Ein Beitrag von Judith Althaus und Helene Kortländer
Die Nachrichten aus Kairo überraschten Palästinenser, Israelis und internationale Beobachter gleichermaßen: Hamas und Fatah haben am Mittwoch bekannt gegeben, dass sie sich in Geheimgesprächen in Kairo auf einen Fahrplan zur nationalen Aussöhnung geeinigt haben. In allen offenen Punkten hätten die beiden Bewegungen Kompromisse gefunden, das finale Dokument könne in der kommenden Wochen unterzeichnet werden, ließen Unterhändler Mahmoud Zahhar aus dem Hamas-Politbüro in Damaskus und Azzam Al-Ahmad von der Fatah verlautbaren.
Dabei schien in den Verhandlungen zwischen Hamas und Fatah seit Monaten kein Fortschritt erkennbar und Analysten waren sich einig, dass die Bewegungen sich ohne den verstärkten Druck der internationalen Gemeinschaft nicht aufeinander zubewegen würden. Im Oktober 2009 hatte die ägyptische Führung einen Vermittlungsvorschlag vorgestellt, der die Spaltung, die mit der Machtübernahme der Hamas im Gazastreifen im Sommer 2007 zementiert wurde, beenden sollte. Die Fatah setzte ihre Unterschrift unter das Ägyptische Papier, doch die Hamas machte Vorbehalte geltend, deren Rückweisung durch die ägyptischen Vermittler einer Unterschrift bis heute entgegen stand. Mehrfach unternahmen seitdem Führungspersönlichkeiten von Fatah und Hamas, aber auch Unabhängige wie der Millionär Munib Al-Masri, mehr oder minder halbherzige Versuche, in Vermittlungsgesprächen in Damaskus, Ramallah und Gaza die Spaltung zu überwinden.
Nun soll der ägyptische Militärrat maßgeblich zum erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen in Kairo beigetragen und sich darüberhinaus bereiterklärt haben, die Implementierung der Abkommens im Gazastreifen zu überwachen. Der Tenor unter Analysten und in der palästinensischen Presse ist überwiegend positiv. Immerhin sind Hamas und Fatah mit dem Einigungspapier an einem Punkt angelangt, an dem sie seit Jahren nicht waren. Die Bildung einer Einheitsregierung ist nur eine Sache von Tagen, maximal Wochen. Es besteht eine realistische Chance, dass sie bis September, bis zum Auslaufen des Zwei-Jahres-Plan von Salam Fayyad, durchhält. Aber für die Frage, ob es dann in einem Jahr tatsächlich zu Wahlen kommt, scheint es noch zu früh. Und so soll das Papier denn am Mittwoch nach dreitägigen Feierlichkeiten in Kairo durch Präsident Mahmoud Abbas und Hamas-Chef Khaled Meshal im Beisein aller palästinensischer politischer Gruppierungen, auch jener, die nicht in der PLO vertreten sind wie etwa der Islamische Jihad, unterzeichnet werden.
Mit dieser partizipatorischen Geste geben die Verhandlungsführer ein Stück weit preis, welche treibende Kraft hinter der überraschenden Einigung steht. Die Umstürze in der arabischen Welt stehen im Zeichen der demokratischen Mitbestimmung, des Aufstands des Volkes gegen ein Regieren von oben herab. Auch in den Palästinensischen Gebieten kam es in den vergangenen Wochen zu Großdemonstrationen und Hungerstreiks. Im März gingen im Gazastreifen 100.000 Demonstranten auf die Straße und in Ramallah harrten Jugendliche über Monate in Protestzelten am zentralen Manara-Platz aus. Der Ruf der Straße, scheint es, ist angesichts der Unruhen in den Nachbarländern Ägypten, Jordanien und Syrien in den Entscheidungsgremien der Hamas und der Fatah nicht ungehört geblieben.
