Dienstag, 1. Juni 2010

Presseschau zum Angriff auf die "Freedom Flotilla"

Ein Beitrag von Christoph Sydow, Kathrin Hagemann und Dominik Peters

Die Erstürmung der „Freedom Flotilla“ durch israelische Marinekommandos am Montag Morgen beherrscht die Kommentarspalten in arabischen, türkischen und israelischen Zeitungen. Die arabischen Kommentatoren verurteilen den israelischen Angriff scharf, türkische Blätter bezeichnen die Militäraktion im Mittelmeer als Barbarei. Israels Kommentatoren sind gespalten zwischen selbstkritischen Stimmen einerseits und großem Unverständnis auf die internationalen Reaktionen andererseits.


„Seid nicht traurig...Ein großer Erfolg“ - so überschriebt der Chefredakteur der in London erscheinenden pan-arabischen Zeitung „al-Quds al-Arabi“ seinen Leitartikel. „Sicher können sich Benjamin Netanyahu und seine extremistische Rechts-Regierung das Ausmaß des Erfolgs nicht vorstellen, den sie dem palästinensischen Volk sowie den arabischen und islamischen Nationen mit ihrem Massaker gegen den Konvoi der Freiheitsschiffe im Mittelmeer beschert haben, bei dem etwa 20 Mujahidin heimtückisch ermordet und Dutzende verwundet wurden. […] Die von der israelischen Regierung in Gaza und auf den Hilfsschiffen verübten Massaker sind so viel Wert wie zig Jahre und hunderte Milliarden, die von den Arabern und Muslimen aufgebracht werden müssten um das widerliche Gesicht der israelischen Arroganz und Eitelkeit vor der ganzen Welt bloßzustellen. Tausend Dank gebührt der Gruppe der Mujahidin, die sich entschloss den hungernden Eingesperrten im Gaza-Streifen über das Meer zur Hilfe zu eilen. Diese Freiwilligen sind Zivilisten, die sich dem israelischen Unrecht mit Medizin, Zement- und Mehlsäcken und Ölkanistern entgegenstellen und sich weigerten den Befehlen der israelischen Piraten Folge zu leisten und dorthin zurückzukehren, wo sie herkamen. Sie haben Wunder geschafft, die von arabischen Armeen nicht vollbracht wurden, die hunderte Milliarden Dollar für Waffen und Trainig ausgegeben haben.“ So habe der Angriff zum Einen auf den Schiffskonvoi die Lage der Palästinenser wieder ins Zentrum der internationalen Aufmerksamkeit gebracht. Des weiteren sei eine innerpalästinensische Versöhnung seit gestern näher gerückt. Auch die Fatah-geführte Regierung in Ramallah habe den Angriff entschieden verurteilt und so die rivalisierenden Fraktionen einander wieder näher gebracht. Zudem habe der Überfall einmal mehr bewiesen, dass es nicht der Iran sondern Israel sei, der die internationale Sicherheit gefährde. Ein großer Dank, so Abdel Bari Atwan, gebühre der türkischen Regierung. Sie habe eine Entschlossenheit gezeigt, die den arabischen Staaten seit langem fehle.

„Warum verübte Israel das Verbrechen?“ fragt Abdul Rahman al-Rashed in seinem Kommentar für die ebenfalls in London erscheinende Zeitung „Asharq al-Awsat“ um gleich darauf die Antwort zu liefern. Ziel sei es, die moderaten Kräfte auf der arabischen Seite zu schwächen und die zögerlich gestarteten indirekten Verhandlungen mit Mahmoud Abbas von vornherein zu sabotieren. Der Hilfskonvoi habe den Israelis hierfür einen willkommenen Vorwand geliefert, den Israel sofort und rücksichtslos ausgenutzt habe. „Obwohl es viele Optionen gab, entschloss sich die israelische Führung für einen bewaffneten Angriff. Es ist offensichtlich, dass es Anweisungen gab unbewaffneten Passagiere zu töten. Einige Opfer erlitten direkte Kopfschüsse, was die Absicht der vorsätzlichen Tötung bestätigt.“ Die besten Verbündeten der Israelis seien derzeit die Extremisten in der Region, da sie ein gemeinsames Ziel teilten, nämlich Obamas Pläne zu stoppen. Israel hoffe, dass der Angriff zu Gewaltausbrüchen führen werde, durch die eine friedliche Lösung des Konflikts in weitere Ferne rücken würde.

