Ein Beitrag von Amina Nolte
Im Sommer 2006 ist er als Sohn der Familie Schalit an der Grenze zum Gazastreifen entführt worden, vor sechs Tagen nun ist er als Sohn der ganzen Nation zurückgekehrt: der Soldat Gilad Schalit ist im Rahmen eines vereinbarten Gefangenenaustausches zwischen Israel und der Hamas am Dienstag nach fünf Jahren und fünf Monaten in seine Heimat zurückgekommen.
Das Bild des blassen, ausgemergelten Gilad, tapfer lächelnd, die Hand zum militärischen Gruß erhoben, ist um die Welt gegangen. Doch mit seiner Rückkehr nach Israel war gleichzeitig auch die Freilassung von 1027 palästinensischen Häftlingen aus israelischen Gefängnissen verbunden.
Gilads sehnlich erwartete Zusammenführung mit seiner Familie – sie fand in diesem Umstand ihre vielfache Entsprechung in der Westbank und in Gaza, wo palästinensische Familien und Freunde ihre Angehörigen und Liebsten feiernd in Empfang nahmen.
Für einen kurzen Moment schien sich so etwas wie eine versöhnliche Stimmung über die beiden Länder, über dieses eine, geteilte, umstrittene Land, zu legen. Ein kurzer Moment, in der die Freude des Wiedersehens über die politischen Tagesgeschäfte zu triumphieren schien.
Doch diese Freude währte nur kurz: schnell war man daran erinnert, dass die Heimkehr jener ehemals Gefangenen nach Israel und Palästina alles andere als eine private, familiäre Angelegenheit war; schnell wurden wieder die nationalen Symbole gezückt und die rhetorischen Messer gewetzt : die Straßen in Gaza und der Westbank erstrahlten in leuchtendem Grün, der Farbe der Hamas, die den Gefangenenaustausch als einen Triumph über Israel feierte. Und auch in Israel gewann die nationale Symbolik schnell die Überhand über die rührenden Bilder der lang ersehnten Heimkehr Gilads.
Die Vermittlung dieser Symbolik lag in dieser Stunde in den Händen eines Mannes: Benjamin Netanyahu wendete sich kurz nach der Ankunft Gilad Shalits an die jüdische Nation. „Ich habe euren Sohn nachhause gebracht,“ diese Worte richtete Netanyahu an die Familie Gilads, im Moment seiner Rückkehr. Er wendete sich damit aber auch gleichzeitig an das Land, dessen Ministerpräsident er ist – und auch bleiben will. Und damit an eine Gesellschaft, die noch im Sommer auf den Straßen Israels lautstark seinen Rücktritt forderte, ihn für seine neoliberale Wirtschaftspolitik, seine nicht vorhandene Sozialpolitik und für seine enge Verstrickung in den wirtschaftlichen Machtnetzwerken des Landes anprangerte.
Es war eine ernsthafte Krise für die Regierung um Netanyahu – viele hatten ihn schon aufgegeben und seinen Rücktritt aus der politischen Arena kommen sehen. Doch da stand er plötzlich wieder im Mittelpunkt des politischen Geschehens. Oder im wichtigsten Moment zumindest lächelnd daneben, als Gilad Schalit seinen Vater Noam vor den Kameras zum ersten Mal wieder in die Arme schließen konnte. Und auch die israelischen Medien feiern ihren Premierminister mit ungewohnt viel Lob. Dort wird er sogar als israelischer Held, als „Vater der Nation“ gefeiert, der den verlorenen Sohn nachhause gebracht hat.
Vieles ist in den fünf Jahren der Gefangenschaft an jenem verlorenen Sohn vorbeigegangen: ein Krieg, der in seinem Namen geführt wurde, für den Menschen gefangen genommen, abgehört, befragt, und zu unfreiwilligen Beteiligten seiner auszuhandelnden Befreiung gemacht wurden, für dessen Rückkehr geheime Abkommen getroffen und arabische Länder als Verbündete gewonnen wurden und für den seine Eltern und Unterstützer Tag und Nacht Mahnwache vor dem Haus Netanyahus hielten.
Auch in die Zelte der Sommerproteste hielt Gilad nur in Form von Plakaten, Bannern und Sprüchen Einzug: „Gilad Shalit adain chai“ – Gilad lebt noch immer. Das war der Slogan derer, die fest an die Rückkehr des entführten Soldaten glaubten und Recht behalten sollten.
