Von Jannis Hagmann
Wie schon in den vergangenen Jahren erhitzt die saudische TV-Soap »Tash ma Tash« auch in diesem Ramadan die Gemüter in Saudi-Arabien. Aktuelles Streitthema: eine polygame Ehe – doch ist es die Frau, die vier Ehemänner hat. Und einen fünften will…
Fünf Jahre Ehe. Er hat nur noch seine Arbeit im Kopf, kleidet sich, wie es ihm beliebt. Sie, gelangweilt, heiratet einen zweiten. Doch auch zwei Ehemänner reichen nicht aus und werden nach einer Wette mit ihren Freundinnen durch einen dritten ergänzt. Da sie aber von ihren drei, allesamt saudischen, Männern bald genug hat, lässt sie sich einen vierten Ehemann einfliegen, diesmal aus Syrien.
Die Vier teilen sich das weiträumige Haus ihrer Ehefrau, sitzen beisammen am Essenstisch, zicken sich gegenseitig an und spielen einander kindische Streiche. Schließlich teilt Nora, die Hauptfigur der Soap-Opera-Folge »Zahlreiche Ehemänner«, ihren vier Männern gebieterisch mit, dass sie, um sich wieder jung zu fühlen, einen neuen, fünften Mann brauche. Aus rechtlichen Gründen – sie darf nur mit vier Männern gleichzeitig verheiratet sein – müsse jedoch einer der Ehepartner gehen. Nachdem das Los den Unglücklichen bestimmt hat, spricht Nora die islamische Scheidungsformel. Verzweifelt, aber gehorsam akzeptiert der Auserwählte sein Los und macht Platz für Nummer fünf.
»Das ist nur ein Film, nicht die Wahrheit«
Hier endet die Geschichte von Nora und ihren zahlreichen Ehemännern, die TV-Folge jedoch noch nicht. Überraschend zeigt die Schlussszene eine Art Kinosaal, Applaus für den soeben vorgestellten Film. Die Regisseurin betritt die Bühne, um sich den Fragen des Publikums zu stellen. Zu Wort meldet sich ein bärtiger, offensichtlich streng gläubiger Mann: »Das ist gegen das göttliche Gesetz!« Die Regisseurin erklärt sich und schließt mit unverständnisvoller Miene, als sei es eine Binsenweisheit: »Das ist nur ein Film, nicht die Wahrheit.« – Standing Ovations für Film und Regisseurin; sogar der bärtige Mann ist überzeugt und klatscht. Ende der Folge.
Doch die Begeisterung für die Geschichte von Nora und ihren zahlreichen Ehemännern ist nur ein Film, nicht die Wahrheit. Zumindest nicht die ganze. Denn mit ihrer satirisch zugespitzten und selbstverständlich in den Geschlechterrollen vertauschten Kritik polygamer Ehen kitzeln die Produzenten der erfolgreichen saudischen TV-Soap »Tash ma Tash« (»Kein Ding«) wieder einmal am konservativen Nerv des saudischen Königreichs und stoßen nicht nur auf Begeisterung.
Wenige Stunden nach der Ausstrahlung der Folge am 14. August brachte der Gelehrte Saad al-Buraik auf einem religiösen TV-Sender seinen Protest zum Ausdruck. Die Soap schade der Religion und verspotte die Religionsgelehrten. Von Prostitution war die Rede; auch ein rechtliches Vorgehen gegen die Darsteller brachte al-Buraik ins Spiel.
In Internetforen, Blogs und den Kommentaren von Online-Zeitungen findet die Sendung allerdings viel Zuspruch und Unterstützung. Auch Abdallah al-Qubeia, stellvertretender Chefredakteur der Tageszeitung al-Watan, erklärte in einem Interview, dass ihm die Folge gefallen habe und die Macher ein ausgezeichnetes Gespür für den Zeitgeist der saudischen Gesellschaft hätten. Der britische Daily Telegraph berichtete sogar, dass »Tash ma Tash« die Lieblingsserie des saudischen Königs Abdallah sei.
Ehemänner nach Lust und Laune
Die Idee einer polyandrischen Ehe hatte bereits in der Vergangenheit die Gemüter gespalten. »Zahlreiche Ehemänner« basiert auf einem Zeitungsartikel, den die saudische Journalistin Nadine al-Budair im Dezember 2009 in der ägyptischen Tageszeitung al-Masry al-Yaum veröffentlicht hatte. Darin bringt sie ihr Unverständnis zum Ausdruck, dass es Männern in vielen muslimisch geprägten Staaten erlaubt ist, bis zu vier Ehefrauen zu ehelichen, während dies umgekehrt als absolutes Tabu gilt und rechtlich nicht möglich ist. Warum, so die Autorin satirisch, kann nicht auch sie sich ihre Ehemänner nach Lust und Laune, nach Größe, Ethnie oder Religionszugehörigkeit auswählen?
Vielehen sind in Saudi-Arabien nicht die Regel. Wie in fast allen arabischen Ländern – Tunesien bildet hier eine Ausnahme – ist Polygamie mit bis zu vier Ehefrauen pro Mann jedoch gesetzlich erlaubt. Der Koran, in Saudi-Arabien eine wichtige Quelle der Gesetzgebung, erlaubt dem Mann, bis zu vier Ehefrauen zu heiraten, knüpft dies gleichzeitig aber an die Bedingung, alle Ehepartner gerecht zu behandeln.
Da er an anderer Stelle allerdings erklärt, dass eine vollkommen gerechte Behandlung der Ehefrauen unmöglich ist, werten einige Muslime die koranischen Kriterien als hohe Hürde für polygyne Ehen, unter heutigen Zuständen teilweise sogar als Verbot. Wie viele Frauen und Männer in Saudi-Arabien in polygamen Ehen leben, lässt sich nicht sagen, da eine zentrale Registrierung ziviler Ehen nicht stattfindet. Maha Yamani, die 2008 eine Studie zu polygamen Ehen im Königreich veröffentlichte, vermutet, dass sich polygame Ehen im Aufwind befinden, beobachtet gleichzeitig jedoch eine mangelnde Akzeptanz der Polygamie in breiten Teilen der Gesellschaft.
Die Serie »Tash ma Tash«, die seit 1992 vom staatlichen saudischen Fernsehen und seit 2005 vom saudischen Privatsender MBC, einem der größten arabischen Satellitensender, ausgestrahlt wird, hatte bereits in der Vergangenheit für Kontroversen gesorgt. Denn alljährlich im Ramadan, wenn eine Welle neuer TV-Serien über die Wohnzimmer der arabischen Welt hereinbricht, treten die neusten Folgen von »Tash ma Tash« Diskussionen um Religion, Ehre und Meinungsfreiheit los. Sensible Themen wie Korruption, das Verhältnis von Christen und Muslimen und die Beziehungen zwischen Mann und Frau in der konservativ geprägten saudischen Gesellschaft garantieren nicht nur hohe Einschaltquoten, sondern bringen auch automatisch vehemente Proteste mit sich.
Donnerstag, 26. August 2010
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen