Ein Jugendaktivist, ein Politikwissenschaftler und ein koptischer Journalist im Gespräch mit Alsharq über den »Blutsonntag« von Maspero, den Charakter des Konfessionalismus in Ägypten – und wie er überwunden werden kann. Interview: Robert Chatterjee und Marian Brehmer
Die Gesprächspartner sind Sameh Fawzy, Saif al-Din Ismail und Khalid Tallima.
Sameh Fawzy wurde 1970 geboren. Seit 2009 ist er stellvertretender Direktor des »Dialogue Forum«, »Bibliotheca Alexandrina«, das sich für kulturellen Dialog, Reformen und Entwicklung einsetzt. Er ist außerdem Mitglied der Pressegewerkschaft und anderer NGOs, die in den Bereichen Kultur und Entwicklung tätig sind. Fawzy ist Gastwissenschaftler im Bereich Demokratie und Menschenrechte an der University of Stanford.
Seif El Din Ismail wurde 1954 geboren. Er ist Professor am Institut für Arabisch- und Islamstudien der Zayed University in Dubai. Zuvor lehrte er am Institut für Politikwissenschaften der Cairo University und an der Schule der Islam- und Sozialwissenschaften Leesburg, Virginia, USA.
Khalid Tallima ist Redakteur bei der Zeitung al-Ahaly, der Wochenzeitung der National Progressive Unionist Party, einer sozialistischen Partei in Ägypten. Davor war er zwei Jahre lang Redaktionsleiter des Onlineauftritts der Zeitung. Er ist zudem Sekretär der Union der progressiven Jugend, dem Jugendflügel der Tagammu-Partei und Mitglied des Exekutivbüros für die »Vereinigung der Jugend der Revolution«.
Alsharq: Vor knapp einem Monat erreichte die konfessionelle Gewalt in Ägypten auf der Maspero-Straße in Kairo einen traurigen Höhepunkt. War solch eine Eskalation nach dem Optimismus der Revolution zu erwarten?
Sameh Fawzy: Ich bin darüber schockiert, aber überrascht hat es mich nicht. Religiösen Fanatismus, etwa auch in Form von Anschlägen gegen Kirchen gab es vor und nach dem Februar 2011. Die Revolution hat diese Probleme geerbt. Sicherlich dachten damals einige, dass bald alle Probleme Ägyptens – inklusive des Konfessionalismus – auf einen Schlag gelöst werden können. Dennoch würde ich sagen, dass die Gesellschaft für die spezifischen Anliegen der Kopten zumindest sensibilisiert wurde.
Wie ging man denn unter Mubarak mit Konfessionalismus um?
Fawzy: Das alte Regime betrachtete Konfessionalismus in erster Linie als Sicherheitsproblem – nun rücken politisch-rechtliche und kulturelle Aspekte in den Vordergrund, etwa die Notwendigkeit der Neuregelung von Kirchenbau oder politischer Repräsentation im Rahmen neuer Gesetzgebung. Außerdem ist der interreligiöse Dialog zu einem politischen Thema geworden.
Saif al-Din Ismail: Der Konfessionalismus in Ägypten ist das Ergebnis einer Regierungspolitik, die schon 1972 mit dem so genannten Khanka-Zwischenfall ihren Anfang nahm und imm er weiter fortsetzte. Soziale und politische Missstände wurden nicht behoben, stattdessen wurde dem Ganzen ein religiöser Stempel verpasst. Im »National Justice Committee« dagegen ...
… eine im Mai 2011 von Premier Essam Sharaf ins Leben gerufene Kommission, die legislative Vorschläge zur Überwindung des Konfessionalismus ausarbeiten soll ...
...arbeiten wir derzeit ganz konkret an einem Anti-Diskriminierungsgesetz, das eben genau auch jene soziopolitischen Probleme angeht und durch Aufklärungsprogramme die Gesellschaft auch weiter dafür sensibilisieren soll.
Die Gesellschaft oder auch den derzeit regierenden Obersten Militärrat?
Ismail: Der Oberste Militärrat geht mit der ganzen Sache nicht besonders feinfühlig um. Die Führung hat den koptischen Protest nach und nach eskalieren lassen – bis zum »Blutsonntag« von Maspero.
