Am Dienstag hat Israel den Präsidenten des palästinensischen Legislativrats Abdel Aziz Dweik nach fast dreijähriger Gefangenschaft freigelassen. Er wurde im Juni 2006 zusammen mit acht Ministern und 29 Abgeordneten, die alle Mitglieder der Hamas waren, festgenommen. Mit dieser groß angelegten Operation reagierte Israel auf die Verschleppung des israelischen Soldaten Gilad Schalit und der Tötung zwei weiterer Soldaten durch die Hamas. Diese beispiellose Aktion hatte zu internationalen Protesten geführt, waren diese Leute doch demokratisch gewählte Politiker. Zudem musste die Aktion zwangsläufig einen Zusammenbruch des politischen Systems zur Folge haben. Ein Militärgericht verurteilte Dweik später wegen Mitgliedschaft in einer verbotenen Organisation (Hamas) zu drei Jahren Haft.
Mit der Freilassung Dweiks, die gegen den Willen der Staatsanwaltschaft stattfand, kommt nun wieder Bewegung in das System der palästinensischen Autonomiebehörde und könnte mittelfristig zu einem Ende der politischen und institutionellen Teilung der palästinensischen Gebiete in Westbank und Gaza führen. Es bleibt abzuwarten, ob Dweik seine Funktion als Präsident des Parlaments wieder aufnehmen wird.
Vor der Verhaftungswelle konnte die Hamas im Januar 2006 die palästinensischen Parlamentswahlen unerwartet deutlich gewinnen: sie erhielt 76 Sitze im Parlament und damit die absolute Mehrheit. Fatah dagegen gewann nur 43 Sitze. Folgerichtig wurde mit Ismael Haniya erstmals ein Hamas-Mitglied zum Ministerpräsidenten gewählt. Die Spannungen zwischen beiden Parteien nahmen in der Folgezeit aber zu, auch weil die Fatah nicht bereit war, ihren Machtverlust zu akzeptieren. Im Gazastreifen kam es dann im Juni 2007 zu bürgerkriegsähnlichen Kämpfen zwischen den rivalisierenden Gruppen, die die Hamas für sich entschied und seitdem in Gaza die alleinige Macht stellt.
Daraufhin setzte Präsident Mahmoud Abbas Haniya ab, um dann den parteilosen Salam Fayyad zum Ministerpräsidenten einer „neutralen“ Regierung zu ernennen, der weder Hamas- noch Fatah-Mitglieder angehören. Diese Regierung wurde von der Hamas nie anerkannt, schließlich wurde sie nicht vom Parlament gewählt. In Gaza agiert seitdem Haniya de facto als Ministerpräsident und führt dort eine Hamas-Regierung, der wiederum Abbas die Anerkennung verweigert.
Dweik forderte gestern die Freilassung aller politisch Gefangenen sowie die erneute Bildung einer Einheitsregierung und die Wiederbelebung des Parlaments. Und an die Palästinenser gerichtet rief er eindringlich zu Versöhnung auf. Gespräche zwischen Fatah und Hamas werden diesen Sonntag in Kairo beginnen. Erklärtes Ziel beider Seiten ist die Schaffung einer Einheitsregierung bis zum 7. Juli. Abbas setzte schon vorab ein Zeichen, als er Anfang dieser Woche anordnete, alle Hamas-Gefangenen im Westjordanland freizulassen.
Die Presse in Nahost spekuliert nun aber vor allem über einen größeren Gefangenenaustausch zwischen Israel und der Hamas. Meldungen, wonach sich Hamas, Israel und Ägypten auf einen Austausch bereits verständigt hätten und Schalit zunächst an die ägyptischen Behörden übergeben werden solle und wonach sogar eine längere Waffenruhe vereinbart wurde, dementierte Israel umgehend.
Auf beiden Seiten der Grenze zwischen Israel und dem Gazastreifen kam es gestern zu spontanen Demonstrationen. Auf israelischer Seite forderten Hunderte die Freilassung Schalits und versuchten Transporte mit Hilfsgütern aufzuhalten. Auf der anderen Seite der Grenze wurde die Freilassung aller palästinensischen Gefangenen in Israel gefordert.
Alles im Allem stehen die Zeichen auf Entspannung. Auch ein Gefangenenaustausch scheint nun tatsächlich möglich zu sein. Nachdem der Gaza-Krieg 2008/2009 nicht zur Befreiung Schalits führte, ist Ägypten bemüht zwischen Hamas und Israel auch in dieser Angelegenheit zu vermitteln. Und auch der ehemalige US-Präsident Jimmy Carter besuchte letzte Woche den Gazastreifen, wo er unter anderem Ismael Haniya traf. Carter soll auch einen Brief für Gilad Schalit von dessen Familie an die Hamas übergeben haben.
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