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Montag, 8. Juni 2009

Ismailiten in Saudi-Arabien - Bürgerrechtliches Trostpflaster

In Saudi-Arabien waren die Ismailiten jahrelang Repressionen ausgesetzt. Nun hat die Regierung angekündigt, große Flächen an Land unter der größtenteils in der Provinz Najran lebenden Minderheit zu verteilen. Mit diesem Schritt scheint das Königshaus auf die Minderheit zuzugehen.

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Montag, 10. November 2008

König Abdallah entlässt Prinz Mishal

Der staatlichen Nachrichtenagentur SPA zufolge hat der saudische Herrscher Abdallah den Gouverneur der Provinz Najran im Südwesten des Königreiches, Prinz Mishal, per königlichem Dekret entlassen. Der Schritt wurde nicht weiter begründet; SPA teilte lediglich mit, dies sei "nach dem Willen" Prinz Mishals geschehen.

Der Zeitpunkt der Entlassung legt jedoch einen anderen Schluss nahe. Seit Mishal 1996 den Posten als Provinzgouverneur angetreten hatte, wurde ihm seitens der mehrheitlich ismailitischen Bevölkerung Najrans vorgeworfen, die schiitische Strömung systematisch zu diskriminieren. Erst im April diesen Jahres hatten 77 religiöse und politische Führungspersönlichkeiten der ismaliilitischen Gemeinschaft in Form einer Petition an König Abdallah den Rücktritt Mishals gefordert. Im September 2008 geriet das Mitglied der Königsfamilie schließlich in den Fokus der internationalen Öffentlichkeit, als sich Human Rights Watch ausführlich mit der Situation in Najran beschäftigte und Diskrimierungsstrategien unter anderem auf dem Arbeitsmarkt und bezüglich der Ausübung religiöser Praktiken offenlegte. Nicht zuletzt wies der Bericht darauf hin, dass Mishal die Ansiedlung sunnitischer Jemeniten begünstigt habe, um die demographischen Verhältniss in Najran umzukehren.

König Abdallah hat mit der Entlassung seiner vielfach bemühten Rhetorik gegen Extremismus und für Moderation sowie inner-religiöser Versöhnung Taten folgen lassen. Der Schritt beweist insofern Mut, dass einflussreiche Mitglieder der Königsfamilie und Religionsgelehrte der Annäherung zwischen Sunniten und Schiiten ablehnender gegenüber stehen. Folgerichtig wird die Entlassung als "selbstgewählt" dargestellt, um größere Dissonanzen zu vermeiden. Bezeichnend ist außerdem, dass die überfällige Entscheidung erst getroffen wurde, als durch den HRW-Bericht der Druck von Außen wuchs. Bereits 1993 im Zuge des 2. Golfkriegs und 2002/03 als Reaktion auf die Ereignisse des 11. September folgte die saudische Politik gegenüber der schiitischen Minderheit einem ähnlichen Paradigama, als außenpolitische Ereignisse die Stabilität der saudischen Herrschaft gefährdeten und die al-Sa'ud veranlassten, gegenüber der schiitischen Minderheit Zugeständnisse zu machen.

Dienstag, 23. September 2008

Zur Diskriminierung der Ismailiten in Saudi-Arabien

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch hat in einem Bericht die Diskriminierung der ismailitischen Minderheit in Saudi-Arabien kritisiert. Die Ismailiten werden demnach als Bürger zweiter Klasse behandelt und vom Bildungs- und Justizsystem, sowie hinsichtlich der Religionsfreiheit systematisch benachteiligt.

Etwa eine Million der 28 Millionen saudischen Staatsbürger gehören der ismailitischen Glaubensgemeinschaft an. Die Mehrzahl von ihnen lebt in der Provinz Najran im Südwesten des Königreichs nahe der Grenze zum Jemen. Die fruchtbare Talregion wurde 1934 von den Saudis erobert und annektiert.

Bis in die 1990er Jahre lebten die Ismailiten in Najran weitgehend unbehelligt vom intoleranten Wahhabismus der saudischen Elite. Dies änderte sich mit der Ernennung von Prinz Mishal bin Saud zum Gouverneur der Provinz im Jahre 1996. In der Folge verstärkten sich die Spannungen zwischen den Behörden und den ismailitischen Einwohnern, die vier Jahre später in blutigen Zusammenstößen gipfelten.

Zunächst schloss die saudische Religionspolizei viele der ismailitischen Moscheen in Najran, anschließend inhaftierte sie einen ismailitischen Geistlichen. Am 23. April 2000 demonstrierten Hunderte vor dem Holiday Inn von Najran, dem Sitz des Gouverneurs. Bei einem anschließenden Schusswechsel wurden zwei Ismailiten und ein Polizist getötet.

Daraufhin brachte die saudische Armee die Stadt unter ihre Kontrolle. Mehrere hundert Ismailiten wurden festgenommen und nach eigenen Angaben vom Geheimdienst gefoltert. Mehr als 90 von ihnen wurden in Geheimprozessen in Riyadh verurteilt. 17 Ismailiten befanden sich Mitte 2008 noch immer in Haft. Außerdem wurden einige hundert ismailitische Regierungsangestellte in andere Provinzen versetzt oder entlassen.

Daneben listet Human Rights Watch mehrere rhetorische Angriffe von sunnitischen Geistlichen gegen die ismailitische Gemeinde in Saudi-Arabien auf. Mehrfach seien ihre Mitglieder als Ungläubige und ihre Moscheen als Tempel bezeichnet worden. Diese Verunglimpfungen sind nur ein Teil der anti-schiitischen Rhetorik sunnitischer Geistlicher im saudischen Königreich. Die Ismailiten bilden eine Strömung innerhalb des schiitischen Islam.

Fälle religiöser Diskriminierung der Ismailiten waren etwa die Zwangsscheidung einer sunnitischen Frau von ihrem ismailitischen Mann oder das Verbot des Baus oder der Renovierung ismailitischer Moscheen.

Zudem versucht der saudische Staat das demographische Übergewicht der Ismailiten in der Provinz Najran aufzuheben, indem sunnitische Flüchtlinge in der Region angesiedelt und mit saudischen Pässen ausgestattet werden.

Human Rights Watch fordert von den saudischen Behörden eine Untersuchung der Ereignisse vor dem Holiday Inn im April 2000. Außerdem solle die Diskriminierung der Ismailiten gestoppt werden.

Für den Bericht führte HRW 150 Interviews mit 60 Ismailiten. Ein Brief an den Gouverneur Mishal bin Saud, indem dieser um eine Stellungnahme zu den Vorwürfen gebeten wurde, blieb unbeantwortet.

Montag, 4. Februar 2008

Zur politischen Relevanz des Aga Khan III für Indiens Muslime in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Teil VI

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IV. Zusammenfassung und Bewertung der Ergebnisse

Die vorliegende Studie hat verdeutlicht, dass sich das Engagement des Aga Khan lediglich während bestimmter Phasen auf die Politik Indiens und speziell auf die Belange der gesamten muslimischen Bevölkerungsgruppe des Subkontinents konzentrierte. Wie in II geschildert verschrieb sich der Aga Khan in der Frühphase seiner politischen Laufbahn hauptsächlich dem Kampf für eine flächendeckende Bildung der muslimischen Bevölkerung. Das in diesem Zusammenhang erlangte Renommee nutzte der Aga Khan jedoch schon bald, um auf breiter Basis politisch aktiv zu werden. Mit erst 29 Jahren übernahm der Aga Khan bereits eine Führungsrolle unter der Muslime Indiens. Dabei kamen ihm insbesondere seine Führungsqualitäten, die er sich als spirituelles Oberhaupt einer Religionsgemeinschaft schon in jungen Jahren aneignete, seine exzellenten Kontakte sowohl zu anderen muslimischen Persönlichkeiten als auch zur britischen Krone, sein Organisationstalent und seine innovativen Ideen zu gute. So war es dem Aga Khan 1906 vorbehalten, eine muslimische Delegation, die aus Repräsentanten sämtlicher Provinzen des Subkontinents bestand, anzuführen und ihre Forderungen dem britischen Vizekönig zu übermitteln. Seine Bedeutung als Initiator der ersten rein muslimischen politischen Organisation, der All Indian Muslim League 1906, ist ebenso nicht hoch genug einzuschätzen. Die Wertschätzung, die der Aga Khan unter den muslimischen Politikern zu diesem Zeitpunkt genoss, lässt sich daran abschätzen, dass er von Mitgliedern der AIML zu ihrem ständigen Präsidenten gewählt wurde. Die moderaten Ansichten des Aga Khan machten ihn als Repräsentanten dieser Gremien sicherlich attraktiv.

