Mindestens 800 Tote forderte das
Massaker christlicher Milizen in den palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra
und Schatila in Westbeirut. Heute vor 30 Jahren ging es zu Ende. Schon lange
ist bekannt, dass die israelische Armee die Milizionäre unterstützte. Vor
kurzem freigegebene Dokumente geben Einblick in die Rolle amerikanischer
Diplomaten bei einem der schrecklichsten Verbrechen des libanesischen
Bürgerkriegs.
von Bodo Straub
„Es waren die Fliegen, die es uns
erzählten. Da waren Millionen von ihnen, ihr Summen beinahe so vielsagend wie
der Gestank. Wenn wir stillstanden, um Notizen zu machen, besiedelten sie wie
eine Armee die weiße Oberfläche unserer Schreibblöcke, Hände, Arme, Gesichter;
sie versammelten sich andauernd um unsere Augen und Münder, zogen von Körper zu
Körper weiter, von den vielen Toten zu den wenigen Lebenden, von Leiche zu
Reporter, und ihre kleinen grünen Körper keuchten vor Erregung, wenn sie neues
Fleisch fanden, auf dem sie sich niederlassen und schlemmen konnten.“ So
beginnt der britische Journalist Robert Fisk seine Aufzeichnungen vom 18.
September 1982.
Er und die anderen
Berichterstatter stehen an diesem Tag in den aneinander angrenzenden palästinensischen
Flüchtlingslagern Sabra und Schatila im Süden Beiruts. Was sie sehen, sind
Leichen –von jungen Männern, aber vor allem von Frauen, Kindern, Alten.
Mindestens achthundert tote Körper – auf den Straßen, auf den Wegen, in den
Hinterhöfen, in zerstörten Häusern und auf den Müllkippen. Manchmal, so erzählt
Fisk, war das Blut auf dem Boden noch feucht, die Mörder hatten die Lager eben
erst verlassen.
Die Mörder waren Kämpfer der
rechtsradikalen christlichen Phalange-Miliz. Sie machten die Palästinenser für
die Ermordung ihres Anführers, des kurz zuvor gewählten libanesischen
Präsidenten Baschir Gemayel, am 14. September verantwortlich. So zogen sie am
Abend des 16. September in die Lager ein, bewaffnet mit Messern, Äxten und
Feuerwaffen. Es folgte eine Blutorgie. Mehr als vierzig Stunden lang dauerte
das Schlachten, die Vergewaltigungen und die Foltern.
Das Massaker von Sabra und
Schatila gilt als eines der grausamsten Verbrechen im an Schrecklichkeiten
reichen libanesischen Bürgerkrieg und als der größte Sündenfall der israelischen
Armee. Die hatte gerade Westbeirut besetzt und unterstützte das Massaker aktiv –
israelische Soldaten hatten die Milizionäre in das Lager gelassen, die Ausgänge
abgeriegelt, das Geschehen von den umliegenden Hochhäusern aus überwacht, und
nachts erhellten sie den Himmel mit Leuchtraketen, um den Mördern in den
dunklen Gassen des Camps die Arbeit zu erleichtern. Während dieser Teil des
Massakers mittlerweile sehr ausführlich analysiert ist, erschien vor zwei Tagen
in der New York Times ein Artikel unter der Überschrift „Ein vermeidbaresMassaker“,
der auf der Basis von bis vor kurzem geheimen Sitzungsprotokollen zum ersten
Mal die Rolle der USA beleuchtet.
Demnach fand am 16.
September, dem Tag, als das Massaker begann, in Tel Aviv ein wichtiges Treffen
statt. Daran nahmen teil: der US-Sondergesandte für den Nahen Osten, Morris
Draper, der amerikanische Botschafter Samuel Lewis und einige israelische
Offizielle, darunter der damalige Verteidigungsminister Ariel Sharon. Sharon
vermutete, dass sich noch etwa 2000 bis 3000 palästinensische Terroristen in
den Lagern aufhielten, obwohl die PLO offiziell bereits Ende August den Libanon
komplett verlassen hatte. Draper befürchtete seinerseits, dass die Israelis die
Phalangisten nach Westbeirut lassen könnte. Selbst der israelische Stabschef
Rafael Eitan gab zu, dass in diesem Fall ein „unbarmherziges Schlachten“ zu
erwarten sei. Am selben Abend erfuhr das israelische Kabinett, dass
phalangistische Kämpfer die Camps betraten.
Tags darauf, während 250
Kilometer nördlich das erwartete Massaker in vollem Gange war, kam es zu einem
weiteren Treffen zwischen dem damaligen israelischen Außenminister Yitzhak
Shamir sowie Draper, Sharon und einigen israelischen Geheimdienstlern. Die
Israelis weigerten sich, die von ihnen kontrollierten Gebiete in Westbeirut
aufzugeben, obwohl erste Berichte über ein Massaker auch die israelische
Regierung erreicht hatten. Schließlich gaben sie nach, bestanden aber auf einer
Abzugsfrist von 48 Stunden. Im Verlauf des Treffens sagte Sharon zu Draper:
„Wenn ihr nicht wollt, dass die Libanesen die palästinensischen Terroristen
töten, töten wir sie eben.“
Draper entgegnete, dass
die PLO den Libanon verlassen habe und die Israelis niemals hätten nach
Westbeirut kommen dürfen. Daraufhin entgegnete Sharon: „Wenn es um unsere
Sicherheit geht, haben wir noch nie um Erlaubnis gefragt. Existenz und
Sicherheit liegen in unserer eigenen Verantwortung und wir werden das niemals
von jemand anderem entscheiden lassen.“ Draper gab nach, und die Teilnehmer
kamen überein, den israelischen Rückzug aus Westbeirut nach dem jüdischen
Neujahrsfest, also am 19. September, zu koordinieren.
Damit ermöglichte es
Draper den Israelis, die Phalangisten in den Lagern zu lassen, und die USA wurden
zum unfreiwilligen Komplizen des Blutvergießens, das der Diplomat eigentlich
verhindern wollte. Erst
am 18. September kamen die ersten Journalisten und
Diplomaten ins Lager und sahen das ganze Grauen. Ein Kommandeur der
Phalangisten wurde später gefragt, wie viele Menschen bei dem Massaker
gestorben waren. Seine Antwort: „Ihr werdet es herausfinden, wenn ihr anfangt,
in Beirut eine U-Bahn zu bauen.“
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