Ein Beitrag von Johanne Kübler
Nach dem Triumph der langen Schlangen am Wahlsonntag, gibt sich ein Teil der Bevölkerung bei der Verkündung des partiellen Wahlergebnisses verschnupft. Zwar hatten mehrere Umfragen ein hohes Ergebnis der moderat-islamistischen Partei Nahda vorhergesagt, aber viele hatten wohl an ein Wunder geglaubt. Schon denken Einige laut darüber nach, wieder demonstrieren zu gehen, während Andere Lehren für die nächsten Wahlen ziehen.
Der arabische Frühling, begonnen in Tunesien mit Protesten von einem Amalgam von liberalen Internetaktivisten und der arbeitslosen Unterschicht im benachteiligen Süden des Landes, trägt in diesen Tagen die ersten Früchte. Am 23. Oktober 2011 waren 7 Millionen Tunesier dazu aufgerufen, eine verfassungsgebende Versammlung zu wählen. Dabei hatten alte Reflexe dazu geführt, dass sich nur 4,1 Millionen Tunesier in die Wahlregister eingetragen hatten. Schließlich waren Wahlen unter Ben Ali ein einziges Schauspiel, in dem das Wahlergebnis im Voraus feststand und man sich mit einem Antrag auf eine Eintragung in das Wählerverzeichnis nur verdächtig machte, wenn man nicht zum Fußvolk der Einheitspartei RCD gehörte.
Von den 4,1 Millionen auf den Wahllisten registrierten Wählern kamen dann auch 90 Prozent in die Wahllokale, oder 70 Prozent der gesamten wahlberechtigte Bevölkerung. Während lange Schlangen vor den Wahllokalen den Enthusiasmus der Tunesier für diese ersten, freien und im Großen und Ganzen fairen Wahlen bezeugte, nahmen Berichte über separate Schlangen für Frauen und Männer in einigen Bezirken das Ergebnis der Wahlen vorweg. Nun, nach der Bekanntgabe, dass einige liberale Parteien katastrophal abgeschnitten und allein 84 der 212 Sitze in der konstitutiven Versammlung an die moderat-islamistische Partei Nahda gehen, reibt sich so manch liberaler Tunesier die Augen und fragt sich: Wie konnte das passieren?
Ein Teil der Antwort ist, dass Nahda (auf Deutsch: Partei der Wiedergeburt) eine landesweite, koordinierte Wahlkampagne geführt hat. Verboten unter Ben Ali, der den westlichen Staaten seine uneingeschränkte Herrschaft auch mit seinem Kampf gegen den Islamischen Extremismus verkaufte, versprüht Nahda heute einen unwiderstehlichen Märtyrer-Nimbus. Nicht nur ist sie eine der wenigen Parteien, bei denen man eine Kollaboration mit der RCD ausschließen kann, sondern sie ist auch am Besten organisiert. Während andere Parteien sich nicht einmal die Mühe machten, ein Wahlprogramm zu schreiben, organisierte Nahda Kundgebungen und schwor vor allem die Unterschicht auf ihre Werte ein. Es ist nun genau diese Unterschicht, die im Januar die Masse der Demonstranten ausmachte, die Nahda jetzt zum Wahlsieger krönte. Und nicht nur diese, denn Nahda hat mit ihrer Kampagne in allen Bevölkerungsschichten Anhänger gefunden. Bei der Organisation der Kampagne kam ihr auch die großzügige Finanzierung aus den Golfstaaten zugute.