Somit lässt sich ab 1906 eine absolute Führungsposition des Aga Khan innerhalb der muslimischen Gemeinschaft Indiens konstatieren, die bis etwa 1911 anhielt. Durch die positive Haltung zur Rücknahme der Teilung Bengalens 1911 scheint der Aga Khan jedoch viele Sympathien und folgerichtig an Einfluss verloren zu haben. Es folgte eine Phase relativer Isolation, die in den Rücktritt vom Präsidentenamt der AIML mündete. Spätestens mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs wendete sich der Aga von der Bühne indischer Politik weitgehend ab und widmete sich bis ins Jahr 1927 hauptsächlich seinen ismailitischen Anhängern außerhalb Indiens, die sich größtenteils in Ostafrika befanden.

1928 zeichnete sich der Aga Khan wiederum als Initiator eines neuen politischen Organs aus, dem es gelang, die zerstrittenen muslimischen Fraktionen unter einer neuen Dachorganisation, der All India Muslim Conference, zu vereinen. Den Stellenwert, den der Aga Khan in dieser bis dahin repräsentativsten aller muslimischen Organisationen innehatte, lässt sich daran erkennen, dass ihm die Ehre zuteil wurde, in seiner Funktion als Präsident die Auftaktrede bei der Konferenz zu halten. So ist es den Anstrengungen des Aga Khan zu einem beträchtlichen Teil zu verdanken, dass die Muslime Indiens, bestärkt durch ihre gemeinsame Opposition gegen den Nehru Report, bei der Round Table Conference 1930-1932 mit einer Stimme gegenüber den Briten und den hinduistischen Verhandlungsführern auftraten. Die Konferenz, die über die konstitutionelle Zukunft Indiens entscheiden sollte, bedeutete sicherlich den Zenit der politischen Karriere des Aga Khan in Indien. Als Vorsitzender sowohl der muslimischen als auch der gesamt-indischen Delegation war seine politische Relevanz in der ersten Hälfte der 1930-er Jahre herausragend.

Diese Bedeutung sollte der Aga Khan im indischen Kontext nie mehr erlangen, vielmehr widmete er sich ab 1935 globalen Themen. Als Präsident des Völkerbunds rückte er 1937 in den Fokus der Weltöffentlichkeit, den er jedoch mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs bald wieder verlassen musste. Im hohen Alter versuchte der Aga Khan 1945 in einem Gespräch mit Mahatma Gandhi die sich anbahnende Teilung Indiens noch zu verhindern. Zu diesem Zeitpunkt hinkte der Aga Khan den historischen Entwicklungen jedoch bereits hinterher, seine nur noch wenigen Aktivitäten scheinen die Politik Indiens nicht mehr beeinflusst zu haben.

Trotz der vielschichtigen politischen Karriere des Aga Khan lassen sich einige Konstanten während seines Engagements in Indiens Politik konstatieren. Grundsätzlich bleibt festzuhalten, dass der Aga Khan bis auf eine in II.3. beschriebene Ausnahme über die gesamte politische Laufbahn Indien hinweg im Namen aller Muslime agierte, obwohl er das Oberhaupt der ismalilitischen Minderheit war. Seine zahlreichen nicht-ismalitischen Anhänger bestätigen diese These.

So sehr sich der Aga Khan für Dialog und Toleranz zwischen Hindus, Muslimen und den weiteren Religionsgemeinschaften auf dem Subkontinent einsetzte, so sehr war er auch davon überzeugt, dass gravierende kulturelle und historische Unterschiede insbesondere zwischen Hindus und Muslimen bestünden. Wie in dieser Studie veranschaulicht war der Aga Khan deshalb über all die Jahrzehnte hinweg davon überzeugt, dass die einzig anwendbare Staatsform in Indien eine ausgeprägte Form des Föderalismus sei, um diese kulturellen und religiösen Unterschiede der verschiedenen Bevölkerungsgruppen zu überbrücken. Des Weiteren waren für ihn konstitutionelle Sicherheiten wie zum Beispiel die Schaffung separater Wählerschaften für die religiösen Minderheiten Indiens unverzichtbar und stellten eine grundsätzliche Vorbedingung bei jeglichen Verhandlungen zum politischen System Indiens dar. Mit dieser kompromisslosen Haltung unterschied sich der Aga Khan deutlich von Muhammad Ali Jinnah, der vor allem bei den separaten Wählerschaften bis in die 1920er-Jahre zu Zugeständnissen an den INC bereit war. Dies gilt auch für das andauernde Misstrauen des Aga Khan gegenüber dem INC, dem er im Gegensatz zu Jinnah und weiteren muslimischen Politikern zu keinem Zeitpunkt angehörte.

Ein weiteres kontinuierliches Merkmal der Indien-Politik des Aga Khan war sein loyales Verhalten gegenüber der britischen Herrschaft in Indien, die er im Vergleich zu den meisten anderen wichtigen muslimischen Politikern extrem lange als erwünschenswert erachtete. So unterstrich er in der ersten Hälfte seines politischen Wirkens in vielen Reden den Vorbildcharakter Großbritanniens, an dem es sich zu orientieren gelte. Später, als die internen Spannungen zwischen Hindus und Muslimen zunahmen, sah er die britische Krone als faire Vermittlerin als unverzichtbar an. Selbst in seinen Konzepten zu einer radikalen politischen Umformung des Subkontinents von 1918 und 1928 wird die britische Herrschaft als oberste Instanz in Indien nicht angetastet. Die mehrmals angesprochenen exzellenten Kontakte zu vielen britischen Politikern und zum Königshaus begünstigten mit großer Sicherheit die positive Sichtweise des Aga Khan auf die britische Kolonialmacht. Dadurch konnte er sowohl in London, wo er womöglich noch wertvoller für die indischen Muslime als in seiner Heimat war, als auch in Indien zugunsten der muslimischen Forderungen Lobbyarbeit leisten und Einfluss nehmen. Wie in II.2. aufgezeigt, brachte ihm seine Nähe zu den Briten aus den eigenen Reihen auch beträchtliche Kritik ein.

Abschließend lässt sich resümieren, dass der Aga Khan als Initiator auf verschiedenen Ebenen für die Muslime Indiens in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts von größter Relevanz war. Auf theoretischer Ebene wurden die in III vorgestellten politischen Konzepte des Aga Khan für eine Umgestaltung des Subkontinents mehrfach aufgegriffen und weiterentwickelt. Besonders offensichtlich scheint dies in Bezug auf die vom Aga Khan bereits 1918 propagierte Zusammenfassung der verschiedenen, überwiegend von Muslimen bevölkerten Provinzen des Nordwestens zu einem gewichtigen Autonomiegebiet. Knapp 30 Jahre sollte dieses Gebiet den Kern des neu gegründeteten Staates Pakistan bilden.