In Abwesenheit von Friedensverhandlungen mit der israelischen Führung mag Abbas die Einigung auch vorangetrieben haben, um den Handlungsdruck auf die internationale Gemeinschaft zu erhöhen. Für die Hamas dürfte darüberhinaus noch der mögliche Kontroll- und Machtverlust an die Fundamentalopposition salafitischer Gruppen im Gazastreifen, die für die Ermordung des italienischen Aktivisten Vittorio Arrigoni vor zwei Wochen verantwortlich zeichneten, ausschlaggebend gewesen sein. Weiter wird spekuliert, dass sich die Hamas ihre Unterschrift mit der Öffnung des Grenzüberganges in Rafah, wie am Freitag vom ägyptischen Außenminister Nabil Al-Arabi angekündigt, von den ägyptischen Vermittlern hat vergolden lassen.
Grundlage für die Einigung ist nach wie vor das Ägyptische Papier, dessen Regelungen im Wesentlichen genau die Streitpunkte abdecken, die noch bis vor kurzem unüberwindbar schienen. Zunächst soll eine Einheitsregierung, weitestgehend bestehend aus unabhängigen Technokraten, eingesetzt werden, um den Grund für die Abhaltung von Parlaments- und Präsidentschaftswahlen binnen Jahresfrist zu bereiten. Beide Bewegungen strecken derzeit ihre Fühler nach möglichen Kandidaten für die Übergangsregierung aus, über Ministerposten wird wild spekuliert. Wer das Amt des Premierministers übernimmt, ist noch vollkommen unklar. Selbst eine weitere Amtszeit des gegenwärtigen Premiers Salam Fayyad scheint nicht ausgeschlossen, obwohl dieser noch vor kurzem selbst prophezeite, dass er den Posten des Kabinettchefs im Falle der nationalen Einigung nicht weiter ausüben dürfte. „Fatah und Hamas können sich auf nichts einigen,“ so Fayyad in einem Gespräch mit dem Vorsitzenden der Friedrich-Ebert-Stiftung, Peter Struck, Mitte März, „außer, dass sie Salam Fayyad nicht mögen.“
Weitere Bestandteile des Ägyptischen Papiers sind die Bildung eines Komitees zur Reform der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO und ihres Legislativorgans, des Palästinensischen Nationalrats PNC unter Vorsitz von Präsident Abbas. Damit kommt das Papier einer zentralen Forderung der Hamas nach, die bislang kein Mitglied der PLO und damit von der offiziellen völkerrechtlichen Vertretung der Palästinenser ausgeschlossen ist.
Besonders schwierig in die Praxis umzusetzen sein dürfte das Einigungsdokument in Bezug auf die Integration der Sicherheitskräfte. Die Sicherheitskräfte, die zu großen Teilen jeweils einer der Bewegungen ihre Loyalität schulden, sollen in einer gemeinsamen Struktur zusammengeführt werden. Überwachen soll diesen Prozess ein neu zu gründender Hoher Sicherheitsrat. Zunächst scheint sich aber abzuzeichnen, dass die Sicherheitsapparate in Gaza und der Westbank weiter getrennt voneinander operieren. Hierfür dürfte vor allem die Sicherheitkooperation mit dem israelischen Militär in der Westbank verantwortlich sein, die von der Hamas, aber auch von vielen Bewohnern des Westjordanlandes, sehr kritisch gesehen wird.
