Dienstag, 9. August 2011

Ägyptens Justiz 6 Monate nach Mubaraks Sturz - Interview mit einer Anwältin

Rawda Ahmad ist Menschenrechtsanwältin in Kairo. Gemeinsam mit fünf Kollegen vom Arabic Network for Human Rights Information (ANHRI) vertritt die 32-Jährige als Anwältin der Nebenklage 16 Familien beim Prozess gegen den gestürzten ägyptischen Präsidenten Husni Mubarak und seine beiden Söhne Gamal und Alaa. Die Familien haben bei dem Aufstand gegen das Mubarak-Regime im Januar und Februar Angehörige verloren. Der damalige Präsident soll den Schießbefehl erteilt haben. Nach dem ersten Verhandlungstag habe ich in Kairo mit Rawda Ahmad gesprochen.

Frau Ahmad, Sie waren im Gerichtssaal, als Husni Mubarak auf einem Krankenbett in den Käfig der Angeklagten geschoben wurde. Wie haben Sie diesen Moment erlebt?

Das war ein historischer Moment. Bis zum letzten Augenblick hat niemand wirklich daran geglaubt, dass er vor Gericht erscheinen würde. Und für sein Alter wirkte Mubarak noch sehr rüstig. Er konnte dem Verfahren folgen und hat die Fragen mit fester Stimme beantwortet.


Welche Rolle spielt der herrschende Oberste Militärrat bei dem Prozess?

Gar keine, hoffe ich. Sie sollen das Gericht schützen, sich ansonsten aus dem Verfahren heraushalten. Man darf aber nicht vergessen, dass das Verfahren überhaupt nur zu Stande kam, weil sich die Armee dem Druck des Volkes beugen musste. Der Prozess soll den Druck auf den Militärrat mildern. Der erste Prozesstag stimmt mich aber positiv, dass das Verfahren fair ablaufen wird, auch wenn niemand vorhersehen kann, was die nächsten Monate bringen werden.

Wagen Sie eine Prognose darüber, zu welchem Urteil das Gericht am Ende kommen wird?

Mir scheinen alle Anklagepunkte schlüssig und belegt. Wenn das Gericht das genauso sieht, droht den Angeklagten die Todesstrafe. Ich halte es jedoch für unwahrscheinlich, dass Husni Mubarak tatsächlich hingerichtet wird. Die ägyptischen Gesetze sehen vor, dass die Todesstrafe gegen einen todkranken Menschen in eine lebenslange Freiheitsstrafe umgewandelt wird. Kaum jemand zweifelt daran, dass Mubarak schwer krebskrank ist und diese Regelung in seinem Fall wohl zur Anwendung kommt.

Jenseits des Mubarak-Prozesses - was hat sich bei Polizei und Justiz in den letzten Monaten verändert?

Es hat einen Wandel zum Besseren gegeben. Es wird nicht mehr systematisch gefoltert. Das kann man als Fortschritt werten. Das Innenministerium steht in Kontakt mit Nichtregierungsorganisationen und ist um eine Verbesserung der Situation bemüht. Das Problem ist, dass das Innenministerium und die ihm unterstellten Sicherheitskräfte überhaupt keine Erfahrung darin haben, mit friedlichen Protesten umzugehen und diese gegebenenfalls aufzulösen. Wenn sie nicht mehr weiter wissen, rufen sie irgendwann einfach die Armee.

Wie hilft ANHRI in dieser Situation?

Unsere wichtigste Aufgabe ist es, den Leuten zu helfen, die inhaftiert werden. Außerdem wollen wir beim Auf- und Umbau der Polizei helfen. Als Anwältin gehe ich erst einmal von guten Vorsätzen auf Seiten der staatlichen Institutionen aus - jedenfalls so lange, bis das Gegenteil bewiesen ist.

Große Wut gibt es bei der Opposition darüber, dass viele Zivilisten, die bei den Protesten festgenommen werden, vor Militärtribunale gestellt werden. Um wieviele Fälle handelt es sich dabei und wie unterscheidet sich ein solches Militärgericht von einem zivilen Gerichtsverfahren?

Genaue Zahlen haben wir nicht. Aber allein bis April gab es etwa 5000 Fälle vor Militärgerichten. Das ist absolut verfassungswidrig. Dort herrschen Sonderbedingungen. Als Anwalt kann man seine Mandanten nicht vernünftig verteidigen, weil einem viele Dokumente vorenthalten werden. Das sind Schnellverfahren, man hat überhaupt keine Zeit für eine angemessene Vorbereitung. Außerdem gibt es keine Möglichkeit Revision oder Berufung gegen die Urteile einzulegen. Und natürlich werden die meisten Angeklagten auch verurteilt.

Wenden wir den Blick weg von Polizei und Justiz hin zur politischen Lage in Ägypten. Am 29. Juli demonstrierten zehntausende Islamisten auf dem Tahrir-Platz. Seither wachsen im In- und Ausland die Sorgen davor, dass Extremisten zukünftig in Ägypten eine maßgebliche Rolle spielen werden.

Die Gefahr, die von den Islamisten ausgeht, wird übertrieben. Sie haben weder ein Programm, noch eine Lösung für die Probleme unseres Landes. Die Demonstration auf dem Tahrir-Platz konnte überhaupt nur so groß werden, weil es der Militärrat so wollte. Die Islamisten betonen immer wieder, dass die dem Armeerat vertrauen. Und der Armee nutzen diese Aufmärsche, weil sie sich so als stabilisierende Macht und Bollwerk gegen den Islamismus präsentieren kann.

Der Oberste Militärrat und viele Medien fordern auch ein Ende der Proteste, da sie die ägyptische Wirtschaft schwächten.

Die Konterrevolution macht seit Monaten Propaganda von einem Wirtschaftskollaps und Finanzzusammenbruch, die angeblich unmittelbar bevorstünden. Wenn diese Angstmache Erfolg hat, wäre das ein großer Rückschlag für die Revolution. Natürlich gibt es große Wirtschaftsprobleme aber die sind nicht das Ergebnis der Revolution sondern von 30 Jahren Korruption und staatlichem Diebstahl.

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