Selbstkritisch gibt sich Kommentator Wael Qandil in seinem Beitrag für die regierungskritische ägyptische Zeitung „al-Shorouq“. „Wir sind Partner im Massaker im Meer von Gaza“, überschreibt er seinen Artikel. „Wir sind alle Mittäter beim Mord an ehrenwerten Menschen, die aus allen Ländern der Erde kamen um die Blockade gegen Gaza zu brechen. Wir haben alle zu dem Massaker beigetragen, auch wenn es schließlich von der Marine der zionistischen Besatzungsarmee durchgeführt wurde.“ Qandil erinnert daran, dass Ägypten an der Abriegelung des Gaza-Streifens maßgeblich beteiligt ist, dass pro-palästinensische Aktivisten in Ägypten verfolgt und Hilfskonvois an der Einreise in den Gaza-Streifen gehindert werden. „Außenminister Aboul Gheit drohte jedem Palästinenser die Knochen zu brechen, der auf der Suche nach Brot oder erster Hilfe der Hölle von Gaza entflieht und in den Sinai kommt.“ Die politische Elite der arabischen Welt habe in der Palästinenserfrage versagt, so der Kommentator weiter. Auch die Medien trügen Schuld an dem Massaker, weil sie zwar wegen Fußballspielen Bürgerkriege anzettelten, dem Leid in Gaza und der ägyptischen Kollaboration mit Israel gleichgültig gegenüberstünden. Qandil beschließt seinen zornigen Kommentar mit den Worten: „Wir sind alle Mörder“

In den türkischen Zeitungen besteht ein Konsens über die Verurteilung des israelischen Angriffes. Überall zitiert werden die Äußerungen des Außenministers Ahmet Davutlu im UN-Sicherheitsrat, „Israels Hände seien blutbefleckt“ und man habe „ein barbarisches Schauspiel in Liveübertragung mitangesehen“, wie auch die Bezeichnung der Aktion als „Staatsterror“ durch Ministerpräsident Erdoğan. Auch in Bezug auf die diplomatischen Beziehungen zwischen der Türkei und Israel scheint Einigkeit zu bestehen: „Israels Missachtung der Angebote, die die türkische Regierung zu alternativen friedlichen Optionen zum Umgang mit dieser nichtstaatlichen, zivilen Menschenrechtsinitiative gemacht hat, wird einen Keil noch tiefer in die relativ guten Beziehungen mit Israels einzigem muslimischen Verbündeten in der Region treiben“, formuliert Abdullah Bozkurt in einem Kommentar in der Today's Zaman.

Die Radikal blickt mit Sympathie auf Griechenland, wo ebenfalls gegen den israelischen Angriff protestiert und die militärische Zusammenarbeit der beiden Länder auf Eis gelegt wurde. Auf dem linken Nachrichtenportal Sol-Haberler wird die Regierungspartei AKP harsch angegriffen: dem Verein İHH İnsani Yardım Vakfı, der die Hilfsflottille mitorganisierte, nahe stehend, habe sie ihre Parteirepräsentanten von der Aktion zurückgezogen, nachdem die Gefahrenlage deutlich wurde. Allerdings seien keinerlei Maßnahmen zum Schutz des Konvois ergriffen worden. Schließlich geht es auch um die Situation der jüdischen Bevölkerung der Türkei: nachdem sich die Türkische Jüdische Gemeinde in einer Stellungnahme betroffen über die Vorfälle gezeigt hat, drückt die Kolumnistin Ayça Şen ihre Sorge vor einem antisemitischen Trend aus. „Wenn die Türkei will, erhebt sie ihre Stimme, das ist erfreulich“, kommentiert sie angesichts der Massendemonstrationen, die auf den israelischen Angriff folgten. Aber wenn das bedeute, dass noch mehr jüdische Menschen in der Türkei in Unsicherheit leben und die Auswanderung nach Israel in Erwägung ziehen müssten, sei das „sehr dumm“.

Von Dummheit spricht auch Yossi Sarid, Kommentator der israelischen Tageszeitung Haaretz. Er kritisiert die Entscheidung der „sieben Idioten aus dem Kabinett“ scharf: „Hätten wir die Schiffe Gaza erreichen lassen, wäre das Siegesgeschrei der Hamas zwar groß gewesen, aber nach ein, zwei Tagen wieder abgeklungen“, so Sarid. Aber stattdessen habe das sogenannte Küchenkabinett – Ministerpräsident Benjamin Netanyahu, Verteidigungsminister Ehud Barak und fünf weitere wichtige Minister – eine Entscheidung getroffen, die nichts weiter „als ein Zeichen der Schwäche“ der rechtsgerichteten Regierung gewesen sei. Ganz ähnlich sieht das sein Kollege Ari Shavit, der sich in seinem Kommentar „Fiasko auf Hoher See“, fragt: „Wer steuert unser Staatsschiff und in welche Katastrophe lenken diese Kapitäne uns? Der Dritte im Bunde, Gideon Levy, geht noch weiter und belässt es nicht bei einer Regierungsschelte, sondern spricht von einer „kleinen Operation Gegossenes Blei“, womit er auf den Gaza-Krieg im vergangenen Jahr anspielt. Er sieht sein Land moralisch am Boden: „Das hier ist ein Ort, den Intellektuelle verlassen, in dem Friedensaktivisten erschossen werden, der Gaza-Streifen blockiert wird und der sich nun selbst international blockiert hat.“ Doch die Kommentatoren der linksliberalen Haaretz stehen mit ihrer Meinung im israelischen Blätterwald ziemlich alleine da.

