Lake Success ist ein kleines, verschlafenes Nest im US-Bundesstaat New York. 2800 Seelen leben zwischen Wiesen und Wäldern, in denen sich die Blätter der Laubbäume im Herbst malerisch färben. Es gibt eine Highschool und einen Golfclub, der jeden Sonntag zum Familienbrunch einlädt. Doch Lake Success unterscheidet sich von seinen Nachbargemeinden, es ist ein historisch einzigartiger Ort. Am 29. November 1947 tagte hier die UN-Vollversammlung, um über die Teilung Palästinas abzustimmen. Das Scheitern des Plans führte zur Gründung des Staates Israel, der dieses Jahr seinen 62. Unabhängigkeitstag feiert – und Theodor Herzl, den geistigen Vater des Zionismus. Er wäre heute 150 Jahre alt geworden.
Theodor Herzl erblickte 1860 in der Budapester Tabakgasse als Spross einer wohlhabenden, assimilierten Bankiers-Familie das Licht der Welt. Nach dem Abitur an einem evangelischen Gymnasium zog die Familie 1869 nach Wien, wo er ein Jurastudium begann und einer deutschnationalen, schlagenden Burschenschaft beitrat. Herzl fühlte sich wohl in deren Reihen, schwärmte von Wagner und verehrte Bismarck. Die bunte Mütze seiner Verbindung nahm er jedoch – nach mehreren antisemitischen Vorfällen – wieder vom Kopf und verließ die Verbindung, promovierte und absolvierte als unbesoldeter Beamter seine Gerichtspraxis in Wien und Salzburg. Der kulturell interessierte Herzl mochte die Mozartstadt, verließ sie jedoch, um zu reisen und um seinen Kindheitstraum zu erfüllen. Er schrieb von nun an Theaterstücke und Zeitungsartikel. Er genoss die neu gewonne Freiheit, galt bald als brillanter Feuilletonist – und trat auf wie ein Dandy. Der hochgewachsene Herzl legte größten Wert auf seine Kleidung und ließ sich einen Bart stehen, um älter zu wirken – die Frauen lagen ihm zu Füßen; besonders Julie Naschauer, die er 1989 heiratete. Mit ihr bekam er drei Kinder, einen Jungen und zwei Mädchen, die seiner Meinung nach „weder dumm noch hässlich“ waren. Der frischgebackene Familienvater hätte sein Leben wohl als angesehener Autor beendet, wenn er 1891, während einer Spanienreise, nicht von einer Wiener Zeitung ein Angebot bekommen hätte, das sein Leben – und damit auch die Weltgeschichte – verändert hätte. Als Korrespondent für die „Neue Freie Presse“ verließ er die k.u.k. Monarchie und ging nach Paris, der Hauptstadt der Menschen- und Bürgerrechte.
„Wir haben alles versucht, ihr wollt uns nicht, wir gehen“
Obwohl er Politik bis dato verachtete und verabscheute, widmete er sich seiner neuen Tätigkeit mit Fleiß und Akribie. Seine Berichte aus dem Palais Bourbon fanden über die Landesgrenzen der dritten Republik hinweg Beachtung. Im dritten Jahr nach seiner Ankunft an der Seine war er als Justiz-Korrespondent Zeuge des Dreyfus-Tribunals – es wurde zu seinem Schlüsselerlebnis. Die Affäre um den jüdischen Artilleriehauptmann, der fälschlich der Spionage für Deutschland beschuldigt und zu lebenslanger Verbannung verurteilt wurde, führte zu heftigen Ausschreitungen – Menschenmassen zogen über die Pariser Plätze und skandierten „Tod den Juden“. Herzl war entsetzt: „Das war kein Traum, von Dichterhand um unserer erschreckten Seelen gewoben. Wirklichkeit war es.“ Diese Wirklichkeit veränderte das Leben und Schreiben des 35-Jährigen. Der Antisemitismus bestimmte von nun an sein ganzes Geistesleben und wurde zum Katalysator seiner Gefühle als Jude. Er beschäftigte ihn pausenlos und als er 1896 nach Wien zurückkehrte, veröffentlichte er seine Traktat Der Judenstaat. „Wir haben alles versucht, ihr wollt uns nicht, wir gehen“, kommentierte Herzl die Veröffentlichung, mit der er die zionistische Vision von der Heimkehr aller Juden nach Palästina beschwor.
