Der Generalkongress der Fatah, den Mahmoud Abbas heute eröffnete, ist der erste dieser Art seit zwanzig Jahren und soll die palästinensische Partei personell und programmatisch neu ausrichten. Etwa 2000 Delegierte werden an dem dreitägigen Kongress in Bethlehem teilnehmen, um beide Fatah-Organe, das Zentralkomitee und den Revolutionsrat, neu zu wählen.
Die Fatah hat in den 60-er Jahren den bewaffneten palästinensischen Widerstand initiiert und angeführt. Als die arabischen Staaten den Sechstagekrieg und damit das Vertrauen unter den Palästinensern verloren hatten, wurde die Fatah politisch wie militärisch zu einer regionalen Großmacht. Eng mit dem palästinensischen Widerstand verbunden ist der Name Yassir Arafat, der die Bewegung gründete und bis zu seinem Tod 2004 anführte. Seine bitterste Niederlage erlitt Arafat, als seine Fatah durch die israelische Armee 1982 aus Beirut vertrieben wurde und infolgedessen an Bedeutung verlor. Dies war zugleich der Beginn alternativer, meist islamischer Befreiungsbewegungen. Durch die Osloer Verträge konnte die Fatah 1994 ihre Zentrale in die besetzten palästinensischen Gebiete verlegen, und Arafat wurde erster Präsident der neu geschaffenen Palästinensischen Autonomiebehörde (PA). Der Friedensprozess entwickelte sich jedoch kaum weiter. Folge war der Aufstieg radikaler Kräfte, vor allem der Hamas, die den islamischen Widerstand propagiert und die Osloer Verträge ablehnt. Mit jedem Rückschlag im Friedensprozess und mit jedem Misserfolg der Fatah stieg die Popularität und Bedeutung der Hamas weiter. Sie mobilisiert ihre Anhänger vor allem dadurch, dass sie Fatah als korrupten Handlanger Israels und Amerikas darstellt. Unter den Flüchtlingsgemeinschaften in den Nachbarländern ist die Enttäuschung über die Fatah besonders groß. Sie fühlen sich von ihr im Stich gelassen. Ihre Rückkehr erscheint heute ferner denn je. Unterstützung erfährt Hamas von Syrien und Iran, deren jeweilige Bedeutung in der Nahostregion auch mit einer starken Hamas in Zusammenhang steht. Spätestens seit den Parlamentswahlen von 2006 kann die Fatah nicht mehr glaubwürdig den Alleinvertretungsanspruch aufrecht erhalten. Auch die westlichen Staaten scheinen die Hamas mittlerweile als unumgängliches Übel für einen neuen Anlauf im Friedensprozess anerkannt zu haben. Vorsichtig werden diplomatische Beziehungen zu ihr aufgebaut.
Nach dem Tod ihres charismatischen Führers Arafat und dem Verlust Gazas an die Hamas 2007 geht es auf dem Generalkongress in Bethlehem in den nächsten Tagen um nicht weniger als die Zukunft der Bewegung, wenn nicht gar um ihr Überleben.
In Bezug auf eine programmatische Neuausrichtung steckt die Fatah in einem Dilemma. Sie muss einerseits das Vertrauen und den Rückhalt der palästinensischen Massen zurückerobern, indem sie entweder einen realistischen Plan zur Erlangung staatlicher Unabhängigkeit vorlegt, oder indem sie radikaler und militanter gegenüber Israel auftritt. Da mit der gegenwärtigen Regierung in Israel ein erfolgversprechender Friedensprozess nicht wahrscheinlich ist, bleibt nur die zweite, die radikale Option. Doch zugleich muss Fatah auch als moderate Bewegung in Erscheinung treten, will sie weiterhin international relevant bleiben und den Friedensprozess – wenn er denn wieder in Gang kommt – für die palästinensische Seite führen.
Abgesehen von der strategischen Ausrichtung geht es auf dem Parteitag aber zuallererst um eine personelle Neuordnung. Fatah-Chef Mahmoud Abbas, zugleich Präsident der PA, hat es bislang versäumt, die Führungsriegen zu verjüngen. Oberste Priorität sollte auch die Bekämpfung der Korruption, eine Demokratisierung der autoritären Parteistrukturen sowie die Wiederherstellung innerer Geschlossenheit haben. Der stete Bedeutungsverlust der Fatah hat nämlich zu Flügelkämpfen in der Partei geführt. Neuster Höhepunkt des inneren Konflikts war der Vorwurf Farouk Qaddumis, eines langjährigen Fatah-Veterans, Mahmoud Abbas sei in den vermeintlichen Mord an Arafat verwickelt gewesen (wir berichteten).
Als mögliche alternative Führungsfigur zu Abbas fällt oft der Name Marwan Barghouti. Er führte schon die erste und die zweite Intifada an, bevor Israel ihn verhaften konnte. Ihm wird zugetraut, wie einst Arafat, als integrativer Führer von allen Flügeln anerkannt zu werden. Doch er müsste die Neuausrichtung der Fatah aus seiner Gefängniszelle in Israel heraus organisieren. Eine Freilassung lehnt Israel auch im Falle seiner Wahl zum Fatah-Chef ab. Dazu wird es auf diesem Kongress sicher noch nicht kommen. Aber eine allgemeine Stimmungslage wird wohl deutlich werden.
Zu dem Kongress reisten Fatah-Offizielle aus der ganze Welt an. Sogar die palästinensischen „Botschafter“ aus Syrien und dem Libanon durften mit einer Sondererlaubnis nach Bethlehem reisen. Nur die Delegierten aus dem Gazastreifen durften nicht kommen, weil die dort regierende Hamas das nicht zuließ. Osama Hamdan, Hamas-Chef im Libanon, erklärte, dass deren Ausreise nur genehmigt werde, wenn im Gegenzug alle Hamas-Gefangenen im Fatah-regierten Westjordanland frei kämen. So werden die etwa 400 Fatah-Mitglieder aus Gaza, die zum Parteitag eingeladen waren, die Veranstaltung vor dem Fernseher verfolgen müssen.
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen