Der Prozess gegen Ex-Präsident Mubarak ist auch eine Bewährungsprobe für das ägyptische Rechtssystem. Welches Signal wird das Gericht senden? Aus Kairo berichtet Johannes Gunesch.
Als Hosni Mubarak am Mittwoch, dem 3. August 2011, um 10.00 Uhr Ortszeit in Kairo vor Gericht erscheint, stockt vielen der Atem. Er ist es wirklich. Ungläubig und gebannt verfolgen Menschen überall den Prozessauftakt im Fernsehen. Auf einer Krankenliege aufgebahrt, wird er in den Metallkäfig geschoben, in dem sich Angeklagte in Ägypten während der Verhandlungen befinden. Er trägt eine weiße Häftlingsuniform. Neben ihm sind seine Söhne Alaa und Gamal, auch sie sind angeklagt, sowie der ehemalige Innenminister Habib el-Adly, sechs seiner Ex-Offiziere sowie in Abwesenheit Wirtschaftstycoon Hussein Salem.
Doch alle Augen sind auf Mubarak gerichtet. Was für eine Symbolik: »Der Pharao im Käfig der Angeklagten«, wie Zeitungen schreiben. Der Prozess findet in der Polizeiakademie statt, die wie so viele andere Einrichtungen und Plätze im ganzen Land noch bis vor kurzem Mubaraks Namen trug. Auch hielt Mubarak Anfang Februar hier noch eine Rede, in der er den protestierenden Massen auf den Straßen Ägyptens entgegen hielt, nicht zurücktreten zu werden.
Erst mit dem Erscheinen des Ex-Präsidenten klärt sich damit die Ungewissheit, ob der Prozess stattfindet. Die drei Anklagepunkte beziehen sich auf Befehle, die zum Tode von Demonstranten geführt haben, sowie Vorwürfe des Amtsmissbrauchs und der Korruption. Zu allen Punkten erklärt sich Mubarak »kategorisch unschuldig«, ein Bekenntnis, das das autoritäre Verständnis zum Ausdruck bringt, über jenem Recht zu stehen, dem er jetzt unterworfen werden soll.
Ein Prozess mit zu hohen Erwartungen
Dass es dazu kommt – vor einem ägyptischem Gericht, angeklagt von einem ägyptischen Richter und wie von den ägyptischen Menschen gefordert, die hart und unter Einsatz ihres Lebens für ihr Recht gekämpft haben –, ist ein Ereignis mit besonderer Tragweite. Ein Exempel wird statuiert, in Ägypten, für Ägypten. Aber vor den Augen der arabischen Welt, die auf Ägypten gerichtet sind, wird auch eine Nachricht nach außen getragen: despotische Macht ist endlich, es gibt Grenzen, die ihr auferlegt werden können.
Doch in der Tragweite des Verfahrens ist auch dessen sehr spezielle Problematik inbegriffen. Dies betrifft die heikle Frage, ob der Prozess einzig ein für das Volk inszeniertes Spektakel mit symbolischer Funktion ist oder stattdessen dazu beitragen kann, Recht zur Geltung zu verhelfen, das nicht Rachsucht, Effekthascherei oder Tirade impliziert. Rechtsprechung ist damit ein zentraler Aspekt gerade in der hitzigen Auseinandersetzung um den Kurs des Auf- und Umbruchs in Ägypten. Dieser Umbruch wurde im Januar und Februar kräftig angestoßen, bekommt aber durch das Fortbestehen weiter Teile der alten Ordnung seine Grenzen auferlegt.
Für den Prozess birgt dieser Umstand ein doppeltes Konfliktpotential. Dieses Potential ergibt sich zum einen daraus, dass der Prozess nicht leisten kann, was gefordert wird, nämlich dass Mubarak für ein ganzes System des Unrechts stellvertretend zur Rechenschaft gezogen wird. Und zum anderen besteht die Gefahr, dass der Prozess nicht das leistet, was erwartet werden kann, nämlich eine Zäsur zu den inszenierten Showveranstaltungen darzustellen, die es tausendfach unter Mubarak gab. Dies ist nur dann möglich, wenn die Verhandlung transparent, fair und unabhängig verläuft. In der Aushandlung zwischen diesen beiden Möglichkeiten wird sich die Bedeutung des Prozesses zwischen Vergeltung und Gerechtigkeit ergeben.
Das Militär bestimmt den Rahmen
Indem in Mubarak und den anderen Angeklagten die mutmaßlichen Schuldigen für all die Erniedrigungen eines Regimes verkörpert sind, einem Regime, das den Betrug und Missstand seiner Bürger institutionalisierte, ist die Genugtuung nachvollziehbar, endlich wichtige Köpfe zur Rechenschaft zu ziehen. Für den anvisierten Bruch mit der Vergangenheit aber ist dies – wenngleich wichtig – wohl unzureichend. Zu weit verzweigt sind die Verbindungen des »Systems Mubarak«, das da in Person von zehn Angeklagten am Pranger steht. Und zu groß sind die Erwartungen an den Prozess. Sinnbildlich dafür äußerte ein Anwalt, der Familien der Opfer der Revolution vertritt, in der gestrigen Verhandlung die Hoffnung, dass es in dem Prozess um etwas Grundsätzlicheres gehe: »Es ist ein Prozess für die Freiheit!«, rief er.
