Montag, 17. Oktober 2011

Wo kommst du her - Ein Versuch, sich in Ägypten zu integrieren

Ein Gastbeitrag aus Kairo von Amir Heinitz 

“Wo kommst Du her? Bist Du Ägypter?” „Aus el-Minya“ lächele ich bestimmt. „Ja, er kommt aus el-Minya. Sieht genau so aus, wie ich. Schau!“ Sami und ich fangen beide an zu lachen, und der Bekannte von Sami schaut verwirrt. „Nein, nein, ein Scherz, ich komme aus Almanya.“ Aus Deutschland. „Aber woher das Arabisch? Hast Du an der Amerikanischen Universität gelernt?“ Ich winke ab. „Nein, hier auf der Straße, Sharia Tahrir. Und Sami ist mein Lehrer.“ Ein grosses Lachen folgt, Sami freut sich über das Kompliment. Sami ist so alt wie ich. Kommt aus el-Minya, einer Stadt am Nil im Süden des Landes, und er arbeitet so lange in dem Kiosk gegenüber meines Balkons, wie ich dort wohne.

 Das sind die guten Tage. Ein gelungener Scherz auf Arabisch, die Leute lachen mit einem, behandeln einen, als gehöre man dazu. Ich bin nicht mehr nur noch der Weiße, der Mann mit dem Geld, der Glückliche, der aus der reichen Welt stammt. Wir lachen zusammen, wir scherzen, wir erklären das eine und das andere, noch eine Zigarette, hier, willst Du was zu essen haben? Iss was!


 Es ist nicht nur Gastfreundschaft zusammen zu essen. Das gemeinsame Essen ist ein Messwert der Beziehung, des Vertrauens, der Nähe. Um eine enger werdende Bekanntschaft oder gar Freundschaft zu beschreiben, sagt man „Wir haben Brot und Salz zusammen gegessen.“

 An anderen Abenden komme ich um 2 Uhr nach Hause, von amerikanischen oder französischen Bekannten, und setze mich mit Sami auf seine Bank, auf der tagsüber Zeitungen ausliegen. „Das wird nichts, Sami. Ich bin hier niemand. Ich verstehe nichts. Diese, jenes, das andere, das und das. Nichts verstehe ich. Ich komm nicht zurecht. Ich bleib immer der Ausländer.“

 Erste Frage: Wo bist Du her? Zweite Frage: Wie heißt Du? Amir? Amir? Bist Du Muslim? Anschwellende Freude. Nein, ich bin Ibn Adam, ein Sohn Adams, ein Mensch. Die Frage an und für sich will ich nicht beantworten. Sie ist mir unangenehm, aber wenn ich dann auch noch sage, dass ich Jude bin - einiges kann man sich ersparen. Die meisten, finden die Antwort Ibn Adam gut, und lachen. Es stellt uns auf eine Ebene, auf der wir miteinander reden können, wenn auch nicht die Ebene der Ägypter unter den Ägyptern, oder Muslime unter den Muslimen. Dann kommen in der Regel noch andere Fragen: Bist Du verheiratet? Warum nicht? Trinkst Du Whiskey? Gelegentlich die Frage: Kannst Du mir Viagra besorgen, Internet-Sex?

 Als Deutscher ist man generell beliebt. Wir Deutschen sind gute Leute. Wir bauen gute Autos. Bayern München ist gut. Mohamed Zidan spielt bei Borussia Dortmund. Die etwas älteren werden über Helmut Kohl erzählen, und den Daumen nach oben halten. „Helmut Kohl,“ dann ein lang herausgezogenes „gut.“ Und dann, dann kommt die Geschichte mit Hitler. Das war doch ein guter Mensch, einer, der hatte Kraft. In mir verzieht sich alles, auch wenn ich darauf vorher vorbereitet war. Ich versuche zu erklären, dass er impotent war, keine Kinder haben konnte, und deswegen verrückt geworden ist. Lange Erklärungen bringen nichts, und wenn ich es knackig erläutern kann, dann ist besser. Eine gelungene Show-Einlage bewegt die Gemüter.

