Die bewaffnete Opposition in Syrien ist mit ihrem Kampf gegen die Truppen des Regimes in den letzten Tagen immer weiter in die bislang relativ ruhige Hauptstadt Damaskus vorgedrungen. Am Mittwoch kam dann die überraschende Nachricht, dass mindestens drei der wichtigsten militärischen Strategen des Regimes bei einem Bombenanschlag ums Leben gekommen sind: Der Verteidigungsminister Dawoud Rajiha, der Chef des Anti-Krisen-Komitees General Hassan al-Turkmani sowie Assef Schaukat, Präsidentenschwager und stellvertretender Verteidigungsminister.
Umstritten ist bisher ob auch der Innenminister Mohammad Ibrahim al-Shaar bei dem Vorfall gestorben ist und wie schwer die Verletzungen weiterer hochrangiger Sicherheitsleute, unter ihnen General Hicham Ikhitiar sind. Ikhitiar erstattete als Vorsitzender der Nationalen Sicherheit dem Präsidenten Baschar al-Assad direkt Bericht über Entwicklungen und Vorgänge innerhalb der wichtigsten unabhängig voneinander agierenden Geheimdienstinstitutionen.
Außerdem ist derzeit noch nicht bekannt ob es sich bei dem Anschlag um ein Selbstmordattentat oder eine im Vorfeld platzierte Bombe handelte und wer genau die Verantwortung trägt. Sowohl die obskure Gruppierung Liwa al-Islam als auch die Freie Syrische Armee haben sich zu dem Anschlag bekannt. Sicher ist hingegen, dass die Explosion während einer Sitzung des Krisenstabs, innerhalb eines Gebäudes der Nationalen Sicherheit und vermutlich sogar im Konferenzraum selbst stattfand. Nach Aussagen von Deserteuren wurde bei diesen wöchentlich stattfindenden Treffen das weitere militärische Vorgehen gegen die Opposition besprochen und geplant.
Außerhalb des syrischen Machtzirkels weiß niemand genau, wer in den vergangenen Monaten wirklich die politischen und militärischen Entscheidungen getroffen hat.
Dennoch deutet vieles darauf hin, dass der Anschlag vom Mittwoch die entscheidende Wende im syrischen Konflikt gebracht hat. Mit Assef Schaukat ist einer derjenigen getötet worden, die wie wenige andere für die rücksichtslose Brutalität des Regimes standen. Die Botschaft hinter seiner Ermordung: Wenn nicht einmal mehr der Schwager des Präsidenten und einer der gefürchtetsten und mächtigsten Männer Syriens sicher sein kann, dann ist es niemand mehr. Einerseits wird jedem potentiellen Nachfolger die Expertise, Erfahrung und das Wissen über die derzeitige Situation fehlen, andererseits scheuen sich vermutlich selbst treue Regimebefürworter in der gegenwärtigen Situation vor solch gefährlichen und brisanten Posten.
Assad steht vor der Frage, ob er nicht das nächstes Opfer eines Komplotts werden könnte
Die Detonation einer Bombe im tiefsten Innern seines personellen und geografischen Machtapparates konnte nur durch einen Insider ermöglicht werden. Erste Spekulationen deuten dabei auf einen Bodyguard Assef Schaukats hin. Selbst für Oppositionelle kommt dies überraschend, galt doch das direkte Umfeld des Präsidenten als ausnahmslos regimeloyal und einer besonderen Überwachung ausgesetzt.
Eine Frage, die sich auch viele Syrer derzeit stellen: Wo war eigentlich Assad, als die Bombe explodierte? Sollte er gar nicht mit im Raum gewesen sein, würde das die These all jener bestärken, die meinen, Assad habe die Macht längst an seinen Bruder Maher oder seinen Cousin Hafis Makhluf verloren. TV-Aufnahmen, die das syrische Staatsfernsehen am Donnerstag ausstrahlte, sollen zumindest zeigen, dass Assad unverletzt blieb und die Fäden weiterhin in der Hand hält. Mit den Bildern, die offenbar im Präsidentenpalast von Damaskus aufgenommen wurden, sollten zugleich Gerüchte zerstreut werden, Assad sei auf der Flucht – ob innerhalb Syriens nach Lattakia oder den Heimatort seiner Familie in Qardaha oder gar ins Ausland.
Der Anschlag zeigt, dass die Opposition es geschafft hat, in den innersten Kreis des Regimes vorzudringen und wird Assad vor die Frage stellen, ob er nicht das nächstes Opfer eines Komplotts werden könnte. Wer wirklich die Rolle eines syrischen Stauffenbergs gespielt hat, wird wohl erst in ein paar Wochen oder Monaten bekanntwerden.
