Donnerstag, 12. Mai 2011

Aufstand im Reich der Assads: Syrisches Roulette

Um sich und sein Regime an der Macht zu halten, nimmt Baschar al-Assad Risiken in Kauf: Konfessionelle Gewalt, Wirtschaftskrise und den Rückfall in politische Isolation. Geht die Rechnung auf? Eine Analyse von Robert Chatterjee, Christoph Dinkelaker und Christoph Sydow

Knapp zwei Monate nach Beginn der Unruhen in Syrien ist es praktisch unmöglich, sich ein klares Bild von der Lage im Land zu machen. Das Regime lässt eine freie Berichterstattung aus dem Land nicht zu, Journalisten wurden bereits vor Wochen des Landes verwiesen. Für eine Einschätzung der Lage ist man daher auf Videos und Berichte syrischer Oppositioneller im Internet, Verlautbarungen des Regimes sowie auf Mitteilungen von Kontaktleuten in Syrien angewiesen. Nimmt man diese Quellen zusammen, so gestaltet sich die Situation in dem Land äußerst widersprüchlich.

Klar ist, dass Präsident Baschar al-Assad in Teilen des Landes keinen Rückhalt mehr genießt. Die Stadt Daraa an der Grenze zu Jordanien, die Küstenstadt Baniyas im Nordwesten und der wichtige Verkehrsknotenpunkt Homs haben sich als Zentren des Protestes herauskristallisiert. In diese Orte sind Syriens Armee und die Präsidentengarde eingerückt, in Homs sollen Wohnviertel von Panzern beschossen worden sein. Nach Angaben verschiedener syrischer Menschenrechtsorganisationen sind seit Ausbruch der Unruhen im März zwischen 600 und 800 Demonstranten getötet worden. Die Staatsmedien bestreiten diese Zahlen und berichten stattdessen von mehr als 120 Sicherheitskräften, die von Terroristen getötet worden seien. Tausende Regierungsgegner wurden inzwischen festgenommen, mittlerweile soll das Regime Fußballstadien zu Internierungslagern umfunktioniert haben.

Und dennoch ist Syriens Führung noch immer weit von der ausweglosen Lage entfernt, der sich etwa Husni Mubarak kurz vor seinem erzwungenen Rücktritt gegenüber sah. Landesweit übersteigt die Zahl der Demonstranten, die besonders freitags auf die Straßen gehen, nicht mehr als 100 – 150.000. Das sind weniger als ein Prozent der Bevölkerung. Das mag daran liegen, dass nur eine Minderheit die Ziele der Opposition teilt, noch wichtiger aber dürfte sein, dass die Sicherheitskräfte mit großer Gewalt gegen die Protestierenden vorgehen. In den beiden großen Städten des Landes, Damaskus und Aleppo, hat es abgesehen von kleineren Kundgebungen bisher keine nennenswerten Proteste gegeben. Auch dies mag in erster Linie der großen Zahl von Geheimdienstlern geschuldet sein, die mittlerweile an fast jeder Straßenecke postiert sind. Anders als sein gestürzter Amtskollege Mubarak kann sich Assad zudem fest auf die Armee verlassen, die anders als in Ägypten nicht zu einem Akteur mit eigener Machtbasis aufsteigen konnte. Die hohen Ränge innerhalb des Militärs sind fest in der Hand von Assads Getreuen, fast alle von ihnen gehören wie der Präsident der religiösen Minderheit der Alawiten an.

Viele Syrer haben Angst vor einem Erstarken der Islamisten

Und dennoch ist in den vergangenen 60 Tagen deutlich geworden, dass Assad sein Image vom Staatsmann, der sein Land zwar mit harter Hand aber mit der Unterstützung des Großteils seines Volkes regiert, nicht länger aufrecht erhalten kann. Noch im Januar hatte der Präsident erklärt, Syrien sei immun gegen die Protestwelle, die zuerst Tunesien und Ägypten erfasst hatte. Nun wissen Assads Regime und die ganze Welt, dass diese Einschätzung ein Trugschluss war. Da können der syrische Präsident und seine ihm ergebenen Medien noch so oft behaupten, dass die Unruhen vom Ausland gesteuert würden. Wenn dem tatsächlich so sein sollte, wieso haben dann die Sicherheitsdienste in einem Land versagt, von dem selbst Einheimische sagen: »Zwischen zwei Syrern sitzt immer ein Geheimdienstagent«?