 Wann immer ich kann, verbringe ich Zeit mit den Leuten in meiner Straße, den Teeverkäufern, dem Mann aus dem Brillengeschäft, den Leuten aus dem Café, der Sheikh der in dem Koshary-Laden arbeitet. Koshary ist das Einheitsgericht der Ägypter, billig, Nudeln und Hülsenfrüchte, das mindeste, was man braucht, um zu überleben. Es sind ordentliche Leute, sie brüllen, machen Scherze, und arbeiten meist zwölf Stunden am Stück, sieben Tage die Woche.

Seit der Revolution wird viel diskutiert, und wenn es zu Straßenschlachten kommt oder Kriminelle durch die Straßen ziehen, dann bildet sich innerhalb von Minuten aus den Männern ein Nachbarschaftsschutz, der die Straße kontrolliert und aufpasst, dass alle in der Nachbarschaft sicher sind. Sonst hat jeder Zeit sich zu unterhalten, es gibt Zeit, viel wird nicht geschehen, und man hat auch nicht allzu viel zu machen. Seit der Revolution bin ich Teil der Nachbarschaft. Ich bin da geblieben, bei ihnen, bin nicht weggelaufen, wie meine Nachbarn es über die anderen Ausländer in der Zeitung gelesen haben. Gewissermaßen habe ich meinen Mut bewiesen, und in den Wochen nach der Revolution werde ich anderen Leuten stolz nicht nur als der Deutsche vorgestellt, der sich mit ihnen unterhält, sondern auch als derjenige, der in der Revolution dageblieben ist.

 Mit der ägyptischen Oberschicht habe ich nicht allzuviel zu tun. Sie erzählen mir zuviel halbgares Zeug über Europa und Amerika, schauen auf ihre Landsleute als einen unterentwickelten Haufen herab, verprassen viel Geld und seit der Revolution vertreten sie reaktionäre Positionen. Dabei gehören zu meinen besten Freunden Doktoren, Kinder von Leuten, die sich vor gut fünfzig Jahren aus dem Land auf den Weg in die Stadt gemacht haben, und sich langsam bis zu Juristen und Professoren hochgearbeitet haben. Seit der Wirtschaftsöffnung Sadats in den 70er Jahren und seinem Tod Anfang der 80er Jahre jedoch herrscht sozialer Stillstand. Der eine ist reich und wird reicher, und der andere ist arm, und das wird er auch bleiben. Man soll nicht neidisch sein. Alhamdulillah.

 So sagt Sami, „Alhamdulillah“. Wann immer ich zuviel klage. Die Religion hat aus verschiedenen Gründen Zulauf. Wohl zwei Drittel der Frauen auf der Straße sind verschleiert. Bei vielen sind nur noch die Augen zusehen. Das heißt nicht, dass es eine entsexualisierte Gesellschaft ist. Oft flirte ich aus Spaß mit verhüllten Mädchen, zwei, drei von ihnen. Sie flüstern sich zu, schauen wieder mit verführerischen Augen herüber, kichern. Männer haben eine „Rosine“ auf der Stirn. Eine mitunter verkrustete Hautverfärbung, die durch Jahrelanges Berühren des Teppichs mit der Stirn beim Beten entsteht. Es zeigt, „ich bin ein religiöser Mann.“ Aber was das heißt ist unklar. Die in weiße Galabeyas gehüllten Männer mit Bärten - häufig ein Zeichen der Muslimbrüder - mit der Rosine, die in der modernsten Mercedes E-Klasse durch die Gegend fahren, kommen zumindest nicht ihrem Anspruch auf die im Islam verankerte soziale Gerechtigkeit nach, mit dem sie sich im und vor allem auf dem Lande rühmen.