Khaled Tallima: Eine ganze Reihe von Vorfällen und Zusammenstößen hatte sich angehäuft, das hat schon angefangen, kurz nachdem Mubarak zurückgetreten war. Zuerst in Giza, dann in Imbaba, schließlich Maspero. Zwei Faktoren haben dazu beigetragen: Zum einen eine gewisse konfessionalistische Geisteshaltung, die sich ab und zu Bahn bricht – besonders in ländlichen Gebieten in Oberägypten und in den Armenvierteln der Großstädte. Zum anderen arbeiten wir uns jetzt schon ein halbes Jahr an den zwei neuen Gesetzen – zum Kirchenbau und zur politischen Repräsentation – ab. Da fehlt von Seiten der Führung der politische Wille, dort wirklich einen Fortschritt zu erzielen.
Ist dieser Wille in den Medien erkennbar, die für ihre Berichterstattung zum »Blutsonntag« von Maspero heftig in der Kritik standen?
Fawzy: Wie die Medien über Konfessionalismus und konfessionelle Gewalt berichten sollten, dazu gibt es ganz unterschiedliche Auffassungen: Die Einen sagen, dass sich die Berichterstattung vor allem danach richten sollte, keinen Schaden anzurichten, die anderen, dass die Medien keine Friedensengel sind, sondern einfach nur Berichterstatter. Aber eigentlich geht es eher darum, ob die Medien eine konstruktive Diskussion auslösen oder einfach nur die Bevölkerung aufstacheln. Die Medien – und dazu gehören weit mehr als die staatlichen Fernsehsender – haben in den letzten Monaten dazu beigetragen, das öffentliche Bewusstsein zu schärfen. Das Mubarak-Regime hat konfessionelle Spannungen gerne unter den Tisch gekehrt. Aber jetzt ist es schwieriger geworden, etwas zu vertuschen – das hat die Aufbereitung des wahren Ereignisgangs von Maspero ja gezeigt.
Hat das staatliche Fernsehen einen bewussten Anteil an der Gewalteskalation und ihrer medialen Aufarbeitung?
Fawzy: Nicht unbedingt, vieles ist eigentlich unbeabsichtigt. Die Medien und ihre Macher sind ja auch Produkt ihrer Erziehung, einer bestimmten Atmosphäre im Land und schließlich Teil eines noch immer schwachen Mediensystems, was etwa journalistische Ausbildung anbetrifft. Das führt auch dazu, dass so ziemlich jeder sich im Fernsehen zu religiösen Fragen und Konfessionalismus äußern kann, weil es keine wirklichen Religionsexperten dort gibt.
Ismail: Wirklich gefährliche Rhetorik, die Menschen zu konfessioneller Gewalt anstachelt, kommt vor allem auf den privaten Satellitensendern, vor allem auf jenen, die ihren Sitz in den Golf-Ländern haben.
Und welchen Beitrag liefern die religiösen Institutionen?
Ismail: Die al-Azhar hat in diesem Jahr zusammen mit der Führung der koptischen Kirche ein Dialogkomitee ins Leben gerufen, sie nennt ihn den »Rat der Familie«. Gerade die al-Azhar ist in den letzten Monaten darum bemüht, ihre Rolle im neuen Ägypten zu finden, die wieder mehr in die Gesellschaft und nicht in den Staat reicht. Bei der koptischen Kirche sieht das ganz ähnlich aus.
Fawzy: Allerdings sind auch viele Kopten mit ihrer Kirchenstruktur unzufrieden, die noch immer eine patriarchalisch hierarchisierte Gemeinschaft repräsentiert. Das entspricht aber nicht dem weiten Spektrum verschiedenster Gruppen, das in der Koptischen Kirche einfach nicht abgebildet wird.
Ismail: Die Gemeinde sollte aus diesem Grund noch viel mehr unabhängige koptische Organisationen gründen, die vor allem zivile Werte vermitteln und fördern – als Gegenstück und Ergänzung zur religiösen Wertevermittlung der Kirche.
Im September kursierten Meldungen über vermehrte Austritte aus der Koptischen Kirche...
Fawzy: Das ist hochgespielt worden. Das waren allenfalls ein paar Hundert – und die wollten in erster Linie Gebrauch vom islamischen Scheidungsrecht machen, weil sie dann schneller wieder heiraten können. Junge koptische Aktivisten, die unzufrieden mit der Kirchenstruktur sind, waren nicht darunter, die Herren waren alle im mittleren Alter. Die meisten jungen Kopten wollen nicht aus der Kirche austreten, sondern finden einfach, dass Religion in die Kirche gehört und nicht in die Öffentlichkeit.
