Samstag, 17. Juli 2010

Jugendprotest am Nil: Ägyptens Neda heißt Khaled Said

Der junge Ägypter Khaled Said wurde Anfang Juni in Alexandria von zwei Polizisten getötet. Seither demonstrieren im Internet und auf der Straße Hunderttausende gegen Folter und Polizeigewalt. Die Regierung reagiert hilflos auf die Proteste der Jugend



Khaled Said war ein durchschnittlicher Ägypter. 28 Jahre alt, ein Geschäftsmann aus Alexandria. Anfang Juni wurde der junge Mann von zwei Polizisten auf offener Straße totgeprügelt. Khaled saß in einem Internetcafe in der ägyptischen Hafenstadt, als ihn die Sicherheitskräfte aus unbekannten Gründen ansprachen und ihn baten sich auszuweisen. Schon als der junge Mann nach dem Grund hierfür fragte, soll er von den beiden Polizisten niedergeschlagen worden sein. Auf der Straße prügelten die Offiziere weiter auf Khaled Said ein, bis dieser das Bewusstsein verlor und schließlich verstarb.

Das Foto der Leiche, das ein bis zur Unkenntlichkeit verstümmeltes Gesicht zeigt, hat in Ägypten für einen Aufruhr gesorgt, wie ihn das Land lange nicht erlebt hat. In den Wochen seit dem Mord an Khaled Said demonstrierten in Alexandria und Kairo tausende Ägypter gegen Folter und Polizeigewalt. Im Internet-Netzwerk Facebook haben bis dato über 265.000 Menschen auf der Seite „Ich heiße Khaled Said“ ihre Solidarität mit dem Getöteten bekundet. Mehr und mehr bricht sich im Internet und auf der Straße der Zorn jünger Ägypter gegen staatliche Gewalt und das seit nunmehr 29 Jahre geltende Notstandsgesetz Bahn.

Entwicklung zum Polizeistaat

In seiner Wirkung ist das Bild vom misshandelten Khaled Said vergleichbar mit den verwackelten Videoaufnahmen vom Tod der iranischen Studentin Neda auf den Straßen Teherans vor einem Jahr. Hier wie dort wurde gerade der jungen Generation, die in beiden Ländern die Mehrheit der Bevölkerung stellt, die Brutalität der herrschenden Regime deutlich vor Augen geführt. In beiden Fällen starben junge Menschen, weil die jeweiligen Sicherheitskräfte rücksichtslos und ohne Angst zur Rechenschaft gezogen zu werden, vorgingen. Beide Morde stehen symbolisch für die Entwicklung zu einem Polizeistaat, wie sie Ägypten und der Iran seit Jahren durchmachen.

Nun ist Ägypten weit von bürgerkriegsähnlichen Zuständen entfernt, wie sie der Iran im Sommer des vergangenen Jahres erlebt hat. Durch Demonstrationen und Aufrufe im Internet ist der Druck auf die Regierung in den letzten Wochen jedoch deutlich gestiegen. Erste Erfolge können die Aktivisten vorweisen: Die beiden mutmaßlichen Täter, wurden mittlerweile festgenommen. Ihnen werden die grundlose Festnahme des Opfers und der exzessive Einsatz von Gewalt vorgeworfen, nicht aber Mord, denn auch nach zwei Autopsien halten die Behörden immer noch an der Behauptung fest, dass Khaled Said an einem Drogenpäckchen erstickt ist, das er kurz vor seiner Festnahme verschluckt haben soll.

Mohamed El Baradei, Friedensnobelpreisträger und möglicher Herausforderer Husni Mubaraks bei den nächsten Präsidentschaftswahlen 2011, ist zur politischen Stimme des Protestes geworden. Er besuchte die Eltern des Opfers und führte in Alexandria eine Demonstration gegen Polizeigewalt an. »Seit 30 Jahren wird dieses Land mit Notstandsgesetzen regiert. Die Sicherheitsdienste sind allmächtig, die Polizei handelt willkürlich. So ist eine Kultur der Angst entstanden.«, erklärte der 68-Jährige in der vergangenen Woche in einem Spiegel-Interview.

Die Opposition mobilisiert im Internet

Tatsächlich gehört Polizeiwillkür zum Alltag in Ägypten. Da sind Polizisten, die Taxifahrern Geld abpressen mit der Begründung sich andernfalls Wagen und Papiere mal genauer anzugucken, da sind Beamte, die Anzeigen nur gegen Bares aufnehmen, da sind Reiche, die sich aus allen Strafsachen herauskaufen können und da sind Polizisten, die Festgenommene vom Balkon der Polizeiwache stoßen – so geschehen vor wenigen Tagen mit einem Motor-rikschafahrer in der Stadt Mansoura im Nildelta. Und da sind Sicherheitskräfte, die auf einer Demonstration gegen Polizeigewalt mit Knüppeln und Eisenstangen auf die Protestierenden einschlagen.

Doch in Zeiten des Internets haben es die Behörden immer schwerer ungestraft zu handeln. Über Facebook, Blogs und andere Netzwerke breiten sich Meldungen wie jene vom Mord an Khaled Said wie ein Lauffeuer aus, auch wenn sie von den regierungstreuen Medien weitgehend totgeschwiegen werden. Mittlerweile sollen sich bis dato mehr als drei Millionen Ägypter bei Facebook angemeldet haben.

Husni Mubarak und seine Riege haben den Kontakt zu dieser Generation längst verloren. Zwar verspricht der greise Autokrat bei jeder Gelegenheit wirtschaftliche und demokratische Reformen, allerdings zeigt der Fall Khaled Said, dass eine Reform des Justiz- und Polizeiapparates Vorrang haben muss. Mubarak präsentiert sich gerne als Garant von Stabilität und Sicherheit, als Bollwerk gegen Chaos und Terrorismus. Vor der Gewalt seiner Polizei ist jedoch kaum ein Ägypter sicher.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Danke für diesen Artikel! Es ist wichtig, dass über Protest und Widerstand im Nahen und Mittleren Osten berichtet wird.
Nur eine Aussage des Textes macht michstutzig, ja fast wütend: Die Ereignisse im Iran als "Bürgerkriegsähnliche Zustände" zu bezeichnen finde ich total unpassend. Was da ablief, war ein regelrechter Aufstand eines beachtlichen Teils der Bevölkerung, und die vielen tausend Menschen die trotz aller Staatsgewalt das Regime in ernsthafte Bedrängnis gebracht haben, haben es verdient, in einem Kontext des breiten Widerstands gesehen zu werden und nicht als Teil eines bewaffneten Kampfes.