 Sami und ich sitzen auf der Bank und Sameh kommt vorbei. Sameh ist sechzehn Jahre alt, so sagt er. Er sieht so aus als sei er zwölf. Er ist neugierig, will alles wissen. Er kommt auch aus el-Minya und ist das erste mal in Kairo, in der großen Stadt. Während der Schulferien arbeitet er in einem Kebab-Laden, um seine Eltern zu unterstützen.

Er will wissen, was ich mache. „Ich arbeite mit Flüchtlingen.“ „Flüchtlinge?“ Viele Ägypter wissen nicht, was Flüchtlinge sind, sie kennen das Wort nicht, obwohl einige Millionen Flüchtlinge aus dem Irak, Sudan und verschiedenen afrikanischen Laendern hier Zuflucht genommen haben. „Was sind Flüchtlinge?“

Während ich mir den Kopf zerbreche, wie ich ihm mit meinem lückenhaften arabisch einen Flüchtling erkläre, zieht Sami Sameh am Arm. „Ein Flüchtling, das bist Du, und das bin ich. Ein Flüchtling, muss von zu Hause weggehen, weil er da nicht mehr leben kann. So wie du und ich.“ Sameh nickt nachdenklich. „Stimmt’s, Amir?“ „Ja, so ungefähr.“ Halblaut fügt Sami zu mir hinzu, „er soll es verstehen, er soll verstehen was Du machst, Du hilfst Leuten, die Hilfe brauchen.“

 Mich hat wieder jemand beschissen. Zu Beginn denke ich mir noch, nicht so schlimm, es ist nicht so viel Geld, und sie haben nicht viel. Doch nach einer Zeit frisst es in mir. Ich bleibe immer der Außenseiter, der Fremde, der Weiße, der Reiche, der nichts versteht, den man ausnehmen kann. Ich bin auch kein Ägypter und kein Muslim. Mit mir kann man’s machen. Egal ob die Melone zwei Pfund mehr kostet, die Computerreparatur zwei mal soviel kostet, wie bei meinen ägyptischen Freunden, jemand denkt, der Weisse wird nichts sagen, wenn ich ihm die 25 Piaster nicht zurückgebe, oder ob ein Taxifahrer wieder denkt, ich wüsste nicht, wieviel eine Fahrt vom einen Nilufer zum anderen kostet.

 An solchen Tagen überschütte ich Sami mit meiner Frustration. Ich werde es nicht schaffen, mich hier zu Hause zu fühlen. Unsere Gespräche sind langsam und unterbrochen von Sprachschwierigkeiten. Mit Gesten, Münzen, Steinen und Streichhölzern erklärt er mir Wörter. Für einen Sprachkurs habe ich weder Geld noch Zeit. „Nein, nein, Du brauchst nicht Ägypter zu sein. Du bist Ibn Adam, so wie ich, und das ist wichtig. Und wenn Du nicht sofort verstehst, dann arbeitet dein Kopf, und nach einer Zeit verstehst Du. Willst Du ein Fremder sein? Nein, Du bist kein Fremder, Du bist Amir, Ibn Adam. Komm, willst Du eine Kippe? Schau, da läuft eine Spinne.“

 Magdy freut sich immer darüber, dass ich mir seinen Namen gemerkt habe. Er kommt nachts von der Arbeit bei Samis Kiosk vorbei und unterhält sich noch, bevor er ins Bett geht, mit denen, die gerade da sind. Er mag so alt sein wie ich, ruhig, geradezu in sich ruhend, und von einer gütigen Intelligenz besessen, die ihm in seinem Job in der Gastronomie kaum helfen wird. Er lehrt mir die Namen von Tieren, denen in der Landwirtschaft in Said, Oberägypten, die Vögel am Nil, die Tiere in der Wüste. Der Fischreiher heißt umgangssprachlich „Sahib el-Felah“, Freund des Bauern. Mit seinem Schnabel sucht er nach Würmern im Boden der Felder und lockert so die Erde auf.

