Weder Israel noch die Hamas wird den
aktuellen Konflikt als Gewinn verbuchen – während die Regierung
Netanjahu vor einer Bodenoffensive mit unabsehbaren Folgen steht,
sind die arabischen Nachbarn mit ihren eigenen Problemen beschäftigt.
Die grünen Flaggen der Hamas sind
zurück im Westjordanland. Bei Demonstrationen zwischen Jenin und
Hebron wehen sie einträchtig neben den gelben Flaggen der Fatah. Die Bevölkerung im Westjordanland nimmt großen Anteil an den
Ereignissen im Gaza-Streifen. Mahmoud Abbas, Chef der
Autonomiebehörde, verurteilt die israelischen Angriffe als „Angriffe
auf alle Palästinenser“ - und kündigt kämpferisch an, sich noch
stärker für die nationale Aussöhnung "im Angesicht des
äußeren Feindes" einzusetzen.
Abbas
Bestreben, Palästina als Mitglied mit „Beobachterstatus“ von der
UN-Vollversammlung anerkennen zu lassen, rückt derweil in den
Hintergrund. Die israelische Regierung hatte zuletzt mit einer
gewaltsamen Auflösung der palästinensischen Autonomiebehörde gedroht,
sollte Abbas den "Alleingang" vor die Vereinten Nationen wagen. Nun
blicken alle Augen nach Gaza, Abbas' diplomatische Manöver werden sowohl
von Israel als auch von der Hamas untergraben. Aber jetzt gebietet es
schon das innenpolitische Kalkül,
auf der Seite der Bevölkerung im Gaza-Streifen zu stehen. Abu Mazen
ist wieder ganz Staatsmann. Letztendlich ist die oberflächliche
Annäherung ein erwartbarer Nebeneffekt, den die israelische
Regierung um Benjamin Netanjahu einkalkuliert haben wird.
Die will ihrerseits
zurück zur Politik der Abschreckung. Die Hamas müsse lernen, dass
sie für den anhaltenden Raketenbeschuss einen Preis zu zahlen habe.
Allerdings zeichnet sich schon nach den ersten Tagen der Operation
"Säulen der Verteidigung" ab, dass diese Strategie schwer
umzusetzen sein wird. Denn die Hamas und andere Splittergruppen
verschärften ihre Angriffe, nachdem Israel den Chef der
Qassam-Brigaden Ahmad al-Jabari getötet und weitere Ziele
bombardiert hatte. Schon am Tag darauf nahm die Hamas Tel Aviv unter
Beschuss, am zweiten Tag Jerusalem. Ein militärischer Erfolg wird
für Israel immer unwahrscheinlicher.
Die
Bodenoffensive steht im Raum
Zwar haben Politik
und Armee – anders als im Libanonkrieg 2006 und während der
Operation Gegossenes Blei 2008/09 – keine unrealistischen Ziele
ausgegeben, wie etwa die Zerstörung der Hamas; dennoch dürften die
militanten Palästinenser auch nach Ende der jüngsten Eskalation
eine Gefahr für Israels Sicherheit bleiben. Nach eigener Aussage
haben die „Israeli Defence Forces“ in den ersten Kriegstagen
hunderte Raketenlager und Milizenstützpunkte im Gaza-Streifen
zerstört – unter dem Strich bleibt jedoch die Fähigkeit der
Hamas, weiterhin Millionen Israels das Leben mit ihren Raketen zur
Hölle zu machen.
Daher ist eine
zumindest begrenzte israelische Bodenoffensive im Gaza-Streifen sehr
wahrscheinlich. Denn nur so kann die Armee sicher sein, die Hamas
zumindest mittelfristig zu schwächen. Allerdings birgt dies die
Gefahr eigener Verluste. Und so geschlossen die Parteien in Israel
derzeitig hinter dem Kurs der Regierung stehen – tote Soldaten
können schnell den Stimmungswandel bewirken, den der erste
Bombenalarm in Tel Aviv seit dem Golfkrieg 1991 noch nicht
hervorrufen konnte. Und das kann nicht im Interesse der israelischen
Führungsspitze sein.