Vorbei gegangen an Gilad ist aber womöglich auch, dass schon 2009 seine Freilassung kurz bevor zu stehen schien. Die Liste des Gefangenenaustausches war schon 2009 jener sehr ähnlich, die am Dienstag Realität wurde. Die Freilassung von 1000 palästinensischen Gefangenen aus israelischen Gefängnissen schien damals eine klare Sache.
Doch kurzfristig entschied Israel, dass der Preis von 1000 Palästinensern, unter ihnen Männer und Frauen, die im Zuge der zweiten Intifada jüdische Israelis ermordet hatten, im Austausch für einen einzigen Soldaten zu hoch war. Der Deal kam nicht zustande. Stattdessen wurden 20 palästinensische Gefangene freigelassen im Gegenzug für ein Lebenszeichen von Gilad in Form einer Videobotschaft.
Doch in diesem Herbst schien die Zeit - und vielleicht auch die innenpolitische Notwendigkeit - gekommen zu sein, den Austausch in die Tat umzusetzen: Mit Hilfe von ägyptischen Unterhändlern konnten die israelische Regierung und Vertreter der Hamas den Austausch vereinbaren.
Ein als Erfolgsereignis orchestriertes, dabei realpolitisch aber hart erkämpftes Spektakel unter Netanyahus Regie: was ein Ehud Olmert mit seiner militärischen Offensive und seinen Verhandlungen nicht schaffte und was einen deutschen Unterhändler kurz vor dem Ziel scheitern ließ, „Bibi“ gelang der von ihm und seiner Regierung als historisch verkaufte Deal.
Und auch der Zeitpunkt des medialen Großereignisses schien opportun. Die meisten Israelis kehren aus den Protestzelten in ihre (fast unbezahlbaren) Wohnungen zurück, in Ostjerusalem werden 1100 neue Wohnungen für jüdische Siedler genehmigt, der Antrag der Palästinenser auf Anerkennung in der UN und die damit verbundenen Implikationen – all das gerät auch aus Mangel an neuen Ergebnissen immer mehr in Vergessenheit. Und auch um die von Netanyahu beauftragte, nach ihrem Vorsitzenden benannte Trachtenberg-Kommission zur Erarbeitung von Vorschlägen für eine Veränderung der sozialen Situation im Land ist es schnell wieder ruhig geworden.
Die nationale Empörung über die soziale Ungleichheit und politische Entwicklungen ist mit Gilads Rückkehr einem gewissen Gefühl von Erleichterung gewichen. Aber dennoch: es ist keine gelöste, keine euphorische Erleichterung. Denn so sehr Gilads Rückkehr ein landesweit gefeiertes Freudenereignis ist - der für ihn bezahlte politische Preis scheint doch vielen zu hoch. So versuchten nicht nur Eltern, deren Kinder von einigen, nun im Gegenzug für Gilad frühzeitig aus dem Gefängnis entlassenen Palästinensern, getötet worden waren diesen Gefangenenaustausch noch in letzter Minute gerichtlich zu verhindern.
Auch viele andere Israelis äußerten Bedenken angesichts der hohen Anzahl entlassener, als militant eingestufter Palästinenser. Aber auch juristisch wurde nicht mehr abgewendet, was politisch schon längst beschlossene Sache war. Und Netanyahu fand auch Worte für jene Zweifler an seiner weitreichenden Entscheidung:
Aber am Ende dieses langen Tages war Gilad wieder zuhause angekommen. Und auch Netanyahu hat seinen Weg zurück gefunden. Auf die politischen Bühne in Israel.
Im Sommer 2006 ist er als Sohn der Familie Schalit an der Grenze zum Gazastreifen entführt worden, vor sechs Tagen nun ist er als Sohn der ganzen Nation zurückgekehrt: der Soldat Gilad Schalit ist im Rahmen eines vereinbarten Gefangenenaustausches zwischen Israel und der Hamas am Dienstag nach fünf Jahren und fünf Monaten in seine Heimat zurückgekommen.
Das Bild des blassen, ausgemergelten Gilad, tapfer lächelnd, die Hand zum militärischen Gruß erhoben, ist um die Welt gegangen. Doch mit seiner Rückkehr nach Israel war gleichzeitig auch die Freilassung von 1027 palästinensischen Häftlingen aus israelischen Gefängnissen verbunden.
