkei unter einer islamisch beeinflussten Regierung zur Regionalmacht heranwuchs.
www.dailystar.com.lb
Der Richterspruch sei »schleierhaft in seiner Doppeldeutigkeit und Ungenauigkeit und das könnte sich negativ auf die nationale Stabilität auswirken«, meint Emad El Din Adeeb von der in London herausgegebenen al-Sharq al-Awsat. Dass sich die Wut vieler Ägypter gegen den Richter Ahmed Refaat richtet, kann Adeeb hingegen nicht verstehen, denn der »müsse niemanden befriedigen, außer Gott und sein eigenes Gewissen als Jurist.«
www.aawsat.com
»Was kommt beim ägyptischen Volk gut an? Alles was nach Galgen riecht«
»Der Gerichtsprozess war ein erfolgreicher Test einer formal-demokratischen Prozedur«, heißt es in einem Leitartikel Haaretz. »Die Reaktion der Öffentlichkeit auf dieses Urteil wird beweisen, ob Ägypten bereit ist, dem gegenwärtigen Justizsystem zu vertrauen und dieses als Leuchtfeuer und unstrittiges Fundament für die Zukunft zu betrachten.«
In rund zwei Wochen würde die Revolution mit der Wahl zu einem neuen Präsidenten beendet sein. »Wir sollten diesem großartigen Land Erfolg wünschen und hoffen, dass sich niemand nach der Zeit sehnt, in welcher der ehemalige Präsident geherrscht hat«, schließt das Editorial der israelischen Tageszeitung, das den optimistischen Titel »Ein weiterer Schritt hin zur Demokratie in Ägypten« trägt.
www.haaretz.com
Weniger optimistisch als seine Kollegen bei dem links-liberalen Blatt sieht Boaz Bismuth das vergangene Verfahren gegen den gestürzten Raïs. Der ehemalige Botschafter Israels in Mauretanien fällt ein deutliches Urteil im Massenblatt Israel Hajom. »Als der Richter Ahmed Rifaat am Samstag im Kairener Gerichtssaal das Urteil verlas, war klar, dass es sowohl ein politisch motiviertes, als auch ein kalkuliertes war.«
Zudem habe es dem Präsidentschaftskandidaten der Muslimbruderschaft, Mohamed Morsi, »enormen Auftrieb« gegeben. Denn im Gegensatz zu seinem Rivalen Ahmed Schafik, dem Mubarak-Getreuen, der als Law-and-Order-Politiker gelte, setze sich der Islamist für eine Reform des Justizsystems ein, möglicherweise sogar für einen neuen Prozess. »Und was kommt beim ägyptischen Volk in diesen Tag gut an«, fragt Bismuth zum Schluss. »Alles, was nach Galgen riecht. Oh, und der Islam auch.«
www.israelhayom.co.il
Für Aviad Pohoryles von der israelischen Tageszeitung Maariv steht fest, dass »Mubarak den ägyptischen Massen geopfert werden musste, die, wenn sie gekonnt hätten, nicht weniger als seinen Tod durch den Strang präferiert hätten.« Damit in Ägypten eine neue Ära habe beginnen könne, habe Mubarak einen Preis zahlen müssen, glaubt Phoryles. Denn: »Ein Freispruch hätte ein Blutbad zur Folge gehabt, das Ägypten noch nicht gesehen hat.«
www.nrg.co.il
Dienstag, 5. Juni 2012
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