Eines Abends kommen Sami und ich auf Wasser, das Rückgrat Ägyptens zu sprechen. Überrascht stellt Sami fest, dass mir die Pumpen und Brunnen, die sie in Said haben, vertraut sind. Mir kommen Bilder aus meiner Kindheit im Sauerland auf, Spaziergänge mit meinem Großvater um Talsperren und entlang von Bächen, Arbeit auf den Feldern des Bauernhofes meiner Tante. Sami zu erklären, wie meine Familie auf dem Land in Deutschland lebt, dazu bin ich mit meinem arabisch nicht in der Lage. „Eines Tages, Amir, zeige ich Dir in el-Minya, wie es auf dem Land ist.“ Unter welchen Vorwand ich Sami jemals an den Schengen-Barrieren vorbei ins Sauerland meiner Kindheit bringen kann, ist mir nicht klar.

 Mit einigen amerikanischen und französischen Freunden treffe ich mich häufiger. Es sind die wenigen, die ich ertrage, diejenigen, die sich nicht erst zu den Ägyptern herablassen müssen. Unseren Duty Free-Alkohol auf der Terrasse in einer Botschaftsgegend schlürfend, sitzen wir in einer Blase, dazu gezwungen über andere zu reden, selbst wenn wir guten Willen an den Tag legen. Als Frauen haben Freundinnen von mir doppelt soviele Probleme. Mit blonden Haaren werden sie angestarrt, mit ein bisschen zu nackten Armen bei der Hitze, mit Ausschnitt, oder zu engen Kleidern werde sie begrapscht, ihnen wird hinterhergepfiffen. Wie sie es ertragen, ist mir unverständlich. Meine französische Kollegin schlägt fast täglich Männer auf der Straße. Im Vorbeigehen auf der Straße greift ihr ein telefonierender Mann ins Dekollete.

 Während wir vom Dach des Büros das Tosen der anliegende Kreuzung überschauen, fragt mich mein irakischer Kollege Yazen, wieviel ich am Tag rauche. „Zuviel, eine Schachtel. In Europa rauche ich viel weniger. Aber hier, ich bin ständig nervös, angestrengt, der Lärm, die Menschenmassen, die Luftverschmutzung. Es zehrt an mir.“

„Warum sollte das hier an Dir zehren?“ fragt Yazen ungläubig. „Weil ich die Leute hier mag, und ich Interesse an ihnen habe, und sie haben diese Revolution gemacht, und ich hoffe, dass sie etwas daraus machen.“ „Lass sie. Es ist nicht deins. Ich bin hier seit sechs Jahren. Die Ägypter, lass sie. Ist ein mieses Land, keine Ordnung, keine Höflichkeit, nichts, hier gibt es nichts wofür es sich lohnt zu kämpfen. Hier gibt es kein Leben. Man kann hier nur weg wollen.“

 Aber wenn ich mit Sami zusammen nachts um drei Uhr auf seiner Bank sitze, wir uns schon beide die Sandalen ausgezogen haben, und uns gegenseitig von unseren Heimatregionen Almanya und el-Minya erzählen, und dann ruhig werden, die frischer werdende Luft mit langen Zügen einatmen, vor uns die nächtliche, in gelb-rotes Straßenlicht getunkte Szenerie aus kolonialen Prachtbauten, geparkten russichen Ladas und die sich im Wind leise bewegenden Platanen betrachten, und gelegentlich das Bellen der in den Straßen wild lebenden Hunderudel auffangen, dann lässt sich ein zufriedenes Lächeln in unseren Gesichtern nieder. Ein Wissen macht sich breit, dass trotz alledem, was zwischen uns stehen mag, uns doch das, was uns verbindet, erlaubt, die feinen und groben Unterschiede zu entdecken, und uns an ihnen wieder und wieder zu erfreuen.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Eine sehr einfühlsame - ja geradezu rührende - Beschreibung und dabei (wie selbst erfahren) zugleich realistisch. Herzlichen Dank dafür