Der junge Ägypter Khaled Said wurde Anfang Juni in Alexandria von zwei Polizisten getötet. Seither demonstrieren im Internet und auf der Straße Hunderttausende gegen Folter und Polizeigewalt. Die Regierung reagiert hilflos auf die Proteste der Jugend
Khaled Said war ein durchschnittlicher
Ägypter. 28 Jahre alt, ein Geschäftsmann aus Alexandria. Anfang
Juni wurde der junge Mann von zwei Polizisten auf offener Straße
totgeprügelt. Khaled saß in einem Internetcafe in der ägyptischen
Hafenstadt, als ihn die Sicherheitskräfte aus unbekannten Gründen
ansprachen und ihn baten sich auszuweisen. Schon als der junge Mann
nach dem Grund hierfür fragte, soll er von den beiden Polizisten
niedergeschlagen worden sein. Auf der Straße prügelten die
Offiziere weiter auf Khaled Said ein, bis dieser das Bewusstsein
verlor und schließlich verstarb.
Das Foto der Leiche, das ein bis zur
Unkenntlichkeit verstümmeltes Gesicht zeigt, hat in Ägypten für
einen Aufruhr gesorgt, wie ihn das Land lange nicht erlebt hat. In
den Wochen seit dem Mord an Khaled Said demonstrierten in Alexandria
und Kairo tausende Ägypter gegen Folter und Polizeigewalt. Im
Internet-Netzwerk Facebook haben bis dato über 265.000 Menschen auf
der Seite „Ich heiße Khaled Said“ ihre Solidarität mit dem
Getöteten bekundet. Mehr und mehr bricht sich im Internet und auf
der Straße der Zorn jünger Ägypter gegen staatliche Gewalt und das
seit nunmehr 29 Jahre geltende Notstandsgesetz Bahn.
Entwicklung zum Polizeistaat
In seiner Wirkung ist das Bild vom
misshandelten Khaled Said vergleichbar mit den verwackelten
Videoaufnahmen vom Tod der iranischen Studentin Neda auf den Straßen
Teherans vor einem Jahr. Hier wie dort wurde gerade der jungen
Generation, die in beiden Ländern die Mehrheit der Bevölkerung
stellt, die Brutalität der herrschenden Regime deutlich vor Augen
geführt. In beiden Fällen starben junge Menschen, weil die
jeweiligen Sicherheitskräfte rücksichtslos und ohne Angst zur
Rechenschaft gezogen zu werden, vorgingen. Beide Morde stehen
symbolisch für die Entwicklung zu einem Polizeistaat, wie sie
Ägypten und der Iran seit Jahren durchmachen.
Nun ist Ägypten weit von
bürgerkriegsähnlichen Zuständen entfernt, wie sie der Iran im
Sommer des vergangenen Jahres erlebt hat. Durch Demonstrationen und
Aufrufe im Internet ist der Druck auf die Regierung in den letzten
Wochen jedoch deutlich gestiegen. Erste Erfolge können die
Aktivisten vorweisen: Die beiden mutmaßlichen Täter, wurden
mittlerweile festgenommen. Ihnen werden die grundlose Festnahme des
Opfers und der exzessive Einsatz von Gewalt vorgeworfen, nicht aber
Mord, denn auch nach zwei Autopsien halten die Behörden immer noch
an der Behauptung fest, dass Khaled Said an einem Drogenpäckchen
erstickt ist, das er kurz vor seiner Festnahme verschluckt haben
soll.
Mohamed El Baradei,
Friedensnobelpreisträger und möglicher Herausforderer Husni
Mubaraks bei den nächsten Präsidentschaftswahlen 2011, ist zur
politischen Stimme des Protestes geworden. Er besuchte die Eltern des
Opfers und führte in Alexandria eine Demonstration gegen
Polizeigewalt an. »Seit 30
Jahren wird dieses Land mit Notstandsgesetzen regiert. Die
Sicherheitsdienste sind allmächtig, die Polizei handelt willkürlich.
So ist eine Kultur der Angst entstanden.«, erklärte der 68-Jährige
in der vergangenen Woche in einem Spiegel-Interview.
Die
Opposition mobilisiert im Internet
Tatsächlich
gehört Polizeiwillkür zum Alltag in Ägypten. Da sind Polizisten,
die Taxifahrern Geld abpressen mit der Begründung sich andernfalls
Wagen und Papiere mal genauer anzugucken, da sind Beamte, die
Anzeigen nur gegen Bares aufnehmen, da sind Reiche, die sich aus
allen Strafsachen herauskaufen können und da sind Polizisten, die
Festgenommene vom Balkon der Polizeiwache stoßen – so geschehen
vor wenigen Tagen mit einem Motor-rikschafahrer in der Stadt Mansoura im
Nildelta. Und da sind Sicherheitskräfte, die auf einer Demonstration
gegen Polizeigewalt mit Knüppeln und Eisenstangen auf die
Protestierenden einschlagen.
Doch
in Zeiten des Internets haben es die Behörden immer schwerer
ungestraft zu handeln. Über Facebook, Blogs und andere Netzwerke
breiten sich Meldungen wie jene vom Mord an Khaled Said wie ein
Lauffeuer aus, auch wenn sie von den regierungstreuen Medien
weitgehend totgeschwiegen werden. Mittlerweile sollen sich bis dato
mehr als drei Millionen Ägypter bei Facebook angemeldet haben.
Husni
Mubarak und seine Riege haben den Kontakt zu dieser Generation längst
verloren. Zwar verspricht der greise Autokrat bei jeder Gelegenheit
wirtschaftliche und demokratische Reformen, allerdings zeigt der Fall
Khaled Said, dass eine Reform des Justiz- und Polizeiapparates
Vorrang haben muss. Mubarak präsentiert sich gerne als Garant von
Stabilität und Sicherheit, als Bollwerk gegen Chaos und Terrorismus.
Vor der Gewalt seiner Polizei ist jedoch kaum ein Ägypter sicher.
1 Kommentar:
Danke für diesen Artikel! Es ist wichtig, dass über Protest und Widerstand im Nahen und Mittleren Osten berichtet wird.
Nur eine Aussage des Textes macht michstutzig, ja fast wütend: Die Ereignisse im Iran als "Bürgerkriegsähnliche Zustände" zu bezeichnen finde ich total unpassend. Was da ablief, war ein regelrechter Aufstand eines beachtlichen Teils der Bevölkerung, und die vielen tausend Menschen die trotz aller Staatsgewalt das Regime in ernsthafte Bedrängnis gebracht haben, haben es verdient, in einem Kontext des breiten Widerstands gesehen zu werden und nicht als Teil eines bewaffneten Kampfes.
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