Nicht zuletzt befinden sich Hamas-Anhänger in der Westbank regelmäßig im Visier der Behörden und sehen sich Hausdurchsuchungen und Verhaftungen ausgesetzt. Musa Abu Marzouq, stellvertretender Chef des Hamas Politbüros, äußerte sich entsprechend vage in Bezug auf die Rolle der Sicherheitkooperation in der Implementierung des Kairoer Abkommens: „Das Problem ist sehr komplex. Wir leben nach wie vor unter Besatzung und es gibt viele Einschränkungen und Probleme, die wir nicht lösen können. Mit ihnen werden wir uns im Einklang mit dem Ägyptischen Papiers auseinandersetzen.“
Aber nicht nur die Sicherheitsakte gibt Anlass zu Skepsis, auch sonst steht die nationale Einigung auf wackeligem Fundament. Auf beiden Seiten gibt es widerstreitende Interessen, vor allem auf Seiten der Sicherheitskräfte, aber auch bei Parteigängern und Funktionsträgern, die Machtverlust fürchten. Zwischen den Bewegungen ist in den letzten vier Jahren viel Porzellan zerschlagen worden und das einmal verlorene Vertrauen wiederherzustellen dürfte einige Zeit in Anspruch nehmen. Zusätzlich stellen sich ganz praktische Fragen, zum Bespiel die nach den 50.000 Staatsangestellten, die seit der Machtübernahme der Hamas im Gazastreifen von der Autonomiebehörde in Ramallah dafür bezahlt werden, nicht zur Arbeit zu erscheinen und deren Stellen bereits vor Jahren durch Hamas-Loyalisten nachbesetzt wurden. Darüber hinaus gibt es genug externe Störkräfte, allen voran Israels konservative Rechte, die wenig Interesse an einer erstarkten palästinensischen Führung hat, die keine Zeit mehr darauf verschwendet, sich selbst zu zerfleischen.
Entsprechend sind die Reaktionen auf israelischer Seite skeptisch bis ablehnend. Mit der palästinensischen Versöhnung, so fürchtet Israel, ist ein wichtiges Hindernis für die Anerkennung eines palästinensischen Staates durch die UNO im September aus dem Weg geräumt – ein immer deutlicher erklärtes Ziel der palästinensischen Führung und ein Schreckensszenario für Israel.
Die Appelle Israels an die internationale Gemeinschaft zeigen die wachsende Nervosität der Regierung um Premierminister Benjamin Netanjahu. Nur wenige Stunden nachdem die Kunde der Nationalen Einigung ihn erreichte, stellte Netanjahu Präsident Abbas vor die Wahl: Frieden mit der Hamas oder Frieden mit Israel. Außenminister Liebermann forderte unmittelbare Sanktionen gegen die Autonomiebehörde, Finanzminister Yuval Steinitz kündigte an, Transferzahlungen Israels an die Autonomiebehörde in Millionenhöhe einzufrieren.
Nachdem die israelische Regierung über Jahre hinweg das Fehlen eines Verhandlungspartners, der für alle Palästinenser sprechen kann, für die Stagnation des Friedensprozesses verantwortlich gemacht hat, eröffnet ihre Positionierung gegenüber der Einheitsregierung eine regelrechte Zwickmühle: Während eine geteilte palästinensische Führung als nicht verhandlungsfähig gilt, weigert Israel sich nun, mit einer geeinten Führung zu verhandeln.
Den einzigen Ausweg aus dieser Sackgasse scheint die Forderung von Verteidigungsminister Ehud Barak zu bieten. Barak ließ verlauten, Beziehungen zur Einheitsregierung könnten aufgenommen werden, sofern die Hamas sich, wie bereits in der Vergangenheit gefordert, offiziell zu den Kriterien des Nahostquartetts bekenne: Anerkennung des Existenzrecht Israels, Gewaltverzicht und Bekenntnis zu den geschlossenen Verträgen.
