Dienstag, 14. August 2012

»Ich bin ein Zauberer!«

Unter dem deutschen Trainer Theo Bücker hat die Nationalmannschaft des Libanon erstmals die Chance, sich für die WM 2014 zu qualifizieren. Helen Staude sprach mit Bücker über nervige Verbandsfunktionäre und zu wenig Schlaf. Ein Gastbeitrag von Nahost Fußball.

 

Interview: Helen Staude / Fotos: Björn Zimprich


Helen Staude: Herr Bücker, in den letzten Monaten haben sie im Libanon unglaublich viel erreicht. Zum ersten Mal steht der Libanon in der letzten Qualifikationsrunde einer Weltmeisterschaft. Dennoch halten sich die Gerüchte, dass sie die Nationalmannschaft verlassen wollen. 

Theo Bücker: Ja, das könnte passieren. Vor neun Monaten zwang mich der Generalsekretär des Verbandes mehr oder weniger dazu, die Nationalmannschaft zu übernehmen. Er hat mich angerufen: ‚Hör zu Theo, du bist unser Freund. Du weißt, dass du uns helfen musst. Du musst die Nationalmannschaft übernehmen. Aber du weißt, wir können dir nichts bezahlen.’ Ich habe ja gesagt, Fußball ist mein Leben. Das ist für mich viel mehr wie Brot und Wasser. Am Anfang haben mich alle in Ruhe arbeiten lassen. Die Spieler haben nach Erfolg gedürstet, haben mich nur angestarrt und gesagt: ‚mach mal’. Und zackzackzack waren wir, wie sagt man so schön, an der Sonne. Als wir dann oben waren,  kamen natürlich viele aus dem Vorstand. Jeder ist auf einmal der Vater des Erfolges. Alle Verantwortlichen sind seit über 25 Jahren dabei aber keiner ist jemals zu einem Spiel gekommen. Die versuchen nun, mir zu erklären, wie das Spiel funktioniert. Und da ist der Haken. Der Erfolg, den wir ja nachweislich in den letzten Monaten hatten, ist ausschließlich auf meinem und dem Mist der Spieler gewachsen und sonst gar nichts. Wenn ich hier morgen weggehe, dann bricht hier alles zusammen wie ein Kartenhaus. Ich bin mit sehr vielen Dingen, die im Verband laufen, nicht einverstanden. Und ich will nicht, dass wir jetzt hier eine Achterbahnfahrt erleben. Wenn sich nicht entscheidende Dinge nicht ändern, dann hat es für mich keinen Sinn weiterzumachen.

Wenn man sie reden hört, dann müssten ja alle großen Köpfe des Verbandes ausgetauscht werden.

Nein, gar nicht, nur die Klappe halten sollten sie. Macht das, was ihr bisher auch gemacht habt. Sitzt da und sagt nix. Ich bin ja nicht gegen euch. Ich bin nur dagegen, dass ihr vom Tot erwacht und mir das Spiel erklärt.

Wie hoch sehen sie die Chancen, sich für die WM zu qualifizieren?

Alle Verbände sind uns Lichtjahre voraus. Wir sind der einzige Verband, der überhaupt kein Geld hat. Der keine Basis, keine Struktur in der Liga hat. Ich als Nationaltrainer kann ja nur gute Spieler nehmen, wo täglich gut trainiert und gearbeitet wird und ein ständiger Wettbewerb am Wochenende in der Liga ist. Haben wir ja alles nicht. Ich bin ja ein Zauberer. Das, was ich da gemacht habe, geht ja eigentlich nicht. Aber ich habe bewiesen, dass die Art und Weise, wie ich trainiere, mit anderen gleichziehen kann. 

Zurück zur Frage....

Wir haben kein Recht, uns mit Südkorea oder Iran zu vergleichen. Die Weltmeisterschaft 2014 darf eigentlich nicht unser Ziel sein, nur unser Traum. Wir haben das Recht zu träumen, aber wir müssen realistisch sein. Die Teilnahme an der Qualifikation sollte eine Lehrzeit sein. Wunder passieren, aber nicht jeden Tag. Das Wunder ist, dass wir jetzt hier sind. Die Verantwortlichen müssen das verstehen. Das wäre mehr Wert, als nach Brasilien zu kommen. Wenn wir nach Brasilien kommen sollten, müssen wir uns ja auch fragen, ob das gut für uns ist. Wir könnten ja auch demoliert werden. Das heißt, ein vernünftiger Aufbau wäre für uns mehr wert als ein Schuss ins Fußballweltall welcher uns auseinander reißt. 

Sie haben 1983 Ihre Spielerkarriere bei Schalke 04 beendet und sind 2001 das erste Mal Trainer im Libanon geworden. Warum ausgerechnet der Libanon?