Gilads sehnlich erwartete Zusammenführung mit seiner Familie – sie fand in diesem Umstand ihre vielfache Entsprechung in der Westbank und in Gaza, wo palästinensische Familien und Freunde ihre Angehörigen und Liebsten feiernd in Empfang nahmen.
Für einen kurzen Moment schien sich so etwas wie eine versöhnliche Stimmung über die beiden Länder, über dieses eine, geteilte, umstrittene Land, zu legen. Ein kurzer Moment, in der die Freude des Wiedersehens über die politischen Tagesgeschäfte zu triumphieren schien.
Doch diese Freude währte nur kurz: schnell war man daran erinnert, dass die Heimkehr jener ehemals Gefangenen nach Israel und Palästina alles andere als eine private, familiäre Angelegenheit war; schnell wurden wieder die nationalen Symbole gezückt und die rhetorischen Messer gewetzt : die Straßen in Gaza und der Westbank erstrahlten in leuchtendem Grün, der Farbe der Hamas, die den Gefangenenaustausch als einen Triumph über Israel feierte. Und auch in Israel gewann die nationale Symbolik schnell die Überhand über die rührenden Bilder der lang ersehnten Heimkehr Gilads.
Die Vermittlung dieser Symbolik lag in dieser Stunde in den Händen eines Mannes: Benjamin Netanyahu wendete sich kurz nach der Ankunft Gilad Shalits an die jüdische Nation. „Ich habe euren Sohn nachhause gebracht,“ diese Worte richtete Netanyahu an die Familie Gilads, im Moment seiner Rückkehr. Er wendete sich damit aber auch gleichzeitig an das Land, dessen Ministerpräsident er ist – und auch bleiben will. Und damit an eine Gesellschaft, die noch im Sommer auf den Straßen Israels lautstark seinen Rücktritt forderte, ihn für seine neoliberale Wirtschaftspolitik, seine nicht vorhandene Sozialpolitik und für seine enge Verstrickung in den wirtschaftlichen Machtnetzwerken des Landes anprangerte.
Es war eine ernsthafte Krise für die Regierung um Netanyahu – viele hatten ihn schon aufgegeben und seinen Rücktritt aus der politischen Arena kommen sehen. Doch da stand er plötzlich wieder im Mittelpunkt des politischen Geschehens. Oder im wichtigsten Moment zumindest lächelnd daneben, als Gilad Schalit seinen Vater Noam vor den Kameras zum ersten Mal wieder in die Arme schließen konnte. Und auch die israelischen Medien feiern ihren Premierminister mit ungewohnt viel Lob. Dort wird er sogar als israelischer Held, als „Vater der Nation“ gefeiert, der den verlorenen Sohn nachhause gebracht hat.
Vieles ist in den fünf Jahren der Gefangenschaft an jenem verlorenen Sohn vorbeigegangen: ein Krieg, der in seinem Namen geführt wurde, für den Menschen gefangen genommen, abgehört, befragt, und zu unfreiwilligen Beteiligten seiner auszuhandelnden Befreiung gemacht wurden, für dessen Rückkehr geheime Abkommen getroffen und arabische Länder als Verbündete gewonnen wurden und für den seine Eltern und Unterstützer Tag und Nacht Mahnwache vor dem Haus Netanyahus hielten.
Auch in die Zelte der Sommerproteste hielt Gilad nur in Form von Plakaten, Bannern und Sprüchen Einzug: „Gilad Shalit adain chai“ – Gilad lebt noch immer. Das war der Slogan derer, die fest an die Rückkehr des entführten Soldaten glaubten und Recht behalten sollten.
Vorbei gegangen an Gilad ist aber womöglich auch, dass schon 2009 seine Freilassung kurz bevor zu stehen schien. Die Liste des Gefangenenaustausches war schon 2009 jener sehr ähnlich, die am Dienstag Realität wurde. Die Freilassung von 1000 palästinensischen Gefangenen aus israelischen Gefängnissen schien damals eine klare Sache.