Die praktischen Errungenschaften des Aga Khans in der indischen Politik wiegen jedoch schwerer: als Vorsitzender der Simla-Delegation war es ihm in einem beträchtlichen Maße zu verdanken, dass den Muslimen 1906 erstmals vor dem Gesetz eine gesonderte kulturelle Identität eingeräumt wurde. Darüber hinaus ist seine herausragende Rolle bei der Gründung der ersten muslimischen politischen Organisation, der All India Muslim League, als ersten Schritt zur Selbstvertretung muslimischer Interessen unbestritten. An dieser Stelle sei allerdings zumindest angemerkt, dass muslimische Persönlichkeiten zu dieser Zeit die Relevanz und den Alleinvertretungsanspruch der AIML durchaus in Frage stellten und die AIML als elitären Zirkel um den Aga Khan wahrnahmen. Ebenso war die maßgebliche Beteiligung des Aga Khan an der Gründung der All India Muslim Conference 1928, während der ihm als Vermittler zwischen den verschiedenen zerstrittenen Parteien eine weitere Rolle zukam, von größter Relevanz.

Als Initiator war der Aga Khan somit für den politischen Werdegang der indischen Muslime von großer Wichtigkeit, jedoch bleibt ebenso augenscheinlich, dass er keine seiner Initiativen über mehrere Jahre hinweg fortsetzte. Letztendlich gingen jeweils andere muslimische Politiker, insbesondere Muhammad Ali Jinnah und sein Umfeld, die vom Aga Khan begonnenen Wege weiter und setzten seine ersten Schritte konsequent fort. So scheint es nur folgerichtig, dass der Aga Khan bei der Gründung Pakistans eine zu vernachlässigende Rolle spielte.



Freitag, 1. Februar 2008

Zur politischen Relevanz des Aga Khan III für Indiens Muslime in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Teil V

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III.2. A Constitution for
India 1928

Etwa zehn Jahre später empfiehlt der Aga Khan in The Times einen grundsätzlich veränderten Ansatz, in dem Religion und Geschichte Territorial- und Sprachfragen als wesentliche Kategorien für die politische Umgestaltung des indischen Subkontinents ablösen. Die Artikel in The Times sind als direkte Reaktionen auf die Veröffentlichung des bereits dargestellten Nehru Reports zu verstehen, der grundlegende Abkommen zwischen der AIML und dem INC nicht berücksichtigte und ein unitaristisches politisches System vorsah.

Der Aga Khan verschreibt sich nun einer radikalen Form des föderalen Prinzips, um der Heterogenität Indiens zu begegnen. So spricht er sich für die Neugestaltung Indiens nach dem Vorbild der Freistaaten im Deutschen Reich vor dem Ersten Weltkrieg aus. Jeder indischen Provinz solle vollständige Handlungsfreiheit und Unabhängigkeit wie beispielsweise Bayern vor dem Ersten Weltkrieg gewährt werden. Letztendlich würden diese „Freistaaten Indiens“ den sich selbst regierenden British Dominions entsprechen und lediglich durch die britische Monarchie als repräsentative Oberherrschaft verbunden bleiben.

Im weiteren Verlauf konkretisiert der Aga Khan das Konzept der Freistaaten in Bezug auf Indien: jeder Freistaat müsse eine eigene Armee, ein eigenes Transportsystem und eine eigene Wirtschaft aufbauen. Die konsequenterweise von der hinduistischen Mehrheit Indiens dominierte Zentralregierung in Delhi habe keine Befugnis, in die Belange der Freistaaten einzugreifen beziehungsweise Beschlüsse der Freistaaten zu überstimmen. Vielmehr sei die Kooperation zwischen den Freistaaten auf freiwilliger Basis und auf einzelne Bereiche beschränkt. Nur unter diesen Bedingungen, so fährt der Aga Khan fort, würden die kompakten muslimischen Einheiten im Nordwesten und Nordosten des Landes, aber auch Burma, dem Verbleib in einer indischen Föderation zustimmen.

Im Vergleich zu seinen Plänen in „India in Transition“ 1918 spielt die Fläche einer Provinz für den Aga Khan nicht mehr die dominante Rolle bei der Ausformung der einzelnen Provinzen. Exemplarisch seien an dieser Stelle die Gujaratis genannt, die der Aga Khan als „distinct race“ bezeichnet und für die er folgerichtig einen Freistaat fordert, obwohl die Gujaratis eine relativ kleine Fläche besiedeln. Die Tatsache, dass seine ismailitischen Anhänger zu diesem Zeitpunk einen nicht unbedeutenden Anteil unter den Gujaratis darstellten, sollte an dieser Stelle allerdings berücksichtigt werden. Dass die Fläche als Kriterium für die Bildung eines Freistaats nicht vollständig ausgeblendet wird, beweist der Vorschlag des Aga Khan an die kleineren Native Staates wie Kathiawar, Central India oder Rajputana, gemeinsam eine Konföderation zu formieren, um der indischen Union als Freistaat beitreten zu können.

Des Weiteren wird die Sprache nur noch zum Teil als wichtigstes Voraussetzung für die Bildung eines Freistaates herangezogen. Insbesondere in Bezug auf die Gebiete auf dem indischen Subkontinent mit einem hohen Anteil muslimischer Einwohner verweist der Aga Khan auf Religion und die damit verbundene Geschichte. Signifikant ist seine veränderte Sichtweise auf Bengalen: in „A Constitution for India“ revidiert er erstmals seine Haltung zur Wiedervereinigung Bengalens, die er im Gegensatz zum Großteil der muslimischen Bevölkerung nicht abgelehnt hatte, und fordert nun die erneute Teilung in zwei Freistaaten, basierend auf der muslimischen Dominanz in Ost- und der hinduistischen Dominanz in Westbengalen. Die muslimischen Provinzen im Nordwesten des Landes sollen wie schon 1918 eine einflussreiche Einheit bilden.

Wie beschrieben sind in diesem Konzept des Aga Khan Verpflichtungen zwischen den einzelnen Freistaaten nicht existent beziehungsweise nur auf freiwilliger Basis. Der Zentralregierung werden keine Interventionsmöglichkeiten zugesprochen, sie erscheint folglich äußerst schwach. Da die britische Oberherrschaft vom Aga Khan, wie auch von der britischen Krone propagiert, als Transitionsphase auf dem Weg zur vollständigen Unabhängigkeit Indiens angesehen wurde, scheint die logische Schlussfolgerung, dass die einzelnen Freistaaten nach dieser Phase in die vollständige Unabhängigkeit entlassen werden und die Föderation obsolet wird. Kein anderer wichtiger muslimischer Politiker Indiens scheint 1928 ähnlich radikale Ideen geäußert zu haben.

Die Beweggründe des Aga Khan für sein Konzept der Freistaaten lassen sich anhand der historischen Fortentwicklung in den 1920er-Jahren erklären. Auf der politischen Ebene hatten sich die Beziehungen zwischen Muslimen und Hindus nach einer Phase der Kooperation von 1916 bis 1923 maßgeblich verschlechtert. Diese Tendenz gipfelte in den Empfehlungen des Nehru Report, der maßgeblich vom INC und dem hinduistisch-nationalistischen Mahasabha getragen wurde und grundsätzliche Forderungen der Muslime ignorierte, weshalb er von der überwältigenden Mehrheit der Muslime vehement abgelehnt wurde. Fortan bestand ein Konsens innerhalb der muslimischen Gemeinschaft Indiens darüber, dass eine weit reichende Autonomie von der hinduistischen Mehrheit in einem unabhängigen Indien unabdinglich sei. Bestärkt wurden die Muslime in ihrer Sichtweise durch die konfessionellen Unruhen von 1927 bis 1932, für die aus der Sicht des Aga Khan zu einem großen Teil der INC die Schuld trug.