Ich bin durch den Unwillen des Lebens hierhin gespült worden. 1997/98 bin ich gefragt worden, hierher zu kommen. Ich habe dies abgelehnt. Es machte für mich beruflich keinen Sinn da ich einen guten Vertrag hatte. Dann bat mich zu der Zeit meine damalige Frau, in Deutschland zu bleiben. Wir hatten ein Geschäft zusammen und sie brauchte mich. Doch dann stirbt plötzlich meine Frau. Nach monatelangem Dahindämmern kam ein neues Angebot. Ich erinnere mich sehr gut, ich bin am 1. Januar hier angekommen. Und nach einer Stunde habe ich mich gefragt, was für einen Blödsinn habe ich jetzt nur wieder gemacht? Was kann ich machen, um hier wieder wegzukommen. In den kommenden Wochen und Monaten hat sich das Bild gedreht. Ich habe einen Strich gezogen und in Deutschland alles verkauft. 

Und Fußballerisch? Was haben sie hier vorgefunden, als sie mit ihrer Arbeit anfingen?

Als ich vor 10 Jahren hierher kam, stellte ich fest: Mein lieber Mann, hier ist ja was, was noch keiner gesehen hat. Hier ist tatsächlich Gold. Es muss nur frei gefegt und poliert werden und dann kann man da richtig was mit machen. Und als ich dann zwei drei schöne Stücke gefunden habe, habe ich die auch verkaufen können, nach Deutschland. Mohammed Yossuf und Roda Atar, die lange in Köln gespielt haben. Die haben gezeigt, dass der Libanese in Deutschland im Profifußball durchaus eine gute Rolle spielen kann. 

Zwischen 1969 und 1973 haben Sie 112 Spiele für Borussia Dortmund absolviert. Momentan ist der BVB unter Jürgen Klopp das Maß aller Dinge. Können Sie von Klopp noch was lernen?
 
Nein, nicht wirklich. Das, was Klopp tut, ist das, was ich schon seit langer Zeit mache. Ich sage nicht: moderner Fußball. Diese Geschichte existiert gar nicht. Modern ist immer nur das Ergebnis. Jeder Trainer ist vor die Aufgabe gestellt zu gewinnen. Platt ausgedrückt: ich brauche eine Mannschaft, die in der Lage ist, mehr Tore zu schießen als der Gegner oder weniger hereinzubekommen. Das heißt ich spreche über Angriff und Abwehr. Das Größte, das ich als Spieler erreichen kann, ist, dass meine Mannschaft im Ballbesitz ist. Um mit dem Ballbesitz einen Treffer zu erzielen. Und der Ballbesitz ist gleichzeitig Abwehr. Wenn wir den Ball haben, kann uns niemand schädigen. Und in dem Moment wo der Ball die Seite wechselt, dass wir körperlich und geistig uns auf eine Situation einstellen müssen, den Ball zurückzubekommen. Das ist alles, wobei es beim Fußball geht. 

Was machen Sie anders, als ihre deutschen Kollegen?

Wenn ich nach Deutschland komme, laufen die Spieler immer durch den Wald. Ich lerne Fußball nicht, wenn ich im Wald laufe oder um Hütchen. Das ist ja Blödsinn. Die meisten Trainer üben nur, trainieren aber nicht. Wir versuchen, die Grundelemente des Fußballs, Angreifen und Abwehr, so umsetzen, dass es allen Spaß macht. Und, dass Abwehr keine Strafe ist, sondern eine Belohung. In Ballbesitz zu kommen um ein Tor zu schießen. Wir machen keine Übungen, sondern wir trainieren. Und Training kann man eine Übung nur nennen, wenn alle Teile des Fußballs, des Spiels, in der Übung beinhaltet sind. Und das ist es, was wir hier im Libanon tun. Mit dieser Geschichte war ich bisher in allen Ländern in der arabischen Welt sehr erfolgreich. Wie in Kuwait, in Saudi-Arabien, in den Emiraten, in Ägypten, und hier. 

Was fehlt den Spielern im Libanon zu Weltklasseprofis?

Das wir hier nicht gleich morgen Weltmeister werden liegt an der fehlenden Ausdauer der Spieler. Die basiert auf dem notwendigen  täglichen Training, Erholung nach dem Training und auf der Ernährung. Sie wissen hier nichts von dem so wichtigen Übernachtschlaf und der gesunden Ernährung. Dass man eben weiß wann, was und warum man essen und trinken sollte. Es gibt in der gesamten afrikanischen oder arabischen Welt keinen Fußballer, der richtig fit ist. Es wird auch niemals eine Chance geben, einen Spieler richtig fit zu machen. Weil die Lebensphilosophie in der arabischen Welt ebenso ist, dass sich ein großer Teil des Lebens in der Nacht abspielt. Das Problem für mich ist, dass ich nicht in der Lage bin, eine ganze Mannschaft, einen ganzen Verein oder einen ganzen Staat früher ins Bett zu schicken oder aber dass ich aus allen Makrobioten mache. Da arbeite ich dran. Dass ich wenigsten eine Gruppe dazu bringe, mit mir Fußball zu machen.

