Trotz seines liberalen Images sind im Libanon
Diskriminierung und Gewalt gegen Frauen ein verbreitetes Problem.
Gesellschaftlich debattiert wird dieses Thema jedoch kaum. Kafa, die führende
Frauenrechtsorganisation des Landes, versucht seit Jahren das Schweigen zu
brechen und Frauen vor Gewalt zu schützen. Alsharq sprach mit Hiba Abbani,
Projektkoordinatorin bei Kafa, über die Benachteiligung der Frau im Libanon und
über eine Gesetzesvorlage, die häusliche Gewalt gegen Frauen unter Strafe
stellen soll.
Das Interview führte Maximilian Felsch
Frau Abbani, Sie und Ihre Organisation Kafa engagieren sich gegen Diskriminierung und geschlechtsspezifische Gewalt im Libanon. Können Sie uns zunächst erklären, was unter geschlechtsspezifischer Gewalt zu verstehen ist?
Geschlechtspezifische Gewalt ist jede Form von
Schaden, der einer Frau angetan wird, allein weil sie eine Frau ist. Das kann
sich auf physische, psychologische oder ökonomische Gewalt beziehen. Das
schließt auch das Verbot ein, sich als Frau am öffentlichen Leben zu beteiligen
oder Bildungseinrichtungen zu besuchen.
Welche
Formen geschlechtspezifischer Gewalt sind im Libanon besonders verbreitet?
Das Problem existiert natürlich nicht nur im
Libanon. Es ist ein universales Phänomen, das auf patriarchalen Systemen und
Ideologien beruht. Jedes Land weist in diesem Punkt spezifische Probleme auf.
Speziell im Libanon wird die Frau als minderwertiger Bürger wahrgenommen. In
der libanesischen Gesellschaft ist immer noch das Rollenverständnis verbreitet,
wonach die Frau sich vor allem um den Haushalt und um die Kinder kümmern soll.
Ist das
nicht ein Gesellschaftsmodell, das in den meisten Ländern immer noch
vorherrscht?
Das ist richtig, aber anders als in vielen
westlichen Ländern wird dieses Modell im Libanon sehr offen vertreten und offensiv
als „normale“ Rollenverteilung verteidigt. Die meisten Libanesen haben sehr
genaue Vorstellungen davon, welche Rolle die Frau zu erfüllen hat und welche Rolle
dem Mann zukommt. Frauen sollen sich um das Haus kümmern und ihrem Mann folgen.
Und dass Frauen ihre eigene Sexualität besitzen, das wird überhaupt nicht
akzeptiert. Sogar Menschen, die sich in NGOs engagieren und modern und
aufgeklärt erscheinen und erklären, sie stünden für Gleichberechtigung,
vertreten oft die Meinung, dass Frauen, die unabhängig und stark sind, eher
Männern gleichen.
Abgesehen
von diesen kulturell-basierten Aspekten, welche Formen legaler Diskriminierung von
Frauen sind im Libanon verbreitet?
Zunächst möchte ich sagen, dass aus meiner
Sicht die gesellschaftliche Wahrnehmung durch die Gesetzgebung beeinflusst wird
und umgekehrt. Das lässt sich nicht so leicht trennen. Das patriarchale System
wird durch die Gesetze gestärkt und erhalten.
Können
Sie uns ein paar Beispiele legaler Diskriminierung nennen?
Im Libanon herrscht ein konfessionalistisches
System vor [in dem jede Religionsgemeinschaft autonom in Fragen der
Personenstandsrechts agiert, einschließlich einer unabhängigen Gerichtsbarkeit,
Anm. M.F.] und keine einzige Gemeinschaft erlaubt es Frauen, sich scheiden zu
lassen. Frauen haben auch nicht den Anspruch, den gleichen Teil wie ihr Bruder
zu erben – sie bekommen in der Regel nur halb so viel. Da es im Libanon kein
ziviles Recht in diesen Fragen gibt, können Frauen dieser patriarchalen
religiösen Rechtssprechung nicht entkommen. Im Fall der muslimischen
Gemeinschaften, die die Gesetze der Scharia anwenden, gelten z.B.
Zeugenaussagen von Frauen nur halb so viel wie die von Männern. Und wenn ein
Paar heiratet, braucht es als Trauzeugen entweder zwei Männer oder einen Mann
und zwei Frauen oder aber vier Frauen, um der Ehe Rechtmäßigkeit zu verleihen.
Aber auch das libanesische Zivilrecht
diskriminiert Frauen. Da gibt es z.B. den Paragraphen 522, für dessen
Abschaffung wir uns seit Jahren stark machen. Dieses Gesetz besagt, dass ein
Mann, der eine Frau vergewaltigt hat, dann straffrei bleibt, wenn er seinem
Opfer anbietet, es zu heiraten. Für die Straffreiheit ist es unerheblich, ob
die Frau dieses Angebot annimmt. In den meisten Fällen jedoch wird durch die
Familie und das soziale Umfeld Druck auf die Frau ausgeübt, dieses Angebot
tatsächlich anzunehmen. Dieses Gesetz existiert nicht nur im Libanon, sondern
in vielen arabischen Staaten.
