Montag, 11. Juli 2011

Frauenrechte in Jordanien - Der schwierige Weg zur Gleichberechtigung

Ein Beitrag von Kathrin Hecht

In dieser Woche ist der erste UN WOMEN Report erschienen. Ein globaler Report über Frauenrechte, Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern und die Stellung von Frauen in ihren jeweiligen Rechtssystemen. Anlass, sich mit den Frauenrechten im Nahen Osten zu beschäftigen - einem Thema, das vielleicht im weiteren Prozess des arabischen Frühlings an Bedeutung gewinnen wird. Ich schaue in diesem Beitrag auf Jordanien, ein Land, aus dem ich persönliche Erfahrungen mitbringe.


Wir sitzen in einem Café in der Nähe der Jordanischen Universität. Gerade angekommen in Amman, genießen wir die Sonne und trinken Kaffee. Um uns herum junge Leute, Männer und Frauen, vermutlich alles Studenten. Die Mädchen tragen fast alle Kopftuch, sehen aber sehr modern aus: enge Jeans und Sandalen mit Absatz, lackierte Zehnägel, das Kopftuch farblich passend zum Oberteil. Sie quatschen und lachen, ziehen an der Shisha und lehnen sich entspannt zurück. Draußen, vor dem Café, sehen wir, wie sich die Frauen verabschieden und in ihre Autos steigen: Sonnenbrille auf, einmal zum Abschied gehupt und hinein ins Verkehrschaos. Ganz normal. Erfrischend normal. Der erste Eindruck ist der eines modernen Landes - moderat verglichen mit dem, was man von arabischen Ländern so hört.

Einige Wochen später, in einem anderen Café: Es ist Abend und hier sitzen außer mir nur Männer. Sie rauchen und spielen Karten, trinken Kaffee und Fruchtsäfte. Ich unterhalte mich mit den Männern an meinem Tisch, alles Freunde Anfang, Mitte 30. Einer der Jungs erzählt mir von seinen Schwestern: “Meine jüngste Schwester macht in diesem Jahr ihre Schule zu Ende. Sie lernt gerade für ihr Abschlussexamen.” “Und was macht sie danach, studiert sie?” Mein Tischnachbar winkt ab: “Nein, sie wird heiraten. Vielleicht noch ein Jahr, dann wird sie einen Mann finden. Sie studiert nicht und wenn sie verheiratet ist, wird sie auch nicht arbeiten. Das machen die Frauen in meiner Familie nicht, meine Familie mag das nicht.” Und auf einmal dämmert mir, dass diese Gesellschaft ganz anders tickt. So normal die Frauengruppen im Café aussehen; so fortschrittlich das Land erscheint, in dem Frauen Auto fahren und wählen dürfen; so modern das Königspaar an der Spitze des Landes glitzert - im Kern ist die jordanische Gesellschaft immer noch sehr traditionell und patriarchalisch - und diese gesellschaftlichen Normen und Umgangsformen bestimmen das Leben in dem Land.

“Alle meine Schwestern arbeiten nicht.”

Diese Aussage und die dahinter stehende Tatsache ist für eine junge, gut ausgebildete und arbeitende Europäerin erstmal schwer zu schlucken. Zumal, wenn diese Ansicht nicht rational begründet, sondern scheinbar mit einem familiären Geschmack gerechtfertigt wird. Warum “mag” es die Familie nicht, wenn die Töchter arbeiten? Welcher Grund hindert die Frauen daran, zu arbeiten? Argumentiert wird mit dem traditionellen Bild: Der Mann sorgt für die Familie und die Frau hat das Recht, von ihrem Mann versorgt zu werden. Der Mann hat die Pflicht, sich um den Lebensunterhalt seiner Frau zu kümmern: um Essen, Kleidung, Wohnung und Haushaltsmittel sowie die medizinische Versorgung. Kurz: Der Mann ist verpflichtet, alle notwendigen finanziellen Mittel aufzubringen, die für das Leben und die Bedürfnisse seiner Frau und seiner Familie notwendig sind. Der Mann ist normalerweise der Ehemann, kann aber auch der Vater oder der Bruder sein. So ist es zum Beispiel in manchen Fällen der Bruder, der für seine verwitwete Schwester und ihre Kinder sorgt. Die Frau braucht also nicht zu arbeiten, sie hat ja alles. In vielen Familien ist für Frauen deshalb nach der Schule, spätestens aber nach der Hochzeit Schluss mit einer möglichen Karriere. Es ist ihre Aufgabe, sich um Haushalt und Kinder zu kümmern.

Dennoch arbeiten laut UN-Report 23% der Frauen in Jordanien (ILO 2009). Das ist ungefähr der Durchschnittswert im Nahen Osten. Im Vergleich dazu sind in Deutschland 53% der Frauen erwerbstätig.

Es gibt also auch in Jordanien Frauen, die arbeiten. Wie stehen die Männer dazu, die heute um die 30 Jahre sind? Mir wird von einem der Männer an meinem Tisch gesagt, dass Frauen aus seiner Sicht arbeiten dürfen, aber nicht in allen Berufen. Die Arbeit als Kellnerin wäre zum Beispiel schlecht angesehen, die Frau könnte schnell einen Ruf als Schlampe weg haben. Ein Blick in die Gesetze zeigt: Diese scheinbar persönliche Meinung zum Thema Frauen und Arbeit wird rechtlich unterfüttert. Es gibt eine Reihe gesetzlicher Vorschriften, die die Arbeitsmöglichkeiten von Frauen betreffen: Sie dürfen nicht in bestimmten Bereichen arbeiten, nicht zwischen acht Uhr abends und sechs Uhr morgens (mit Ausnahme in einigen Arbeitsplätzen wie Hotels oder Flughäfen), die Arbeit am Abend darf 30 Tage im Jahr nicht überschreiten.

