Der Aufstand in Syrien hat die palästinensischen Flüchtlingslager im Land erreicht. In Yarmouk bei Damaskus protestierten tausende Palästinenser gegen ihre politischen Vertreter und das syrische Regime. Sie wollen nicht länger von Assads Regime instrumentalisiert werden
Die Taktik schien so zynisch wie erfolgreich. Um von dem Aufstand gegen sein Regime abzulenken, ließ Syriens Präsident Assad am Sonntag wieder hunderte Palästinenser und Syrer am von Israel besetzten Golan aufmarschieren und Richtung israelischer Grenze ziehen. Das Kalkül ging auf: Israels Armee reagierte auf den Ansturm der unbewaffneten Demonstranten ähnlich wie bei den Protesten am Nakba-Tag Mitte Mai. Zuerst schossen die Soldaten in die Luft, dann auf die Beine, schließlich in Kopf und Oberkörper.
Nach Angaben der staatlichen syrischen Medien waren am Ende des Tages 23 Demonstranten tot, mehr als 350 weitere verletzt. Dass gleichzeitig am Wochenende bei landesweiten Protesten gegen Assads Regime nach Meldungen syrischer Oppositioneller mehr als 30 Syrer von Armee und Sicherheitskräften getötet wurden, geriet angesichts der Ereignisse auf den Golanhöhen schnell in den Hintergrund. Zumindest einen Tag lang bestimmten nicht die Meldungen über das rücksichtslose Vorgehen des Regimes gegen sein eigenes Volk die Berichterstattung aus Syrien.
Doch schon am Montag wendete sich das Blatt. Die Beerdigung der Toten vom Golan im palästinensischen Flüchtlingslager Yarmuk bei Damaskus verwandelte sich unerwartet zu einer Protestkundgebung gegen die örtliche Palästinenserführung und gegen die Politik der syrischen Regierung. Mehrere tausend Bewohner des Camps trugen die Särge der Opfer durch die Straßen. Dabei wurden anfangs noch die Sprechchöre gerufen, die im Sinne des Regimes in Damaskus sind: »Das Volk will die Befreiung Palästinas«.
Die PLO spricht von »heimtückischem Massenmord«
Doch später kippte die Stimmung. Mehrere hundert Demonstranten zogen vor die örtliche Zentrale der Volksfront für die Befreiung Palästinas – Generalkommando (PFLP-GC). Sie warfen der Gruppe, die ihr Hauptquartier in der syrischen Hauptstadt unterhält und von Assads Regime unterstützt und finanziert wird, vor, sie habe sich vom syrischen Diktator instrumentalisieren und die zumeist jungen Demonstranten ins offene Messer laufen lassen.
Laut Berichten von Augenzeugen beschimpften die Protestierenden unter anderem Maher al-Taher, ein ranghohes Politbüromitglied der PFLP-GC. Kurz darauf setzten sie das örtliche Büro der palästinensischen Bewegung in Brand. In der Folge entwickelten sich in Teilen des etwa 120.000 Einwohner zählenden Lagers regelrechte Straßenschlachten. Bewaffnete Kräfte der PFLP-GC schossen auf die Protestierenden. Augenzeugen berichten von bis zu 14 Toten bei den Kämpfen, die bis in die Nacht andauerten.
Unklar ist bislang die Rolle der syrischen Armee bei der Auseinandersetzung. Einige Quellen behaupten, sie habe ebenfalls auf die palästinensischen Demonstranten geschossen, andere berichten, die Soldaten hätten das Lager lediglich abgeriegelt. Verwirrung herrscht bislang auch über die Rolle der Hamas bei den Ereignissen. Gerüchten zufolge soll ihr in Damaskus lebender Führer Khalid Meshaal nach Ausbruch der Kämpfe in Yarmuk zu schlichten versucht haben, dann jedoch abziehen müssen, nachdem die Menge dort Sprechchöre gegen ihn und seine Bewegung skandiert habe. Die PLO, der die PFLP-GC nicht angehört, verurteilte die Ereignisse in dem syrischen Lager inzwischen als »heimtückischen Massenmord«. Die PFLP-GC machte ihrerseits »Elemente von außerhalb des Lagers« für die Proteste verantwortlich.