Zur politischen Relevanz des Aga Khan III für Indiens Muslime in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Teil IV

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II.4. Exil und Teilung Indiens

Während des Zweiten Weltkriegs lebte der Aga Khan in der Schweiz und war, wie bereits erwähnt, aufgrund des neutralen Status der Schweiz dazu verpflichtet, keinen politischen Aktivitäten nachzugehen. Als der Krieg endete, war die Teilung Indiens bereits abzusehen, der Aga Khan gab das Ideal einer indischen Konföderation aber erst sehr spät auf. Im Winter 1946/1947 traf er bei einem Besuch in Indien Gandhi ein letztes Mal, um ihn von einer Kompromisslösung mit einer wahrhaftig föderalen Regierung zu überzeugen. Nach diesem Gespräch begrub er seine Hoffnungen und unterstützte fortan die Sezession Pakistans von Indien.

Abschließend lässt sich resümieren, dass die letzten großen Schritte auf dem Weg zur Teilung Indiens ab 1935 ohne den Aga Khan gegangen wurden. Nach den Misserfolgen der AIML bei den Wahlen 1937 und der anschließenden Dominanz des INC war es vor allem Muhammad Ali Jinnah, der den Weg zur Teilung Indiens vorzeichnete, vorantrieb und zur absoluten muslimischen Führungsfigur in Indien aufstieg.

III. Politische Konzeptionen des Aga Khan zur politischen Umgestaltung des indischen Subkontinents

III. 1. India in Transition 1918

Im Winter 1917/18 verfasste der Aga Khan in Bombay sein einziges ausführliches politisches Werk „India in Transition“. In dieser Schrift spricht er sich unter anderem für die weitgehende konstitutionelle Umgestaltung Indiens aus. Aufgrund der riesigen Fläche und der hohen Bevölkerungszahl des Subkontinents, der zahlreichen Völker und Religionen sei eine starke indische Zentralregierung nicht erwünschenswert. Vielmehr ließen die aufgezeigten Voraussetzungen einzig eine föderale Staatsstruktur zu, in der den Provinzen umfassende Kompetenzen zugestanden würden, damit diese sich bestmöglich mit den regional unterschiedlichen Problemen bezüglich „Bildung, Abwasserentsorgung, Straßenbau, Handel und Industrie“ auseinandersetzen könnten. Die indische Exekutive solle im Übrigen auch weiterhin der übergeordneten britischen Kolonialverwaltung mit dem Vizekönig an ihrer Spitze unterstehen. Mit der Ernennung indischer Provinzgouverneure durch den Vizekönig strebte der Aga Khan eine wichtige Veränderung zugunsten indischer Selbstverwaltung an. Zudem sollten die kleineren Provinzen deutlich vergrößert werden, um mittelgroßen europäischen Staaten zu entsprechen, einhergehend mit der Neuziehung von Grenzen anhand der dominanten Kriterien Sprache und Rasse, gefolgt Religion und Geschichte. Nur unter diesen Voraussetzungen könnten sich in den einzelnen Provinzen kohärente Einheiten, „Nationalitäten“, entwickeln, die sich in Anbetracht ihrer Größe und Homogenität in der Zukunft auf Augenhöhe mit manchen europäischen Staaten befinden könnten.

In diesem Zusammenhang ist aus muslimischer Perspektive vor allem der Vorschlag bedeutend, im Nord-Westen Indiens eine große muslimische Provinz aus Sindh, Baluchistan und der North-Western Frontier Province zu kreieren. Urdu sollte als Amtssprache verwendet werden, obwohl sie in weiten Teilen dieser vorgeschlagenen Provinz nicht gesprochen wurde. Zwölf Jahre später sollte Muhammad Iqbal diese Idee fortsetzen, indem er eine muslimische Provinz im Nord-Westen einschließlich des Punjab forderte. 1933 gipfelten diese Überlegungen in Chaudhary Rahmat Alis Pamphlet “Now or Never; Are we to live or perish forever?”, das eine unabhängige muslimische Föderation, inklusive Kashmirs, mit Namen Pakistan vorschlug.

Die Etablierung einer indischen Föderation sollte dabei den Nukleus für eine weit größere Konföderation in Südasien bilden. Gemäß den Vorstellungen des Aga Khan sollte sich zunächst Afghanistan mit der indischen Föderation freiwillig assoziieren, anschließend würden die arabischen Sheikhtümer am persischen Golf, Persien, Ceylon, Nepal, Bhutan und Tibet dem Beispiel Afghanistans folgen. Ein gemeinsames Verteidigungssystem und eine Zollunion würden gegen externe Aggressoren und ökonomische Ausbeutung als effizienter Schutz dienen. Ansonsten solle jedes Mitglied der Konföderation in seinem Handeln autonom sein. In diesem Zusammenhang prägte der Aga Khan den Begriff der „United States of South India within the British Empire“.

Es bleibt festzustellen, dass in dem Konzept des Aga Khan von 1918 trotz der weit reichenden Reformforderungen die britische Oberherrschaft grundsätzlich nicht in Frage gestellt wird. Als wichtigste Parameter für die Umgestaltung der Provinzen führt der Aga Khan das Territorium und die Sprachenfrage an, die Komponente Religion wird nicht ausführlich abgehandelt. Der Aga Khan argumentiert auf der Basis eines territorialen Nationalismus und regionaler Loyalitäten. Somit scheint auch der Gedanke einer muslimischen Sezession vom Hindu-dominierten Subkontinent noch nicht zur Debatte zu stehen, die Zwei-Nationen-Theorie wird nicht in Erwägung gezogen. Ebenso wird die Debatte um separate Wählerschaften für Minderheiten, für die sich der Aga Khan insbesondere von 1906-1909 in der Presse und bei politischen Veranstaltungen vehement einsetzte, nicht aufgegriffen Dies ist im Kontext der vor allem durch Jinnah vorangetriebenen Annäherung zwischen der AIML und dem INC zu verstehen, die in den Vereinbarungen des Lucknow Pact 1916 mündete, die unter anderem separate Wählerschaften für sämtliche Minderheiten vorsahen.

Das Konzept der „United Nations of South Asia“ kann ohne weiteres als innovativ bezeichnet werden. Ein derart ausgeprägter Föderalismus verbunden mit der Inklusion nicht-indischer Territorien lässt sich zu diesem Zeitpunkt bei keinem weiteren einflussreichen muslimischen Politiker Indiens erkennen. Insbesondere der Vorschlag, die muslimischen Provinzen im Nordwesten des Landes zu einer gewichtigen Einheit zusammen zu fassen, wurde wie geschildert in der Folgezeit immer wieder aufgegriffen und kann als erster Schritt einer Entwicklung interpretiert werden, die mit der Teilung Indiens und der Entstehung Pakistans endete. Dies scheint umso bemerkenswerter, da der Aga Khan 1918, als „India in Transition“ veröffentlicht wurde, keine herausragende Stellung unter den muslimischen Politikern Indiens einnahm und kritisch von den Führungskräften der AIML beäugt wurde.

