Gestern Nachmittag sind wir in Beirut mit einem schiitischen Freund verabredet. Er fährt mit uns zu seiner Wohnung im Staddteil Chiah. Viele Häuser in der Umgebung zeigen Spuren der iraelischen Bombenangriffe aus dem vergangenen Sommer, auch wenn die größten Schäden mittlerweile beseitigt wurden. Musa teilt sich die Wohnung mit seinen Eltern, einem Bruder und seinen beiden Schwestern, die jedoch nur kurz im Wohnzimmer vorbeischauen. Nachdenklich blickt Hassan Nasrallah von einem Foto in der Vitrine.
Musas Mutter serviert Orangen, sowie den obligatorischen starken libanesischen Ahwe. Man redet über Dieses und Jenes, meinem Mitreisenden Christoph wird eine optische Ähnlichkeit mit Detlev Mehlis attestiert, jenem Berliner Staatsanwalt der die Ermittlungen im Mordfall Rafiq Hariri übernommen hatte. Aus dem Mund einer Hizbollah-Anhängerin ein wohl eher zweifelhaftes Kompliment.
Musa ist der Ansicht, dass der Konflikt zwischen Regierung und Opposition mit den blutigen Ausschreitungen vom Mittwoch seinen Höhepunkt erreicht hat. Jene Gruppen, die er als "Regierungsmilizen" bezeichnet, wüssten, dass die Hizbollah ihr volles Gewaltpotenzial noch lange nicht ausgeschöpft habe. Da die Schiitenmilliz ihre Waffen jedoch ausschließlich gegen den Feind Israel richte, würden die rivalisierenden Gruppen schon bald an den Verhandlungstisch zurückkehren.
Als wir unseren christlichen Freunden von dem Besuch in Chiah berichten, erwecken diese den Eindruck als seien wir den Häschern der Hizbollah gerade noch einmal entkommen, das Viertel ist bei ihnen als Hort der Rechtlosigkeit verschrien.
Am Abend bietet sich für uns dann die erste Gelegenheit Beiruts Nachtleben zu erkunden. Wir fahren gemeinsam mit der Christin Mary und ihrem Freund Sergej, einem schiitischen Halbrussen nach Westbeirut. Sergej ist in der kommunistischen Jugendbewegung aktiv und so steuern wir zunächst ein kleines kommunistisches Pub an. Es wirkt sehr konspirativ und ist von Außen kaum als solches erkennbar. Von Wandfotos blicken neben dem allgegenwärtigen Che Guevara unter anderem Josef Stalin, Nelson Mandela und Kamal Joumblatt auf die Gäste.
Sergej erzählt, dass er während des Julikriegs gemeinsam mit den "Roten Garden" im südlichen Bekaatal gegen die Israelis kämpfte. Neun seiner Kameraden fielen, ihre Gesichter sind auf einem Poster neben dem Eingang zu der Bar verewigt. Im Mai will der Kommunist mit Dreadlocks und Armanimantel in seine Heimatstadt Moskau zurückkehren, er hat ein Stipendium der Lomonossov-Universität ergattert. Sollte bis dahin jedoch ein Krieg ausbrechen, werde er im Land bleiben und auf Seiten der Kommunisten zu den Waffen greifen.
Im aktuellen Konflikt zwischen der libanesischen Regierung und der Oppoition stehen die Kommunisten auf Seiten der Regierungsgegner ohne sich jedoch dem Bündnis um Hizbollah und Aoun angeschlossen zu haben. Anders als jenen Gruppen, denen es nur um eine stärkere Vertretung in der Regierung geht, fordern die Kommunisten die Beseitigung des aktuellen konfessionalistischen Wahlsystems.
Wir setzen unsere Kneipentour im "Club Social" fort, einer Art Lounge im christlichen Stadtteil Gemayzeh. Hier verbringt hauptsächlich die junge christliche Oberschicht der Hauptstadt ihre Wochenend-Abende. Auf dem Weg dorthin werden wir Zeuge der in diesen Zeiten alltäglichen Provokationen zwischen den Bevölkerungsgruppen. Aus einem tiefergelegten BMW lässt eine Gruppe Halbstarker Schiiten vor einem Shawarmaladen in einer sunnitischen Wohngegend lautstark die charakteristische Ashura-Musik aus den Boxen dröhnen, ausschliesslich um Streit zu provozieren. Als niemand ihnen Beachtung schenkt fahren sie nach einigen Minuten weiter.
Schliesslich landen wir im "Prague" einer Bar in Westbeiruts berühmter Rue Hamra. Wie der "Club Social" auch, könnte sich diese Lounge mit ihrem Publikum und ihrer Inneneinrichtung genausogut in der Simon-Dach-Strasse oder am Kollwitzplatz befinden, übrigens auch von den Preisen her. Nachts um 3 Uhr wirkt Beirut wie ausgestorben, fast nur noch Polizei und Armee sind in den Strassen zu sehen. Sie errichten auch einige Checkpoints, kontrolliert werden wir jedoch nicht.
Heute verlassen wir unser Quartier in Kahaleh und beziehen eine Wohnung nahe des Beiruter Stadtzentrums. Sie befindet sich ein einer schiitischen Wohngegend in der die Anhänger der Amal-Bewegung in der Überzahl zu sein scheinen. Unser Vermieter hat einige Jahre in Deutschland und der Tschechoslowakei gelebt, sein Sohn wird in Kürze ein Studium in Aachen aufnehmen. Man ist sehr um uns bemüht und versichert uns, dass die Gegend für uns sicher sei, mit dem örtlichen Shawarmamann wurden wir bereits bekannt gemacht. Auch die Miete für die vollmöblierte Zweieinhalb-Zimmerwohnung erscheint uns angemessen, der Koran auf dem Nachttisch ist im Preis inbegriffen.
Samstag, 27. Januar 2007
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