Die Staatsführung stellt ihre Gegner bewusst als sunnitische Extremisten dar, die das Land spalten wollten und ein großer Teil der Syrer scheint die Darstellung der Ereignisse, die das Regime liefert, zu teilen.. So berichtete etwa ein Druse aus der südsyrischen Stadt Suweida, den wir vor zwei Wochen im Libanon trafen, Syrien sei ruhig. Nur in Daraa würden radikale Islamisten Unruhe stiften, die aus Jordanien und dem Irak ins Land gekommen seien. Ein paar Tage später erzählte uns ein Christ aus Homs, dass die Demonstranten in seiner Heimatstadt islamistische Sprechchöre skandiert hätten: »Alawiten in den Sarg, Christen ab nach Beirut!«, sollen Demonstranten in Homs gerufen haben, berichteten Verwandte unseres Gesprächspartners. Jedenfalls kenne er keinen Christen, der sich den Demonstranten angeschlossen hätte.

Gehen diese Syrer dem Regime auf den Leim, das darstellt um damit konfessionelle Ressentiments und Spannungen zu schüren? Ist die Gefahr einer Machtübernahme der Islamisten nur ein Schreckgespenst, mit dem die Staatsführung die religiösen Minderheiten der Christen, Drusen und Alawiten hinter sich scharen will? Andere Leute vor Ort verneinen gar, dass es in ihrem Land überhaupt eine Krisensituation gibt. Erst vorgestern schrieb ein Syrer aus der Wüstenstadt Deir al-Zour: »Die Lage in Syrien wird mit jedem Tag besser. Aber es gibt nun einmal diese falschen Meldungen, die Syriens Ruf in den Schmutz ziehen, was mich sehr beunruhigt.«

Der Ruf des Landes dürfte jedoch Baschar al-Assads geringste Sorge sein, wenn die Proteste weiter anhalten. Mit jedem toten Demonstranten sinkt das Ansehen des Präsidenten. Bislang konzentrierte sich die Wut vieler Syrer auf das Umfeld des Präsidenten. Besonders der als korrupt und skrupellos geltende Rami Makhlouf, ein milliardenschwerer Cousin des Staatschefs, wurde zur Hassfigur. Assad scheint nicht gewillt, von diesen Günstlingen abzurücken, im Gegenteil: Rami Makhlouf durfte erst in dieser Woche in der New York Times als Sprachrohr des Regimes auftreten, obwohl er überhaupt kein offizielles Amt in Staat oder Partei innehält. Makhlouf erklärte, Syriens Führung werde bis zum Ende kämpfen und drohte zugleich, dass Instabilität in Syrien negative Folgen für Israel haben werde. Syrische Oppositionelle vergleichen ihn mittlerweile mit Gaddafis Sohn Seif al-Islam.

Assads Regime scheint nicht reformierbar

Auf absehbare Zeit wird die Lage für Assads Regime nicht einfacher, selbst wenn die Revolte in den nächsten Wochen und Monaten niedergeschlagen werden sollte. Syriens Wirtschaft, die sich in den letzten Jahren auf einem stabilen Wachstumspfad begeben hatte, deren Aufschwung jedoch in erster auf die beiden Metropolen Damaskus und Aleppo konzentriert war, leidet schon jetzt unter der instabilen Lage. Investoren werden abgeschreckt, Touristen bleiben zuhause, Wirtschaftssanktionen drohen. Hinzu kommt ein Problem, für das weder Assad noch seine Gegner verantwortlich sind – eine Dürreperiode sucht das Land seit Monaten heim. Verheerend für ein Land, in dem jeder dritte sein Geld in der Landwirtschaft verdient.