Es ist unwahrscheinlich, dass die Hamas ohne konkrete Gegenleistung von israelischer Seite zu diesen Bekenntnissen bereit sein wird. Dafür sind ideologische Gründe vermutlich weniger ausschlaggebend als strategische: Breite Teile der Hamas haben Bereitschaft signalisiert, die Quartettkriterien zu akzeptieren - im Austausch für einen unabhängigen Staat Palästina. Aus Sicht der Hamas kann die Anerkennung der Kriterien nur das Ergebnis von Verhandlungen sein, nicht aber ihre Voraussetzung. Das liegt vor allem daran, dass Anerkennung Israels und Gewaltverzicht die einzige relevante Verhandlungsmasse sind, die die Hamas im Konflikt innehat. Sie wird sie nicht leichtfertig aus der Hand geben. Mahnendes Beispiel sind die diesbezüglichen Erfahrungen ihrer Kontrahentin, der Fatah. Deren Bekenntnis zu den Kriterien hat bei Israel seit dem Scheitern von Oslo kaum Entgegenkommen bewirkt, geschweige denn einen entscheidenden Durchbruch in den Verhandlungen herbeigeführt.
Zudem steht die Hamas auch innenpolitisch zunehmend unter Druck. Mit jedem Zugeständnis an Israel ohne vorzeigbare Erfolge für die palästinensische Seite verliert sie Anhänger an extremistischere Gruppen, insbesondere in Gaza, wo Bewegungen wie der Islamische Jihad und Salafisten stärkeren Zulauf verzeichnen – eine Tendenz, an der weder Israel noch die internationale Staatengemeinschaft Interesse haben können.
Noch ist unklar, welche konkreten Folgen die palästinensische Einigung haben wird. Viel hängt von der Reaktion der internationalen Gemeinschaft ab. Für die scheint die Zeit sich zurückgedreht zu haben ins Jahr 2006, als Europa und die USA nach der palästinensischen Wahl den politischen Boykott der Hamas beschlossen und damit fünf Jahre der Stagnation im Friedensprozess einläuteten. Während sich an den Ausgangsbedingungen, welche Hamas auf die internationalen Terrorlisten brachten, objektiv wenig geändert hat, ist die internationale Gemeinschaft dennoch um die Erfahrung reicher, dass der Boykott der Hamas sowohl im Hinblick auf die politische Entwicklung in den Palästinensischen Gebieten als auch für den Friedensprozess mit Israel ein Fehlschlag war.
Hiermit erklärt sich die vergleichsweise Zurückhaltung in den Äußerungen europäischer und amerikanischer Politiker. Freilich werden direkte Gespräche mit Hamas weiterhin lautstark abgelehnt. „Die Hamas ist für uns kein Gesprächspartner, weil wir nicht mit Organisationen zusammenarbeiten, die das Existenzrecht Israels mit Gewalt bekämpfen“, äußerte der deutsche Außenminister Guido Westerwelle gegenüber dem Tagesspiegel. Auch aus der Obama-Administration wird auf den terroristischen Charakter der Hamas hingewiesen. Kaum ein Wort gefallen ist jedoch zu Gesprächen mit der zu bildenden Einheitsregierung. Man weiß, dass die neue Konstellation Chancen birgt – nur scheint noch Ratlosigkeit zu herrschen, wie man sie nutzen kann.
Die Zusammenarbeit mit einer zukünftigen Einheitsregierung kann möglicherweise das Schlupfloch sein, welches es der internationalen Gemeinschaft ermöglicht, die Hamas über ihre Regierungsverantwortung indirekt in den Friedensprozess einzubinden und so auch zu ihrer politischen Mäßigung und letztendlich Gesprächsfähigkeit beizutragen. Nur auf diesem Weg kann die Regierungsbeteiligung der Hamas langfristig einen nachhaltigen Frieden mit Israel wahrscheinlicher machen. Gleichzeitig bietet sich der internationalen Gemeinschaft damit nach Jahren des Stillstands hier die Möglichkeit, dem Friedensprozess neues Leben einzuhauchen – und eine aktive Rolle in der Gestaltung politischer Machtverhältnisse einzunehmen, nachdem sie bei den Revolutionen in der arabischen Welt zumeist nur staunender Zuschauer war. Die Weltgemeinschaft muss diese Chance nur nutzen wollen. Frieden wird schließlich mit Gegnern gemacht – nicht mit Freunden.
