Liebe Leserinnen und Leser,
im April dieses Jahres organisierte Alsharq eine politisch-kulturelle Reise in den Libanon. Neben den beeindruckenden historischen und landschaftlichen Sehenswürdigkeiten konfrontierten wir die Reiseteilnehmer mit den politischen Realitäten des Zedernstaates. Beispielsweise konnte sich die Gruppe vor Ort ein Bild von den bedrückenden Umständen in einem palästinensischen Flüchtlingslager machen. Außerdem konnten die Reisenden während eines abschließenden Workshops offene Fragen mit Journalisten, Professoren und politischen Analysten diskutieren.
Uns hat die Reise große Freude bereitet, weshalb wir im kommenden Jahr eine weitere Reise in den Libanon anbieten werden. Bereits im September wird Alsharq-Mitglied Simon eine 38-köpfige Gemeinde aus Süddeutschland durch den Libanon führen. Falls Interesse an Reisen in andere Länder im Nahen Osten besteht - etwa Syrien, Jordanien oder Israel und Palästina - nehmen wir Aufträge gerne entgegen.
Hier nun der Reisebericht von Nils Metzger, der im April dabei war.
Libanon hat das Potential zu enttäuschen. Diejenigen zu enttäuschen, die ein unbeflecktes Paris des Nahen Ostens bejubeln möchten, diejenigen, die post-feudale Gesellschaftsstrukturen erwarten und diejenigen, die die blind-religiösen Fanatiker aus dem Fernsehen suchen. Alle Liebhaber himmelstürmender Berg-und-Tal-Panoramen, verschwenderisch teurer Autos und politischer Ränkespiele sind jedoch herzlich in das Land eingeladen.
Der Landeanflug im Abendrot ist wohl die beste Imagebroschüre, die dem - so teilte man mir mit - weitestgehend überflüssigen Tourismusministerium in die Hände gelegt werden konnte. Malerisch kriechen die Lichter der Hochhäuser die Berghänge hinauf. Das Flackern der tausenden Lichter verleiht der Stadt ein organisches Antlitz, aus der Luft kann man die Narben und Furchen, die der Krieg geschlagen hat, fast nicht mehr erkennen. Durchquert man das alte Herz der Stadt, Downtown, dort wo vor dem Bürgerkrieg das kulturelle Leben aller Volksgruppen stattfand, so findet man sich heute in einem fein herausgeputzten Disneyland wieder. Starbucks und feine Restaurants, blank gekehrte Gehwege, Schützenpanzer und Touristenläden bestimmen das Straßenbild. Die Menschen habe diese tote Zone noch nicht wieder zurück erobern können, und nur wenige hundert Meter weiter, wo der historische Märtyrerplatz liegt, parken Autos auf nicht asphaltiertem Brachland.
Man sieht nur, was man weiß. In einem politisch und kulturell sehr komplexen Land wie dem Libanon ist man oft auf den hilfreichen Fingerzeig angewiesen, der dem staunenden Betrachter die tatsächlichen Zusammenhänge erklärt. Wenn man dabei das Glück hat, auf eine Gruppe Islamwissenschaftler zurückgreifen zu können, die das Land allesamt wie ihre Westentasche kennen, so kann man die Faszination dieses multireligiösen Staates erleben.
Der Libanon ist für viele westliche Touristen Neuland. Selbst in der Hauptstadt Beirut findet man zwar viele europäische und amerikanische Studenten, aber fast keine klassischen Touristen. Dieses internationale Flair, welches einem in den unzähligen Bars und Nachtclubs des Hamra- und des Achrafieh-Viertels entgegenschlägt, ermöglicht es direkt in die Stadt einzutauchen. Der einfachste Weg um mit Menschen in Kontakt zu kommen, ist der Besuch in einer der oft sehr versteckt und privat wirkenden Szenekneipen, die meist ein festes Stammpublikum besitzen.
Zwar werden im ganzen Land Armee-Checkpoints abgebaut und zerschossene Ruinen in Museen umgewandelt, doch zu tief war die Teilung während der 15 Kriegsjahre, zu groß der Schaden, den der Zentralstaat davon getragen hat. Viele der Wunden wurden verdrängt und die vorsichtigen Bemühungen, zum Beispiel das Schicksal der zehntausenden Menschen aufzuarbeiten, die seit Ausbruch des Bürgerkrieges verschwunden sind, sind in der Bevölkerung nicht unumstritten. Da bot es sich an, die gerade neu eröffnete Beiruter Ausstellung »Missing & In A Sea of Oblivion« zu besuchen, deren Organisatoren beklagen, dass es »zwar viele Denkmäler für Politiker gäbe, allerdings kein einziges für die zivilen Opfer des Krieges«.
In den schiitischen Vierteln der Stadt ist die Hisbollah überall präsent – im Moment meist als Bauherr. Die Häuserblocks, die im Stadtteil Dahiyeh während der israelischen Bombardements 2006 zerstört wurden, baut die Hisbollah nun zu hunderten wieder auf und schlachtet dies auf ebenso vielen Propagandaplakaten aus. Gleichzeitig ist das Leben in Beiruts »problematischstem« Stadtteil aber erstaunlich ruhig und vielfältig. Zwischen den Hisbollah-Polizisten, die die Aufgaben der staatlichen Polizeikräfte übernommen haben, laufen Frauen mit Kopftuch und genauso viele ohne. Wie wir im Gespräch mit Anwohnern feststellen konnten, haben die Kramläden, Autowerkstädten und Boutiquen dafür gesorgt, dass sich das ehemalige Armenhaus der Stadt mittlerweile zu einer Heimat vieler Angehöriger der Mittelschicht entwickeln konnte.
