Im libanesischen Koura-Distrikt wurde am Sonntag gewählt. Obwohl es nur um die Nachwahl eines Parlamentsitzes ging, wurden große politische Töne bedient. Es wird immer offensichtlicher: Der Bürgerkrieg in
Syrien heizt die politische Stimmung in seinem kleinen Nachbarn an. Der Sieg
von Fadi Karam geriet dabei fast zur Nebensache. Von Björn Zimprich
Mit großer Rhetorik war die Nachwahl am Sonntag im
nordlibanesischen Koura-Distrikt begleitet worden. Von Entscheidungsschlacht und einem Stopp des
syrischen Einflusse war die Rede. Die libanesischen Fernsehsender Future TV, MTV und Al-Jadeed berichteten
live. Die regionalen Spannungen und Machtkämpfe wurden in der libanesischen
Provinz voll ausgetragen.
Dabei ging es nur um einen Sitz im libanesischen Parlament. Die
Nachwahl war nötig geworden, nachdem der in der Parlamentswahl 2009 gewählte
Kandidat Farid Habib der Force Libanese am 31. Mai dieses Jahres gestorben war. Damit war ein
Sitz der griechisch-orthodoxen Konfession vakant.
Ort der hochstilisierten Auseinandersetzung war der
Koura-Distrikt, der südlich an die Hafenstadt Tripoli grenzt. Die Bevölkerung ist mehrheitlich griechisch-orthodoxer
Konfession. Mit größeren Minderheiten von maronitischen Christen und
sunnitischen Muslimen.
Auseinandersetzung
mit Symbolcharakter
Die Wahlen hatten sich zu einer großen Auseinandersetzung
mit Symbolcharakter zwischen libanesischen Allianzen 14. März und 8. März
entwickelt. Das Bündnis des 14. März gilt als kritisch gegenüber dem syrischen
Regime und dessen Einfluss im Libanon. Unter der Allianz des 8. März befinden
sich mit Hizbollah oder Amal enge verbündete des Regimes in Syrien. In Koura unterstütze
das Bündnis 14. März dabei Fadi Karam, Kandidat der Force Libanese, während
Walid al-Azar, Kandidat der Syrische Soziale Nationalistische Partei, kurz
SSNP für das Parteibündnis des 8.März antrat.
Insgesamt waren 57000 Wähler zugelassen. Mit 47 Prozent wurde
nach Angaben des Innenministers Marwal Charbel eine ähnlich hohe
Wahlbeteiligung wie 2009 erreicht. Die für eine Nachwahl enorm hohe Wahlbeteiligung spiegelt die überregionale Dimension des Wahlkampfes wieder.
Am Sonntagabend stand nach Angaben sowohl von Seiten der SSNP als auch von der
Seiten der Force Libanese ein Sieg von Fadi Karam fest. Fadi Karam siegte demnach mit einem Vorsprung von 1100 Stimmen. Samir Geagea, Führer der Forces Libanese bezeichnete die Niederlage des SSNP Kandidaten Azar als einen weiteren Rückschlag für das syrische Regime. Der Generalsekretär der Zukunftsbewegung Ahmad Hariri, hatte
vor der Wahl Walid Azar als Kandidaten des syrischen Präsidenten Bashar
Al-Assad diffamiert. Der knappe Sieg
von Fadi Karam wird vom 14. März auch als
Weichenstellung für die Innenpolitik gefeiert.
Über das komplizierte konfessionelle politische System im
Libanon sind die einzelnen Sitze im Parlament fest an bestimmte Konfessionen
gebunden. Diese werden wiederum in festgelegten Wahlkreisen vergeben. Am Sonntag in
Koura konnte daher nur ein Kandidat mit griechisch-orthodoxer Religionszugehörigkeit
gewählt werden, da nun dieser Sitz unbesetzt war. Wählen konnten jedoch alle durch
Geburt registrierten Wähler des Distrikts, unabhängig ihrer
Religionszugehörigkeit.
Während die christlichen Wähler Beobachtern zufolge als gespalten zwischen
beiden aussichtsreichsten Kandidaten galten, wurden die Muslime
als Zünglein an der Waage angesehen. Hier scheint der Einfluss des Hariri-Clans
den Ausschlag gegeben haben, denn die Mehrheit der Sunniten im Koura-Distrikt
gelten als Anhänger der Zukunftsbewegung von Saad Hariri.
Vorwurf des Stimmenkaufs
SSNP-Kandidat Walid Azar kritisierte am Sonntagmorgen nach
seiner Stimmabgabe in Amioun die Umstände der Wahl. Diese sei nicht
demokratisch gewesen, da mit „immensen Summen politischen Geldes“ Stimmen
gekauft worden sein.
Azar spielte dabei auf eine gängige Praxis im Libanon an.
Dabei werden Stimmen bei knappen Wahlentscheidungen entweder direkt „gekauft“.
Wähler erhalten dabei bis zu vierstellige Dollarbeträge für ihre Stimme. Oder
aber potentiellen Anhängern der eigenen Partei die im Ausland leben, werden für
den Wahltag gratis Flugtickets zur Verfügung gestellt. Da es im Libanon kein
Recht auf Briefwahl gibt können so entscheidende Stimmen hinzugewonnen
werden.