Befürchten die Kopten deshalb einen Wahlerfolg von Muslimbrüdern und salafistischen Gruppen, die die Religion ja nicht in der Moschee lassen und wenn dem so ist, ist diese Furcht begründet?
Fawzy: Ja, diese Furcht gibt es. Die Kopten fürchten, dass sich die stärkere Präsenz des politischen Islams negativ auf sie auswirken könnte. Ich kann sie verstehen, aber berechtigt ist sie nur bedingt. Solange sich die Kopten nicht stärker politisch beteiligen, kann diese Angst nicht aufgelöst werden. Es ist auch eher eine diffuse Angst vor dem Erstarken des politischen Islams. Grundsätzlich herrscht im Mainstream – auch im politisch-religiösen – Konsens über die muslimisch-christliche Koexistenz in Ägypten – aber eben noch keiner über den Charakter des Staates.
Ismail: Wer immer auch in Ägypten an die Macht kommt, wird sich an der Regierungsführung und der effektiven Umsetzung von Gesetzen messen lassen müssen. Und auch wenn die Regierung dann steht, so befinden wir uns immer noch mitten in einer Übergangsphase.
Wie lange wird diese Übergangsphase dauern und wann können die Anliegen der Kopten dann wirklich umgesetzt werden?
Ismail: Ganz unterschiedlich, je nachdem von welchen Ebenen wir sprechen. Institutionell tut sich ja schon jetzt Einiges und auch eine schnelle Umsetzung der Antidiskriminierungsgesetze ist durchaus in Reichweite. Die gesellschaftliche Transformation wird hingegen viel länger dauern – mindestens zehn Jahre, und auch nur, wenn sich auf institutioneller Ebene schnell etwas tut. Sollte das misslingen, besteht aber die Gefahr, dass sich die heutigen Probleme noch potenzieren.
Tallima: Zuerst muss der politische Wille erkennbar sein. Dann können in einem ersten Schritt die legislativen Voraussetzungen geschaffen werden. Das ist aber nur der Rahmen und auch nicht mal der einzige. Genauso wichtig wird es sein, Medien und Erziehungswesen einer gründlichen Revision zu unterziehen, weil dort konfessionalistische Haltungen wenn nicht geschaffen, dann doch zumindest weiter gefördert wurden.
Fawzy: Über Nacht wird sich nichts ändern. Das ist ein langer Prozess und wir brauchen Geduld – aber eben auch positive Signale in die richtige Richtung.
Die Gesprächspartner sind Sameh Fawzy, Saif al-Din Ismail und Khalid Tallima.
Sameh Fawzy wurde 1970 geboren. Seit 2009 ist er stellvertretender Direktor des »Dialogue Forum«, »Bibliotheca Alexandrina«, das sich für kulturellen Dialog, Reformen und Entwicklung einsetzt. Er ist außerdem Mitglied der Pressegewerkschaft und anderer NGOs, die in den Bereichen Kultur und Entwicklung tätig sind. Fawzy ist Gastwissenschaftler im Bereich Demokratie und Menschenrechte an der University of Stanford.
Seif El Din Ismail wurde 1954 geboren. Er ist Professor am Institut für Arabisch- und Islamstudien der Zayed University in Dubai. Zuvor lehrte er am Institut für Politikwissenschaften der Cairo University und an der Schule der Islam- und Sozialwissenschaften Leesburg, Virginia, USA.
Khalid Tallima ist Redakteur bei der Zeitung al-Ahaly, der Wochenzeitung der National Progressive Unionist Party, einer sozialistischen Partei in Ägypten. Davor war er zwei Jahre lang Redaktionsleiter des Onlineauftritts der Zeitung. Er ist zudem Sekretär der Union der progressiven Jugend, dem Jugendflügel der Tagammu-Partei und Mitglied des Exekutivbüros für die »Vereinigung der Jugend der Revolution«.
Alsharq: Vor knapp einem Monat erreichte die konfessionelle Gewalt in Ägypten auf der Maspero-Straße in Kairo einen traurigen Höhepunkt. War solch eine Eskalation nach dem Optimismus der Revolution zu erwarten?
Sameh Fawzy: Ich bin darüber schockiert, aber überrascht hat es mich nicht. Religiösen Fanatismus, etwa auch in Form von Anschlägen gegen Kirchen gab es vor und nach dem Februar 2011. Die Revolution hat diese Probleme geerbt. Sicherlich dachten damals einige, dass bald alle Probleme Ägyptens – inklusive des Konfessionalismus – auf einen Schlag gelöst werden können. Dennoch würde ich sagen, dass die Gesellschaft für die spezifischen Anliegen der Kopten zumindest sensibilisiert wurde.
