Vor 4 Wochen sind wir in unsere Drei-Raum-Wohnung im Beiruter Stadtteil Msaitbeh gezogen. Die Wohnung liegt sehr zentral, nach Hamra laeuft man eine knappe halbe Stunde, nach Downtown und in die Rue Monot etwa 20 Minuten. Unsere Strasse hat auch einen Namen, nur ist der ziemlich unwichtig, weil ihn nur die wenigsten Beiruter kennen und kaum einer ihn zur Ortsbestimmung benutzt.
An einem Ende unserer Strasse, die etwa einen halben Kilometer lang ist, steht seit Wochen ein Panzer. Die Besatzung wirkt ziemlich gelangweilt und ist weitaus mehr damit beschaeftigt den Maedchen hinterherzublicken als nach potentiellen Unruhestiftern Ausschau zu halten. Nach wenigen Metern kommt man zum ersten und einzigen Schawarma-Imbiss unserer Strasse. Von frueh bis spaet ist ein Mann in roter Uniform hier damit beaschaeftigt das Fleich auf zwei Spiessen - einer Huhn, der andere Rind - knusprig werden zu lassen. Ein grosses Shawarma kostet umgerechnet einen Euro.
Einige Schritte weiter faellt das Bild von Ali ins Auge, das zwischen den Wohnhaeusern an zwei Seilen befestigt ueber der Strasse haengt, dort wo waehrend der Fussball-WM eine grosse Deutschlandfahne gehangen haben soll. Ali, dem Foto nach zu urteilen Mitte Zwanzig, hat bis zum Juli in der Strasse gewohnt. Jetzt ist Ali tot, gefallen als "Maertyrer" auf Seiten der Hizbollah im Krieg gegen Israel. Auch viele Ladenbesitzer haben Alis Bild in ihren Schaufenstern zu haengen, versehen mit dem Zusatz: "Du wirst in unseren Herzen bleiben, Ali".
Neben Alis Konterfei sind die Portraits anderer Maertyrer ebenso allgegenwaertig wie Fotos von Nabih Berri und Hassan Nasrallah, sowie dem 1979 in Libyen verschwundenen Imam Musa as-Sadr. Aus vielen Fenstern haengt und auf zahlreichen Wandmalereien prangt zudem das gruen-weisse Logo der Amal-Bewegung die in dieser Strasse auch ihr Beiruter Parteibuero unterhaelt.
Die sechs- bis siebenstoeckigen Wohnhaeuser in unserer Strasse duerften aus den 70-er Jahren stammen, praktisch jede Hausfassade ist uebersaet mit Einschussloechern aus der Zeit des Buergerkriegs. Jede Wohnung verfuegt einen Balkon der mit gruenen oder orangenen Vorhaengen vor den Blicken Neugieriger geschuetzt wird. Den naechtlichen Hahnenschreien nach zu urteilen nutzt mancher Anwohner seinen Balkon wohl auch zur Gefluegelzucht.
Weitere Highlights in unserer Strasse sind ein erstklassiger Sandwichhaendler, der eine ganze Flotte an Motorrollerfahrern beschaeftigt um die Anwohner des Viertels zu beliefern, sowie ein kleiner Supermarkt der fast rund um die Uhr geoeffnet zu haben scheint und auch daenische Molkereiprodukte im Sortiment hat. Daneben gibt es einen etwas eigentuemlichen Bananenhaendler, der die Aura eines gescheiterten Religionsgelehrten versprueht. Wann immer er grad keine Bananen aus dem Suedlibanon zum Kilopreis von 50 Cent verkauft, also etwa 90% seiner Zeit, liest er versonnen in einer Miniaturausgabe des Koran oder laesst gedankenverloren die Perlen seiner Gebetskette durch die Finger gleiten.
Daneben warten gleich drei Herrenfriseure und ein Damencoiffeur in unserer Strasse auf Kundschaft. Vor ihren Schaufenstern haben sie Spendenbuechsen aufgestellt, in denen Geld fuer die "Befreiung Jerusalems" gesammelt wird. Ausserdem gibt es zwei Fleischereien in deren Schaufenstern halbe Hammel und Kaelber an Haken von der Decke baumeln. Abends werden die Knochenreste einfach in Tueten auf die Strasse gestellt, sehr zur Freude der zahlreichen hier umherstreunenden Katzen.
Hauptattraktion der Strasse ist aber momentan eine Art kleiner Wanderbaustelle, die sich ihren Weg vom einen Ende der Strasse zum anderen bahnt. Dem Anschein nach werden wohl Kabel oder Rohre verlegt. Gebannt schauen stets einige Maenner und Kinder den Arbeitern beim Buddeln und Schaufeln zu und verbringen damit Grossteile ihres Tages.
Am Ende der Strasse befindet sich eine Moschee, die "Masjid Selim Selam". Nach 4 Wochen gelingt es dem Muezzin, der etwa 40 Meter Luftlinie von meinem Kopfkissen seine Stimme erhebt, zumindest nicht mehr in jeder Nacht, mich um kurz nach halb 5 aus dem Schlaf zu reissen.
Samstag, 24. Februar 2007
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4 Kommentare:
SEhr schön und bildhaft geschrieben, vielen Dank, daß ich teilnehmen durfte.
Bin begeisterter Leser eures Blogs und ganz besonders der direkt am Geschehen stattfindenden Berichte aus dem Libanon. Noch interessante Tage dort, Markus
Bitte, berichtet doch ein bisschen über die Reaktionen zu Joseph Samahas Tod. Ich kann es immer noch nicht fassen und wäre sehr interessiert daran, ob was an den Menschen auf der Strasse abzulesen ist...?!?!
Da die meisten Leser Joseph Samaha nicht kennen werden, hier ein paar Hintergrundinfos:
Samaha war libanesischer Journalist, der nach Jahren bei der zweitgroessten libanesischen Zeitung as-Safir, seit August 2006 die Zeitung "al-Akhbar" herausbrachte, eine Zeitung die sich selbst als "liberal, demokratisch und gegen das US-Projekt in der arabischen Welt gerichtet" versteht. In seinen Leitartikeln hat Samaha immer wieder fuer die libanesische Opposition Partei ergriffen. Am vergangenen Wochenende ist er 58-Jaehrig waehrend eines Aufenthalts in London an einer Herzattacke verstorben.
Wir waren gestern gerade an der Journalismus-Fakultaet an der Libanesischen Universitatet in West-Beirut, als wir vom Tode Samahas erfuhren. Der Instituts-Chef war sehr betroffen, er kannte Samaha persoenlich und sprach von einem "unglaublichen Verlust fuer den Journalismus im Libanon". Die Studentenvertreter hingen Fotos von Samaha im Gebauede auf.
In allen Zeitungen nahmen Nachrufe auf Samaha breiten Platz ein. Auch im Fernsehen wurde sein Wirken gewuerdigt, besonders dass er es geschafft hat al-Akhbar innerhalb weniger Monate als libanesische Qualitatetszeitung zu etablieren.
Erwartungsgemaess nahm die Wuerdigung des Verstorbenen in opposititionsnahen Medien wie etwa al-Manar breiteren Platz ein als z.B auf Future TV. Dass der Tod Samahas Stadtgespraech in Beirut ist, kann ich jedoch nicht sagen, ebenso habe ich bisher nichts von Verschwoerungstheorien bezueglich seines Todes gehoert.
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