Bei der konservativen Jerusalem Post sieht man sich nicht nur im Recht, sondern auch von den Medien und Regierungen weltweit verunglimpft: „Was auf der Mavi Marama passiert ist, war zwar tragisch, aber es rechtfertigt in keiner Weise die internationale Reaktion“, heißt es da. Die israelische Seeblockade diene ausschließlich dem Zweck, die Bewaffnung der Hamas und ihrer terroristischen Verbündeten zu verhindern. Deshalb sei die „Friedens Flottille“ abgefangen worden, so die englisschsprachige Zeitung. Unisono betonen die Kommentatoren in welch hohem Maße die arabischen Welt – besonders Ägypten – für das Leiden der Palästinenser im Gaza-Streifen Verantwortung trage und sehen Israel selbst von Feinden umzingelt. Und so schreibt Caroline Glick in ihrem Kommentar: „Israel ist das Ziel eines massiven Informationskrieges in einem bisher nicht gekanntem Ausmaß. Dieser Krieg wird vor allem von einem Konsortium der internationalen Linken und der arabischen Welt geführt.“

Ähnlich nationalistische Töne kann man den beiden Massenblätter Yedioth Ahronoth und Maariv lesen, die ausführliche Berichte über die Erlebnisse der Soldaten veröffentlichten, als sie die Flotille enterten und deren Kommentarspalten sogar mit Gastkommenataren gespickt sind. Der Kolumnist Kalman Liebeskind singt eine Lobeslied auf die Soldaten und schreibt in der Maariv, „dass wir jetzt vor allen Dingen der Armee danken müssen. Danken dafür, dass sie uns immer wieder beschützen.“ Ganz genauso sieht das der bekannte US-Anwalt Alan Morton Dershowitz, der in seinem Gastkommentar außerdem die internationale Gemeinschaft vor einer Vorverurteilung Israels warnt: „Die israelische Gesellschaft ist selbstkritisch genug, sie braucht keine Hinweise von außen. Wir werden die Vorfälle genau untersuchen und dann unsere Schlüsse daraus ziehen.“
Zwar ist auch Sima Kadmon von der Yedioth Ahronoth überzeugt, dass der Einsatz richtig und wichtig war, aber zutiefst erschüttert über die Pressearbeit der Regierung und fragt sich: „Warum sind wir so dumm geworden?“ Dass man ausgerechnet den Vize-Außenminister, Danny Ayalon, dazu beauftragte der internationlen Presse über „einen Vorfall, bei dem türkische Staatsbürger ums Leben kamen“, Rede und Antwort zu stehen, ist für sie unverständlich. Schließlich sei es „derselbe Mann, der den türkischen Botschafter vor wenigen Monaten gerügt“ und vor den Augen der Weltöffentlichkeit vorgeführt habe. „Wie großartig, wir sind im Recht“, schließt sie, „aber warum zum Teufel haben wir aufgehört intelligent zu sein?“

6 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Sehr informativ, vielen Dank!

Jazz hat gesagt…

"dumm" und "nicht mehr intelligent"? was ist denn mit "moralisch"?

g.c. hat gesagt…

In der internationalen Presseschau vom Deutschlandfunk wurde heute die türkische Zeitung "Vatan" zitiert. Der Kommentar kritisierte sehr deutlich die Rhetorik der rückgekehrten Aktivisten a la "Nicht jedem war es vergönnt auf dem Weg des Martyriums zu Allah zu finden."

Wie lässt sich die "Vatan" denn in der türkischen Zeitungslandschaft politisch einordnen?

Anonym hat gesagt…

Verdrehte Zeiten, fast ein(e) jede(r) spricht bei bedarf von "Freiluftgefängnis Gaza" und den angeblich so katastrophalen Zuständen ebendort, aber niemand sagt auch nur beiläufig, dass die Gefängniswärter von der Hamas gestellt werden und das genau diese Leute auch den Schlüssel in der Hand haben um die Menschen in Gaza in eine friedliche Zukunft zu entlassen.

Was in Deutschland bleibt und sich leider in den Köpfen festsetzt sind dummdreisten und relitätsfremden Behauptungen ala Mankell und der B-Prominenz der Linken.

g.c. hat gesagt…

Die Gefängniswärter werden von der Hamas gestellt? Dann sind die es also, die die Bewohner des Gaza-Streifens von der Außenwelt abschneiden und einsperren? Meinst du das ernst?

Und wie soll der Schlüssel aussehen, den die Hamas in der Hand hält? Gilad Shalit ist es sicher nicht, wenn du darauf abheben solltest. Und nur wenige Tage vor der Erstürmung der Solidaritätsflotte hatte Khaled Meshaal übrigens erklärt, die Hamas werde ihren Kampf einstellen, sollte sich Israel auf die Grenzen von 1967 zurückziehen. Ging nur leider in den Medien mal wieder total unter...

Anonym hat gesagt…

... und die Hamas hat die Annahme der echten Hilfsgüter der Agiprop-Schiffe auch abgelehnt. Die Pseudohilfsgüter sind eh rechtzeitig ins Meer geworfen worden. Wozu brauchte man also die Hamas-nahen Prügelperser ...pardon Prügeltürken? Das ist alles nur lächerlich. Leider sind für diesen Treppenwitz neun oder mehr Leute gestorben und viele verletzt worden. Tragisch, wenn man mit seinen Leben nicht mehr anfangen kann!