Dienstag, 10. Mai 2011

Israels 63. Unabhängigkeitstag: Das "Davidschild" - Vom magischen Zeichen zum Symbol Israels

Das "Davidschild" ist zum Symbol des jüdischen Volkes geworden und ziert die israelischen Flagge. Das ist alles andere als selbstverständlich. Anlässlich des 63. Unabhängigkeitstages des Staates Israel skizziert al-sharq die Geschichte dieses Klassikers der politischen Ikonographie nach.


Von Dominik Peters

Jede Nation hat seine eigenen Narrative, Gründungsmythen, die im kollektiven Gedächtnis verankert sind, und identitätsstiftende Symbole. Dass ausgerechnet das "Davidschild" heute die israelische Flagge ziert und in den vergangenen Jahrhunderten erst zum Symbol des jüdischen Volkes und dann der zionistischen Bewegung avancierte, ist jedoch alles andere als selbstverständlich. Schließlich sind weder das Pentagramm noch das Hexagramm "jüdisches Symbole". Sie lassen sich hundertfach in Kirchen und auf mittelalterlichen Siegeln, Briefen, Grabsteinen und Wegzeichen finden. 

Aber dennoch hat "das Hexagramm als magisch geladenes Zeichen auf dem Davidschild eine größere Attraktion [als alle anderen Symbole ausgeübt], bis es schließlich die Menora auf dem Schlachtfeld der modernen jüdischen Symbolik besiegte", schrieb  Gershom Scholem 1963 in seinem Aufsatz "Das Davidsschild  - Geschichte eines Symbols“. Er war es, der die bis dato veröffentlichte wissenschaftliche Literatur zum Hexagramm als "Wirrwarr von richtigen und phantastischen Behauptungen" kritisierte und durch akribische Quellenarbeit herausarbeitete, warum das Hexagramm heute die israelische Flagge ziert.


Es war Theodor Herzl, der Begründer des politischen Zionismus, der in seinem 1896 erschienen Buch „Der Judenstaat“ ein Kapitel der Frage nach der richtigen Fahne für die Zionistische Organisation gewidmet hatte. Er schrieb: „Wir haben keine Fahne. Wir brauchen eine. Wenn man viele Menschen führen will, muss man ein Symbol über ihre Häupter erheben. Ich denke mir eine weiße Fahne mit sieben großen Sternen. Das weiße Feld bedeutet das neue, reine Leben; die Sterne sind die sieben goldenen Stunden unseres Arbeitstages.“  

Der Entwurf fand jedoch zunächst keinen Zuspruch unter seinen Anhängern. Das „Davidsschild“, davon war Herzl dennoch überzeugt, sollte das Zeichen seiner Wahl werden. Die erste Ausgabe der Zeitung „Welt“, die er im Mai 1897 gegründet hatte, hatte deshalb das „Davidschild“ als Emblem  und der Umschlag war demonstrativ leuchtend gelb in der Farbe des mittelalterlichen Judenschandflecks.

Israelische Flagge auf dem Bergmassiv Massada

Mehr Erfolg bei der Propagierung des „Davidschilds“ hatte indes Herzls Weggefährte David Wolffsohn, der später zu seinem Nachfolger als Präsident des Zionistischen Weltkongresses wurde.  Er gilt heute als Begründer des "Davidschilds" im zionistischen Kontext. Ein Jahr nach dem herzlschen Vorschlag, 1897, erklärte er: „Auf Geheiß unsres Anführers Herzl kam ich nach Basel, um Vorbereitungen für den Zionistischen Kongress zu treffen. Unter den vielen Problemen, die mich damals beschäftigten, war eines, das in gewisser Weise das Wesen des jüdischen Problems in sich barg: Welche Flagge würde in der Kongresshalle hängen? Da durchfuhr mich eine Idee: Wir haben eine Flagge – und die ist blau und weiß. Der Tallit, den wir um uns wickeln, wenn wir beten: das ist unser Symbol. Lass uns diesen Tallit hervornehmen und vor den Augen Israels und aller Völker entrollen! Also bestellte ich eine blauweiße Flagge, auf die der Davidstern gezeichnet wäre. Und so entstand die Nationalflagge, die über der Kongresshalle wehte.“

David Wolffsohn war indes nicht der erste Jude, der sich öffentlich für weiß und blau als Farben des jüdischen Volkes aussprach. Es war der Dichter Ludwig August Frankl  – in Form eines Gedichtes mit dem Titel „Die Farben Judas“.