Der Reformdruck in allen Wirtschaftssektoren ist gewaltig, nicht zuletzt deshalb, weil die Erdölvorkommen, mit denen das Land derzeit noch immer 70 Prozent seiner Exporterlöse generiert, in wenigen Jahren erschöpft sein werden. Viele Syrer hofften darauf, dass Assad den Willen und die Durchsetzungskraft für die Umsetzung dringend benötigter Wirtschaftsreformen aufbringen würde. Doch bislang bleibt es bei bestenfalls halbherzigen Schritten und es gibt kaum Grund zur Annahme, dass sich daran etwas ändern wird. Der stellvertretende Ministerpräsident Abdullah Dardari, der als wichtigster Fürsprecher für eine wirtschaftliche Öffnung und Liberalisierung der syrischen Wirtschaft galt, wurde bei der nach Beginn der Proteste hastig anberaumten Regierungsumbildung geschasst und nicht wieder ins Kabinett berufen. Ein deutliches Zeichen dafür, dass Assad die Reformschritte der vergangenen Jahre für die Unruhen mitverantwortlich macht.

Die syrische Staatsführung erscheint im Frühjahr 2011 als ein Regime, das nicht reformierbar ist. Weder in Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs, noch in Zeiten politischen Drucks von der Straße ist die Regierung bereit Fehler einzugestehen, ihren Kurs zu ändern, Bürgerrechte zu gewähren. Formal wurde der seit 1963 geltende Ausnahmezustand im April aufgehoben, faktisch geändert hat sich seither jedoch nichts – im Gegenteil. Es gibt zudem keinerlei Anzeichen dafür, dass die Baath-Partei gewillt ist, ihren Führungsanspruch aufzugeben und Oppositionsparteien zuzulassen. Diese unnachgiebige Haltung bestärkt all jene Kräfte innerhalb der breitgefächerten syrischen Opposition, die allein im Sturz des Regimes eine Lösung für die Beilegung des Machtkampfes sehen. Weitere blutige Zusammenstöße sind damit vorprogrammiert.

Die Assads sind Überlebenskünstler

Das Regime scheint derweil zuversichtlich, den Aufstand schon bald niedergeschlagen zu haben. Bouthaina Shaaban, Präsidentenberaterin und so etwas wie das schönste Gesicht des Baathismus, sprach in dieser Woche nach monatelanger Sendepause wieder mit der internationalen Presse. In der New York Times äußerte sie sich überzeugt, dass wir »das Ende der Geschichte« erleben. Der gefährlichste Moment für das Regime in Damaskus sei überstanden.

Das liegt auch daran, dass derzeit niemand in Israel und dem Westen ein Interesse an Assads Sturz hat. Die Aussicht auf einen arabischen Nachbarn, in dem entweder ein Bürgerkrieg tobt oder eine islamistische Bewegung an die Macht kommt, behagt niemandem in der israelischen Regierung. Zwar befindet sich Israel formal noch immer im Kriegszustand mit Syrien, dennoch bewertet man in Jerusalem das Assad-Regime als berechenbaren Feind, der noch dazu mäßigend auf die verschiedenen palästinensischen Bewegungen, allen voran die Hamas, einwirken kann.

Inmitten dieser widersprüchlichen Gemengelage ist es schwierig, die weitere Entwicklung in Syrien vorherzusehen. Nur einen Fehler sollte man nicht begehen: den Assad-Clan frühzeitig abzuschreiben. Seitdem sich Baschars Vater Hafiz al-Assad vor 40 Jahren an die Macht putschte, wurde dem schon mehrfach das baldige Ende prophezeit – nach dem israelisch-ägyptischen Friedensschluss, während des Aufstands der Muslimbrüder zu Beginn der 1980er Jahre, nach dem Zusammenbruch der befreundeten Sowjetunion, nach dem Mord am ehemaligen libanesischen Ministerpräsidenten Rafiq al-Hariri im Februar 2005, für den fast die ganze Welt zunächst Syrien verantwortlich machte. Stets verstand es die Führung in Damaskus, diese Krisen mit Geduld, Geschick und – wo es opportun schien – mit Gewalt zu überwinden. Fraglich ist, ob sich Assad damit ein weiteres Mal wird retten können.

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