Die Nachrichten aus Kairo überraschten Palästinenser, Israelis und internationale Beobachter gleichermaßen: Hamas und Fatah haben am Mittwoch bekannt gegeben, dass sie sich in Geheimgesprächen in Kairo auf einen Fahrplan zur nationalen Aussöhnung geeinigt haben. In allen offenen Punkten hätten die beiden Bewegungen Kompromisse gefunden, das finale Dokument könne in der kommenden Wochen unterzeichnet werden, ließen Unterhändler Mahmoud Zahhar aus dem Hamas-Politbüro in Damaskus und Azzam Al-Ahmad von der Fatah verlautbaren.
Dabei schien in den Verhandlungen zwischen Hamas und Fatah seit Monaten kein Fortschritt erkennbar und Analysten waren sich einig, dass die Bewegungen sich ohne den verstärkten Druck der internationalen Gemeinschaft nicht aufeinander zubewegen würden. Im Oktober 2009 hatte die ägyptische Führung einen Vermittlungsvorschlag vorgestellt, der die Spaltung, die mit der Machtübernahme der Hamas im Gazastreifen im Sommer 2007 zementiert wurde, beenden sollte. Die Fatah setzte ihre Unterschrift unter das Ägyptische Papier, doch die Hamas machte Vorbehalte geltend, deren Rückweisung durch die ägyptischen Vermittler einer Unterschrift bis heute entgegen stand. Mehrfach unternahmen seitdem Führungspersönlichkeiten von Fatah und Hamas, aber auch Unabhängige wie der Millionär Munib Al-Masri, mehr oder minder halbherzige Versuche, in Vermittlungsgesprächen in Damaskus, Ramallah und Gaza die Spaltung zu überwinden.
Nun soll der ägyptische Militärrat maßgeblich zum erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen in Kairo beigetragen und sich darüberhinaus bereiterklärt haben, die Implementierung der Abkommens im Gazastreifen zu überwachen. Der Tenor unter Analysten und in der palästinensischen Presse ist überwiegend positiv. Immerhin sind Hamas und Fatah mit dem Einigungspapier an einem Punkt angelangt, an dem sie seit Jahren nicht waren. Die Bildung einer Einheitsregierung ist nur eine Sache von Tagen, maximal Wochen. Es besteht eine realistische Chance, dass sie bis September, bis zum Auslaufen des Zwei-Jahres-Plan von Salam Fayyad, durchhält. Aber für die Frage, ob es dann in einem Jahr tatsächlich zu Wahlen kommt, scheint es noch zu früh. Und so soll das Papier denn am Mittwoch nach dreitägigen Feierlichkeiten in Kairo durch Präsident Mahmoud Abbas und Hamas-Chef Khaled Meshal im Beisein aller palästinensischer politischer Gruppierungen, auch jener, die nicht in der PLO vertreten sind wie etwa der Islamische Jihad, unterzeichnet werden.
Mit dieser partizipatorischen Geste geben die Verhandlungsführer ein Stück weit preis, welche treibende Kraft hinter der überraschenden Einigung steht. Die Umstürze in der arabischen Welt stehen im Zeichen der demokratischen Mitbestimmung, des Aufstands des Volkes gegen ein Regieren von oben herab. Auch in den Palästinensischen Gebieten kam es in den vergangenen Wochen zu Großdemonstrationen und Hungerstreiks. Im März gingen im Gazastreifen 100.000 Demonstranten auf die Straße und in Ramallah harrten Jugendliche über Monate in Protestzelten am zentralen Manara-Platz aus. Der Ruf der Straße, scheint es, ist angesichts der Unruhen in den Nachbarländern Ägypten, Jordanien und Syrien in den Entscheidungsgremien der Hamas und der Fatah nicht ungehört geblieben.