Es kursieren auch Theorien, nach denen Assad möglicherweise selbst für den Mord verantwortlich gewesen sein könnte, um damit einem möglichen Putsch zuvor zu kommen. Befürworter diese These verweisen darauf, dass es bislang keine unmittelbaren Bilder von der Explosion gegeben habe und dass regimenahe Medien als erste von dem Angriff berichtet hatten.
Veränderung in der offiziellen Medienberichterstattung?
Dieses Szenario ist jedoch höchst unwahrscheinlich, da seit dem Anschlag die Regimegegner deutlich an Momentum gewonnen haben. Weite Teile des Nordens befinden sich mittlerweile unter ihrer Kontrolle, darunter das Umland Aleppos und mindestens ein strategisch wichtiger Grenzübergang zur Türkei. Auch im Osten haben die Rebellen nach Angaben aus Bagdad den syrisch-irakischen Grenzübergang bei Abu Kamal eingenommen. Hinzu kommt: Der Schlag vom Mittwoch ist besonders für die niederen Ränge der Assad-Armee verheerend. Sie haben spätestens jetzt begriffen, dass sie in eine Schlacht geworfen werden, die sie über kurz oder lang verlieren werden. Die Folge: Die Berichte über die Desertion ganzer Einheiten mehren sich.
Wie das Regime auf diesen Schlag reagieren wird und welche Konsequenzen dies für den weiteren Verlauf hat, lässt sich bisher nur erahnen. Eine erste Veränderung konnte jedoch in der offiziellen Medienberichterstattung gesehen werden. Einerseits waren viele ausländische Journalisten davon überrascht, dass der Bombenanschlag sowie die Opfer augenblicklich offiziell verkündet worden waren, andererseits wurden zum ersten Mal Bilder von Straßenkämpfen übertragen. Oppositionelle aus Damaskus meldeten zudem verstärkte Angriffe auf diverse Bezirke, die als Hochburgen der Opposition und Freien Syrischen Armee gelten. Selbst das palästinensische Flüchtlingscamp Yarmuk, das in den letzten Tagen zu einem Unterschlupf für Aktivisten geworden sein soll, kam dabei für mehrere Stunden unter Beschuss.
Der offiziell private TV-Sender al-Dunia, der sich im Besitz von Assads Cousin Rami al-Makhluf befindet, beschallt seine Zuschauer seit Mittwoch abwechselnd mit den gewohnt langatmigen Gesprächsrunden, in denen sich alle Seiten einig sind, dass eigentlich alles in bester Ordnung sei und die Niederschlagung der Verschwörung kurz bevor stehe. Dazwischen laufen patriotische Lieder, in denen die »ruhmreiche syrische Armee« ihr Waffenarsenal präsentiert. Neu sind die Videos der am Mittwoch getöteten »Märtyrer der Nation, des Volkes und Ehre«. Und schließlich gibt es Umfragen mit Passanten aus Damaskus, in denen diese erklären, dass sie ihre Geschäfte öffneten, Verwandte besuchten und in Moscheen beteten, sie aber bei Bedarf natürlich jederzeit bereit wären, ihr Blut und ihre Seele für Baschar al-Assad zu opfern.
Wie groß die Verzweiflung des Staatsapparats mittlerweile ist, lässt sich vielleicht am besten anhand dieser Meldung der amtlichen Nachrichtenagentur Sana belegen: Am Donnerstagnachmittag berichtete die Agentur, dass Sicherheitsunternehmen aus Katar damit anfingen, Regierungsgebäude und Plätze in Damaskus, Aleppo und Latakia in der Wüste Katars nachzubauen. Außerdem würden sie Leute in syrische Armeeuniformen stecken um anschließend Szenen zu drehen, die angeblich in Syrien spielten. Bei allem Realitätverlust, der sich in dieser Meldung ausdrückt, zeigt der Bericht auch, dass selbst die staatliche Nachrichtenagentur davon ausgeht, dass die Kämpfe in Kürze die großen Plätze des Landes erreichen werden.
1 Kommentar:
Sicher scheint auch folgendes: Die 3 beim Anschlag getöteten Top-Leute waren hinsichtlich ihrer Konfessionszugehörigkeit Christ, Alawite und Sunnit. Damit ist auch der Endpunkt eines säkularen, einheitlichen Staates Syrien gesetzt, denn die "Opposition" hat keinerlei glaubwürdigen säkularen Ansatz und die Alawiten werden sich hinter das Regime stellen oder habt ihr da andere Erkenntnisse?
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