Dienstag, 2. November 2010

Jitzhak Rabin-Gedenktag: Vom Menschen zum Mythos

Zehntausende Israelis versammelten sich am 30. Oktober in Tel Aviv, um der Ermordung Jitzhak Rabins vor 15 Jahren zu gedenken - und an eine Zeit zu erinnern, als ein Frieden im israelisch-palästinensischen Konflikt in greifbarer Näher erschien.


Drei Nachrichten in drei Stunden. Das war es, was Israel vor 15 Jahren erst in kollektive Schockstarre und dann in tiefe Trauer stürzte. »Auf Rabin wurde geschossen«, »Rabin ist schwer verletzt« und schließlich: »Jitzhak Rabin ist tot.«

An seine Ermordung, erinnerten tausende Israelis am Samstag auf dem einstigen »Kikar Malchei Israel – Platz der Könige Israels«, der heute nach ihm benannt ist. Dort hatte er sich am November 1995 mit eindringlichen Worten auf einer Friedenskundgebung an die Israelis gewandt: »Ich bin 27 Jahre lang Soldat gewesen. Ich habe so lange gekämpft, wie der Frieden keine Chance hatte. Jetzt aber gibt es eine Chance, eine große Chance, und wir müssen sie ergreifen, denen zuliebe, die hier sind, und auch um jener willen, die nicht gekommen sind.«

Im Anschluss an seine Rede sang er das »Schir HaSchalom – Das Lied des Friedens« – und wurde kurz darauf von dem national-religiösen Fanatiker Jigal Amir hinterrücks erschossen. Er war ein Einzeltäter. Gleichwohl gab es damals in Israel eine große Gruppe, die gegen einen Frieden waren und vom damaligen Oppositionsführer Benjamin Netanjahu aufgepeitscht wurden, was allzu oft vergessen wird.

Später Wandel zum Friedensstifter

Die Mehrheit aber war bereit, Rabin zu folgen – und damit schmerzhafte Kompromisse einzugehen, um einen dauerhaften Frieden zwischen Israelis und Palästinensern erreichen zu können. Sie vertrauten ihm, dem »Sabre«, der 1922 in Jerusalem geboren wurde, als Sohn eines ukrainischen Juden, der im Ersten Weltkrieg in der Jüdischen Brigade der britischen Armee gekämpft hatte, und einer russischstämmigen Mutter, die als »Rote Rosa« die Untergrundorganisation »Haganah« in Haifa geführt hatte und mit Golda Meir eng befreundet war.

Seine Eltern prägten ihn, obgleich die Mutter früh starb, und so wurde Rabin zum Berufssoldaten. Erst nahm er 1941 an britischen Militäroperationen im Libanon und Syrien teil, dann bekämpfte er die Mandatsmacht als stellvertretender »Palmach«-Befehlshaber, einer Eliteeinheit der »Haganah«. Nach der Gründung des Staates Israel 1948 baute er die junge Armee mit auf und führte sie später als Generalstabschef im Krieg von 1967, während dem der Kettenraucher einen totalen physischen und psychischen Zusammenbruch erlitt. Er, der ansonsten zutiefst säkular eingestellt war, war es dann auch, der in Anlehnung an die sechs Tage der biblischen Schöpfungsgeschichte dem Krieg den Namen »Sechs- Tage-Krieg« gab, um die Dimension, die dieser Krieg für Israel hatte, zu verdeutlichen.

Rabins Ausstieg aus dem Militär kurze Zeit später, der ihm 1968 zuerst das Amt des Botschafters in den USA einbrachte, folgte eine lange Karriere als Politiker. 1973 trat er in die Arbeiterpartei ein und wurde unter Meir, die in ihm immer den Sohn der »Roten Rosa« sah, Arbeitsminister, und im Jahr darauf ihr Nachfolger im Ministerpräsidentenamt. 1984 wählte ihn dann sein größter Rivale Schimon Peres zum Verteidigungsminister in seinem Kabinett. Damals hatte er den Wandel vom Feldherrn zum Friedensstifter noch nicht vollzogen.