Die libanesische Organisation LADE, die die Wahlen
beobachtet, konnte jedoch keine Berichte über Stimmenkauf bestätigen.
Solche Praxen sind dabei ohnehin nicht auf bestimmte
libanesische Parteien beschränkt. Zudem funktioniert die Stimmabgaben bei
Wahlen im Libanon viel komplexer als das Wort „Stimmenkauf“ erwarten lässt.
Parteipolitik wird im Libanon dominiert von Zugehörigkeit und Herkunft. Sie
folgt der Logik klientelistischer Verteilungsnetzwerke, nicht nach
Wahlprogrammen. Erst an zweiter Stelle steht die individuelle politische
Meinung, Präferenzen für den einen oder anderen Kandidaten oder die
ideologische Ausrichtung seiner Partei.
Aber auch hier lohnt es sich bei den Wahlen in Koura genauer
hinzusehen. Denn die ideologische Ausrichtung von Force Libanese und SSNP befeuerte
die Auseinandersetzung zusätzlich. Beide Parteien könnten kaum gegensätzlicher
sein. Besonders im Hinblick auf den in Syrien herrschenden Bürgerkrieg.
Samir Geageas und seine Force Lebanese stehen dabei für
einen isolationistischen Kurs unter den libanesischen Christen. Im
Verlauf des libanesischen Bürgerkrieges schuf die Miliz der Force Lebanese aus
der die heutige Partei hervorgegangen ist, einen eigenen christlichen de facto
Staat im Libanongebirge. Sie drohte mit einer Abspaltung vom libanesischen
Staat. Nach Ende des Bürgerkrieges stand Samir Geagea unter der syrischen
Besatzung des Libanons jahrelang in Einzelhaft und wurde erst nach dem syrischen
Abzug 2005 entlassen. Er gilt heute als der schärfste und lautstärkste Kritiker des Assad-Regime.
Kritiker bezeichnen die SSNP als verlängerten Arm des Assad-Regimes
Die SSNP kann dagegen auf eine lange und turbulente
Parteigeschichte blicken. Sie war an gewalttätigen Erhebungen und Putschversuchen
im Libanon wie 1961 beteiligt und als Folge länger verboten. Durch Verfolgung
ihrer Anhänger hat sie eine besonders starke Basis in der libanesischen
Diaspora. Erklärtes Ziel der SSNP ist ein großsyrischer Staat von Zypern bis
zum Irak. In Syrien ist die Partei seit 2005 unter dem Assad-Regime wieder
zugelassen und als Mitglied der "Nationalen Fortschrittfront" im Parlament eng an das Regime
affilliert. Im Libanon wird die Partei von Kritikern als verlängerter Arm des
syrischen Regimes gesehen. Anhänger der Partei gingen seit Beginn des Aufstandes
in Syrien mehrfach gewaltsam gegen regimekritische Demonstranten in Beirut
vor. Die Partei gilt - selbst für libanesische Verhältnisse - als schwer bewaffnet.
Ihre Milizionäre waren in verschiedenen Landesteilen am kleinen Bürgerkrieg 2008 beteiligt.
Heute hat die Partei viel ihrer ursprünglichen
Anhängerschaft verloren. Gleichzeitig weist die SSNP als eine der wenigen
politischen Kräfte im Libanon Anhänger unter allen großen Konfessionen im
Libanon auf.
Pansyrische Vorstellungen versus christliche
Abspaltungstendenzen. SSNP und Force Libanese könnte in ihrer ideologischen
Ausrichtung kaum mehr voneinander abweichen. Dennoch haben beide verfeindete Parteien eine Gemeinsamkeit: Sie werden von westlichen Beobachtern gerne als „rechtsextrem“
bezeichnet. Dies ist nur ein Beispiel dafür wie irreführend in vielen Fällen eine
Übertragung westlicher Parlamentsterminologie wie „rechts“ oder „links“ auf die
politischen System des Nahen Osten ist.
Direkte Auswirkungen auf die praktische libanesische Politik
hat der Sieg von Force Lebanese Kandidat Fadi Karam nicht. Die SSNP konnte trotz Niederlage einen Achtungserfolg verbuchen. Die Mehrheitsverhältnisse im Parlament bleiben bestehen.
Das Regierungsbündnis des 8. März das Premierminister Najib Miqati stützt, hat weiterhin eine
Mehrheit und Fadi Karam kann sich nicht lange über seinen gewonnen
Parlamentssitz freuen. In nur zehn Monaten stehen die nächsten regulären Parlamentswahlen an. Der 14. März
hofft nun auf Schwung für die Wahlen 2013. Mehr ist jedoch auch nicht zu
erwarten. Die Geschicke des Libanon werden zurzeit ohnehin eher in
ausländischen Hauptsstädten als an der Wahlurne der libanesischen Provinz
entschieden.
1 Kommentar:
Danke für den guten Artikel! Endlich mal wieder libanesische Parteienpolitik!
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