Vor sieben Wochen kannte sie noch niemand. Nun ist die 25-jährige Daphni Leef das Gesicht der Sozialproteste in Israel. Dabei ist sie zugleich revolutionär und unpolitisch – genau das lieben die Israelis an der Frau mit dem Cowboyhut. Aus Tel Aviv berichtet Bodo Straub
Manchmal, da ist es wirklich kaum zu verstehen, wie ausgerechnet diese Frau eigentlich 300.000 Menschen auf die Straße brachte. Jetzt ist zum Beispiel so ein Moment: Ohne ein Wort zu sagen, marschiert sie los, biegt um die Straßenecke und ist verschwunden. »Ja, aber... Wo will sie denn hin? Die kommt doch wieder, oder? Wir waren doch zum Interview verabredet«, sagt mein Kollege. Ich sprinte los, so schnell man in Tel Avivs Mittagshitze eben mit Flip-Flops sprinten kann. Sie dreht sich nicht nach mir um, als ich angekeucht komme, nein, sie telefoniert, überquert die Straße, geht weiter, isst eine Falafel, trifft Freunde – ich komme mir doof vor. Da renne ich für einen Interviewtermin einer Frau hinterher, die so alt ist wie ich, einer Filmemacherin, deren Filme keiner kennt – aber die nunmal den größten Sozialprotest in Israels Geschichte gestartet hat.
Sieben Wochen ist es schon her, da hat Daphni Leef (25) ein Zelt auf dem Rothschild-Boulevard in Tel Aviv aufgestellt und einen Facebook-Event erstellt, zu dem sich rund 3000 Leute angemeldet hatten. Am ersten Abend standen zwanzig Zelte auf dem Boulevard und etwa hundert Menschen außen herum. »Das wird nie was«, meinte ein Passant, »das sind viel zu Wenige«. Am nächsten Tag waren es 50 Zelte, beim Protestmarsch zehn Tage später kamen 30.000 Menschen, zwei Wochen danach 300.000. Für diesen Samstag ist eine Demo geplant, zu der die Organisatoren eine Million Menschen erwarten. Und ganz egal, ob es tatsächlich eine Million werden oder nicht – Daphni Leef hat jetzt schon Geschichte geschrieben.
Daphni Leef hat den Nerv der Zeit getroffen
»Ich war wirklich angepisst, ganz einfach«, sagt sie mit ihrer heiseren Stimme und lacht. »Ich habe acht Tage die Woche gearbeitet, mit Überstunden, und es hat nicht gereicht.« Das ist das Los vieler Menschen in Tel Aviv, aber Daphni Leef war die Erste, die ihr Schicksal in die Hand genommen hat. Sie hat damit den Nerv der Zeit getroffen. Anders ist es nicht zu erklären, dass sie, die vor sieben Wochen noch keiner kannte, mittlerweile trotz Terroranschlägen in Südisrael immer noch in den Schlagzeilen ist, dass sie mittlerweile knapp 5000 Facebook-Freunde hat, dass jeder in Israel die Frau mit dem Cowboyhut kennt.
An ihrem Charisma kann es nicht liegen, und an ihrer Rhetorik auch nicht. »Die labert«, stöhnen Journalisten. Sie sagt von sich selbst: »In den meisten Fällen habe ich selbst keine Ahnung, was ich eigentlich sage.« In solchen Momenten streicht sie sich verlegen durch die Haare und schlägt die Augen nieder. Kurze Pause, dann fängt sie von vorne an. Trotzdem waren 30.000 Menschen bei der ersten großen Demonstration vor einem Monat mucksmäuschenstill, als Daphni Leef ans Mikrofon trat, und bejubelten frenetisch jeden ihrer Sätze – und sie trat allein bei dieser einen Demo drei mal ans Mikrofon.
Sie ist das Gesicht einer Bewegung, die Israel von Grund auf verändern will, die soziale Gerechtigkeit fordert – und die sogar gute Chancen hat, zumindest einen gewissen Wandel zu erreichen. Dabei wird sie von allen Seiten angegriffen – von den Rechten, weil sie angeblich linksradikal sein soll, von der Bewegung selbst, weil sie aus einer zu bürgerlichen Familie kommt, von anderen, weil sie nicht beim Militär war. In der hebräischen Wikipedia wurde eine Zeit lang diskutiert, ob man nicht ihren Eintrag löschen sollte, weil sie ja überhaupt nichts Bedeutendes geleistet habe – außer eben ein Zelt aufgestellt. Manche Israelis sagen schon: »Was sie gemacht hat, war super, aber hätte es nicht eine andere sein können?«
So weit vom einem Politiker entfernt, wie es nur geht
Genau das ist es wohl, was sie so glaubhaft macht. In einem Land, in dem die Öffentlichkeit kaum noch den politischen Führern vertraut, gewinnt eine Frau wie Daphni Leef ungeheuer an Glaubwürdigkeit. Eine Frau, die darauf besteht, dass der Protest sich keiner politischen Partei unterordnet, dass er nach wie vor für alle zugänglich ist. Eine Frau ohne Sekretärin und Mitarbeiterstab, nur einer großen braunen Tasche, in die sie wahllos Zettel hineinstopft; eine Frau, die an der Spitze einer riesigen Bewegung steht, aber mittags um eins noch nicht weiß, was sie am Rest des Tages vorhat, und eine Frau, die sich ganz offensichtlich einen Dreck um Journalisten und ihr Bild in der Öffentlichkeit schert – kurz: eine Frau, die so weit von einem Politiker entfernt ist wie nur möglich.
Am Ende des Interviews sagt sie: »Wissen Sie, normalerweise ist mein Englisch sehr viel besser. Nur wenn ich mit Deutschen rede, dann nehme ich diesen schrecklichen Akzent an. Ich bin wie ein Chamäleon.« Hoffentlich gilt das nicht auch, wenn sie bald noch mehr Umgang mit Politikern hat.
Dienstag, 30. August 2011
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