Dienstag, 30. November 2010

Erdogan im Libanon: »Oh mein Gott...er spricht türkisch!«

Von Christoph Sydow, Kathrin Hagemann und Dominik Peters
Die libanesischen Kommentarspalten sehen den Besuch des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan als weiteren Beleg für die wichtige Rolle, die Ankara in der Region spielen kann. Während in Israel wieder einmal mit Sorge nach Norden geschaut wird, interessieren sich die türkischen Kommentatoren kaum für die Visite des Premiers

 Kaum hatte sich in der Levante die Aufregung um den Besuch des iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinejad im Libanon gelegt, da landete in Beirut der nächste Staatsgast aus der Nachbarschaft. Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan weilte in der vergangenen Woche zwei Tage lang im Land und traf sich mit fast allen wichtigen Entscheidungsträgern.

Während der Gast aus Teheran das schiitische Herzland im Südlibanon bereist hatte, machte Erdogan gemeinsam mit seinem libanesischen Amtskollegen Saad Hariri einen Abstecher in die Region Akkar im Nordlibanon. Dieses vorwiegend von Sunniten bewohnte Gebiet ist heute das Armenhaus des Libanon und steht üblicherweise nicht auf dem Reiseplan internationaler Staatsgäste. Die libanesische Presse stellt jedoch den wachsenden Einfluss der Türkei im gesamten Nahen Osten in den Mittelpunkt ihrer Leitartikel anlässlich des Erdogan-Besuchs.

Einen direkten Einfluss im Libanon habe die Türkei derzeit noch nicht, analysiert Jihad al-Zein in der libanesischen Tageszeitung al-Nahar. Stattdessen stehe Ankara derzeit zwischen der »iranischen Lobby«, die die Hizbullah unterstützt und der »saudischen Lobby«, die das Lager um den libanesischen Regierungschef Saad Hariri fördert. Der türkische Einfluss im Zedernstaat konzentriere sich bis dato auf steigende Investitionen und einen kontinuierlichen Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen. Die türkische Regierung lasse keinen Zweifel daran, dass sie mittelfristig »von der Brücke zum Nahen Osten zum Zentrum des Nahen Ostens« werden wolle – so zitiert al-Zein den türkischen Außenminister Ahmet Davutoglu. Voraussetzung hierfür seien gute Beziehungen zu allen wichtigen Staaten in der Region, also gleichermaßen zu Syrien wie zum Irak, zu Iran wie zu Saudi-Arabien.
www.annahar.com
 
Ich, die Regionalmacht

Erdogans Libanon-Reise falle in eine Zeit, in der die türkische Nahostpolitik einen schweren Rückschlag haben hinnehmen müssen, so die These von Muhammad Nur al-Din, Kommentator der links-säkularen Zeitung al-Safir. Gegen den Willen Ankaras seien nämlich der Kurde Jalal Talabani als irakischer Präsident und der vom Iran unterstützte Nuri al-Maliki als Premierminister bestätigt worden. »Die Machtbalance zwischen Ankara auf der einen und Erbil, Bagdad und Teheran auf der anderen Seite hat sich in den letzten Wochen verschoben«, bilanziert Nur al-Din. Zudem hätten die türkisch-iranischen Beziehungen durch Erdogans Einwilligung zur Stationierung von Abwehrraketen der NATO Schaden genommen.

Vor diesem Hintergrund versuche die Türkei nun ihre Position im Libanon zu stärken. Dabei profitiere Ankara von seinen guten Beziehungen zu Syrien und seiner Äquidistanz, die Erdogans Regierung zu allen libanesischen Parteien halte. Dennoch habe die Türkei nicht vergessen, dass die Hizbullah vor einigen Monaten eine große Feier zu Ehren der »Märtyrer der Gaza-Flotilla« abgehalten hat.
www.assafir.com
 
Der Journalist Doha Shams hinterfragt in seiner Kolumne kritisch das Spektakel, das Erdogan und Hariri im ländlichen Akkar veranstaltet haben. Wie Heilsbringer sei der Politiker-Tross mit sieben Hubschraubern in der verarmten und von der Regierung weitgehend vernachlässigten Provinz eingefallen, die ganze Szenerie getaucht in ein Fahnenmeer aus türkischem Rot und dem Hellblau der Future-Bewegung von Saad Hariri. Stundenlang hätten die Schaulustigen auf die Politiker gewartet und dabei offenbart, dass sie alles, was sie über die Türkei wüssten, aus türkischen TV-Serien gelernt hätten. Umso überraschter sei das Publikum dann gewesen, als Erdogan endlich das Wort ergriff: »Oh mein Gott...er spricht türkisch!«
www.al-akhbar.com
 