In Abwesenheit von Friedensverhandlungen mit der israelischen Führung mag Abbas die Einigung auch vorangetrieben haben, um den Handlungsdruck auf die internationale Gemeinschaft zu erhöhen. Für die Hamas dürfte darüberhinaus noch der mögliche Kontroll- und Machtverlust an die Fundamentalopposition salafitischer Gruppen im Gazastreifen, die für die Ermordung des italienischen Aktivisten Vittorio Arrigoni vor zwei Wochen verantwortlich zeichneten, ausschlaggebend gewesen sein. Weiter wird spekuliert, dass sich die Hamas ihre Unterschrift mit der Öffnung des Grenzüberganges in Rafah, wie am Freitag vom ägyptischen Außenminister Nabil Al-Arabi angekündigt, von den ägyptischen Vermittlern hat vergolden lassen.
Grundlage für die Einigung ist nach wie vor das Ägyptische Papier, dessen Regelungen im Wesentlichen genau die Streitpunkte abdecken, die noch bis vor kurzem unüberwindbar schienen. Zunächst soll eine Einheitsregierung, weitestgehend bestehend aus unabhängigen Technokraten, eingesetzt werden, um den Grund für die Abhaltung von Parlaments- und Präsidentschaftswahlen binnen Jahresfrist zu bereiten. Beide Bewegungen strecken derzeit ihre Fühler nach möglichen Kandidaten für die Übergangsregierung aus, über Ministerposten wird wild spekuliert. Wer das Amt des Premierministers übernimmt, ist noch vollkommen unklar. Selbst eine weitere Amtszeit des gegenwärtigen Premiers Salam Fayyad scheint nicht ausgeschlossen, obwohl dieser noch vor kurzem selbst prophezeite, dass er den Posten des Kabinettchefs im Falle der nationalen Einigung nicht weiter ausüben dürfte. „Fatah und Hamas können sich auf nichts einigen,“ so Fayyad in einem Gespräch mit dem Vorsitzenden der Friedrich-Ebert-Stiftung, Peter Struck, Mitte März, „außer, dass sie Salam Fayyad nicht mögen.“
Weitere Bestandteile des Ägyptischen Papiers sind die Bildung eines Komitees zur Reform der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO und ihres Legislativorgans, des Palästinensischen Nationalrats PNC unter Vorsitz von Präsident Abbas. Damit kommt das Papier einer zentralen Forderung der Hamas nach, die bislang kein Mitglied der PLO und damit von der offiziellen völkerrechtlichen Vertretung der Palästinenser ausgeschlossen ist.
Besonders schwierig in die Praxis umzusetzen sein dürfte das Einigungsdokument in Bezug auf die Integration der Sicherheitskräfte. Die Sicherheitskräfte, die zu großen Teilen jeweils einer der Bewegungen ihre Loyalität schulden, sollen in einer gemeinsamen Struktur zusammengeführt werden. Überwachen soll diesen Prozess ein neu zu gründender Hoher Sicherheitsrat. Zunächst scheint sich aber abzuzeichnen, dass die Sicherheitsapparate in Gaza und der Westbank weiter getrennt voneinander operieren. Hierfür dürfte vor allem die Sicherheitkooperation mit dem israelischen Militär in der Westbank verantwortlich sein, die von der Hamas, aber auch von vielen Bewohnern des Westjordanlandes, sehr kritisch gesehen wird.