Die Gründe, die hinter diesen Gesetzen stehen, mögen verschieden sein. Was aber deutlich wird: Auch hier zeigen sich die sozialen Normen, die Frauen eher im Haus als im Büro sehen. Gravierende Folgen sind, dass es für Frauen extrem schwierig ist, finanziell unabhängig zu werden und bislang auch das Recht auf Rente und Sozialleistungen nicht so geregelt ist, dass Frauen diese Leistungen wirklich in Anspruch nehmen können.

“Meine Schwestern wurden alle verheiratet.”

Arrangierte Ehe. Irgendwie hatte ich das als Anekdote aus dem letzten Jahrhundert abgetan, als etwas, das ganz weit weg und vielleicht maximal noch bei Beduinen in der Wüste praktiziert wird. Aber: Ich wurde eines Besseren belehrt. Die arrangierte Ehe ist nach wie vor ein normaler Vorgang in jordanischen Familien. Und dieser läuft meistens so ab: Ist eine Tochter im heiratsfähigen Alter, halten Familienmitglieder und Freunde die Augen auf. Ist da ein Mann, der passen könnte, wird dessen Familie zunächst bei der Familie der Tochter anfragen. Willigt diese einem Treffen ein, kommt der potenzielle Ehemann im Haus der Tochter vorbei und die beiden haben Gelegenheit, miteinander zu sprechen - in einem separaten Raum, mit offener Tür - und sich so kennenzulernen. Läuft das Treffen gut und einigen sich die beiden Seiten, kommt es in den meisten Fällen kurze Zeit später zur Unterzeichnung des Heiratsvertrages und zur Hochzeit.

Das jordanische Recht benachteiligt Ehefrauen gegenüber ihren Ehemännern. Folgende Punkte zeigen exemplarisch die anhaltende Diskriminierung:

Die Frau kann ihren Heiratsvertrag nicht selbst unterzeichnen. Sie braucht hierfür einen männlichen Vormund, zum Beispiel ihren Vater oder Bruder. Dieser unterschreibt den Vertrag in ihrem Namen. Der in Jordanien dominanten islamischen Rechtsschule zufolge brauchte die Frau eigentlich keinen männlichen Vormund. In diesem Fall wird von der Regierung aber eine andere Rechtsschule vertreten, die diesen Vormund vorschreibt.

Die Vormundschaft für die Kinder liegt laut jordanischem Gesetz beim Mann. Auch in diesem Punkt hat sich die jordanische Regierung gegen jene Auslegung der islamischen Gesetze entschieden, die es Frauen erlaubt, der gesetzliche Vormund ihrer Kinder zu sein.

Männer haben das Recht, sich scheiden zu lassen, ohne weitere Begründungen vorbringen zu müssen. In diesem Fall erhält die Frau einen finanziellen Ausgleich, kann aber gesetzlich keinen weiteren Einspruch gegen die Scheidung einlegen. Frauen haben seit kurzem ebenfalls das Recht, die Ehe auf ihren Wunsch hin und ebenfalls ohne Beweise zu beenden. Im Gegenzug muss die Frau aber ihre ökonomischen Rechte aus der Ehe aufgeben. Freiheit gegen finanzielle Sicherheit. Ein Prinzip, das in vielen Fällen dazu führt, weiter in der Ehe zu bleiben.

Ein Lichtblick: Der UN-Report weist Jordanien als eines der Länder aus, die Geschlechterparität in der höheren Schulbildung erreicht haben. Dieser Fortschritt in Sachen Bildung mag unter anderem dazu geführt haben, dass das Durchschnittsalter bei Eheschließungen in den letzten Jahren angestiegen ist und nun bei 27 Jahren für Frauen und 30 Jahren für Männer liegt. Außerdem deuten steigende Zahlen bei Scheidungen - mittlerweile wird jede fünfte Ehe geschieden - darauf hin, dass weniger Ehen einfach akzeptiert werden. Das könnte für die Zukunft bedeuten, dass Ehen überlegter, aus eigener Überzeugung und wesentlich unabhängiger von kulturellen Traditionen geschlossen werden. Insha'Allah!

Der König selbst hat das Thema Gleichberechtigung von Frauen übrigens letzten Monat in einer Rede an die Nation angesprochen:

“In terms of social reform, I stress the importance of accelerating efforts to abolish all forms of discrimination against women in the legislative system through the political and representative institutions that emanated from our vision for a new, reformed Jordan.” - King Abdullah II

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Der Beitrag ist nicht schlecht, aber wie üblich wird aus der Männerperspektive argumentiert. Wäre es nicht sinnvoll auch die Frauen sprechen zu lassen?

Beispielsweise gibt es unter den jordanischen Frauen, die das Arbeiten kategorisch ablehnen. Aus ihrer Sicht muss der Ehemann für den Unterhalt aufkommen und ein bequemes Leben gewährleisten. Somit spielt Prestige bei der Erwerbstätigkeit eine Rolle.