Sie haben angesprochen, dass der libanesische Verband kein Geld hat, keine Struktur. Gibt es denn überhaupt einen finanziellen Anreiz für die Spieler, sich diszipliniert zu verhalten? 

Ein Fußballspieler verdient hier im Verein ungefähr 1500 Dollar im Monat. Am Anfang der Saison erhält er zusätzlich 5-10000 Dollar. Dann bekommt er Prämien, um die 150 Euro pro Spiel. In einem guten Verein sind das noch mal 500 Euro extra. Zusammen sind das dann 2000 Dollar. Damit ist er weit aus besser dran, als die meisten Arbeiter im Lande. Wenn dieser Spieler dann noch für die Nationalmannschaft spielt, kriegt er, bevor er überhaupt nur einen Ball berührt hat, weitere 500 Dollar monatlich und Prämien.

Die aber vom Verband nach dem letzten Spiel der dritten Qualifikation nicht ausbezahlt wurden...

Die Situation ist die: Der Libanese ist ein großer Geschäftsmann. Der Vorstand zahlt also nur, wenn er auch unter Druck ist. Nun hat er die Finalerunde ereicht. Warum soll er nun etwas zahlen, wenn er schon da ist? Die Spieler haben das Recht, dagegen anzugehen. Der sagt nun aber: ‚Ne, ihr habt das letzte Spiel verloren, dafür zahlen wir nix.’ Das ist der Streitpunkt. Wenn ich nun aber die letzten fünf Monate zurückgehe, da hat jeder Spieler ungefähr 35.000 Dollar nur an Prämie erhalten. Rechnet man das alles zusammen, hat jeder Spieler über 5000 Dollar im Monat verdient. Dieses sich beschweren oder das Rumnörgeln hat hier eine unglaubliche Tradition. Wenn ich eine Nummer eins sein will, dann muss ich auch wie eine arbeiten. Und da haben wir unser Problem. Jeder will Profi genannt werden aber keiner will so leben. 

Bis vor einigen Monaten gab es eigentlich keine nationale Fankultur. Aufgrund heftiger Ausschreitungen und Rivalitäten zwischen Vereinen und den Fans waren Fans jahrelang nicht zu Spielen zugelassen. Ihr Erfolg scheint das nun zu ändern.

Der Libanese ist sehr stolz. Langezeit war Basketball der beliebteste Sport im Libanon. Nun hat ihn der Fußball mit weitem Abstand abgehängt. Jahrelang hingen nur italienische, spanische und deutsche Flaggen auf den Balkonen. Das zeigte ja stets die tiefe Liebe des Libanesen zum Fußball. Das lag aber ja nur daran, dass dieser Fan vorher keine Heimat hatte. Der hat seine Fußballliebe irgendwo hingegeben, weil er hier als Patriot keine Heimat hatte. Das hat sich nun verändert.

Sollte sich der Libanon nun doch qualifizieren. Was würde das für die religiösen Spannungen zwischen den Vereinen und im Land bedeuten?

Das würde mit Sicherheit bedeuten, dass diese Spannungen dramatisch zurückgehen würden. 

Das heißt die Qualifikation zur WM könnte ihrer Meinung nach ein Schritt sein, das Land zu befrieden?

Ja natürlich. Jaaa, auf jeden Fall! Die Liebe zu Fußball ist viel, viel Größer als die Liebe zu Politik oder zu Religion. Gerade weil dieses Element vorher nicht bestand, haben sie sich in die religiösen und politischen Geschichten geflüchtet. Jeder hat ja irgendein Ziel. Der Fußball ist nun auf dem allerbesten Weg, die Politik und die Religion abzulösen.

Dieses Interview erschien am 10. August 2012 bereits auf 11 Freunde.

 

2 Kommentare:

Fussballgott hat gesagt…

Vielen Dank fuer das ueberragende Interview. Ich habe lange nicht mehr so gelacht. Mal ehrlich, hat unser Theo vor oder waehrend des Interviews nicht zu weit ins Arakglas geguckt?

M.Ayad hat gesagt…

Ein ausgezeichnetes Interview! Nichts beschreibt den negativen Teil der libanesischen Mentalität besser als diese Aussage: "Jeder will Profi genannt werden aber keiner will so leben." Das ist problemlos auf alle Aspekte des libanesischen Gesellschaftsleben übertragbar.