Denn mit der
gezielten Tötung Ahmad al-Jabaris hat die israelische Regierung um
Premier Benyamin Netanyahu und Verteidigungsminister Ehud Barak
bewusst zu einer Eskalation der seit Monaten angespannten Lage rund
um den Gaza-Streifen beigetragen. Vor den Parlamentswahlen im Januar
dominieren nun die beiden "starken Männer", die einst in
derselben Elitearmeeeinheit gedient hatten, die israelischen Medien.
Dies kommt insbesondere Ehud Barak gelegen, kämpft doch seine
Atzmaut-Partei laut Umfragen mit der Zweiprozent-Hürde, die zum
Einzug in die Knesset berechtigt. Politische Akteure wie die
Arbeitspartei, die in den vergangen Monaten mit sozialpolitischen
Themen bei der Wählerschaft gepunktet hatte, geraten in den
Hintergrund und sehen sich vorerst gezwungen, der Regierung und der
Armee in Kriegszeiten die volle Unterstützung auszusprechen. Unter
den zionistischen Kräften mahnt lediglich die linksgerichtete, seit
Jahren eine Nebenrolle spielende Meretz-Partei: Die Parteivorsitzende
Zehava Galon fordert diplomatische Anstrengungen, um der Bevölkerung
im Süden Israels Ruhe und Sicherheit zu gewährleisten. Bei der
Regierung Netanyahu und bei weiten Teilen der Bevölkerung findet sie
damit kaum Gehör.
Nur wenige Demonstranten in Kairo
Auf der anderen Seite hat die Hamas mit den Raketenangriffen auf die Großräume Tel Aviv und Jerusalem gezeigt, dass sie ihr Militärarsenal seit der israelischen Operation Gegossenes Blei zur Jahreswende 2008/09 weiter aufgestockt hat – ähnlich wie die Hisbollah nach dem Libanonkrieg von 2006. Nie zuvor hatten militante Palästinensergruppen weiter auf israelisches Territorium gefeuert. Unabhängig vom Ausgang der jüngsten Konfrontation wird die Hamas schon dies als Erfolg verbuchen.
Gleichwohl kann man von einer neuen „arabischen Verbrüderung“ sprechen, wenn sowohl der ägyptische als auch der tunesische Außenminister den Hamas-Kämpfern inmitten der Kampfhandlungen ihre Reverenz erweisen. Auch der türkische Premier Recep Tayyip Erdogan äußerte sich merklich pro-palästinensischer als noch vor vier Jahren, als aber auch die türkisch-israelischen Beziehungen noch deutlich besser waren. Solange die Solidaritätsbekundungen die Ebene der Symbolpolitik nicht überschreiten, bleibt dies für die Hamas jedoch ein Muster ohne Wert.
Geschichte wiederholt sich
Auch Libanons Hizbollah zeigt bislang kein Interesse, im Norden eine neue Front zu eröffnen und der Hamas so zur Seite zu springen. Ihr Generalsekretär Hassan Nasrallah räumte am Donnerstag sogar ein, dass die Lage in Syrien eine entschiedenere Haltung zum Gaza-Konflikt erschwere. Doch auch während des letzten Krieges zwischen Hamas und Israel vor knapp vier Jahren hielt die Hizbollah still. Israels Nachbar Jordanien wird von Protesten gegen das Königshaus erschüttert, die Golfstaaten halten sich wie eh und je zurück.
Und der PLO-Vorsitzende Abbas erlebt
ein Déjà-Vu: Im vergangenen Jahr war es zwar kein Krieg zwischen
Israel und der Hamas, sondern der Gefangenenaustausch um Gilad
Shalit, der den diplomatischen Bestrebungen im UN-Sicherheitsrat den
letzten Wind aus den Segeln nahm. Man könnte es als Ironie der
Geschichte verstehen, dass wieder Ahmad al-Jabari eine zentrale Rolle
beim erneuten Scheitern von Abbas' Bemühen um diplomatische
Anerkennung steht – damals als Geiselnehmer, heute als Märtyrer.
3 Kommentare:
Kein Erfolg für niemanden! (Akkusativ)
Die Überschrift ist ein Wortspiel mit dem "Ton-Steine-Scherben"-Titel "Keine Macht für niemand"... Wir sind für Rio Reisers Grammatiksünden nicht verantwortlich ;-)
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