Donnerstag, 31. Januar 2008

Zur politischen Relevanz des Aga Khan III für Indiens Muslime in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Teil III

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II.3. Grundsteinlegung auf dem Weg zur Unabhängigkeit 1918-1935

Die 10 Jahre nach dem Ersten Weltkrieg verschwand der Aga Khan von der indischen und der internationalen politischen Bildfläche. Sein Lebensmittelpunkt lag nun in der Schweiz, Indien besuchte er lediglich wenige Male im Jahr. Während dieser Dekade kümmerte sich der Aga Khan hauptsächlich um die Belange seiner ismailitischen Anhänger. Zudem leistete er gemeinsam mit Sayyid Amir Ali unermüdlich Lobbyarbeit in London, um das Kalifat nach dem Zerfall des Osmanischen Reiches zu erhalten. Der Einsatz für das sunnitische Kalifat, das aus doktrinärer Perspektive seiner ismailitisch-schiitischen Glaubensrichtung widersprach, unterstreicht das Bemühen des Aga Khan, konfessionelle Differenzen innerhalb des Islam zu überbrücken.

In Indien hatte die AIML spätestens 1919 ihren Anspruch als Alleinvertreter muslimischer Interessen und als Gegengewicht zum INC verloren. An die Stelle der AIML trat am ehesten die All Indian Khilafat Conference, die jedoch all ihre Aufmerksamkeit und ihre Energie auf das Kalifat und die Entwicklungen im zerfallenen Osmanischen Reich lenkte. Diese Entwicklung bedauerte der Aga Khan zutiefst und schlug deshalb bereits 1923 die Metamorphose der AIML von einer rein politischen hin zu einer übergreifenden islamischen Institution von bindender Autorität für die gesamte muslimische Bevölkerung vor. 1927 zerbrach die AIML in zwei Lager und als ein Jahr später die vom INC dominierten Empfehlungen des Nehru Reports veröffentlicht wurden, der Forderungen nach konstitutionellen Absicherungen für die muslimische Bevölkerung nicht berücksichtigte, sah der Aga Khan die Notwendigkeit, einen muslimischen Dachverband zu gründen, der die Muslime Indiens gegenüber den Briten und den anderen Religionsgemeinschaften adäquat repräsentieren könne. Deshalb rief er alle muslimischen Abgeordneten in den Provinzräten und im Parlament dazu auf, sich diesem Dachverband anzuschließen. Unter der Supervision des Aga Khan ergriffen muslimische Abgeordnete im Parlament und Abgeordnete der legislativen Versammlung von Bombay die Initiative und arbeiteten ein Konzept für die Institution aus, die am 31. Dezember 1928 All Indian Muslim Conference (AIMC) getauft werden sollte. Innerhalb kürzester Zeit schloss sich die absolute Mehrheit der muslimischen Abgeordneten aus sämtlichen Regionen des Landes und mit grundlegend unterschiedlichen politischen Ansichten der AIMC an. Als logische Konsequenz für seine Verdienste beim Aufbau der AIMC wurde der Aga Khan zum ihrem Präsidenten gewählt. Wichtigste Aufgabe der Konferenz war es, eine einheitliche Sichtweise zu formulieren, wie die Unabhängigkeit Indiens erreicht und ausgestaltet werden sollte. Zusammengefasst forderten die Teilnehmer an der Konferenz in ihrer Schlussresolution garantierte Sicherheiten für Muslime und andere Minderheiten in Form von separaten Wählerschaften im Rahmen eines föderalen, von Indern verwalteten indischen Staates.

Die kaum zu überschätzende Bedeutung der AIMC lässt sich an drei Auswirkungen feststellen: die zerstrittenen politischen Lager unter den Muslimen konnten sich angesichts ihrer gemeinsamen Opposition gegen den Nehru Report auf der Ebene der unvorbelasteten neutralen AIMC wieder annähern, um bei Verhandlungen einheitlich der britischen Krone und dem INC gegenübertreten zu können. Das bei der AIMC verabschiedete Grundsatzprogramm ist als kleinster gemeinsamer Nenner aller politischen Richtungen innerhalb der muslimischen Gesellschaft Indiens zu verstehen. In den folgenden Jahren diente es deshalb bei sämtlichen Verhandlungen mit den Briten und dem INC, darunter die Round Table Conference 1930-1932, als „Magna Charta“ der Muslime. Auch Muhammad Ali Jinnahs berühmter 14-Punkte-Plan, den er im gleichen Jahr bei der Jahreskonferenz der wieder geeinten AIML vorstellte, basierte auf der Schlussresolution der AIMC. Schließlich stellte die AIMC aufgrund der extrem hohen Anzahl an Teilnehmern das bis zu diesem Zeitpunkt repräsentativste Gremium der Muslime Indiens dar. Parallelen zur Gründung der AIML 1906 bezüglich des repräsentativen Charakters und bezüglich der äußerst wichtigen Rolle des Aga Khan sind unverkennbar.

Die Spannungen in Indien hatten in den späten 1920-er Jahren stark zugenommen, da die britische Kolonialmacht nicht bereit war, weitgehende politische Kompetenzen der indischen Bevölkerung zu übertragen. Neben gewalttätigen Auseinandersetzungen mit den Kolonialherren, kam es aber auch immer häufiger zwischen indischen Religionsgemeinschaften, insbesondere zwischen Muslimen und Hindus, zu Ausschreitungen. Erst die Machtübernahme der Labour-Partei in Großbritannien 1930, die indischen Autonomiebestrebungen traditionell offener gegenüber stand, weckte Hoffnungen auf neue Bewegung. Kurz nach ihrer Amtseinführung lud die neue Regierung zu einer Konferenz nach London ein, um die politische Zukunft Indiens und konstitutionelle Reformen zu diskutieren. Bei der ersten Verhandlungsperiode ab November 1930 waren alle gewichtigen indischen Parteien bis auf den INC, dessen politische Anführer sich aufgrund einer Kampagne des zivilen Widerstands gegen die britische Kolonialmacht im Gefängnis befanden, anwesend. Des Weiteren beharrte der INC auf den Nehru Report als einzig gültige Basis für eine Verfassung. Somit fehlte die wichtigste indische Partei, die Hindu-Mehrheit Indiens wurde indessen während der Konferenz zunächst in erster Linie von der hinduistisch-nationalistischen Mahasabha-Partei vertreten. Der Aga Khan war zuvor sowohl von der muslimischen Delegation, die aus einer illustren Auswahl muslimischer Politiker wie Jinnah, Muhammad Ali Jouhar, Muhammad Iqbal und Muhammad Shafi bestand, als auch von der gesamten indischen Delegation zum Vorsitzenden gewählt worden.

Die Gespräche wurden von den Meinungsverschiedenheiten von Hindus und Muslimen überschattet. Während die Hindus auf eine starke Zentralregierung drängten, war für die Muslime nur eine lose Föderation vollständig autonomer Provinzen akzeptabel. Außerdem entbrannte wieder der Streit über die Abschaffung separater Wählerschaften für Minderheiten, die die Mahasabha-Partei vehement forderte. Schließlich wurde die Konferenz am 19. Januar 1931 abgebrochen. Zumindest konnte in den einzelnen Arbeitsgruppen ein Konsens darüber erreicht werden, dass legislative Sicherheiten für die Minderheiten in die Verfassung geschrieben werden sollten und dass ein näher zu definierendes, föderales System für Indien entworfen werden sollte. Dies muss für den Aga Khan eine beträchtliche Genugtuung gewesen sein, da er seit 1918 für ein föderales System eingetreten war.

