Im Juni 2010 wurde der junge Ägypter
Khaled Said in Alexandria von mehreren Polizisten misshandelt und
getötet. Sein Schicksal und die Bilder der verstümmelten Leiche
verbreiteten sich schnell im Internet und sorgten in den Wochen nach
Khaleds Tod für großen Aufruhr. Die Facebook-Gruppe „Wir alle sind Khaled Said“ zog hunderttausende Mitglieder an und wurde ein
halbes Jahr später zu einem wichtigen Werkzeug bei der Organisation
der Proteste gegen das Mubarak-Regime. Am Montag wurde Khaled Said
posthum gemeinsam mit dem Tunesier Slim Amamou mit dem Menschenrechtspreis der Friedrich-Ebert-Stiftung
ausgezeichnet. Khaleds Schwester, Zahraa Kassem, nahm den Preis für
ihren Bruder entgegen. Alsharq hatte im Vorfeld der Preisverleihung
die Gelegenheit, im Rahmen eines Pressegesprächs mit ihr zu reden.
Frau Kassem, ihr Bruder Khaled Said
wurde vor 15 Monaten von Polizisten in Alexandria getötet. Der Mord
war eines der Ereignisse, die zur Revolution gegen das Mubarak-Regime
führten. Jetzt wird Khaled posthum mit dem Menschenrechtspreis der
Friedrich-Ebert-Stiftung ausgezeichnet. Ist das ein Trost für Sie?
Ich bin vor allem traurig, dass mein
Bruder tot ist, auch wenn er für eine große Sache starb. Aber
natürlich freue ich mich über die Ehrung für meinen Bruder. Und
ebenso ist es ein großer Trost für mich und meine Mutter wenn Leute
zu uns kommen, die sagen „Ich bin Khaled Said“, die uns Mut
machen und die für seine Rechte weiterkämpfen.
Nach dem Tod Ihres Bruders wurde eine
Facebook-Gruppe mit eben diesem Slogan „Wir alle sind Khaled Said“
gegründet, die später eine wichtige Rolle bei der Organisation der
Proteste gegen Mubarak spielen sollte. Haben die Gründer sie
eigentlich damals darüber informiert, dass sie eine Facebook-Gruppe
im Namen ihres Bruders online stellen?
Nein, wird wurden nicht gefragt. Wie
alle Ägypter haben wir erst durch das Internet davon erfahren.
Irgendwann kamen dann die Verantwortlichen dieser Gruppe zu uns und
haben auch meine Mutter interviewt. Das war auch alles vollkommen in
Ordnung für uns.
Aber sind sie mit allem einverstanden,
was Personen oder Gruppen derzeit unternehmen, die behaupten im Namen
von Khaled Said zu sprechen und zu handeln?
Nein, überhaupt nicht. Es gibt leider
einige Gruppen, die seinen Namen aufgegriffen haben und Ziele
verfolgen, die wir nicht gutheißen. Nur wir, seine Familie und engen
Freunde, haben das Recht in seinem Namen zu sprechen! Wir planen
derzeit eine Organisation zu gründen, die Khaleds Namen tragen soll
und dann als einzige berechtigt sein wird, für meinen verstorbenen
Bruder zu reden.
Wussten Sie damals eigentlich, dass
Khaled Informationen über mutmaßlich korrupte Polizeibeamte
sammelte?
Nein, ich war vollkommen ahnungslos.
Etwa einen Monat vor seinem Tod kopierte er wichtige Daten von seiner
Festplatte auf den Computer meiner Tochter, den ich ihr kurz zuvor
gekauft hatte. Ich hatte jedoch keine Ahnung davon, was es damit auf
sich hatte. Erst nachdem Khaled getötet wurde, schaute ich mir die
Daten an und sah die Informationen die er gesammelt hatte. Jetzt ist
es unsere Aufgabe, ihm seine Rechte und jedem Ägypter seine Rechte
wiederzugeben. Ich will Gerechtigkeit für Khaled.