When sublime feelings his heart fill,
He is mantled in the colors of his country
He stands in prayer, wrapped
In a sparkling robe of white.
The hems of the white robe

Are crowned with broad stripes of blue;
Like the robe of the High Priest,
Adorned with bands of blue threads.
These are the colors of the beloved country,

Blue and white are the borders of Judah;
White is the radiance of the priesthood,
And blue, the splendors of the firmament.

[Frankl, Ludwig August: "Juda's Farben," in: Ahnenbilder (Leipzig, 1864), S. 127]



Es ist nicht überliefert, ob die zionistischen Gründerväter dieses 1878 in Hebräische übersetzte Gedicht kannten. Bekannt ist jedoch, dass viele zionistischen Organisationen und Einrichtungen ihre Flaggen in diesen Farben wählten. Eine weiß-blaue Flagge wurde 1885 über einer der ersten jüdischen Ortschaften in Osmanisch-Palästina, Rischon le Zion,  anlässlich des dreijährigen Bestehens gehisst und unabhängig davon sechs Jahre später, 1891, in Boston von der Bnai Zion Educational Society. Die Flagge zierten blaue Streifen und darunter war das „Davidsschild“ eingezeichnet.

Die von Wolffsohn proklamierte Idee fand demnach Anklang und das nicht nur bei der gesamtzionistischen Organisation. Auch die Jüdische Brigade verwendete sie auf ihrer Standarte. Unter dem Kommando des Kanadiers Ernest F. Benjamin,  kämpfte die Brigade im Zweiten Weltkrieg in Italien gegen die Achsenmächte.

Mit der Staatsgründung  kam es indes zu einer langen Diskussion, welches Motiv die Flagge zieren sollte. Der damalige Außenminister Moshe Scharett berief eine Kommission ein, die klären sollte, ob Juden in der Diapsora eventuell in Loyalitätskonflikte kommen könnten, wenn sie die bis dato internationale Flagge, die nun eine nationale werden sollte, in ihrem Heimatland hissen würden. Deshalb wurde ein ein Design-Wettbewerb ausgerufen. Die Resonanz war gewaltig.

Privatpersonen schickten hunderte Skizzen. In die engere Auswahl schafften es Entwürfe von Nissam Sabbah 
und Mordechai Nimtza-Bi  sowie  des Graphikers Oteh Walisch. Während die Entwürfe diskutiert wurden, schrieb Scharett zudem hochrangige jüdische Persönlichkeiten im Ausland an. Er sandte Israels erstem Präsidenten Chaim Weizmann einen Brief, ebenso an Rav Abba Hillel Silver in den USA, der von dort  die israelische Unabhängigkeitsbestrebungen unterstützt hatte und an Zelig Brodetsky, der später Präsident der Hebräischen Universität wurde und ebenfalls ein führender Zionist im Londoner Exil gewesen war. Sie alle teilten die Befürchtung Scharetts nicht. Infolgedessen wurde von der provisorischen Regierung eine Erklärung veröffentlicht, die die Gestaltung Fahne detailliert beschrieb:

"Die Provisorische Regierung gibt hiermit bekannt, dass die Fahne des Staates Israel folgendermaßen gestaltet ist: Länge der Fahne 220 cm, Breite: 160cm. Der Hintergrund - weiß, mit zwei blauen Streifen. Jeder Streifen ist 25 cm breit und geht über die ganze Breite der Fahne. Der obere Streifen ist 15 cm vom Rand entfernt, der untere Streifen ist ebenfalls 15cm vom Rand entfernt. In der Mitte des weißen Hintergrunds, zwischen den beiden blauen Streifen, in gleicher Entfernung von ihnen - ein Davidsstern, aus 6 blauen Streifen, jeder 5.5 cm breit, die sich zu zwei gleichschenkeligen Dreiecken zusammenfügen, deren Basis parallel zu den Streifen der Fahne verläuft.“

Heute, an Israels 63. Unabhängigkeitstag, weht genau diese Flagge vielerorts im jüdischen Staat. Die Flagge mit dem "Davidschild", jenem "Zeichen, unter dem der Weg der Vernichtung und zu den Gaskammern stand",  wie Gershom Scholem schrieb, und ab 1948 "durch ein Zeichen des Lebens ersetzt werden sollte."

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