Lässt man den Lärm des Großstadt-Dschungels hinter sich und begibt sich in die Dörfer des nördlichen Libanon-Gebirges, fallen einem schnell die kleinen und großen Wegschreine, Marienfiguren und Kreuze auf, die an jeder Straßenkreuzung und jedem Haus zu finden sind. Die Menschen hier leben im Kerngebiet der maronitischen Christen. Die Geschichtsträchtigkeit dieser Orte ist berauschend - bei der Fahrt durch nahezu jede Ansiedlung werden wir von unseren Guides mit Hintergrundinformationen versorgt. In diesen beschaulichen Dörfern führten die Clanstrukturen während des Bürgerkrieges zu unzähligen Kämpfen und Massakern auch innerhalb der Religionsgemeinschaften.
Einen ausgedehnten Besuch des Qadischa-Tals kann man allen Wanderern ans Herz legen. Dieses spirituelle Zentrum der Maroniten wird von vielen Mönchen bewohnt, die Einsamkeit und Natur genießen möchten. Manche von Ihnen bieten auch Unterkünfte für Pilger an. Im von kleinen Wasserfällen gespeisten fruchtbaren Tal kann man bis heute eine funktionierende Terrassenwirtschaft beobachten und die vielen Gipfelkreuze laden zum Klettern ein.
Die großen Highlights der Rundreise lagen nun aber noch vor uns: Nach einer landschaftlich atemberaubend schönen Fahrt über die Serpentinen des Libanon-Gebirges, erwartete uns die Abgeschiedenheit der Bekaa-Ebene. Durchquert man es, benötigt ein Auto keine halbe Stunde. Doch auf der Fahrt werden dem Reisenden hervorragende Weingüter, kleine Dörfer, unzählige syrische Tagelöhner und ein paar der wichtigsten archäologischen Grabungsstädten der Region begegnen. In und um die Stadt Baalbek graben Wissenschaftler an imposanten phönizischen, römischen und islamischen Steinbauten. Wir hatten dort die einmalige Gelegenheit von einem der leitenden Archäologen eine mehrstündige Führung durch die berühmten Tempelanlagen zu erhalten. Direkter kann der Einblick in den aktuellen Stand der Forschung nicht sein.
Es war auch alleiniger Verdienst unserer Reiseleiter, dass unsere Gruppe noch am gleichen Tag eines der im Libanon meist von der Armee abgeriegelten Palästinenserlager besuchen konnte. Im Gespräch mit dem örtlichen PLO-Vertreter konnte sich jeder von uns ein Bild vom Schicksal der Flüchtlinge machen, die im Libanon seit rund 60 Jahren über keinerlei Staatsbürgerrechte verfügen. Da mag es zynisch wirken, dass der fest eingeplante Besuch eines berühmten lokalen Weingutes nicht nach hinten verschoben wurde, dem Weingenuss tat es allerdings keinen Abbruch.
All diese Eindrücke hinterlassen einen extrem zwiespältigen Eindruck und lassen es nicht zu, ein eindeutiges Urteil über die Stabilität des Staates zu treffen. Kurze, klare Antworten findet man in dieser komplexen Gesellschaft kaum. Meist bleibt dem ungläubigen Gast nur, seinen nachdenklichen Geist mit der umwerfenden libanesischen Küche abzulenken. Die Vorliebe für viele Gänge und verschwenderische Mengen lassen den typischen deutschen Touristen, der noch zu Hause gelernt hat, alles müsse aufgegessen werden, spätestens nach dem ersten Fleisch-Gang satt zurück.
Essen muss gelernt sein. Als einfache und schnelle Mahlzeiten für Zwischendurch kann man für rund zwei Euro Shawarma, eine Art Döner, erwerben. Besonders zu empfehlen sind die unzähligen Humus-Varianten, die zu den meisten Gerichten serviert werden. Der Besuch in einem der vielen Fisch-Restaurants ist ein Muss, wenn man sich am Meer befindet. Auf eben jenes blickt man auch, wenn man den Libanon von Beirut aus wieder mit dem Flugzeug verlässt. Diese Sicht von oben lässt einen die unzähligen ungelösten Konflikte vergessen, die man hinter sich zurück lässt.
Freitag, 28. Mai 2010
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4 Kommentare:
Mensch, ihr könnt mir nicht erzählen, dass das alles war, was es an schönen Bildern gab! Mehr Bilder bitte :) Auch gerne in einem komplett neuen Post!
Lieber M.A., natürlich haben wir noch mehr Bilder, insgesamt ein paar tausend. Die wollen aber erst einmal gesichtet und sortiert werden:-)
Zu gegebener Zeit wird es mehr davon im Blog geben.
Toller Bericht! Tolle Reise! Ich würd morgen wieder fahren ...
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