Er wird sein Recht vor Gericht bekommen, die Ägypter werden ihre
Recht durch die Revolution wieder erlangen.
Khaled Saids Portrait auf den Resten der Berliner Mauer (Foto: Zahi Alawi) |
Wie beurteilen Sie
den aktuellen Stand der Revolution in Ägypten?
Mich beunruhigt,
dass die Revolution immer unfriedlicher wird, dass Polizei und
Militärrat mit Gewalt gegen Demonstranten drohen und diese dann auch
tatsächlich einsetzen. Grundsätzlich aber gilt: Wir Ägypter werden
unseren Mund nicht mehr zumachen. Diese Zeiten sind vorbei. Aber es
gilt weiterhin der Ausnahmezustand, es wird weiterhin gefoltert, es
gibt noch immer Zensur. Und eine funktionierende Demokratie wird es
erst geben, wenn die Korruption beseitigt ist. Das alles wird jedoch
nicht von allein passieren, die Menschen müssen weiter auf die
Straße gehen.
Die letzte große
Demonstration in Kairo endete mit dem Sturm auf die israelische
Botschaft.
Der
Sturm auf die Botschaft war nicht geplant. Es gab wie fast an jedem
Freitag auch am 9. September eine Kundgebung auf dem Tahrir-Platz.
Dort wurde dann zum Protest gegen die Mauer vor der israelischen
Botschaft aufgerufen, die kurz zuvor errichtet worden war. Diese
Mauer mitten in der Stadt wirkte auf viele wie eine Provokation. Die
Leute haben dann diese Mauer innerhalb von vier Stunden
niedergerissen. Das Eindringen in die Botschaft war dann für alle
sehr überraschend. Niemand wusste so richtig, wer dahinter steckte.
Die Armee schien von dem Sturm auf die Botschaft zu wissen, griff
aber nicht ein, um eine diplomatische Krise zu erzeugen und unter
diesem Vorwand dann den Notstand zu verlängern.
Also
ist dieser Vorfall ein weiteres Zeichen dafür, dass das Vertrauen
der Ägypter in ihre Armee zerbrochen ist?
Ganz
so scharf würde ich es nicht ausdrücken. Wir müssen unterscheiden
zwischen der Armee und dem Militärrat. Viele Ägypter haben durchaus
noch Vertrauen in die Armee. Aber der Militärrat sollte so schnell
wie möglich die Politik denen überlassen, die sich damit auskennen.
Nicht
erst seit der Erstürmung der israelischen Botschaft wird in
deutschen Medien häufig die Sorge vor einer Machtübernahme der
Muslimbrüder geäußert. Wie breit ist der Rückhalt der Islamisten
im Volk?
Die
Muslimbrüder haben zu Beginn der Revolution praktisch alle Aktionen
gegen das Regime boykottiert und sind wie in Tunesien erst sehr spät
auf den Zug aufgesprungen. Die Ägypter haben das sehr genau
registriert. Im Moment herrscht im Volk eine viel größere Angst
davor, dass Vertreter des alten Regimes wieder an die Macht
zurückkehren könnten.
Wie
beurteilen Sie die Rolle der Medien?
Die
meisten ägyptischen Medien haben anfangs unwahr über die Revolution
berichtet. Erst mit dem Sturz Mubaraks kamen im staatlichen Fernsehen
überhaupt Vertreter der Opposition zu Wort. Seit etwa zwei Monaten
können sich in zahlreichen TV-Sendern und Zeitungen aber auch wieder
Vertreter des gestürzten Regimes äußern. Dazu gibt es neue
Verbote, eine neue Zensur, Zeitungen werden verklagt. Der Stand der
Pressefreiheit hat sich jedenfalls in den vergangenen Monaten wieder
verschlechtert und dafür ist der herrschende Militärrat
verantwortlich.
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