Es ist schwierig, in den türkischen Zeitungen Kommentare zum Libanon-Besuch zu finden: Viele begnügen sich mit Leihgaben aus der L.A. Times oder arabischsprachigen Zeitungen. In der Radikal stellt Cengiz Çandar fest: Der als symbolisch höchst wichtig bewertete Besuch Erdoğans im Libanon war eigentlich die Nachricht an die Weltöffentlichkeit. »Nicht nur der Iran ist eine Regionalmacht, sondern ich auch« – so möchte Tayyip Erdoğan «über den Libanon in die Region und auf die internationale Bühne vordringen«.
www.radikal.com.tr
 
Die Hürriyet zitiert die L.A. Times mit der Feststellung: Der Besuch des Staatschefs sei vor allem auch eine Dienstreise im Zeichen der Wirtschaftsbeziehungen.
www.hurriyet.com.tr
 
Und Ekrem Dumanlı reist für die Zaman im Pressetross des Ministerpräsidenten mit und konstatiert – nach einer ausführlichen Schilderung des türkeifreundlichen Empfanges: »Während die Türkei in eine Vorbildrolle rückt, wird es nötig, noch viel demokratischer und freiheitlicher zu werden. Wenn bloß diese plurale und bunte Erwartung auch in der Türkei alle sehen könnten...«
www.zaman.com.tr
 
Israel sucht neue Verbündete auf dem Balkan

In Israel hat man die Äußerungen des starken Mannes vom Bosporus mit Sorge wahrgenommen. Dennoch: In Jerusalem, so scheint es, sieht man wenig Aussicht auf Erfolg, die einst engen Verbindungen mit der Türkei kurzfristig wiederbeleben zu können. Der nun schon seit Längerem anhaltende kritische Kurs von Premier Erdogan hat deshalb dazu geführt, dass sich die rechtsgerichtete Regierung darum bemüht ihre Kontakte auf dem Balkan auszubauen, dort Verbündete und neue Freunde zu finden, wie Barak Ravid von der links-liberalen Haaretz schreibt.
www.haaretz.com
 
Die bestehenden Kooperationen mit Griechenland und Bulgarien in militärischen- und sicherheitspolitischen Belangen sowie im Tourismussektor wurden in den letzten Monaten ausgebaut, daneben die Beziehungen zu Zypern, Rumänien und Serbien, daneben Montenegro, Mazedonien und Kroatien intensiviert. Vor allem Griechenland und Bulgarien, so Ravid, sehen in Israel einen wichtigen Verbündeten. Israels Armee kann deshalb seit kurzem den bulgarischen Luftraum und Flugplätze des Balkanlandes zu Trainingszwecken benutzen. Und auch im krisengeschüttelten Griechenland erfreut man sich der intensivierten Beziehungen – mit denen gleichzeitig Geld in die klammen Kassen kommt. In diesem Jahr sind die Besuche israelischer Urlauber um 200 Prozent gestiegen – in der Türkei, traditionell eines der beliebtesten Reiseländer, fühlen sie sich nicht mehr wohl.

Ob die neugeschmiedeten Allianzen jedoch den alten Pakt mit der Türkei dauerhaft ersetzen können, bleibt abzuwarten. Denn auch Israels Regierung weiß, dass die neuen Verbündeten nicht ansatzweise das weltpolitische Gewicht der Türkei auf die Waage bringen und man nicht dauerhaft auf den einzig effektiven und verbliebenen Vermittler im Nahost-Konflikt, der von beiden Parteien akzeptiert wurde, verzichten kann.

1 Kommentar:

lynxxx hat gesagt…

Letztlich ist der türkischen Öffentlichkeit Aussenpolitik meistens eh nicht so wichtig. Leider. Ganz anders sieht die mediale Landschaft in Deutschland aus, mit ihrer vielfältigen Berichterstattung über die ganze Welt. In der Türkei eher spärlich, höchsten einmal, wenn in irgendeiner Form Türken involviert sind, z.B. gibt es "neuerdings" seit Jahren Reiseberichte über andere Länder, aber dort werden vor allem Kontakte zu Türken gesucht, oder wenigstens Leuten, die türkisch reden können, um dann wiederum über die Türkei "lobzuhudeln"...
Insofern nicht verwunderlich, wenn kaum über Erdogans Besuch im Libanon berichtet wurden. Schade. Aber mit steigendem Bildungsgrad, mit steigendem Wohlstand und zunehmenden Tourismus auch ausserhalb des Landes durch die Türken, wird sich das Interesse an der Welt hoffentlich steigern...
Gruß und guten Rutsch.