Der Rahmen allerdings, in dem diese Hoffnung erfüllt werden können, wird zu großen Teilen vom Militär bestimmt. Und von diesem Rahmen wird auch abhängen, was der Prozess zu leisten im Stande ist. Gelingt es der Anklage, sich davon zu distanzieren, kann die Unabhängigkeit der Justiz gestärkt und Recht gesprochen werden. Wenn allerdings der Prozess nach den Vorgaben der Militärs abläuft, wird die Justiz von Partikularinteressen untergraben und Recht dann zu einem Surrogat.
Mit der Einberufung des Prozesses und der Auslieferung Mubaraks, der als Luftwaffengeneral immerhin selbst ehemaliger Militär ist, hat die Armeeführung einer zentralen Forderung der Proteste Folge geleistet. Dies ist sicherlich bemerkenswert. Allerdings wird vielerorts die Sorge geäußert, dass der Supreme Council of the Armed Forces (SCAF), der nach Mubaraks Abtritt die Geschicke des Landes führt, durch die Auslieferung des Ex-Präsidenten von Vorwürfen ablenken möchte, die zunehmend gegen ihren opaken und strikten Führungsstil laut werden – so zuletzt als der Tahrir-Platz geräumt und mehr als 100 Menschen verhaftet wurden.
Mit dem Ende des ersten Verhandlungstages hängt die Möglichkeit, Recht auszuhandeln, das unabhängig und fair ist, vor diesem Hintergrund im Besonderen von zwei Aspekten ab. Beide erscheinen aufgrund der Geltung relevant, die ihnen als entscheidendes Regulativ auf den weiteren Prozessverlauf jeweils zukommt.
Der erste Punkt ist die Zugänglichkeit von Beweismaterial. Es reicht nicht, dass der Prozess öffentlich geführt und live übertragen wird. Wenn das Verfahren nachvollziehbar sein und ermöglichen soll, dass das Unrecht aufgearbeitet wird, das vielen Ägyptern angetan wurde, dann müssen die Details der Fälle öffentlich zugänglich sein. So wird das Verfahren zwar verlangsamt, insgesamt aber transparenter. Und so kann Recht da gesprochen werden, wo Schuld beweisbar ist.
Das Problem hierbei ist, dass natürlich auch die Verteidiger der Angeklagten auf diese Strategie setzen. Diese versprechen sich von aufgeblähtem Beweismaterial wohl die Möglichkeit, die originäre Verantwortlichkeiten von Mubarak und Co. topologisch zu verwischen. Dies könnte bedeuten, dass Mubarak nicht eindeutig nachgewiesen werden kann, Befehle gegeben zu haben, die zum Tode von Demonstranten geführt haben, weil die Befehlskette zu undurchsichtig ist.
Dem allerdings steht die doppelte Wirkung gegenüber, die es haben kann, Mubarak für Amtsmissbrauch und Korruption dingfest zu machen. So wäre seine unrechtmäßige Machenschaft zumindest in Teilen nachgewiesen und zum anderen aufgezeigt, dass die Aufarbeitung und Verbesserung des Unrechtssystems nicht allein von einzelnen Personen abhängt. Dies wäre sicherlich schwer als Ausgleich für das Leid zu akzeptieren, das vielen Ägyptern im System Mubarak angetan wurde. Aber ein Rechtssystem wird mit Vergeltung, die auf unklaren Beweisen beruht, nicht entstehen können. Mit klaren Beweisen dagegen könnte auch populistische Agitation von Mubarak-Unterstützern entgegen gewirkt werden.
Die Zwickmühle der Generäle
Der zweite Punkt betrifft das Erscheinen von Generalfeldmarschall Muhammad Tantawi vor Gericht. Tantawi war Mubaraks Verteidigungsminister und ist jetzt Chef des SCAF. Sowohl die Verteidiger als auch die Anwälte der Opfer haben gefordert, Tantawi, ebenso wie Omar Suleiman, langjähriger Sicherheitschef und kurzzeitiger Vize-Präsident unter Mubarak, in den Zeugenstand zu rufen.
Diese Forderung bringt Tantawi und die Armeeführung in eine Zwickmühle. Zwar hat sich die Arme bei den Demonstrationen im Januar und Februar nicht gegen die Bevölkerung gewandt, aber ihre Rolle hinter dem Sturz von Mubarak bleibt weiter unklar. Hat sich die Armee am Ende gegen den Präsidenten gestellt, um nicht selbst mit ihm unterzugehen, so eng wie das Militär mit Mubarak verbunden war? Wenn Tantawi der Forderung nun nachkommen sollte, würde das für ihn bedeuten, über Fragen nach der Rolle des Militärs Auskunft zu geben. Er würde sich als Militär einem Zivilgericht unterstellen und dessen Hoheit anerkennen müssen.
Das wäre ein Novum für Ägypten, in dem das Militär eine Sonderrolle spielt, die oft außerhalb ziviler Gerichtsbarkeit liegt. Sollte Tantawi dagegen entscheiden, nicht vor Gericht zu erscheinen, würde sich die Armeeführung damit verdächtigt machen. Ist Mubarak am Ende der Sündenbock der Armee?
Die Aufmerksamkeit, die dem Mubarak-Prozess zukommt, sollte daher nicht allein Mubarak, sondern auch dem Prozess gelten, durch den Recht gesprochen werden soll.
Freitag, 5. August 2011
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