Nicht zuletzt befinden sich Hamas-Anhänger in der Westbank regelmäßig im Visier der Behörden und sehen sich Hausdurchsuchungen und Verhaftungen ausgesetzt. Musa Abu Marzouq, stellvertretender Chef des Hamas Politbüros, äußerte sich entsprechend vage in Bezug auf die Rolle der Sicherheitkooperation in der Implementierung des Kairoer Abkommens: „Das Problem ist sehr komplex. Wir leben nach wie vor unter Besatzung und es gibt viele Einschränkungen und Probleme, die wir nicht lösen können. Mit ihnen werden wir uns im Einklang mit dem Ägyptischen Papiers auseinandersetzen.“
Aber nicht nur die Sicherheitsakte gibt Anlass zu Skepsis, auch sonst steht die nationale Einigung auf wackeligem Fundament. Auf beiden Seiten gibt es widerstreitende Interessen, vor allem auf Seiten der Sicherheitskräfte, aber auch bei Parteigängern und Funktionsträgern, die Machtverlust fürchten. Zwischen den Bewegungen ist in den letzten vier Jahren viel Porzellan zerschlagen worden und das einmal verlorene Vertrauen wiederherzustellen dürfte einige Zeit in Anspruch nehmen. Zusätzlich stellen sich ganz praktische Fragen, zum Bespiel die nach den 50.000 Staatsangestellten, die seit der Machtübernahme der Hamas im Gazastreifen von der Autonomiebehörde in Ramallah dafür bezahlt werden, nicht zur Arbeit zu erscheinen und deren Stellen bereits vor Jahren durch Hamas-Loyalisten nachbesetzt wurden. Darüber hinaus gibt es genug externe Störkräfte, allen voran Israels konservative Rechte, die wenig Interesse an einer erstarkten palästinensischen Führung hat, die keine Zeit mehr darauf verschwendet, sich selbst zu zerfleischen.
Entsprechend sind die Reaktionen auf israelischer Seite skeptisch bis ablehnend. Mit der palästinensischen Versöhnung, so fürchtet Israel, ist ein wichtiges Hindernis für die Anerkennung eines palästinensischen Staates durch die UNO im September aus dem Weg geräumt – ein immer deutlicher erklärtes Ziel der palästinensischen Führung und ein Schreckensszenario für Israel.
Die Appelle Israels an die internationale Gemeinschaft zeigen die wachsende Nervosität der Regierung um Premierminister Benjamin Netanjahu. Nur wenige Stunden nachdem die Kunde der Nationalen Einigung ihn erreichte, stellte Netanjahu Präsident Abbas vor die Wahl: Frieden mit der Hamas oder Frieden mit Israel. Außenminister Liebermann forderte unmittelbare Sanktionen gegen die Autonomiebehörde, Finanzminister Yuval Steinitz kündigte an, Transferzahlungen Israels an die Autonomiebehörde in Millionenhöhe einzufrieren.
Nachdem die israelische Regierung über Jahre hinweg das Fehlen eines Verhandlungspartners, der für alle Palästinenser sprechen kann, für die Stagnation des Friedensprozesses verantwortlich gemacht hat, eröffnet ihre Positionierung gegenüber der Einheitsregierung eine regelrechte Zwickmühle: Während eine geteilte palästinensische Führung als nicht verhandlungsfähig gilt, weigert Israel sich nun, mit einer geeinten Führung zu verhandeln.
Den einzigen Ausweg aus dieser Sackgasse scheint die Forderung von Verteidigungsminister Ehud Barak zu bieten. Barak ließ verlauten, Beziehungen zur Einheitsregierung könnten aufgenommen werden, sofern die Hamas sich, wie bereits in der Vergangenheit gefordert, offiziell zu den Kriterien des Nahostquartetts bekenne: Anerkennung des Existenzrecht Israels, Gewaltverzicht und Bekenntnis zu den geschlossenen Verträgen.