Bei der zweiten Verhandlungsperiode, die im Herbst 1931 begann, wurde der INC durch Mahatma Gandhi vertreten, nachdem die britische Regierung realisiert hatte, dass die Kooperation des INC notwendig war, um Fortschritte bei der Ausarbeitung der indischen Verfassung zu erzielen. Parallel zu den festgefahrenen Diskussionen am Verhandlungstisch führte der Aga Khan intensive Gespräche mit Gandhi in seiner Suite im Ritz-Hotel bezüglich der Repräsentation von Minderheiten und möglicher konstitutioneller Absicherungen für die Minderheiten. Die Gespräche endeten jedoch bald wieder in einer Sackgasse, da Gandhi für den INC und somit für sich selbst beanspruchte, für alle Inder zu sprechen und kein Stück von den Prinzipien des Nehru Reports abrückte. Als Reaktion auf die kompromisslose Verhandlungsposition Gandhis formulierten die indischen Minderheiten mit Ausnahme der Sikhs eine gemeinsame Erklärung bezüglich der Minderheitenrechte, die der Aga Khan als inoffizieller Sprecher der Gruppe der britischen Regierung überreichte. Somit endete die zweite Verhandlungsperiode ohne Ergebnis, also musste die britische Regierung einen Schiedsspruch fällen. Dies geschah durch Premierminister Ramsay MacDonald in Form des Communal Award, auf den an dieser Stelle nicht weiter eingegangen soll, da er nur vorübergehenden Charakter hatte. Bis zur Vorstellung des Government of India Act 1935, wurde ein Komitee von 32 britischen Parlamentsmitgliedern beauftragt, aus den Ergebnissen der Round Table Conference eine Verfassung für Indien auszuarbeiten. Dazu wurden 27 indische Repräsentanten als Beisitzer ernannt, zu denen der Aga Khan als einer von fünf muslimischen Repräsentanten gehörte. In dieser Funktion gelang es ihm sogar die gesamten indischen Repräsentanten hinter einem gemeinsamen Referendum zu vereinigen, dass der britischen Regierung vorgelegt wurde. Nachdem der INC das Dokument allerdings abgelehnt hatte, war die britische Regierung ebenso gezwungen, das Dokument abzulehnen. 1935 wurde der Government of India Act verabschiedet. Der Aga Khan zeigte sich aus mehreren Gründen enttäuscht. Er prangerte an, dass die britische Krone weiterhin zu viele konstitutionelle Möglichkeiten habe, in die indischen Belange eingreifen zu können. Zudem kritisierte er die Ausgestaltung der Föderation, da den Provinzen wichtige Kompetenzen zugunsten der indischen Zentralregierung vorenthalten würden. Aus seiner Sicht sei die britische Regierung dem unitaristischen Ansatz des INC im Grundsatz gefolgt. Allerdings sollte an dieser Stelle erwähnt werden, dass der Government of India Act einige Forderungen erfüllte, die der Aga Khan und weitere muslimische Politiker als Ziele ausgegeben hatten. Exemplarisch sind die Gründung der Provinz Sindh, Reformen in der North Western Frontier Provinces und separate Wählerschaften für Minderheiten zu nennen. Trotzdem habe der Government of India Act die Kluft zwischen Muslimen und Hindus weiter vergrößert und ein geeintes Indien unmöglich gemacht.

Die Arbeit des Aga Khan in den Konferenzen und Gremien, die zur Verabschiedung des Government of India Act führten, markierten auf der politischen indischen Ebene den Höhepunkt seines Schaffens. Im Anschluss ist lediglich noch dokumentiert, wie er kurze Zeit später dem Willen seiner Anhänger in Gujarat entsprach und die indische Regierung darum bat, einen Flächenstaat unter seiner Ägide zu errichten. Identische Forderungen hatten zu diesem Zeitpunkt einige weitere Fürsten gestellt. Allerdings lehnte die Regierung die Forderungen der Ismailiten ab. Nach dieser Episode widmete sich der Aga Khan seiner Tätigkeit im Völkerbund, zu dessen Präsident er 1937 gewählt wurde.

Dienstag, 29. Januar 2008

Zur politischen Relevanz des Aga Khan III für Indiens Muslime in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Teil II

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II.2. Die Anfänge muslimischer Selbstvertretung 1906-1918

Bereits 1902-1904 habe der Aga Khan realisiert, dass der sich als säkular definierende und somit Muslimen offen stehende Indische Nationalkongress (INC), die zu diesem Zeitpunkt einzige indische, politische Organisation und Vertretung gegenüber der britischen Kolonialregierung, außerstande sei, muslimische Bedürfnisse und Bestrebungen adäquat repräsentieren zu können. Dies begründete er zum einen durch den Druck hinduistisch-nationalistischer Gruppen auf den INC. Andererseits unterstellte er dem INC, lediglich unkritische, „hörige“ Muslime aus Madras und Bombay als Vertreter für den Legislativrat des Vizekönigs auszuwählen. Eine grundsätzlich negative Haltung des Aga Khan gegenüber dem INC lässt sich allerdings nicht erkennen. Im Gegenteil versuchte er bis 1905 in zahllosen Gesprächen, insbesondere mit seiner Vertrauensperson Sir Pherozeshah Mehta, einem Zoroastrier aus Bombay, der dem INC angehörte und über großen Einfluss in Gujarat und Sindh verfügte, den INC von der Wichtigkeit zu überzeugen, das Vertrauen der Muslime wiederzugewinnen.

Die Führungsrolle des INC während der Unruhen als Reaktion auf die Teilung Bengalens 1905, die von muslimischer Seite, welche größtenteils hinter der Teilung stand, nicht nur als anti-britisch, sondern auch als anti-muslimisch wahrgenommen wurden, verfestigten beim Aga Khan in der Folgezeit den in den Vorjahren gewonnen Eindruck.

Folgerichtig ergriff der Aga Khan als einflussreicher Mann mit exzellenten Kontakten zu den britischen Herrschern die Initiative. Zu diesem Zeitpunkt sah der Aga Khan die britische Herrschaft in Indien für die Entwicklung des Subkontinents durchaus als förderlich an, deshalb forderte er von den Muslimen Indiens Loyalität gegenüber der Kolonialmacht. Hinzu kam, dass er die britischen Herrscher als unverzichtbare Schiedsrichter zwischen der Hindu-Mehrheit und der muslimische Minderheit ansah. Die Aussicht auf einen unabhängigen, von Hindus dominierten Staat bestärkten sicherlich seine Ansichten.

Während eines Besuchs in Aligarh 1906 verständigte sich der Aga Khan mit Nawab Muhsin-ul-Mulk, dem direkten Nachfolger und Vertrauten Sir Sayyid Ahmad Khans am Muhammadan Anglo-Oriental College, auf die Organisation einer muslimischen Delegation, die Vizekönig Lord Minto im Namen der muslimischen Gemeinschaft Forderungen bezüglich der Repräsentation im Legislativrat und in den Provinzen unterbreiten sollte. An der Konzeption der letztendlich durch Sayyid Ali Bilgrami ausformulierten Petition an den Vizekönig war der Aga Khan beteiligt. Welchen Stellenwert er bereits zu diesem Zeitpunkt, mit 29 Lebensjahren, innerhalb der muslimisch-indischen Gemeinschaft genoss, lässt sich daran feststellen, dass er von den 70 Vertretern der Delegation aus verschiedensten Regionen des Subkontinents mit differierenden Ansichten, zum Kopf der Delegation gewählt wurde. Neben seiner allgemeinen Akzeptanz unter den Muslimen Indiens, die er sich durch moderate Ansichten, den Einsatz für Bildung, aber auch für die Überbrückung sunnitisch-schiitischer Differenzen erwarb, war das bereits angesprochene gute, oft freundschaftliche Verhältnis des Aga Khan zu britischen Repräsentanten in Indien sicherlich ein nicht unerheblicher Faktor für die Wahl. Dem Aga Khan war es letztendlich vorbehalten, am 1. Oktober 1906 in Simla dem Vizekönig Lord Minto die Petition vorzulesen. Die Petition enthielt zwei Hauptforderungen: die Forderung nach separaten Wählerschaften sowie eine im Vergleich zur Bevölkerungsgröße überproportionale Repräsentation der Muslime in sämtlichen politischen Vertretungen.

