Die International Crisis Group hat gestern ihren Bericht "Iraq' s Civil War, the Sadrists and the Surge" vorgelegt, indem sie die jüngsten Entwicklungen im Irak analysiert. Die zum überwiegenden Teil von US-Stiftungen finanzierte NGO kommt zu dem Schluss, dass der Rückgang der Gewalt im Irak zwar auch mit der Aufstockung der US-Truppen im Land und der Bekämpfung al-Qaidas durch lokale sunnitische Stammesgruppen zusammenhängt, in erster Linie jedoch dem im August 2007 von Muqtada al-Sadr einseitig erklärten Waffenstillstand zu verdanken ist.
Die zunächst auf sechs Monate begrenzte Waffenruhe kam zum Einen auf wachsenden Druck der US-Armee im Irak zu Stande, ist nach Einschätzung der ICG jedoch auch das Ergebnis taktischer Erwägungen der Sadr-Bewegung. Ihre Mahdi-Miliz brachte bis zur Mitte des Jahres 2007 weite Teile Bagdads unter ihre Kontrolle und konnte ihren Herrschaftsbereich weit über Sadr City, das schiitische Elendsviertel in der irakischen Hauptstadt, ausdehnen. Dies gelang ihr nicht zuletzt durch die Kollaboration der irakischen Polizei, die systematisch von den Anhängern des jungen schiitischen Predigers Muqtada al-Sadr unterwandert wurde.
Mit dem Machtzuwachs und dem Eintritt immer neuer junger schiitischer Männer in die Reihen der Mahdi-Armee wuchsen jedoch auch die Probleme für die Miliz. Die Kämpfer verhielten sich undiszipliniert, Morde an Sunniten und abtrünnigen Schiiten die etwa mit der US-Armee kooperierten häuften sich und mit dem steigenden Reichtum der Bewegung wuchs auch die Korruption unter den Sadristen. Aus diesem Grund sank die Popularität der Bewegung im Laufe des vergangenen Jahres zunehmend. Im Zuge dessen wuchsen gleichermaßen die Spannungen mit anderen schiitischen Bewegungen im Irak, vor allem dem Obersten Islamischen Rat im Irak (SIIC) und seinem bewaffneten Arm, der Badr-Miliz.
Aus pragmatischen Erwägungen heraus entschied sich Muqtada al-Sadr daher im Sommer zu einem Stopp aller militärischen Aktivitäten seiner Mahdi-Miliz. Dies würde seinen Kämpfern angesichts des gestiegenen Vefolgungsdrucks durch die US-Armee eine Atempause verschaffen um sich zu reorganisieren und würde im gleichen Moment Sadrs Glaubwürdigkeit unter Iraks Schiiten stärken, so sein Kalkül. Daneben nutzt Muqtada die Zeit offenbar für eine Fortsetzung seines Theologiestudiums in Najaf um seine religiöse Autorität auszubauen und den Rang eines Ayatollah zu erreichen. Aus diesem Grund warnt der ICG-Report davor, die Stärke der Miliz zu unterschätzen. Noch immer übt die Mahdi-Armee die Kontrolle über große Teile Baghdads und den Südirak aus, die für die irakische Armee oder US-Truppen praktisch unangreifbar und staatlicher Kontrolle entzogen sind.
Ausführlich geht der Bericht auch auf das Verhältnis der Sadr-Bewegung zum großen schiitischen Nachbarn im Osten, dem Iran, ein. Die Beziehungen zu Teheran sind nicht frei von Spannungen und ein Großteil der Sadr-Anhänger steht dem iranischen Einfluss auf den Irak skeptisch gegenüber. Die Bewegung ist daher bestrebt sich als islamisch-nationalistische Kraft zu präsentieren, auch wenn ihr Anführer Muqtada al-Sadr in den letzten Jahren viel Zeit im Iran verbrachte um Anschlägen oder Angriffen der US-Armee zu entgehen. Festzuhalten bleibt laut der ICG jedoch, dass das Verhältnis zwischen Iran und der Sadr-Bewegung nicht vergleichbar ist mit dem Verhältnis zur Hizbollah im Libanon. Dies hängt zu allererst mit der mangelnden Disziplin der Sadristen zusammen, die eine Kontrolle der Bewegung praktisch unmöglich macht.
Es bleibt nun abzuwarten ob Muqtada Sadr eine Verlängerung des Ende Februar auslaufenden Waffenstillstands anordnet. Nach Einschätzung der International Crisis Group wächst innerhalb der Bewegung der Druck auf Sadr, die Waffenruhe dann aufzukündigen. Dahinter steckt die Angst, die USA könnten die rivalisierende Badr-Brigaden aufrüsten, ähnlich wie es die Amerikaner mit den sunnitischen Stämmen taten, die seither al-Qaida bekämpfen. Zudem wächst in den Reihen seiner Anhänger der Frust darüber, dass die USA ungeachtet der Waffenruhe weiterhin gegen Milizionäre der Sadr-Bewegung vorgehen und ein wirtschaftlicher Aufschwung in den schiitischen Landesteilen ausbleibt.
Um für einen dauerhaften Waffenstillstand zu sorgen, gibt die ICG mehrere Empfehlungen: So sollten die US-Truppen und die irakische Armee ihr Vorgehen gegen Sadrs Milizen auf militärische Ziele konzentrieren. Nicht-militärische Aktivitäten sollten dagegen toleriert, die Errichtung von Checkpoints im Land jedoch sofort unterbunden werden. Konkurrierende Milizen sollten von den USA und dem irakischen Staat nicht unerstützt und ausgerüstet werden. Da sich die Sadr-Bewegung weigert mit Vertretern der USA und Großbritanniens direkt zu verhandeln, sollten Dritte dazu beitragen die Bewegung in eine ausschließlich politische Kraft umzuwandeln, namentlich die UN, arabische Staaten, die Türkei oder Frankreich. Unbewaffneten Anhängern Muqtada al-Sadr müsse der freie Zugang zu den heiligen Stätten der Schiiten im Irak gewährt werden.
Freitag, 8. Februar 2008
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