Dienstag, 19. April 2011

UN hält Palästinenserstaat für möglich: Des einen Freud, des anderen Leid

Die Vereinten Nationen und die Weltbank sind sich einig: Die palästinensische Autonomiebehörde ist in der Lage einen stabilen Palästinenserstaat zu regieren. Für Israel ist der UN-Bericht angesichts des anhaltenden Raketenbeschusses aus Gaza ein Affront.


Von Dominik Peters

Die Vereinten Nationen haben klar und deutlich Stellung bezogen: »In allen Bereichen wie Gesundheit, Erziehung, Energie, Justiz und Sicherheit funktioniert die palästinensische Autonomiebehörde wie ein Staat«, heißt es in einem am vergangenen Dienstag veröffentlichten 38-seitigen Bericht des UN-Koordinators für den Nahost-Friedensprozess, Robert Serry.

Damit hat die Palästinensische Autonomiebehörde eine wichtige Hürde auf dem Weg zu einem unabhängigen Staat genommen. Zumal auch die Weltbank Anfang April erklärt hatte, die Palästinenserführung habe die Finanzverwaltung verbessert und das Gesundheits- sowie das Bildungssystem seien auf dem Niveau anderer Staaten der Region.

Eine »Geburtsurkunde« für den palästinensischen Staat

Der palästinensische Ministerpräsident Salam Fayyad erklärte nach der Veröffentlichung des Berichts bei einem UN-Treffen in Brüssel, das Dokument sei eine »Geburtsurkunde« für den palästinensischen Staat. Der palästinensische Regierungschef kündigte zudem an, bis September dieses Jahres eine Verwaltung, Sicherheitskräfte und eine unabhängige Justiz soweit aufgebaut haben zu wollen, dass ein Palästinenserstaat ausgerufen werden könne.

Im Herbst 2011 könnte dann der Meilenstein im Bestreben des palästinensischen Volkes gesetzt werden. Dann will man mit der Forderung nach staatlicher Anerkennung vor den UN-Sicherheitsrat ziehen, um Druck auf die internationale Staatengemeinschaft auszuüben und bei der UN-Vollversammlung eine Resolution zu einem eigenen Staat beantragen.

Da in den vergangenen Monaten alle südamerikanischen Länder außer Kolumbien Palästina bilateral als Staat bereits anerkannt haben und die arabischen Länder mutmaßlich ebenfalls für einen unabhängigen Staat votieren werden, stehen die Erfolgsaussichten aufgrund der Mehrheitsverhältnisse für dieses Vorhaben gut. Zumal Russland Anfang des Jahres ebenfalls erklärt hatte, einen Palästinenserstaat anerkennen zu wollen und ein mögliches Veto der USA nicht zur Ablehnung des Resolutionsvorschlags führen würde, wie dies im Sicherheitsrat der Fall wäre.

Netanjahu warnt vor einem »diplomatischen Tsunami«

Dass die palästinensische Bevölkerung im Herbst via Internet die historische Abstimmung mitverfolgen könnte, so wie es 1947 die jüdische am Radio getan hat, versucht Israel zu verhindern. Schimon Peres warnte Anfang April vor der angestrebten Resolution. Eine solche werde den Nahen Osten nicht befrieden, erklärte der israelische Präsident bei einem Besuch am Hudson River. Die Vereinten Nationen könnten die Sicherheit seines Landes nicht gewährleisten. Und Ministerpräsident Benjamin Netanjahu warnte israelischen Medienangaben zufolge vor einem »diplomatischen Tsunami«. Er warf der Palästinenserführung vor, direkte Gespräche zu meiden. Stattdessen wende sich die Führung in Ramallah an internationale Foren wie die Vereinten Nationen als Plattform für multilaterale Gespräche.

Sowohl die Vereinten Nationen, als auch die Weltbank rügten Israel in ihren jüngsten Berichten. Die Weltbank erklärte, die Wirtschaft im Westjordanland und im Gaza-Streifen werde sich nur »mittelmäßig« entwickeln können, bis Israel die »Beschränkungen beim Zugang zu natürlichen Ressourcen und zu Märkten« nicht aufhebe. Die Vereinten Nationen monierten zudem, die Regierung in Jerusalem müsse die Bewegungsfreiheit der Palästinenser weiter erleichtern.

Die territoriale Spaltung der Palästinensergebiete stellt eine große Herausforderung dar. Bisher zerteilen die israelischen Siedlungen im Westjordanland, um Ostjerusalem und die Mauer am Gaza-Streifen einen künftigen Staat in einen Flickenteppich. Dieses Problem wurde von der israelischen Regierung bisher kaum beachtet - wohl auch, weil Ministerpräsident Netanjahu in seiner rechtsgerichteten Koalition keine Mehrheit für weitgehende Konzessionen findet.

Außerparlamentarischer Druck auf die israelische Regierung

Genau dazu hat vor wenigen Tagen eine Gruppe hochrangiger israelischer Persönlichkeiten aufgerufen. Ihr gehören unter anderem der ehemalige Mossad-Chef Danny Jatom und der ehemalige Inlandsgeheimdienstchef Jaakov Perry, Amram Mitzna, ehemals Vorsitzender der Arbeiterpartei und der Sohn Jitzchak Rabins, Juval, an. Auf einer Pressekonferenz erklärten diese, angesichts der »dramatischen Veränderungen im Nahen Osten«, sei es höchste Zeit das palästinensische Flüchtlingsproblem zu lösen und eine Regelung für die Verwaltung der besetzten Gebiete zu finden. Als Voraussetzung nannten sie einen stabilen Frieden.

Das Konzept »Land gegen Frieden« ist nicht neu. Die 1993 im Zuge der Osloer Verhandlungen entwickelte Formel hat ihre Aktualität für Israels Bevölkerung jedoch nicht verloren. Im Gegenteil: Seit die im Gaza-Streifen regierende Hamas – und weitere Gruppen – seit wenigen Wochen wieder begonnen haben, den Süden des Landes dauerhaft unter Beschuss zu nehmen, wächst der Zorn in der Bevölkerung. Denn nun sind nicht mehr nur Sderot und andere Orte nahe der Mauer unter Beschuss, sondern auch weiter entfernte Großstädte wie Beerscheva, Aschdod und Aschkelon Ziel der Angriffe.

»Der kontinuierliche Beschuss führt uns direkt in einen tödlichen Kreislauf der Gewalt«, erklärte Aschdods Bürgermeister Yehiel Lasri diese Woche der Tageszeitung Jedioth Ahronoth. Man erwarte, dass die Regierung und die Armee reagiere. »Wir können so nicht weiterleben«, sagte er. So sehen das auch die Palästinenser.

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