Schließlich werden Frauen im Libanon auch
durch ein geringeres Gehalt systematisch diskriminiert. Nach dem Gesetz steht
Frauen im öffentlichen Dienst für die gleiche Position weniger Gehalt zu als
Männern. Auch Sozialleistungen für Kinder und Familien werden nur an Männer
ausgezahlt. Und schwangere Frauen sind rechtlich nicht geschützt – nicht selten
wird ihnen im letzten Monat ihrer Schwangerschaft gekündigt.
Wie
rechtfertigt der Staat diese Diskriminierungen?
Die Regierung versteht den Mann als Oberhaupt
der Familie, daher stehen nur ihm staatliche Leistungen zu und deshalb benötigt
vor allem er ein auskömmliches Gehalt.
Wo steht
der Libanon in Frauenrechtsfragen im Vergleich mit anderen arabischen Staaten?
Die Situation der Frauen ist in allen
arabischen Staaten ähnlich, auch wenn es in den Formen geschlechtsspezifischer
Gewalt und Diskriminierung Unterschiede gibt. Das Besondere im Libanon ist,
dass ihm das Image eines liberalen Landes anhaftet. Das liegt wahrscheinlich daran,
dass Besucher zuerst die vielen Bars und Clubs auffallen. Doch wenn sie in den
Süden fahren, ins Bekaa-Tal, nach Akkar oder auch schon in die Vororte Beiruts,
also dorthin, wo die Familien wohnen, dann finden sie eine Gesellschaft vor,
die genauso konservativ ist wie die anderer arabischer Länder. Im Bereich
Bildung jedoch bietet der Libanon Frauen gleiche Chancen, was man von den
meisten arabischen Staaten nicht behaupten kann. Auch die Verheiratung von
Minderjährigen ist kein Thema im Libanon, anders als z.B. im Jemen. Dafür weist
der Libanon eine sehr hohe Rate an sogenannten Ehrenmorden auf. Die besonders
in Ägypten und Sudan verbreitete Genitalverstümmelung wird im Libanon zum Glück
nicht praktiziert. Sexuelle Belästigung schließlich ist als Phänomen in der
gesamten arabischen Welt verbreitet, am stärksten wahrscheinlich in Ägypten.
Gibt es
denn auch positive Beispiele von Ländern, die Frauen vor Gewalt schützen?
Jordanien hat vor Kurzem ein Gesetz zum Schutz
vor häuslicher Gewalt erlassen. Dieses Gesetz stellt physische Gewalt gegen die
eigene Ehefrau unter Strafe, jedoch nicht sexuelle Gewalt. Es ist leider nicht
sehr effektiv, da es versäumt wurde, weitere Schutzmechanismen für die Frau zu
etablieren, sodass in der Realität kaum eine Frau tatsächlich ihren Ehemann bei
der Polizei anzeigen wird.
Auch das
libanesische Parlament diskutiert seit langer Zeit über ein Gesetz gegen
häusliche Gewalt. Wie stehen Sie zu diesem Gesetz, an dessen Entwicklung Kafa
ja auch beteiligt gewesen ist?
Wir haben zusammen mit 60 NGOs und vielen
Anwälten ein Gesetzentwurf erarbeitet, der Frauen einen effektiven Schutz vor
häuslicher Gewalt bieten würde. Nach intensiver Lobbyarbeit hat das Parlament
eine Kommission gebildet, die diesen Gesetzentwurf diskutiert. Leider wurde es
von dieser Kommission bereits so verwässert, dass es in dieser Form keinen
effektiven Schutz mehr bieten würde. Wir haben gefordert, dass es speziell
ausgebildete Polizeikräfte braucht, am besten weibliche Polizisten, denen sich
Frauen eher anvertrauen könnten. Wir kennen die Erfahrungen von Frauen, die
ihren Mann bei der Polizei anzeigen wollten. Oft werden sie von Polizisten gemobbt
und ihnen wird meist gesagt, sie sollten schnell wieder nach Hause gehen. Wir
haben auch gefordert, dass ein Jeder häusliche Gewalt zur Anzeige bringen kann,
nicht nur das Opfer der Misshandlung selbst. Leider wollen die Parlamentarier,
die das Gesetz beraten, keine dieser Schutzmechanismen. Sie wollen sogar den Namen des Gesetzes ändern. Anstatt „Gesetz zum Schutz der Frau vor häuslicher
Gewalt“ soll es nun „Gesetz zum Schutz der Familie vor häuslicher Gewalt“
heißen. Hier wird einmal mehr deutlich, dass nicht anerkannt wird, dass es im
Libanon ein Problem mit Gewalt speziell gegen Frauen gibt.