Wie ging man denn unter Mubarak mit Konfessionalismus um?
Fawzy: Das alte Regime betrachtete Konfessionalismus in erster Linie als Sicherheitsproblem – nun rücken politisch-rechtliche und kulturelle Aspekte in den Vordergrund, etwa die Notwendigkeit der Neuregelung von Kirchenbau oder politischer Repräsentation im Rahmen neuer Gesetzgebung. Außerdem ist der interreligiöse Dialog zu einem politischen Thema geworden.
Saif al-Din Ismail: Der Konfessionalismus in Ägypten ist das Ergebnis einer Regierungspolitik, die schon 1972 mit dem so genannten Khanka-Zwischenfall ihren Anfang nahm und imm er weiter fortsetzte. Soziale und politische Missstände wurden nicht behoben, stattdessen wurde dem Ganzen ein religiöser Stempel verpasst. Im »National Justice Committee« dagegen ...
… eine im Mai 2011 von Premier Essam Sharaf ins Leben gerufene Kommission, die legislative Vorschläge zur Überwindung des Konfessionalismus ausarbeiten soll ...
...arbeiten wir derzeit ganz konkret an einem Anti-Diskriminierungsgesetz, das eben genau auch jene soziopolitischen Probleme angeht und durch Aufklärungsprogramme die Gesellschaft auch weiter dafür sensibilisieren soll.
Die Gesellschaft oder auch den derzeit regierenden Obersten Militärrat?
Ismail: Der Oberste Militärrat geht mit der ganzen Sache nicht besonders feinfühlig um. Die Führung hat den koptischen Protest nach und nach eskalieren lassen – bis zum »Blutsonntag« von Maspero.
Khaled Tallima: Eine ganze Reihe von Vorfällen und Zusammenstößen hatte sich angehäuft, das hat schon angefangen, kurz nachdem Mubarak zurückgetreten war. Zuerst in Giza, dann in Imbaba, schließlich Maspero. Zwei Faktoren haben dazu beigetragen: Zum einen eine gewisse konfessionalistische Geisteshaltung, die sich ab und zu Bahn bricht – besonders in ländlichen Gebieten in Oberägypten und in den Armenvierteln der Großstädte. Zum anderen arbeiten wir uns jetzt schon ein halbes Jahr an den zwei neuen Gesetzen – zum Kirchenbau und zur politischen Repräsentation – ab. Da fehlt von Seiten der Führung der politische Wille, dort wirklich einen Fortschritt zu erzielen.
Ist dieser Wille in den Medien erkennbar, die für ihre Berichterstattung zum »Blutsonntag« von Maspero heftig in der Kritik standen?
Fawzy: Wie die Medien über Konfessionalismus und konfessionelle Gewalt berichten sollten, dazu gibt es ganz unterschiedliche Auffassungen: Die Einen sagen, dass sich die Berichterstattung vor allem danach richten sollte, keinen Schaden anzurichten, die anderen, dass die Medien keine Friedensengel sind, sondern einfach nur Berichterstatter. Aber eigentlich geht es eher darum, ob die Medien eine konstruktive Diskussion auslösen oder einfach nur die Bevölkerung aufstacheln. Die Medien – und dazu gehören weit mehr als die staatlichen Fernsehsender – haben in den letzten Monaten dazu beigetragen, das öffentliche Bewusstsein zu schärfen. Das Mubarak-Regime hat konfessionelle Spannungen gerne unter den Tisch gekehrt. Aber jetzt ist es schwieriger geworden, etwas zu vertuschen – das hat die Aufbereitung des wahren Ereignisgangs von Maspero ja gezeigt.
Hat das staatliche Fernsehen einen bewussten Anteil an der Gewalteskalation und ihrer medialen Aufarbeitung?
Fawzy: Nicht unbedingt, vieles ist eigentlich unbeabsichtigt. Die Medien und ihre Macher sind ja auch Produkt ihrer Erziehung, einer bestimmten Atmosphäre im Land und schließlich Teil eines noch immer schwachen Mediensystems, was etwa journalistische Ausbildung anbetrifft. Das führt auch dazu, dass so ziemlich jeder sich im Fernsehen zu religiösen Fragen und Konfessionalismus äußern kann, weil es keine wirklichen Religionsexperten dort gibt.