Während das starke Abschneiden von Nahda ein Ergebnis einer herausragenden Kampagne und dem konsequenten Widerstand gegen das Regime Ben Alis geschuldet ist, so überraschte umso mehr das gute Ergebnis einer anderen Partei, »Aridha Chaabia« (auf Deutsch: Petition für Freiheit, Gerechtigkeit und Entwicklung). Zuvor nahezu unbekannt, kam die »Petition« auf einen unerwarteten dritten Platz. Die Partei wurde vom wohlhabenden, in London lebenden tunesischen Geschäftsmann Mohamed Hamdi Hechmi gegründet, der früher ein Verbündeter Ben Alis gewesen war. Heute ist er bekannt als der »Berlusconi Tunesiens«, da ihm der Satellitensender Al-Mustakillah gehört, der in Tunesien sehr beliebt ist. Sie war besonders in Sidi Bouzid erfolgreich, in der Stadt, in der die Revolution im Dezember letzten Jahres ihren Anfang nahm. Sidi Bouzid ist der Heimatort von Mohamed Hamdi Hechmi. Es zeigt, dass Mediendominanz, lokale Netzwerke und viel Geld in Tunesien, wie auch in anderen Ländern wie Italien und den USA, wichtige Faktoren für Erfolg bei Wahlen sind.
Viele liberale Tunesier mögen nun den Kopf schütteln, um ihre Rechte fürchten, und nach der nächsten Revolution rufen. Zwar hat der Vorsitzende von Nahda, Rachid Ghannouchi, versprochen, an den von Staatsgründer Bourguiba eingeführten Frauenrechten nicht zu rütteln und nun mit anderen politischen Kräften innerhalb eines Monats eine Regierung der nationalen Einheit zu formen. Allerdings hatte die Partei noch vor den Wahlen angekündigt, keiner Regierung angehören zu wollen und für das nächste Jahr, in der die Verfassung ausgearbeitet werden wird, eine technokratische Regierung zu bevorzugen. Solch Planänderungen schüren Befürchtungen, dass auch andere Ankündigungen Nahdas revidiert werden könnten.
Das neue, selbstbewusste Auftreten von Islamisten in der Öffentlichkeit macht vielen Tunesiern Angst. Nachdem der erste Schock abgeklungen ist, reagieren viele allerdings sehr besonnen. So ist auf manchen Facebook-Seiten ähnliches wie auf der von Mondher Khaled zu lesen: »Politisches Handeln muss nahe bei den Leuten sein. Auf diesem Terrain hat Nahda gewonnen. Jetzt müssen wir rational sein und unsere Lehren ziehen. Wie sagte schon Chirac: ›wer nicht mindestens fünf Wahlen verloren hat, kann nicht behaupten, ein Politiker zu sein.‹ Die wirkliche Antwort auf Nahda geschieht auf diesem Terrain und nicht auf der Straße. Wir dürfen nicht aufgeben und uns impulsiven Tendenzen hingeben. Wir müssen denjenigen, die gewonnen haben, gratulieren, und in eine konstruktive Phase eintreten. Stellt euch vor, die Demokraten hätten gewonnen und Nahda würde sich weigern, das Ergebnis anzuerkennen und auf die Straße gehen? Schließlich hatten alle ein Ergebnis von 25 bis 30 Prozent erwartet, und es ist keine Überraschung.«
Hier der Originaltext von Mondher Khaleds Facebook-Seite:
L'action politique doit être une action de proximité. C'est sur ce terrain qu'Nahda a gagné. Il faut être rationnel et savoir tirer les leçons à froid. Comme disait Chirac, celui qui n'a pas perdu au moins 5 elections ne peut prétendre à être un homme politique. La véritable réponse à Nahda se fait sur le terrain et pas dans la rue. Il ne faut pas céder aux tendances impulsives. Il faut féliciter ceux qui ont gagné et passer à une étape constructive. Imaginez si les démocrates ont gagné et qu'Nahda refuse les résultats et qu'ils descendent dans la rue? Après tout tout le monde s'attendait à ce résultat (entre 25 et 30%), et ce n'est pas une surprise.)
Nach dem Triumph der langen Schlangen am Wahlsonntag, gibt sich ein Teil der Bevölkerung bei der Verkündung des partiellen Wahlergebnisses verschnupft. Zwar hatten mehrere Umfragen ein hohes Ergebnis der moderat-islamistischen Partei Nahda vorhergesagt, aber viele hatten wohl an ein Wunder geglaubt. Schon denken Einige laut darüber nach, wieder demonstrieren zu gehen, während Andere Lehren für die nächsten Wahlen ziehen.