Doch kurzfristig entschied Israel, dass der Preis von 1000 Palästinensern, unter ihnen Männer und Frauen, die im Zuge der zweiten Intifada jüdische Israelis ermordet hatten, im Austausch für einen einzigen Soldaten zu hoch war. Der Deal kam nicht zustande. Stattdessen wurden 20 palästinensische Gefangene freigelassen im Gegenzug für ein Lebenszeichen von Gilad in Form einer Videobotschaft.
Doch in diesem Herbst schien die Zeit - und vielleicht auch die innenpolitische Notwendigkeit - gekommen zu sein, den Austausch in die Tat umzusetzen: Mit Hilfe von ägyptischen Unterhändlern konnten die israelische Regierung und Vertreter der Hamas den Austausch vereinbaren.
„Ich wusste, dass unter den gegenwärtigen politischen Umständen dies das beste Abkommen ist, dass wir erzielen können […].Ich habe an Gilad gedacht und daran, dass er sich bereits seit fünf Jahren in der Isolationshaft der Hamas befindet. Ich wollte nicht, dass er dasselbe Schicksal erleidet wie Ron Arad. […]"
Mit diesen Worten wendete sich Netanyahu kurz nach der Freilassung Gilads an sein Land. „Und heute, jetzt, ist Gilad nach Hause gekehrt, zu seiner Familie, seinem Volk und seinem Staat. Dies ist ein sehr emotionaler Moment. Vor kurzer Zeit habe ich ihn umarmt, als er das Flugzeug verließ und ihn zu seinen Eltern Aviva und Noam gebracht und gesagt: ,Ich habe euren Sohn nach Hause gebracht’.“
Ein als Erfolgsereignis orchestriertes, dabei realpolitisch aber hart erkämpftes Spektakel unter Netanyahus Regie: was ein Ehud Olmert mit seiner militärischen Offensive und seinen Verhandlungen nicht schaffte und was einen deutschen Unterhändler kurz vor dem Ziel scheitern ließ, „Bibi“ gelang der von ihm und seiner Regierung als historisch verkaufte Deal.
Und auch der Zeitpunkt des medialen Großereignisses schien opportun. Die meisten Israelis kehren aus den Protestzelten in ihre (fast unbezahlbaren) Wohnungen zurück, in Ostjerusalem werden 1100 neue Wohnungen für jüdische Siedler genehmigt, der Antrag der Palästinenser auf Anerkennung in der UN und die damit verbundenen Implikationen – all das gerät auch aus Mangel an neuen Ergebnissen immer mehr in Vergessenheit. Und auch um die von Netanyahu beauftragte, nach ihrem Vorsitzenden benannte Trachtenberg-Kommission zur Erarbeitung von Vorschlägen für eine Veränderung der sozialen Situation im Land ist es schnell wieder ruhig geworden.
Die nationale Empörung über die soziale Ungleichheit und politische Entwicklungen ist mit Gilads Rückkehr einem gewissen Gefühl von Erleichterung gewichen. Aber dennoch: es ist keine gelöste, keine euphorische Erleichterung. Denn so sehr Gilads Rückkehr ein landesweit gefeiertes Freudenereignis ist - der für ihn bezahlte politische Preis scheint doch vielen zu hoch. So versuchten nicht nur Eltern, deren Kinder von einigen, nun im Gegenzug für Gilad frühzeitig aus dem Gefängnis entlassenen Palästinensern, getötet worden waren diesen Gefangenenaustausch noch in letzter Minute gerichtlich zu verhindern.
Auch viele andere Israelis äußerten Bedenken angesichts der hohen Anzahl entlassener, als militant eingestufter Palästinenser. Aber auch juristisch wurde nicht mehr abgewendet, was politisch schon längst beschlossene Sache war. Und Netanyahu fand auch Worte für jene Zweifler an seiner weitreichenden Entscheidung:
„Ich weiß sehr gut, dass der Schmerz der Familien der Terroropfer unerträglich ist. Es ist schwer zu sehen, wie die Schurken, die ihre Lieben ermordet haben, freigelassen werden, bevor sie ihre ganze Strafe abgesessen haben.“
Aber am Ende dieses langen Tages war Gilad wieder zuhause angekommen. Und auch Netanyahu hat seinen Weg zurück gefunden. Auf die politischen Bühne in Israel.
1 Kommentar:
Danke für diesen klugen Text! Bitte immer so weiter! Es mangelt in diesem Themengebiet an klugen Analysen!
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