Während des Aufenthalts in Simla regte der Aga Khan in einem Gespräch mit Nawab Muhsin-ul-Mulk an, eine politische Partei zu gründen, um die Muslime Indiens zu organisieren und aus ihrer Lethargie zu erwecken. Nur auf diese Weise könnten die Forderungen von Simla nachhaltig verfolgt werden und effizient in die Tat umgesetzt werden. Die Idee des Aga Khan, die Muslime des Subkontinents in einem politischen Organ zu organisieren, war zu diesem Zeitpunkt allerdings keineswegs neu oder einzigartig: seit 1902 hatten führende muslimische Persönlichkeiten sowohl aus Bengalen, als auch aus den United Provinces und dem Punjab, ähnliche Pläne geäußert.

Die All India Muhammadan Educational Conference am 30. Dezember 1906 in Dhaka bot die geeignete Bühne, um die politische Initiative zu ergreifen. Fast 3 000 Delegierte nahmen an der Konferenz teil und bedeuteten damit die bis zu diesem Zeitpunkt größte repräsentative Zusammenkunft indischer Muslime. Zum ersten Mal in der Geschichte der AIMEC wurde das selbst auferlegte Verbot aufgehoben, politische Fragen zu thematisieren, als Nawab Salim Ullah Khan aus Dhaka, unterstützt durch den Aga Khan und Nawab Muhsin-ul-Mulk, die Gründung einer politischen muslimischen Partei vorschlug, um die Durchsetzung muslimischer Interessen zu gewährleisten. Umgehend wurde die Gründung der All India Muslim League beschlossen. Die Wertschätzung, die der Aga Khan innerhalb dieses elitären Zirkels genoss, lässt sich an der Tatsache erkennen, dass er zum ständigen Präsidenten der Liga gewählt wurde. Ebenso spiegeln die im so genannten „Grünen Buch“ formulierten Grundsätze der Liga von Teilen der muslimischen Intelligenz durchaus kritisch gesehene, Argumentationsstränge des Aga Khan wider. Wichtig sind an dieser Stelle die postulierte Loyalität gegenüber der Kolonialmacht und die Betonung von Bildung zu nennen.

In den Folgejahren bis 1909 sollte sich der Aga Khan vollkommen auf den Kampf um separate Wählerschaften für die muslimische Minderheit Indiens konzentrieren. Während sich Vizekönig Lord Minto aufgeschlossen gegenüber den muslimischen Forderungen der Simla-Delegation gezeigt hatte, war der liberale Staatssekretär für Indien in London, John Morley, strikt gegen die Sonderbehandlung einzelner Religionsgemeinschaften. In London initiierte der Aga Khan eine regelrechte Pressekampagne gegen die Reformvorhaben Morleys. Durch zahlreiche offene Briefe an The Times und an weitere britische Zeitungen, in denen er die muslimischen Anliegen in Indien illustrierte und darüber hinaus den Staatssekretär für Indien für seine mangelnde Kenntnisse der indischen Gesellschaft, scharf kritisierte, gelang es, die britische Öffentlichkeit für das muslimische Dilemma in Indien zu sensibilisieren und den Druck auf Morley zu erhöhen. Darüber hinaus nutzte er ein weiteres Mal seine exzellenten Kontakte zu Entscheidungsträgern im britischen politischen System. 1908 gründete der neben dem Aga Khan sicherlich wichtigste Lobbyist indisch-muslimischer Interessen Sayyid Amir Ali in London die der AIML nahe stehende London Muslim League. Als Plattform für die Vertretung muslimischer Interessen kam diesem Organ in den kommenden Jahren wichtige Bedeutung zu. Letztendlich ist es den geschickten und beharrlichen Anstrengungen des Aga Khan und Sayyid Amir Alis zu einem überwiegenden Teil zu verdanken, dass John Morley und das britische Kabinett gegen ihren ursprünglichen Willen dazu bewegt wurden, der muslimischen Minderheit Indiens separate Wählerschaften einzuräumen. Verschiedene Historiker argumentieren, dass mit diesem politischen Sieg die Basis für die Gründung Pakistans 30 Jahre später geschaffen wurde.

Die Rücknahme der Teilung Bengalens 1911, einhergehend mit der Verlegung der Hauptstadt von Kalkutta nach Delhi, löste eine Dynamik aus, die den Aga Khan erstmals innerhalb der Muslime Indiens zu einem gewissen Grade isolierte. Im Gegensatz zum Großteil der indischen Muslime sah er die Wiedervereinigung Bengalens nicht als Vertrauensbruch an. Vielmehr begrüßte er die Entscheidung der britischen Kolonialherrscher, da unter den neuen Voraussetzungen, in Übereinstimmung mit seinem Konzept des territorialen Nationalismus auf der Basis von Spracheinheiten, das in III ausführlich behandelt werden wird, eine bengalische Nation entstehen könne. Kritiker wie Muhammad Ali, zu diesem Zeitpunkt junges Mitglied im INC und der AIML, später bekannte Führungspersönlichkeit in der Khilafat-Bewegung und Delegierter bei der Round Table Conference, warfen dem Aga Khan deshalb vor, mit der Kolonialmacht zu kollaborieren, ohne diese überhaupt zu hinterfragen. Die Vorwürfe wurden des Weiteren gegenüber der autonom agierenden London Muslim League und ihrem Gründer Sayyid Amir Ali geäußert. Dabei entwickelte sich zwischen dem Aga Khan und Muhammad Ali eine Privatfehde. Letztendlich trat der Aga Khan 1913 von seinem Posten als ständiger Präsident der All India Muslim League konsequenterweise zurück, da er die neu ausgegebene Stoßrichtung der AIML von Loyalität gegenüber der britischen Kolonialmacht hin zu Forderungen nach einer für Indien angemessen Form von Selbstverwaltung und die einhergehende Annäherung an den INC nicht mittragen konnte. Muslimische Politiker wie Muhammad Ali Jinnah oder der angesprochene Muhammad Ali, die bereits dem INC angehörten, übernahmen in den Folgejahren die Führungspositionen in der AIML.

Bis er 1918 seine Zukunftsvisionen für Indien in „India in Transition“ niederschrieb, hielt sich der Aga Khan bezüglich indischer Politik merklich zurück und widmete sich vornehmlich seinen ismailitischen Anhängern außerhalb des Subkontinents. Außerdem verlegte er seinen Lebensmittelpunkt zunehmend nach Europa. Während des Ersten Weltkriegs rief er die Muslime Indiens und seine ismailitischen Anhänger dazu auf, Großbritannien aktiv zu unterstützen. In dieser Zeit unternahmen deutsche Agenten einen erfolglosen Mordversuch an ihm. Seine Verdienste für die britische Krone wurden 1916 mit dem von der britischen Regierung zugesprochenen Titel „Prince of Bombay“ gewürdigt.

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Montag, 28. Januar 2008

Zur politischen Relevanz des Aga Khan III für Indiens Muslime in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Teil I

Mal wieder eine Seminararbeit...viel Spaß!!!

