Morgen spaltet sich der Südsudan vom Norden ab. In der neuen Hauptstadt des Vielvölkerstaates laufen die Vorbereitungen auf Hochtouren. Die Anspannung ist mit den Händen zu greifen. Aus Juba berichtet Björn Zimprich.
Das Kleinflugzeug der Fluglinie Jetlink Express hebt um 13.30 Uhr von der Rollbahn des Flughafen Jomo Kenyatta International in Nairobi ab. Das Ziel: Juba im Südsudan. An einem Fensterplatz in der vorletzten Reihe sitzt Samuel Mabior Nhial. Er kommt gerade per Transit aus den USA. »Ich bin seit über 20 Stunden unterwegs«, er zupft seinen schwarzen Nadelstreifenanzug zurecht und lächelt zufrieden. Der Grund seiner Reise ist die Unabhängigkeitsfeier des Südsudans. »Das Volk hat endlich sein Ziel erreicht. Alle werden frei sein«, gibt sich Samuel zuversichtlich.
Samuel wurde im Südsudan geboren. Gesehen hat er seine Heimat lange nicht mehr. »Wann ich das letzte Mal in Juba war? 1982 war das.« Der 48-Jährige blickt ernst über die Gläser seiner frisch polierten Brille. Seine Flucht brachte ihn in ein Flüchtlingslager in Äthiopien, von dem aus er in die USA emigrierte. Mittlerweile ist Samuel amerikanischer Staatsbürger. Stolz zeigt er seine bläulichen Reisepapiere mit den Stars und Strips. Seiner alten Heimat fühlt er sich aber bis heute verbunden.
»Der Krieg hat so viel zerstört«, sagt Samuel ernst als er über Juba spricht. Gemeint ist der 21-jährige Unabhängigkeitskrieg der Sudan People's Liberation Army (SPLA) gegen das herrschende Regime der National Congress Party (NCP) in Khartum. Zwei Millionen Menschen starben während der blutigen Kämpfe zwischen dem arabisch-muslimisch dominierten Nordsudan, der die Regierungsgeschäfte in Khartum dominierte, und dem christlich-animistischen Südsudan. Geschätzte vier Millionen Menschen flüchteten oder wurden vertrieben.
Hoher Besuch in der neuen Hauptstadt
Erst das »Comprehensive Peace Agreement« (CPA) vom 6. Januar 2005 bereitete dem Blutvergießen vorläufig ein Ende. In dem Abkommen wurde für 2011 ein Referendum über die Unabhängigkeit des Südsudans vom Norden vereinbart. Im Januar dieses Jahres war es dann endlich so weit: 99,83 Prozent der Referendums-Teilnehmer stimmten für die Eigenständigkeit des Landes, am Samstag wird die Unabhängigkeit ausgerufen.
Für diesen Anlass hat sich hoher Besuch in der abgelegenen afrikanischen Stadt Juba angekündigt. Der Grund: Juba wird am Samstag Hauptstadt. Repräsentanten der Arabischen Liga, China, der EU, der USA und der Afrikanischen Union haben ihr Kommen zugesagt. Auch UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon ist unter den geladenen Gästen.
Ab Freitag Nachmittag wird das Zentrum der jungen Hauptstadt vollständig für den Autoverkehr gesperrt. Dies soll den nötigen Platz für die Feiern und Paraden garantieren. Aber schon jetzt erleben die Bewohner ein ganz neues Phänomen: Stau. »Juba ist eine Großstadt geworden«, sagt John Dabi, ehemaliger Finanzminister des Bundesstaates Western Equatoria. Ein Begriff, der bei einer Einwohnerzahl von einer viertel Million Einwohner verwundern darf. Erstaunt schaut er auf die Schlange der Dutzenden Autos vor ihm. Fein aufgereiht stehen dort jetzt alle Modelle der japanischen Geländewagen, die in den meisten Entwicklungsländern mittlerweile das Straßenbild prägen. Die Fahrzeuge der internationalen NGO-Vertreter sind zusätzlich an der drei Meter hohen Antenne zu erkennen.
»Willkommen in Ostafrikas Staat Nr. 6«
Solche Blechlawinen ist man hier nicht gewöhnt. John hat die vergangenen drei Jahre für die UNICEF in Damaskus gearbeitet. Er weiß, was Stau heißt. Seit Mai ist er zurück im Südsudan. »Es geht um den Aufbau eines neuen Staates«, sagt er, bevor er sein Auto wieder fünf Meter vorwärts rollen lassen kann.