Die Palästinenser wollen nicht länger instrumentalisiert werden
Auch wenn die genauen Hintergründe für die Unruhen in Yarmuk noch immer nicht genau geklärt sind, lassen sich an ihnen mehrere Entwicklungen ablesen. Die Proteste gegen die PFLP-GC unterstreichen, dass auch die Palästinenser in der Diaspora die Spaltung der palästinensischen Bewegungen und die internen Grabenkämpfe hinter sich lassen wollen. Offenbar sind auch ein großer Teil der in Syrien lebenden Palästinenser es Leid, von den einzelnen Fraktionen für deren Zwecke instrumentalisiert zu werden.
Zum Anderen signalisieren die Unruhen vom Montag, dass Assads Taktik, mit dem Aufmarsch am Golan von den innenpolitischen Problemen ablenken zu wollen, nicht aufgeht. Auch wenn im Land ein breiter Konsens darüber herrscht, dass die Golanhöhen unbestritten zu Syrien gehören und Israel den Höhenzug aufgeben muss, durchschaut eine wachsende Zahl von Palästinensern und Syrern das Kalkül des Damaszener Diktators, der ausgerechnet jetzt sein Herz für die palästinensische Sache wiederentdeckt haben will.
Inmitten der instabilsten Situation, der sich der syrische Staat seit Jahrzehnten gegenüber sieht, droht nun die Öffnung einer dritten Front. Da sind zum einen die verschiedenen Oppositionsbewegungen, die gegen das Regime aufbegehren. Da sind zum anderen die Demonstranten, die mit palästinensischen und syrischen Flaggen zum zweiten Mal binnen weniger Wochen mit Assads Billigung auf den israelisch besetzten Golan vordringen wollten.
Und nun gesellen sich dazu in Syrien lebende Palästinenser, die mit der Politik der lokalen Palästinensergruppen und ihrer syrischen Unterstützer unzufrieden sind. Hier vereint sich der Geist des Arabischen Frühlings aus Palästina, der dort das Versöhnungsabkommen zwischen Fatah und Hamas erreicht hat, mit dem Unwillen der syrischen Opposition. Eine Mischung, die mittelfristig nicht nur der PFLP-GC, sondern auch Baschar al-Assad gefährlich werden könnte.
Die Taktik schien so zynisch wie erfolgreich. Um von dem Aufstand gegen sein Regime abzulenken, ließ Syriens Präsident Assad am Sonntag wieder hunderte Palästinenser und Syrer am von Israel besetzten Golan aufmarschieren und Richtung israelischer Grenze ziehen. Das Kalkül ging auf: Israels Armee reagierte auf den Ansturm der unbewaffneten Demonstranten ähnlich wie bei den Protesten am Nakba-Tag Mitte Mai. Zuerst schossen die Soldaten in die Luft, dann auf die Beine, schließlich in Kopf und Oberkörper.
Nach Angaben der staatlichen syrischen Medien waren am Ende des Tages 23 Demonstranten tot, mehr als 350 weitere verletzt. Dass gleichzeitig am Wochenende bei landesweiten Protesten gegen Assads Regime nach Meldungen syrischer Oppositioneller mehr als 30 Syrer von Armee und Sicherheitskräften getötet wurden, geriet angesichts der Ereignisse auf den Golanhöhen schnell in den Hintergrund. Zumindest einen Tag lang bestimmten nicht die Meldungen über das rücksichtslose Vorgehen des Regimes gegen sein eigenes Volk die Berichterstattung aus Syrien.
Doch schon am Montag wendete sich das Blatt. Die Beerdigung der Toten vom Golan im palästinensischen Flüchtlingslager Yarmuk bei Damaskus verwandelte sich unerwartet zu einer Protestkundgebung gegen die örtliche Palästinenserführung und gegen die Politik der syrischen Regierung. Mehrere tausend Bewohner des Camps trugen die Särge der Opfer durch die Straßen. Dabei wurden anfangs noch die Sprechchöre gerufen, die im Sinne des Regimes in Damaskus sind: »Das Volk will die Befreiung Palästinas«.