Der arabische Frühling, begonnen in Tunesien mit Protesten von einem Amalgam von liberalen Internetaktivisten und der arbeitslosen Unterschicht im benachteiligen Süden des Landes, trägt in diesen Tagen die ersten Früchte. Am 23. Oktober 2011 waren 7 Millionen Tunesier dazu aufgerufen, eine verfassungsgebende Versammlung zu wählen. Dabei hatten alte Reflexe dazu geführt, dass sich nur 4,1 Millionen Tunesier in die Wahlregister eingetragen hatten. Schließlich waren Wahlen unter Ben Ali ein einziges Schauspiel, in dem das Wahlergebnis im Voraus feststand und man sich mit einem Antrag auf eine Eintragung in das Wählerverzeichnis nur verdächtig machte, wenn man nicht zum Fußvolk der Einheitspartei RCD gehörte.
Von den 4,1 Millionen auf den Wahllisten registrierten Wählern kamen dann auch 90 Prozent in die Wahllokale, oder 70 Prozent der gesamten wahlberechtigte Bevölkerung. Während lange Schlangen vor den Wahllokalen den Enthusiasmus der Tunesier für diese ersten, freien und im Großen und Ganzen fairen Wahlen bezeugte, nahmen Berichte über separate Schlangen für Frauen und Männer in einigen Bezirken das Ergebnis der Wahlen vorweg. Nun, nach der Bekanntgabe, dass einige liberale Parteien katastrophal abgeschnitten und allein 84 der 212 Sitze in der konstitutiven Versammlung an die moderat-islamistische Partei Nahda gehen, reibt sich so manch liberaler Tunesier die Augen und fragt sich: Wie konnte das passieren?
Ein Teil der Antwort ist, dass Nahda (auf Deutsch: Partei der Wiedergeburt) eine landesweite, koordinierte Wahlkampagne geführt hat. Verboten unter Ben Ali, der den westlichen Staaten seine uneingeschränkte Herrschaft auch mit seinem Kampf gegen den Islamischen Extremismus verkaufte, versprüht Nahda heute einen unwiderstehlichen Märtyrer-Nimbus. Nicht nur ist sie eine der wenigen Parteien, bei denen man eine Kollaboration mit der RCD ausschließen kann, sondern sie ist auch am Besten organisiert. Während andere Parteien sich nicht einmal die Mühe machten, ein Wahlprogramm zu schreiben, organisierte Nahda Kundgebungen und schwor vor allem die Unterschicht auf ihre Werte ein. Es ist nun genau diese Unterschicht, die im Januar die Masse der Demonstranten ausmachte, die Nahda jetzt zum Wahlsieger krönte. Und nicht nur diese, denn Nahda hat mit ihrer Kampagne in allen Bevölkerungsschichten Anhänger gefunden. Bei der Organisation der Kampagne kam ihr auch die großzügige Finanzierung aus den Golfstaaten zugute.
Während das starke Abschneiden von Nahda ein Ergebnis einer herausragenden Kampagne und dem konsequenten Widerstand gegen das Regime Ben Alis geschuldet ist, so überraschte umso mehr das gute Ergebnis einer anderen Partei, »Aridha Chaabia« (auf Deutsch: Petition für Freiheit, Gerechtigkeit und Entwicklung). Zuvor nahezu unbekannt, kam die »Petition« auf einen unerwarteten dritten Platz. Die Partei wurde vom wohlhabenden, in London lebenden tunesischen Geschäftsmann Mohamed Hamdi Hechmi gegründet, der früher ein Verbündeter Ben Alis gewesen war. Heute ist er bekannt als der »Berlusconi Tunesiens«, da ihm der Satellitensender Al-Mustakillah gehört, der in Tunesien sehr beliebt ist. Sie war besonders in Sidi Bouzid erfolgreich, in der Stadt, in der die Revolution im Dezember letzten Jahres ihren Anfang nahm. Sidi Bouzid ist der Heimatort von Mohamed Hamdi Hechmi. Es zeigt, dass Mediendominanz, lokale Netzwerke und viel Geld in Tunesien, wie auch in anderen Ländern wie Italien und den USA, wichtige Faktoren für Erfolg bei Wahlen sind.