Aber nicht nur der Stau ist neu. Die wichtigsten Hauptstraßen sind frisch geteert. Juba hat sich herausgeputzt. »In den letzten sechs Monaten ist wirklich am meisten passiert«, meint Kathy, eine
amerikanische NGO-Mitarbeiterin, die seit über eineinhalb Jahren in Juba lebt.
Bunte Plakate der SPLM verzieren das Stadtbild, am Jubatown-Kreisverkehr ist eine Art Metallmarterpfahl aufgebaut. Der schwarze Lack glänzt noch frisch. An seiner Spitze prangert eine
rechteckige Leuchtreklame. In roten Lettern steht »Willkommen in Ostafrikas Staat Nr. 6«. Eine Uhr darunter zählt die Zeit bis zur Unabhängigkeit herunter. Es sind nur noch weniger als 24 Stunden. Arbeiter jäten noch eifrig das Blumenbett ringsherum; sie sind fast fertig. Weiter die Hauptstraße entlang steht auf einem meterhohen weißen Plakat: »Wir waren gemeinsam unterdrückt, jetzt sind wir gemeinsam frei. Fröhliche Unabhängigkeit für Alle!«
Das ist die Nachricht, die die regierende SPLM unter ihr Volk bringen will. Einheit, Harmonie und die Errungenschaften der Eigenstaatlichkeit werden beschworen. Denn gerade diese scheinen zur
Zeit nicht gesichert. Interne Probleme gefährden die Stabilität des jungen Staates. Insbesondere die kleineren Ethnien im neuen südsudanesischen Vielvölkerstaat verlangen eine stärkere Machtbeteiligung. Die SPLM wird immer noch vom Volk der Dinka dominiert. Diese stellen mit der Unabhängigkeit auch die Weichen für die Zukunft.
Unklare Zukunft der Grenzregion Abyei
Imba Alex gehört zur Volksgruppe der Kuku. Er stammt aus dem Grenzgebiet zu Uganda. Als kleines Kind wurde er zu seiner eigenen Sicherheit nach Uganda gebracht. Als einer der vielen Flüchtlinge wuchs er dort auf. Seit 2007 ist er wieder im Südsudan. Er studiert Öffentliche Gesundheitsversorgung in Malaka, im Bundesstaat Oberer Nil. In den Chor der Kritik gegen die dominanten Dinkas möchte er nicht einstimmen. »Alle in der Regierung hatten wichtige Positionen im Unabhängigkeitskampf. Niemand ist dort ausschließlich wegen seiner ethnischen Herkunft. Die Hauptsache wird sein, dass in Zukunft jeder seine Position aufgrund persönlicher Qualifizierung erhält.« Alex guckt optimistisch in den blauen Himmel.
Aber auch bei aller Harmonie, die sich die Südsudanesen für ihr junges Land wünschen, lauert pünktlich zur Unabhängigkeit wieder Gefahr an der Nordgrenze. In Abyei kam es Anfang Juni zu Kämpfen zwischen SPLA-Einheiten und Regierungstruppen des Nordens: In der umstrittenen Provinz konnte der Norden die Kräfte des Südens im Handstreich vertreiben. Gleichzeitig forderte die Regierung in Khartum, als Bedingung für die Eigenständigkeit des Südens den Anspruch auf die
Provinz aufzugeben. In der umkämpften Region sollen gesonderte Abstimmungen stattfinden, die über einen zukünftigen Verbleib im Norden oder Süden entscheiden. Immer wieder entzünden sich gewaltsame Konflikte zwischen den Ngok-Dinka-stämmigen Ackerbauern und Misseryia-Nomaden, die regelmäßig ihr Vieh in die Region treiben. Die christlichen Ngok-Dinka stellen in der strittigen Region zwar die Mehrheit, aber Khartum versucht mit aller Gewalt, das Gebiet in seinem Reststaat zu halten.
Die militärischen Maßnahmen der Regierung in Khartum werden international als unverhältnismäßig verurteilt. Zu größer angelegten militärischen Gegenaktionen ließ sich der Süden aber nicht hinreißen. Ein erneuter Krieg hätte nur das Projekt der Unabhängigkeit gefährdet.
Damit in Zukunft auf Augenhöhe zwischen anerkannten Staaten verhandelt werden kann, heißt die Devise in Juba derzeit »Augen zu und durch«. Die Eigenstaatlichkeit steht heute an erster Stelle. Die Straßen dafür sind asphaltiert. Es gibt keinen Weg zurück.
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