1988, während der ersten Intifada, soll er dafür plädiert haben, den Palästinensern Hände und Beine zu brechen, was ihm in der arabischen Welt den Beinamen »Knochenbrecher« einbrachte und was seine deutschstämmige Frau Leah Rabin bis zu ihrem Tode im Jahr 2000 leugnete. Der ehemalige Soldat, für den die Sicherheit Israels sakrosant war, blieb bis 1990 im Amt – und galt als verteidigungspolitische Instanz, nachdem der einäugige Mosche Dayan und Jigal Allon gestorben waren.
1992 wurde er dann ein zweites Mal Ministerpräsident – und zum Wegbereiter der Friedens.

Er brachte das Oslo-Abkommen mit Palästinenserpräsident Jassir Arafat auf den Weg, das einen Abzug der israelischen Armee aus der Westbank und dem Gaza-Streifen sowie die Einsetzung einer palästinensischen Selbstverwaltung in den besetzten Gebieten vorsah. Für diesen Vertrag, so kurz nach der ersten Intifada, bekam Rabin gemeinsam mit Arafat und Peres 1994 den Friedensnobelpreis. Ein Jahr später traf er sich dann mit dem Palästinenserpräsident, Ägyptens Hosni Mubarak, dem jordanischen König Hussein und US-Präsident Bill Clinton in Washington, um das zweite Osloer Abkommen zu unterzeichnen – und eine historische Rede zu halten.

»Was Sie hier vor sich sehen, war noch vor zwei oder drei Jahren unmöglich, ja fantastisch. Nur Dichter haben davon geträumt. Hier stehen wir vor Ihnen, Männer, die vom Schicksal und der Geschichte auf eine Friedensmission geschickt wurden: einhundert Jahre Blutvergießen für alle Zeiten zu beenden«, sagte er. Und wurde wenige Monate später ermordet. Das Liedblatt, von dem er das »Schir HaSchalom« kurz vor seiner Ermordung abgesungen hatte, war durchschossen und mit seinem Blut getränkt.

Bereits vor zwei Wochen wurde Rabin in verschiedenen Zeremonien gedacht, weil Israel seine nationalen Gedenktage nach dem jüdischen Kalender berechnet. Eröffnet wurden die in einer offiziellen Zeremonie in der Residenz des Präsidenten Schimon Peres; Rabins einstiger Gegner und heutiger Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sprach zudem auf dem Jerusalemer Herzlberg und in der Knesset wurde eine Sondersitzung abgehalten.

Zehntausende hatten sich nun nochmals am Samstag, auf den Tag genau fünfzehn Jahre nach Rabins Ermordung, in Tel Aviv zu einer Kundgebung getroffen. Vorausgegangen war ein heftiger Streit darüber, ob die Gedenkveranstaltung, wie in allen Jahren zuvor, im Fernsehen ausgestrahlt werden sollte. Bis Mitte vergangener Woche hatte es danach ausgesehen, dass alle drei großen TV-Sendeanstalten – Channel 1, 2 und 10 – das Programm nicht unterbrechen würden. Die israelische Öffentlichkeit aber protestierte vehement, Facebook-Gruppen wurden gegründet und erreichten binnen Stunden Tausende von Befürwortern. Der Druck wurde schlussendlich zu groß – die drei Sender strahlten die Zeremonie am Samstagabend aus.

Und so nahmen viele Israelis vor Ort und am Fernseher noch einmal Abschied von Jitzhak Rabin, der sich nach seinem Tod vom Menschen zu Mythos entwickelt hat. Von ihm, der immer als zurückhaltender, stiller, ja wortkarger Mann beschrieben wird, und der doch in seinen letzten Lebensjahren immer wieder die richtigen Worte gefunden hatte, wie bei seiner Rede bei der Unterzeichnung des ersten israelisch-palästinensischen Abkommens vor dem Weißen Haus in Washington, als er in Richtung der Palästinenser sagte: »Genug der Tränen und des Blutes. Genug. Wir haben keinen Hass auf euch. Wir sehnen uns nach keiner Rache. Wir sind – wie ihr – Menschen, die ein Haus bauen wollen, einen Baum pflanzen, lieben wollen.«

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