Was ist
der Grund dafür, dass das Gesetz noch immer nicht verabschiedet ist?
Das Hauptproblem ist, dass politische Parteien
eng mit religiösen Institutionen vernetzt sind. Bei jeder Wahl sind die
Parteien auf Bündnisse mit religiösen Würdenträgern angewiesen, um gewählt zu
werden. Die religiösen Institutionen sind daher sehr mächtig und sie können
Menschen zu Großdemonstrationen mobilisieren. Kaum ein Politiker wird gegen die
Interessen dieser Institutionen agieren. Auf der muslimischen Seite gibt es
keine religiöse Institution, die dem Gesetz zum Schutz vor häuslicher Gewalt
zustimmt. Das Dar al-Ifta [die höchste religiöse Institution der Sunniten im
Libanon, Anm. M.F.] zum Beispiel lehnt das Gesetz ab, weil es angeblich die
Familien zerstören und den orientalischen Werten zuwider laufen würde. Vor zwei
Jahren hat Dar al-Ifta sogar eine Gegenkampagne zu unserer Gesetzesinitiative
gestartet und Proteste organisiert.
Das
heißt, dass die religiösen Autoritäten im Libanon das Gesetz zum Schutz vor
häuslicher Gewalt als eine illegitime Einmischung in ihre internen
Angelegenheiten auffassen?
Genauso ist es. Und aus diesem Grund sagen uns
zwar Politiker im direkten Gespräch oft, dass sie unsere Initiative
unterstützen würden, aber wenn es um die Punkte geht, die das Gesetz erst effektiv
machen würden, dann machen sie einen Rückzieher. Daher wurde es auch abgelehnt,
dass das Gesetz auch Strafen für eheliche Vergewaltigung vorsieht.
Gibt es
denn auch politische Kräfte, die das Gesetz zum Schutz vor häuslicher Gewalt
unterstützen?
Ja, etwa die maronitisch-christlichen Parteien Kataeb und die Lebanese
Forces und die
sunnitische Mustaqbal unterstützen uns
auch offiziell. Jedoch steht Samir al-Jisr – der Vorsitzende des
parlamentarischen Komitees zur Beratung des Gesetzes und zugleich Mitglied der
Mustaqbal – leider dem Dar al-Ifta sehr nahe. Al-Jisr ist der Überzeugung, dass
das Gesetz das islamische Recht verletzen würde. Unser Dilemma ist, dass alle
Kräfte des „14. März“ unser Anliegen
zumindest offiziell unterstützen, das Regierungslager es jedoch ablehnt. Daher
werden wir oft in eine politische Ecke gedrängt, obwohl wir ein politisch
unabhängiger sowie nicht-konfessioneller Akteur sind.
Ist
geschlechtsspezifische Gewalt ein Phänomen aller Religionsgemeinschaften oder
gibt es Unterschiede?
Gewalt gegen Frauen kennt keine Konfessionen
und keine Klassen. Aber ich will nicht unerwähnt lassen, dass die maronitische
Kirche und der maronitische Patriarch Bechara Rai unser
Anliegen zum Schutz vor häuslicher Gewalt unterstützen.
Mit
welchen Mitteln versucht Kafa, die Gleichberechtigung von Frauen im Libanon zu
verbessern und Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen?
Unser wichtigstes Projekt ist unser „Zuhör-
und Therapiezentrum“. Wir glauben, dass wir das Schweigen über Gewalt gegen
Frauen brechen müssen. Das Problem ist, dass Frauen keine Möglichkeiten und
keine Macht haben, um über Gewalt, die ihnen angetan wird, zu sprechen. Gewalt gegen
Frauen ist immer noch ein Verbrechen, vor dem die Augen verschlossen werden.
Wir dokumentieren Fälle von Gewalt gegen Frauen und machen sie publik. Und wir
betreiben Lobbyarbeit bei Medien, damit sie über diese Themen berichten. So
wollen wir ein öffentliches Bewusstsein schaffen und die Gesellschaft für
Fragen der Diskriminierung und Gewalt gegen Frauen sensibilisieren.
Frau
Abbani, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.
Hiba Abbani hat Journalismus studiert und arbeitet seit einem Jahr als Projektkoordinatorin bei Kafa. Kafa (bedeutet übersetzt so viel wie "genug") wurde 2005 als unabhängige und gemeinnützige Organisation gegründet und setzt sich für die Rechte der Frauen im Libanon ein.
Hiba Abbani hat Journalismus studiert und arbeitet seit einem Jahr als Projektkoordinatorin bei Kafa. Kafa (bedeutet übersetzt so viel wie "genug") wurde 2005 als unabhängige und gemeinnützige Organisation gegründet und setzt sich für die Rechte der Frauen im Libanon ein.
1 Kommentar:
Ich bin gespannt wie sich der "Arabische Frühling" auf das alles auswirken wird ... spannend!
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