Die kaum 90 Seiten starke Schrift erregte zunächst kein besonderes Aufsehen – in England wurden im ersten Jahr ganze 160 Exemplare verkauft, und Herzl musste den Verleger aus eigener Tasche bezahlen. Aber Herzl gab nicht auf, schließlich war sein Traum vom Judenstaat „ein Werk von unendlicher Größe. Es füllt mich aus bis in die Bewusstlosigkeit, begleitet mich überall hin und schwebt über meinen gewöhnlichen Gesprächen“, wie er seinem Tagebuch anvertraute. Wo der neue Staat geographisch liegen sollte, ließ Herzl im Judenstaat offen. Alles war ihm recht, wenn es nur ein Land war, „wo wir krumme Nasen, schwarze oder rote Bärte und gebogene Beine haben dürfen“. Konkrete Vorstellungen hatte er hingegen zum Staatsaufbau: Für Demokratie war er nicht zu haben. Er stellte sich eine „aristokratische Republik“ vor – mit ihm an der Spitze. Der Versuch, die hebräische Sprache zu beleben, kam Herzl lächerlich vor, stattdessen orakelte er, werde die Sprache „wahrscheinlich Deutsch“ sein.
„In Basel habe ich den Judenstaat gegründet“
Ein Jahr nachdem er seinen „Judenstaat“ veröffentlicht hatte berief Herzl den ersten Zionistenkongress nach Basel ein. Rund 200 Delegierte aus 16 Ländern versammelte der Jurist und Journalist mit Hang zum Deutschtum im Stadtkasino, um seine Forderung nach einer „gesicherten Heimstätte in Palästina“ unter das Volk zu bringen. Dem Anlass entsprechend mussten auf Herzls ausdrücklichen Wunsch alle Mitglieder in Frack und weißer Halsbinde erscheinen. Der Kongress entschied die so wichtige Frage nach der neuen Heimstatt: Es ging von nun an nur noch um Palästina. Dieser Flecken Erde war bis zum Zusammenbruch des Osmanischen Reiches am Ende des Ersten Weltkrieges jedoch lediglich ein vorwiegend mythologischer Begriff gewesen, ohne genaue geographische Bestimmung. Niemand wusste genau, was gemeint war: das Land der Philister, nach dem Palästina seinen Namen hatte, das Reich Salomos und Davids oder „das Land von dem Wasser Ägyptens an bis an das große Wasser Euphrat“, wie es im alten Testament bei Mose heißt?
Trotz dieser – und vieler weiterer offener Fragen – schrieb der Visionär Herzl in sein Tagebuch den prophetischen Satz: „In Basel habe ich den Judenstaat gegründet.“ Er war sich seiner Sache sicher. Mit dem frisch verabschiedeten „Basler Programm“ ging der erste gewählte Präsident des Zionistenkongresses nun auf Reisen und warb um Verbündete in seinem Kampf um den Judenstaat.
Trotz dieser – und vieler weiterer offener Fragen – schrieb der Visionär Herzl in sein Tagebuch den prophetischen Satz: „In Basel habe ich den Judenstaat gegründet.“ Er war sich seiner Sache sicher. Mit dem frisch verabschiedeten „Basler Programm“ ging der erste gewählte Präsident des Zionistenkongresses nun auf Reisen und warb um Verbündete in seinem Kampf um den Judenstaat.