Ismail: Wirklich gefährliche Rhetorik, die Menschen zu konfessioneller Gewalt anstachelt, kommt vor allem auf den privaten Satellitensendern, vor allem auf jenen, die ihren Sitz in den Golf-Ländern haben.
Und welchen Beitrag liefern die religiösen Institutionen?
Ismail: Die al-Azhar hat in diesem Jahr zusammen mit der Führung der koptischen Kirche ein Dialogkomitee ins Leben gerufen, sie nennt ihn den »Rat der Familie«. Gerade die al-Azhar ist in den letzten Monaten darum bemüht, ihre Rolle im neuen Ägypten zu finden, die wieder mehr in die Gesellschaft und nicht in den Staat reicht. Bei der koptischen Kirche sieht das ganz ähnlich aus.
Fawzy: Allerdings sind auch viele Kopten mit ihrer Kirchenstruktur unzufrieden, die noch immer eine patriarchalisch hierarchisierte Gemeinschaft repräsentiert. Das entspricht aber nicht dem weiten Spektrum verschiedenster Gruppen, das in der Koptischen Kirche einfach nicht abgebildet wird.
Ismail: Die Gemeinde sollte aus diesem Grund noch viel mehr unabhängige koptische Organisationen gründen, die vor allem zivile Werte vermitteln und fördern – als Gegenstück und Ergänzung zur religiösen Wertevermittlung der Kirche.
Im September kursierten Meldungen über vermehrte Austritte aus der Koptischen Kirche...
Fawzy: Das ist hochgespielt worden. Das waren allenfalls ein paar Hundert – und die wollten in erster Linie Gebrauch vom islamischen Scheidungsrecht machen, weil sie dann schneller wieder heiraten können. Junge koptische Aktivisten, die unzufrieden mit der Kirchenstruktur sind, waren nicht darunter, die Herren waren alle im mittleren Alter. Die meisten jungen Kopten wollen nicht aus der Kirche austreten, sondern finden einfach, dass Religion in die Kirche gehört und nicht in die Öffentlichkeit.
Befürchten die Kopten deshalb einen Wahlerfolg von Muslimbrüdern und salafistischen Gruppen, die die Religion ja nicht in der Moschee lassen und wenn dem so ist, ist diese Furcht begründet?
Fawzy: Ja, diese Furcht gibt es. Die Kopten fürchten, dass sich die stärkere Präsenz des politischen Islams negativ auf sie auswirken könnte. Ich kann sie verstehen, aber berechtigt ist sie nur bedingt. Solange sich die Kopten nicht stärker politisch beteiligen, kann diese Angst nicht aufgelöst werden. Es ist auch eher eine diffuse Angst vor dem Erstarken des politischen Islams. Grundsätzlich herrscht im Mainstream – auch im politisch-religiösen – Konsens über die muslimisch-christliche Koexistenz in Ägypten – aber eben noch keiner über den Charakter des Staates.
Ismail: Wer immer auch in Ägypten an die Macht kommt, wird sich an der Regierungsführung und der effektiven Umsetzung von Gesetzen messen lassen müssen. Und auch wenn die Regierung dann steht, so befinden wir uns immer noch mitten in einer Übergangsphase.
Wie lange wird diese Übergangsphase dauern und wann können die Anliegen der Kopten dann wirklich umgesetzt werden?
Ismail: Ganz unterschiedlich, je nachdem von welchen Ebenen wir sprechen. Institutionell tut sich ja schon jetzt Einiges und auch eine schnelle Umsetzung der Antidiskriminierungsgesetze ist durchaus in Reichweite. Die gesellschaftliche Transformation wird hingegen viel länger dauern – mindestens zehn Jahre, und auch nur, wenn sich auf institutioneller Ebene schnell etwas tut. Sollte das misslingen, besteht aber die Gefahr, dass sich die heutigen Probleme noch potenzieren.
Tallima: Zuerst muss der politische Wille erkennbar sein. Dann können in einem ersten Schritt die legislativen Voraussetzungen geschaffen werden. Das ist aber nur der Rahmen und auch nicht mal der einzige. Genauso wichtig wird es sein, Medien und Erziehungswesen einer gründlichen Revision zu unterziehen, weil dort konfessionalistische Haltungen wenn nicht geschaffen, dann doch zumindest weiter gefördert wurden.
Fawzy: Über Nacht wird sich nichts ändern. Das ist ein langer Prozess und wir brauchen Geduld – aber eben auch positive Signale in die richtige Richtung.
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