I. Einleitung

Sir Sultan Muhammad Shah Aga Khan III (1877-1957) nimmt unter den Muslimen Indiens in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine einzigartige Stellung ein. Als spirituelles Oberhaupt der Ismailiten, als wohlhabender Sponsor breit angelegter Bildungsprogramme, als Repräsentant Indiens auf internationaler Ebene und als Vertreter muslimischer Interessen auf nationaler Ebene war der Aga Khan wie nur wenige andere Muslime im öffentlichen Leben Indiens präsent. Die folgende Studie konzentriert sich auf das politische Wirken des Aga Khan in Indien, somit werden sein internationales politisches Engagement, das in der Wahl zum ersten und einzigen asiatischen Präsidenten des Völkerbunds 1937 gipfelte, sowie seine Anstrengungen für den Zugang breiter Bevölkerungsschichten zu Bildung in Indien, aber auch zum Beispiel in Ost- und Südafrika, weitgehend ausgeblendet. Die Führungsposition des Aga Khan innerhalb der ismailitischen Religionsgemeinschaft spielt für diese Studie ebenfalls eine untergeordnete Rolle, da in keiner seiner bedeutenden politischen Schriften und Reden in Bezug auf Indien sein ismailitischer Hintergrund auch nur erwähnt wird. Vielmehr setzte sich der Aga Khan in zahlreichen Dokumenten für die Überbrückung sunnitisch-schiitischer Differenzen ein.

Zunächst soll in II analysiert werden, welche Stellung der Aga Khan in den muslimischen Gremien, Delegationen und Organisationen innehatte, die im 20. Jahrhundert bis zur Teilung Indiens eine maßgebende Funktion einnahmen. Der Fokus wird im weiteren Verlauf auf der 1906 gegründeten All India Muslim League (AIML), der Simla-Delegation 1906, der 1928 gegründeten All India Muslim Conference und der Round Table Conference 1930 bis 1932 in London, liegen. Die Khilafat-Bewegung wird nicht eingehend thematisiert, da sie mit der genuinen Forderung, das muslimische Kalifat zu erhalten, eine in erster Linie global-islamische Thematik ansprach, obgleich die Bewegung auf das Verhältnis sowohl zwischen den indischen Muslimen und der britischen Herrschaft, als auch auf das Verhältnis zur indischen Unabhängigkeitsbewegung wichtige Auswirkungen hatte. Die Vernachlässigung der letzten Jahre auf dem Weg zur Teilung Indiens in dieser Studie gründet auf der Tatsache, dass sich der Aga Khan während des Zweiten Weltkriegs im schweizerischen Exil befand, wo ihm von der neutralen Regierung untersagt wurde, sich an jeglichen politischen Aktivitäten zu beteiligen. In den Nachkriegsjahren verkörperte der Aga Khan, unter anderem geschwächt durch eine langwierige Krankheit, keine zentrale Figur auf der politischen Bühne Indiens.

Anschließend werden anhand von Primärquellen Konzeptionen des Aga Khan für die Ausgestaltung eines zukünftigen, möglicherweise unabhängigen indischen Staates aufgezeigt. Im Kontext der historischen Ereignisse in Indien sollen Kontinuitäten und Veränderungen bezüglich der politischen Konzepte untersucht und interpretiert werden. Gegenstand dieser Interpretation werden das ausführliche politische Werk des Aga Khan „India in Transition“ aus dem Jahre 1918 und seine zwei Artikel in The Times in London, „A Constitution for India I and II“ als Reaktion auf den Nehru Report 1928 sein.

Abschließend folgen eine knappe Zusammenfassung der Ergebnisse, die Ausarbeitung von Konstanten im Wirken des Aga Khan und die Einschätzung seiner Bedeutung für die politische Entwicklung auf dem Weg zur Teilung Indiens 1947.

Die Untersuchung stützt sich zu einem beträchtlichen Teil auf Primärquellen des Aga Khan in Form von Reden, Artikeln in Zeitungen und politischen Schriften, die in K.K. Aziz’s Band Aga Khan III von 1998 gesammelt dokumentiert sind. Dadurch soll ein möglichst präzises Bild der politischen Vorstellungen des Aga Khan in Bezug auf die Muslime des indischen Subkontinents gezeichnet werden.

II. Stellung und politische Relevanz des Aga Khan für Indiens Muslime

1902-1947 – eine historische Darstellung

II.1. Beginn des öffentlichen Lebens und Einstieg in die Politik 1897-1906

Sobald der Aga Khan 1898 seine Volljährigkeit erlangt hatte, verließ er Indien mit Ausnahme von kurzen Aufenthalten für drei Jahre. Einerseits besuchte er während dieser Zeit viele seiner Anhänger wie zum Beispiel die große Ismailiten-Gemeinde im damaligen Deutsch-Ostafrika. Andererseits wurde er von diversen Staatsoberhäuptern in Europa und Asien empfangen und mit Auszeichnungen dekoriert. Diese Empfänge hatten überwiegend repräsentativen Charakter, jedoch kam der Aga Khan auch politischen, religiösen und moralischen Pflichten nach. Beispielsweise konnte er den Deutschen Kaiser und König von Preußen Wilhelm II davon überzeugen, den indischen, hauptsächlich ismailitischen Siedlern in Ostafrika wichtige Konzessionen für den Reisanbau und bezüglich ihres Status in der Kolonie zu gewähren. Bei einem anderen Treffen mit Muzaffaraddin Shah aus dem Iran bat er den Shah, Zwangskonversionen von Zoroastriern einzustellen, da dies ein schlechtes Licht auf den Islam werfe und insbesondere die aus Persien eingewanderten Parsis in Indien verärgere und beunruhige. Die Besuche des Aga Khan in Großbritannien waren allerdings für seinen Werdegang von größter Bedeutung, da er in London maßgeblich auf die britische Politik in der indischen Kolonie Einfluss nehmen konnte. Neben Empfängen durch den Premier-Minister Lord Salisbury und König Edward VII, mit dem den Aga Khan eine jahrelange Freundschaft verbinden sollte, konnte der Aga Khan in zahlreichen Gesprächen mit Vertretern des House of Lords und des House of Commons ein Netzwerk aufbauen, das sich auf seine persönliche politische Karriere und auf die Berücksichtigung muslimischer Interessen in Indien positiv auswirken sollte.

Das während der drei Jahre im Ausland erlangte internationale Prestige begünstigte sicherlich die Entscheidung des britischen Vizekönigs Lord Curzon, den erst 25 Jahre alten Aga Khan als jüngsten Abgeordneten 1902 in den Imperialen Legislativrat Indiens zu berufen. Somit begann die politische Karriere des Aga Khan in Indien.

Die Plattform des Legislativrats nutzte der Aga Khan vor allem dafür, Reformen im Bildungssystem zu fordern. Innerhalb der muslimischen Glaubensgemeinschaft war er in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts eine der führenden Persönlichkeiten Indiens, die die Rückständigkeit der Muslime gegenüber der hinduistischen Mehrheit, zum Beispiel in Bezug auf Selbstorganisation, auf die unzureichende Bildung der muslimischen Bevölkerung zurückführte. So sah er sich in der Tradition von Aligarh-Begründer Sayyid Ahmad Khan, den er in den Jahren 1896 und 1897 persönlich in Aligarh traf, und arbeitete mit dessen Nachfolger Nawab Muhsin-ul-Mulk sowohl im Bereich der Bildung als auch in der allgemeinen politischen Sphäre eng zusammen. Unter diesen Vorzeichen bemühte sich der Aga Khan, das Bildungsniveau aller indischen Muslime durch von ihm initiierte Programme anzuheben.

Dieser Einsatz brachte ihm 1902 das Angebot, der All India Muhammadan Educational Conference in Delhi vorzustehen. Auch bei der zweiten Konferenz in Bombay 1904 hielt er die Auftaktrede. Diese Konferenzen sind insofern signifikant, da sie erstmals ausschließlich muslimische, jedoch zunächst unpolitische Organe darstellten, die aus Delegierten verschiedener Provinzen des Subkontinents bestanden. Die Bedeutung der Konferenzen wird außerdem dadurch unterstrichen, dass 1906 bei der All India Muhammadan Educational Conference in Dhaka der offizielle Beschluss für die Gründung des ersten rein muslimischen politischen Organs, der All Indian Muslim League, gefasst wurde.