Hier ein Gastkommentar von Björn Zimprich, einem befreundeten Studenten. Zurzeit schreibt Zimprich seine Diplomarbeit über Islam in Gambia. Darüber hinaus verbrachte er mehrere Monate in verschiedenen westafrikanischen Ländern.
Im Norden Nigerias ist in der letzten Woche der Konflikt zwischen der Staatsmacht und einer islamistischen Sekte eskaliert. Demnach attackierten Mitglieder einer Gruppierung, welche sich gern als „nigerianische Taliban“ bezeichnet Polizeistation in verschiedenen Städten. Soldaten der Regierung reagierten hart auf diese Angriffe, beschossen und stürmten schließlich das Hauptquartier der Bewegung in der Stadt Maiduguri. Nach übereinstimmenden Medienberichten starben dabei über 200 Menschen, darunter auch der Anführer der Sekte Mohammed Youssuf. Nach Armeeangaben handelte es sich bei den 200 Toten ausschließlich um islamistische Kämpfer. Menschrechtsorganisation vermuten dagegen, dass unter den Toten auch viele Zivilisten sind, da die nigerianischen Sicherheitskräfte für ihre rücksichtloses Vorgehen bekannt seinen.
Im Zusammenhang mit diesen Auseinandersetzungen wurden Befürchtungen laut, dass sich die Kämpfe zu einem Flächenbrand ausweiten könnten. So kommt es in Nigeria regelmäßig zu gewaltsamen Konflikten entlang religiöser Linien, denen in den letzten Jahren bis zu 10.000 Menschen zum Opfer gefallen sind. Häufig reicht ein kleiner Funke aus um gewaltsame Ausschreitungen und Pogrome in anderen Landesteilen ausbrechen zu lassen. Nigeria ist dabei vereinfacht religiös in zwei Teile zu gliedern. Dem islamisch-geprägten Nordteil steht der Süden mit einer mehrheitlich christlichen Bevölkerung gegenüber.
Die ethnische Verteilung Nigerias ist dagegen weit komplizierter. Neben hunderten kleineren ethnischen Gruppen existieren drei große Ethnien, welche im Wesentlichen die politische Landkarte dominieren. Neben den Ibos im Südosten und den Yoruba im Südwesten sind dies die muslimischen Hausa-Fulani im Norden Nigerias. Religiöse Rhetorik hat sich im politischen Prozess Nigerias als äußerst erfolgreicher Mobilisierungsfaktor erwiesen. Insbesondere die traditionellen Hausa-Fulani Eliten haben dabei versuchte über die Einführung der Scharia in den 12 nördlichen Bundesstaaten im Jahre 1999 ihren alten politischen Einfluss zurück zu gewinnen.
Auf diesen Zug sind die „nigerianischen Taliban“ aufgesprungen. Diese fordern die Scharia in allen 36 nigerianischen Bundesstaaten, und damit auch im mehrheitlich christlichen Süden einzuführen. Dass dies keine realistische politische Forderung ist, liegt auf der Hand. Darüber hinaus richtet sich die Gruppierung gegen jegliche westliche Bildung in Nigeria, was sie über „Boko Haram“ („Bildung ist Sünde“) einem ihrer zahlreichen weiteren Namen propagiert. Insgesamt scheint es sich bei der Gruppierung eher um eine jihadistische Sekte, denn um eine breite politische Bewegung zu handeln.
Gegründet wurde sie erst vor fünf Jahren von Mohammed Youssuf. Dieser wurden nun erschossen, als er sich in Polizeihaft befand. Es scheint nahe zu liegen, dass er hingerichtet wurde. Bisher ist noch nicht abzusehen, welche Wirkung die Tötung ihres Führers auf die Gruppe haben wird, ob Mohammed Youssuf zum Märtyrer stilisiert werden kann oder durch das Fehlen der Führungsfigur die Gruppe auseinander fallen lässt. Organisatorisch scheint sie in jedem Fall schwächer entwickelt zu sein, als ihre offizielle Rhetorik vermuten lässt. Kontakte oder gar Kooperation mit den Taliban oder Al-Qaida scheinen (noch) nicht zu bestehen. Über breite Unterstützung in der Bevölkerung oder der Eliten des Nordens wird ebenfalls nichts berichtet.
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die nigerianischen Taliban wohl für mehr Furore gesorgt haben, als ihre tatsächliche Schlagkraft rechtfertigen ließe. Dennoch heißt dies nicht, dass nicht auch militante Splittergruppen das fragile Gleichgewicht in Nigeria empfindlich stören können und einen Flächenbrand auslösen können. Da bisher der Konflikt fast nur zwischen Soldaten und Islamisten und nicht zwischen Angehörigen der beiden großen Religionsgruppen stattfand, ist jedoch zu hoffen dass eine Eskalation des religiösen Konflikts in ganz Nigeria nicht unmittelbar bevorsteht.
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