Die PLO spricht von »heimtückischem Massenmord«
Doch später kippte die Stimmung. Mehrere hundert Demonstranten zogen vor die örtliche Zentrale der Volksfront für die Befreiung Palästinas – Generalkommando (PFLP-GC). Sie warfen der Gruppe, die ihr Hauptquartier in der syrischen Hauptstadt unterhält und von Assads Regime unterstützt und finanziert wird, vor, sie habe sich vom syrischen Diktator instrumentalisieren und die zumeist jungen Demonstranten ins offene Messer laufen lassen.
Laut Berichten von Augenzeugen beschimpften die Protestierenden unter anderem Maher al-Taher, ein ranghohes Politbüromitglied der PFLP-GC. Kurz darauf setzten sie das örtliche Büro der palästinensischen Bewegung in Brand. In der Folge entwickelten sich in Teilen des etwa 120.000 Einwohner zählenden Lagers regelrechte Straßenschlachten. Bewaffnete Kräfte der PFLP-GC schossen auf die Protestierenden. Augenzeugen berichten von bis zu 14 Toten bei den Kämpfen, die bis in die Nacht andauerten.
Unklar ist bislang die Rolle der syrischen Armee bei der Auseinandersetzung. Einige Quellen behaupten, sie habe ebenfalls auf die palästinensischen Demonstranten geschossen, andere berichten, die Soldaten hätten das Lager lediglich abgeriegelt. Verwirrung herrscht bislang auch über die Rolle der Hamas bei den Ereignissen. Gerüchten zufolge soll ihr in Damaskus lebender Führer Khalid Meshaal nach Ausbruch der Kämpfe in Yarmuk zu schlichten versucht haben, dann jedoch abziehen müssen, nachdem die Menge dort Sprechchöre gegen ihn und seine Bewegung skandiert habe. Die PLO, der die PFLP-GC nicht angehört, verurteilte die Ereignisse in dem syrischen Lager inzwischen als »heimtückischen Massenmord«. Die PFLP-GC machte ihrerseits »Elemente von außerhalb des Lagers« für die Proteste verantwortlich.
Die Palästinenser wollen nicht länger instrumentalisiert werden
Auch wenn die genauen Hintergründe für die Unruhen in Yarmuk noch immer nicht genau geklärt sind, lassen sich an ihnen mehrere Entwicklungen ablesen. Die Proteste gegen die PFLP-GC unterstreichen, dass auch die Palästinenser in der Diaspora die Spaltung der palästinensischen Bewegungen und die internen Grabenkämpfe hinter sich lassen wollen. Offenbar sind auch ein großer Teil der in Syrien lebenden Palästinenser es Leid, von den einzelnen Fraktionen für deren Zwecke instrumentalisiert zu werden.
Zum Anderen signalisieren die Unruhen vom Montag, dass Assads Taktik, mit dem Aufmarsch am Golan von den innenpolitischen Problemen ablenken zu wollen, nicht aufgeht. Auch wenn im Land ein breiter Konsens darüber herrscht, dass die Golanhöhen unbestritten zu Syrien gehören und Israel den Höhenzug aufgeben muss, durchschaut eine wachsende Zahl von Palästinensern und Syrern das Kalkül des Damaszener Diktators, der ausgerechnet jetzt sein Herz für die palästinensische Sache wiederentdeckt haben will.
Inmitten der instabilsten Situation, der sich der syrische Staat seit Jahrzehnten gegenüber sieht, droht nun die Öffnung einer dritten Front. Da sind zum einen die verschiedenen Oppositionsbewegungen, die gegen das Regime aufbegehren. Da sind zum anderen die Demonstranten, die mit palästinensischen und syrischen Flaggen zum zweiten Mal binnen weniger Wochen mit Assads Billigung auf den israelisch besetzten Golan vordringen wollten.
Und nun gesellen sich dazu in Syrien lebende Palästinenser, die mit der Politik der lokalen Palästinensergruppen und ihrer syrischen Unterstützer unzufrieden sind. Hier vereint sich der Geist des Arabischen Frühlings aus Palästina, der dort das Versöhnungsabkommen zwischen Fatah und Hamas erreicht hat, mit dem Unwillen der syrischen Opposition. Eine Mischung, die mittelfristig nicht nur der PFLP-GC, sondern auch Baschar al-Assad gefährlich werden könnte.
1 Kommentar:
Danke für den ausführlichen Beitrag. Es ist nicht leicht in dieser Zeit fundierte Postings zu finden.
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