„Wenn ihr wollt, ist es kein Traum“
Dem Großherzog von Baden bot er ein jüdisches Palästina als „deutsches Protektorat“ an und nahm mit Kaiser Wilhelm II. Kontakt auf – und tatsächlich, die Arbeit schien erste Früchte zu tragen. Reichskanzler Fürst zu Hohenlohe-Schillingsfürst ließ Herzl kommen und wollte wissen, welche Territorien die Juden wohl im Auge hätten: „Bis Beirut oder noch weiter?“ „Wir verlangen, was wir brauchen - je mehr Einwanderer, desto mehr Land“, antwortete Herzl darauf kühn. Er wähnte sich schon im unendlichen Glück, als der Kaiser ihn persönlich empfing, und schlug vor, die Deutschen sollten dem osmanischen Sultan eine „Chartered Company“ – nach dem Vorbild der britischen Ostindien-Kompanie – vorschlagen. Die Hohe Pforte in Konstantinopel jedoch war nicht interessiert – und die Deutschen konnten und wollten ihren mächtigen Verbündeten am Bosporus nicht verstimmen.
Herzl aber kämpfte weiter und die zionistische Bewegung wuchs unaufhaltsam an: 1300 zionistische Vereine aus aller Welt konnte er 1899 bereits auf dem dritten Kongress begrüßen. Verbissen formte er seinen Traum zu seinem Lebenswerk. 1902 erschien zunächst sein Buch „Altneuland“, indem er von der Notwendigkeit schrieb, einen neue jüdische Gesellschaft zu schaffen und den Juden prophezeite: „Wenn ihr wollt, ist es kein Traum“. Dann bedrängte er die Briten, seinen Plan zu unterstützen. Herzl wollte nun von Londons Kolonialminister Joseph Chamberlain Zypern und die Sinai-Halbinsel: Saßen die Juden erst einmal im Sinai, so seine Überlegung, war es nach Jerusalem nicht mehr weit. Doch stattdessen wurde ihm Uganda angeboten – Herzl war entnervt und antwortete: „Später können wir auch Uganda besiedeln. Jetzt aber müssen wir El-Arisch haben.“ Doch er hatte kein Glück, die Briten gingen auf seinen Vorschlag nicht ein. Rastlos reiste Herzl auf dem europäischen Kontinent hin- und her, sprach mit dem italienischen König und dem katholischen Papst, mit dem Innen- und dem Finanzminister Russlands in St.Petersburg – alles vergebens.
„Machet keine Dummheiten, während ich todt bin“
1904 starb der erschöpfte und herzkranke Träumer vom Gelobten Land mit nur 44 Jahren und wurde, begleitet von Tausenden Trauernder, in Wien zu Grabe getragen – nicht aber seine Idee. Für viele Juden, insbesondere die von antisemitischen Pogromen in Osteuropa verfolgten, wurde sein Tod zum Signal, für manche sogar der Anlass zum Aufbruch nach Palästina, wie für den damals 20-jährigen David Grien aus dem polnischen Plonsk. „Welcher Verlust, und dennoch bin ich heute mehr denn je davon überzeugt, dass wir Erfolg haben werden,“ hatte der junge Mann zum Tod Herzls in sein Tagebuch geschrieben, um kurz darauf nach Jaffa in Palästina zu reisen. Dort änderte er seinen Namen, hieß von nun an David Ben-Gurion und wurde zum Erben Herzls, der treibenden Kraft hinter der zionistischen Idee, die zuerst 1947 im weit entfernten Lake Success und später am 14. Mai 1948 in Tel Aviv erfolgreich Realität wurde, als der jüdische Staat Israel ausgerufen wurde. Ein Jahr später bestattete man Theodor Herzl auf dem Berg in Jerusalem, der heute seinen Namen trägt. Dort fand der Mann, dessen Ideen Israel seine Existenz verdankt, seinen Frieden, den der Staat offenbar nicht finden kann; vor dem Herzl am Ende seines Lebens - wenn er auch nichts geahnt hatte - gewarnt hatte, als er schrieb: „Machet keine Dummheiten, während ich todt bin.“
Israelische Stimmen zum 150 Jubiläum des Geburtstages von Theodor Herzl:
Israelische Stimmen zum 150 Jubiläum des Geburtstages von Theodor Herzl:
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