Sonntag, 21. August 2011

Proteste vor der israelischen Botschaft in Kairo: Die Wut der Vielen

Der Tod mehrerer ägyptischer Soldaten nahe der israelischen Grenze macht abermals bewusst, dass eine pragmatische Politik gegenüber Jerusalem von weiten Teilen der Bevölkerung nicht getragen wird. Nils Metzger berichtet aus Kairo.


Keine Organisation und keine Partei sind nötig, um die Aktivisten auf die Straße zu treiben. Man wolle das zu Ende bringen, was man vor Wochen begonnen habe, zitieren manche einen Twitter-Aufruf. Für die meisten ist es jedoch klar, wo und wann man sich zu treffen hatte, nachdem diesen Donnerstag fünf ägyptische Grenzsoldaten bei einem Feuergefecht zwischen Angehörigen der israelischen Streitkräfte (IDF) und einer palästinensischen Miliz erschossen wurden. Die IDF hatte die Flüchtenden bis auf ägyptisches Territorium verfolgt und die Offiziere versehentlich erschossen, als diese zwischen die Fronten gerieten.

Zunächst sind es 300, die der prallen Nachmittagssonne trotzten und sich vor dem unscheinbaren Wohnblock nahe der Cairo University versammeln, auf dessen 20. Etage sich die israelische Botschaft befindet. Einzig die in unerreichbarer Höhe wehende blau-weiße Fahne zeigt offen, dass sich hier eine Auslandsvertretung befindet. Noch vor wenigen Jahren lag die Botschaft im Kairoer Stadtteil Maadi, auf der anderen Seite des Nils. An diesem Nachmittag gereicht schon dieser Umstand, die Verschwörungstheorien sprießen zu lassen: »Das ist der erste westliche Außenposten. Von hier aus wollen die Juden ihren Einfluss noch weiter ausdehnen«, erklärt eine Aktivistin mit Palästinaflagge in den Händen.

In den vergangenen Monaten, insbesondere während der Revolution, war das Gebäude mehrfach Ziel von Demonstranten geworden. Nachdem im März zwei Aktivisten beim Versuch in die Räumlichkeiten zu gelangen, von Polizisten erschossen wurden, errichtete das Militär einen rund zwei Meter hohen blauen Bauzaun um das Gebäude, hinter dem nun dauerhaft Soldaten stationiert sind. Zu diesem Zeitpunkt wissen die Aktivisten nicht, wie das Militär reagieren wird, in welcher Form der Oberste Militärrat Kritik am israelischen Vorgehen dulden oder unterstützen wird. Schon jetzt macht das Gerücht die Runde, man habe den ägyptischen Botschafter in Israel abberufen, bis eine formelle Entschuldigung aus Jerusalem eingetroffen sei – was Medienberichte später bestätigen sollten.

Hass auf Israel ist ebenso präsent wie Wut auf den Militärrat

Und doch erinnert dieser Nachmittag eher an eine Pflichtveranstaltung, als an das Wüten eines nach Vergeltung lechzenden Mobs. »Gebt uns Waffen und wir töten alle Juden«, rufen sie, senken dann aber doch nur den Körper zum Gebet. Währenddessen kann man sich auf Grundsatzdiskussionen mit amerikanischen Austauschstudenten einlassen, die erklären, weshalb eine Zweistaatenlösung keine Alternative zu einem einheitlichen Palästina sei.

Gefährlich wird die Kundgebung lediglich durch entnervte Autofahrer, die in diesen Stunden des Berufsverkehrs kein Verständnis dafür aufbringen möchten, dass Demonstranten die nahe Nilbrücke verstopfen. »Wenn die Autos nicht mehr fahren können, wird die Polizei auf jeden Fall eingreifen«, erklärt ein Demonstrant, während er mehrere jugendliche Plakatträger auf den Bürgersteig zurück argumentiert. Unabhängiger Islamist sei er. »Seitdem die Muslimbrüder die Politik des Armeerates mittragen, müssen wir selbst dafür sorgen, dass die Revolution weitergeht«.

Damit ist das zentrale Anliegen dieser Veranstaltung endlich offen ausgesprochen. Während alle Anwesenden augenscheinlich nur der Hass auf Israel eint, ist die Kritik am regierenden Militärrat ebenso gegenwärtig. Sprechchöre, die Muhammad Hussein Tantawi mit Ex-Präsident Mubarak gleichstellen, verstummen zwar sehr schnell wieder, jedoch nicht aus Loyalität zur Militärführung, sondern aus Furcht, die Sicherheitskräfte würden dem Treiben ein Ende setzen.

Was die Revolutionäre über die Monate perfektioniert haben, ist die Demonstrationsdisziplin. Der Ruf nach einer Auflösung des Friedensabkommens mit Israel von 1979 gibt der Veranstaltung eine innenpolitische Dimension. Doch die in Zivil gekleideten Sicherheitsbeamten, die wenige Meter entfernt stehen, geben sich gewohnt passiv und wortkarg. Wie die sich immer mehr zerstreuenden Aktivisten, können sie den Einbruch der Dunkelheit und das Iftar kaum erwarten.

Mit Nasser und Che zur Demo

Als dann in den späten Abendstunden noch jugendliche Anhänger Gamal Abdel Nassers und Che-Guevara-T-Shirt-Träger hinzustoßen, schwillt die Menge wieder auf bis zu 700 Teilnehmer an, das inhaltliche Chaos der propagierten Thesen und Slogans tut es dem aber gleich. Im Schein brennender israelischer Flaggen machen sich erste Aktivisten daran, den Schutzzaun zur Botschaft niederzureißen. Er sollte das erste und einzige Opfer dieser Nacht werden, weder Polizei, noch Militär greift ein.

Stattdessen ist jetzt der Blick freigegeben auf die nicht weniger jugendlichen Soldaten, die mehr schüchtern als angsteinflößend vor zwei Schützenpanzern Stellung bezogen haben. Einzelne werfen den Demonstranten Wasserflaschen zu, diese recken ihnen ihre überlebensgroßen Plakate des gutväterlich lächelnden Staatspräsidenten Nasser entgegen.

Allen ist klar, wer auch nur einen Fußbreit in Richtung der Soldaten macht, wird verhaftet. Darauf einlassen tut sich heute keiner. Stattdessen stellen sie sich lieber dem Wettstreit um den Titel des besten Sprechchor-Anheizers oder demolieren den darniederliegenden Bauzaun stetig weiter.

Darüber, ob in den kommenden Monaten – sollte die UN-Versammlung Palästina im September die Anerkennung als Staat verweigern – deutlich mehr solcher Kundebungen zu erwarten sind, möchte zu dieser Uhrzeit niemand mehr sprechen. »Die sind gerade gedanklich zu sehr mit dem Töten von Juden beschäftigt«, merkt ein Journalist von Radio Free Europe lakonisch an. »Leben und leben lassen«, entgegnet ein älterer Demonstrant in bestem Deutsch, »ist auch mit den Juden möglich. Wenn sie aber unsere Soldaten töten, dann ist es meine Pflicht als Ägypter, hier zu sein.« Einzige neue Erkenntnis dieses Tags des Zorns ist, dass die Sicherheitskräfte einen stabileren Zaun hätten errichten sollen.

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