Es ist unwahrscheinlich, dass die Hamas ohne konkrete Gegenleistung von israelischer Seite zu diesen Bekenntnissen bereit sein wird. Dafür sind ideologische Gründe vermutlich weniger ausschlaggebend als strategische: Breite Teile der Hamas haben Bereitschaft signalisiert, die Quartettkriterien zu akzeptieren - im Austausch für einen unabhängigen Staat Palästina. Aus Sicht der Hamas kann die Anerkennung der Kriterien nur das Ergebnis von Verhandlungen sein, nicht aber ihre Voraussetzung. Das liegt vor allem daran, dass Anerkennung Israels und Gewaltverzicht die einzige relevante Verhandlungsmasse sind, die die Hamas im Konflikt innehat. Sie wird sie nicht leichtfertig aus der Hand geben. Mahnendes Beispiel sind die diesbezüglichen Erfahrungen ihrer Kontrahentin, der Fatah. Deren Bekenntnis zu den Kriterien hat bei Israel seit dem Scheitern von Oslo kaum Entgegenkommen bewirkt, geschweige denn einen entscheidenden Durchbruch in den Verhandlungen herbeigeführt.
Zudem steht die Hamas auch innenpolitisch zunehmend unter Druck. Mit jedem Zugeständnis an Israel ohne vorzeigbare Erfolge für die palästinensische Seite verliert sie Anhänger an extremistischere Gruppen, insbesondere in Gaza, wo Bewegungen wie der Islamische Jihad und Salafisten stärkeren Zulauf verzeichnen – eine Tendenz, an der weder Israel noch die internationale Staatengemeinschaft Interesse haben können.
Noch ist unklar, welche konkreten Folgen die palästinensische Einigung haben wird. Viel hängt von der Reaktion der internationalen Gemeinschaft ab. Für die scheint die Zeit sich zurückgedreht zu haben ins Jahr 2006, als Europa und die USA nach der palästinensischen Wahl den politischen Boykott der Hamas beschlossen und damit fünf Jahre der Stagnation im Friedensprozess einläuteten. Während sich an den Ausgangsbedingungen, welche Hamas auf die internationalen Terrorlisten brachten, objektiv wenig geändert hat, ist die internationale Gemeinschaft dennoch um die Erfahrung reicher, dass der Boykott der Hamas sowohl im Hinblick auf die politische Entwicklung in den Palästinensischen Gebieten als auch für den Friedensprozess mit Israel ein Fehlschlag war.
Hiermit erklärt sich die vergleichsweise Zurückhaltung in den Äußerungen europäischer und amerikanischer Politiker. Freilich werden direkte Gespräche mit Hamas weiterhin lautstark abgelehnt. „Die Hamas ist für uns kein Gesprächspartner, weil wir nicht mit Organisationen zusammenarbeiten, die das Existenzrecht Israels mit Gewalt bekämpfen“, äußerte der deutsche Außenminister Guido Westerwelle gegenüber dem Tagesspiegel. Auch aus der Obama-Administration wird auf den terroristischen Charakter der Hamas hingewiesen. Kaum ein Wort gefallen ist jedoch zu Gesprächen mit der zu bildenden Einheitsregierung. Man weiß, dass die neue Konstellation Chancen birgt – nur scheint noch Ratlosigkeit zu herrschen, wie man sie nutzen kann.
Die Zusammenarbeit mit einer zukünftigen Einheitsregierung kann möglicherweise das Schlupfloch sein, welches es der internationalen Gemeinschaft ermöglicht, die Hamas über ihre Regierungsverantwortung indirekt in den Friedensprozess einzubinden und so auch zu ihrer politischen Mäßigung und letztendlich Gesprächsfähigkeit beizutragen. Nur auf diesem Weg kann die Regierungsbeteiligung der Hamas langfristig einen nachhaltigen Frieden mit Israel wahrscheinlicher machen. Gleichzeitig bietet sich der internationalen Gemeinschaft damit nach Jahren des Stillstands hier die Möglichkeit, dem Friedensprozess neues Leben einzuhauchen – und eine aktive Rolle in der Gestaltung politischer Machtverhältnisse einzunehmen, nachdem sie bei den Revolutionen in der arabischen Welt zumeist nur staunender Zuschauer war. Die Weltgemeinschaft muss diese Chance nur nutzen wollen. Frieden wird schließlich mit Gegnern gemacht – nicht mit Freunden.
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