Viele liberale Tunesier mögen nun den Kopf schütteln, um ihre Rechte fürchten, und nach der nächsten Revolution rufen. Zwar hat der Vorsitzende von Nahda, Rachid Ghannouchi, versprochen, an den von Staatsgründer Bourguiba eingeführten Frauenrechten nicht zu rütteln und nun mit anderen politischen Kräften innerhalb eines Monats eine Regierung der nationalen Einheit zu formen. Allerdings hatte die Partei noch vor den Wahlen angekündigt, keiner Regierung angehören zu wollen und für das nächste Jahr, in der die Verfassung ausgearbeitet werden wird, eine technokratische Regierung zu bevorzugen. Solch Planänderungen schüren Befürchtungen, dass auch andere Ankündigungen Nahdas revidiert werden könnten.
Das neue, selbstbewusste Auftreten von Islamisten in der Öffentlichkeit macht vielen Tunesiern Angst. Nachdem der erste Schock abgeklungen ist, reagieren viele allerdings sehr besonnen. So ist auf manchen Facebook-Seiten ähnliches wie auf der von Mondher Khaled zu lesen: »Politisches Handeln muss nahe bei den Leuten sein. Auf diesem Terrain hat Nahda gewonnen. Jetzt müssen wir rational sein und unsere Lehren ziehen. Wie sagte schon Chirac: ›wer nicht mindestens fünf Wahlen verloren hat, kann nicht behaupten, ein Politiker zu sein.‹ Die wirkliche Antwort auf Nahda geschieht auf diesem Terrain und nicht auf der Straße. Wir dürfen nicht aufgeben und uns impulsiven Tendenzen hingeben. Wir müssen denjenigen, die gewonnen haben, gratulieren, und in eine konstruktive Phase eintreten. Stellt euch vor, die Demokraten hätten gewonnen und Nahda würde sich weigern, das Ergebnis anzuerkennen und auf die Straße gehen? Schließlich hatten alle ein Ergebnis von 25 bis 30 Prozent erwartet, und es ist keine Überraschung.«
Hier der Originaltext von Mondher Khaleds Facebook-Seite:
L'action politique doit être une action de proximité. C'est sur ce terrain qu'Nahda a gagné. Il faut être rationnel et savoir tirer les leçons à froid. Comme disait Chirac, celui qui n'a pas perdu au moins 5 elections ne peut prétendre à être un homme politique. La véritable réponse à Nahda se fait sur le terrain et pas dans la rue. Il ne faut pas céder aux tendances impulsives. Il faut féliciter ceux qui ont gagné et passer à une étape constructive. Imaginez si les démocrates ont gagné et qu'Nahda refuse les résultats et qu'ils descendent dans la rue? Après tout tout le monde s'attendait à ce résultat (entre 25 et 30%), et ce n'est pas une surprise.)
1 Kommentar:
Schließe mich der Schilderung der Situation aus eigener Kenntnis im Wesentlichen an. Allerdings haben die Demonstrationen im Januar, nicht nur in Tunis, ALLE Schichten getragen, nicht nur die Unterschichten; der organisierte Impulsgeber kam aus den Reihen der Zivilgesellschaft. Ich halte auch die ganze ausländische Wahlbeobachtung für ein bißchen naiv, was die Offenlegung der Finanzströme betrifft, die vom Golf über die verschiedensten Kanäle flossen und eben nicht nur auf den von ISIE kontrollierten offiziellen Wahlkampfkonten der Ennahda landeten. Verfolgt man Aussagen in den Golf-Staaten wird deutlich, dass hier auch die Möglichkeiten der Einflußnahme konservativer Kreise vom Golf am Muster der Wahlen in Tunesien ausgetestet werden sollten. Noch haben es die Tunesier allerdings selbst in der Hand, welchen Spielraum Ennahda bekommt, indem die Zersplitterung unter den säkularen Aktivisten überwunden wird und z.B. die "progressiven" Frauen ihre "Schwestern" in der Ennahda in punkto Gewährung demokratischer Frauenrechte beim Wort nehmen.
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