Aus Beirut berichtet Björn Zimprich
Samstagnachmittag: Ermittler am Anschlagsort in Achrafieh (Foto: Björn Zimprich) |
14.47 Uhr. Ein dumpfer Knall gefolgt von einem
heftigen Windzug. Die Beirutis wissen sofort, was passiert ist, bis in weite
Ferne zittert die Erde. Eine Bombe. Die Frage lautet nur: Wo genau ist sie
detoniert? Wenig später steigt dichter schwarzer Rauch über der Stadt auf.
Menschen laufen im Stadtteil Badaro auf die Straße. Gucken von Balkonen. »Es ist
am Sassine«, ruft eine alte Madame von ihrem Balkon. Der belebte Sassine-Platz
liegt im Viertel Achrafieh, der Kreisverkehr mit vielen anliegenden
Schnellrestaurants und einem großen Einkaufszentrum ist einer der wichtigsten
Verkehrsknotenpunkte im Osten der Stadt.
»Wen hat es getroffen?«, fragt der Hausmeister
des Gebäudes nach dem Anschlagziel. Die Bombe explodierte in einer Seitenstraße
in Achrafieh. Sie töte 8 Menschen und verletzte 78 weitere. Es war der erste
Autobomben-Anschlag in Beirut seit dem 25. Januar 2008. Zahlreiche Menschen
werden von fliegenden Glassplittern verletzt. Fassaden und Balkone werden
zerstört. Das Tatauto fliegt Augenzeugenberichten zufolge bis in die Höhe des 5
Stocks und landet 10 Meter weiter auf einem anderen PKW. Sprengstoffexperten
schätzen den verwendeten Sprengsatz auf ca. 30 Kilogramm. Spuren werden durch
die Wucht der Detonation vermutlich zerstört.
Nach Bekanntwerden des Bombenanschlags brachen
im gesamten Land teils gewaltsame Proteste aus. In sunnitischen Orten und
Städten sowie mehrheitlich sunnitischen Stadtteilen in Beirut wurden Straßen
blockiert. Betroffen waren im Norden Tripoli und zahlreiche Orte in der
Akkar-Ebene, der Küsten-Highway bei Naameh
sowie in Saida und der in Bekaa-Ebene der Highway bei Saadnayel. Alle
genannten Orte gelten als Hochburgen der Zukunftsbewegung von Saad Hariri.
Bewohner des Stadtteil Achrafieh protestierten am Samstag Nachmittag friedlich
gegen den Anschlag in ihrem Stadtviertel.
Der Libanon wurde von 2004 bis 2008 von einer
Serie an Anschlägen gegen Politiker geplagt. Nach und nach traf es einen
Politiker nach dem anderen. In der Mehrheit galten sie als Kritiker des
syrischen Regimes. Das bekannteste Attentatsopfer war der ehemalige
Ministerpräsident Rafik Hariri der bei einem Bombenanschlag auf seinen
Fahrzeugkonvoi am 14. Februar 2005 starb. In den folgenden anderthalb Jahren
wurden dann unter anderem der Verleger Gebran Toueini, der Intellektuelle Samir
Kassir, der Chef der libanesischen Kommunisten, George Hawi, und der damalige
Industrieminister Pierre Gemayel Jr. ermordet.
Doch diesmal galt die Autobombe keinem Konvoi
eines Politikers. Es dauerte Stunden, bis am späten Freitagabend das Ziel des
Anschlages bekannt wurde: Wissam al-Hassan, Brigadegeneral der ISF. Die ISF sind
die »Interne Sicherheitskräfte des Libanons«, sie nehmen Polizeiaufgaben wahr,
sind jedoch auch für Drogen- und Terrorbekämpfung zuständig und unterstehen
offiziell dem Innenministerium. Al-Hassan sollte zum Ende des Jahres die
Leitung der ISF einnehmen.
Im konfessionell geprägten politischen System
des Libanon werden Ministerien und staatliche Institutionen von bestimmten
konfessionell und/oder politischen Parteien dominiert. Die ISF steht dabei
politisch der Zukunftsbewegung von Ex-Ministerpräsident Saad Hariri, dem Sohn
und Nachfolger von Rafik Hariri, nahe. Bereits 2008 wurde mit Wissam Eid ein
sunnitischer ISF-Offizier, der mit den Ermittlungen im Mordfall Hariri vertraut
war, bei einem Anschlag im Nordwesten Beiruts getötet. Wissam al-Hassan galt als
enger Vertrauter des Hariri-Clans. Pikant an der Personalie ist, dass er
zwischenzeitlich verdächtigt wurde, an der Ermordung von Rafik Hariri beteiligt
gewesen zu sein. Saad Hariri hat jedoch zu jeder Zeit sein Vertrauen und seine
Verbundenheit zu al-Hassan zum Ausdruck gebracht. Möglicherweise war auch diese
Episode nur sinnbildlich für den Machtkampf, der in den vergangenen Jahren um
Einfluss und Kontrolle der ISF tobte. Der einst hoffnungsvoll gestartete
Innenminister Ziyad Baroud warf deswegen im vergangenen Jahr das Handtuch.
Al-Hassan leitete bis zu seinem Tod die
Geheimdienstabteilung der ISF, die erst nach dem Attentat auf Rafik Hariri 2005
auf seine Größe als eigenständiger Inlandsgeheimdienst aufgebaut worden war.
Der Geheimdienst der ISF stand dabei in Konkurrenz zu Jenem der libanesischen
Armee, der christlich geführt und unter starkem Einfluss des syrischen Regimes
stehen soll, sowie der »Sûreté Général«, die schiitisch geführt ist und der
Hizbullah nahesteht.
Wissam al-Hassan war maßgeblich an den
Ermittlungen gegen Ex-Informationsminister Michel Samaha beteiligt, der am 9.
August 2012 verhaftet worden war. Samaha wird vorgeworfen, führender Kopf einer
Verschwörung zu sein, die in Zusammenarbeit mit dem syrischen Regime Attentate
im Libanon durchführen sollte. Ihm wird der Schmuggel von Sprengsätzen in den
Libanon zur Last gelegt – in direktem Auftrag des syrischen Ministers für
Nationale Sicherheit Ali Mamlouk, gegen den ein libanesisches Gericht ebenfalls
Anklage erhob. Die Verhaftung Samahas wurde von Beobachtern als Indiz für den
schwindenden Einfluss des syrischen Regimes im Libanon bewertet. Kritiker aus
der Regierungskoalition des 8. März warfen der ISF dagegen eine politisch
motivierte Kampagne vor.
Selbst wenn die Vorwürfe gegen Michel Samaha
zutreffen sollten, beweist die Explosion auf dem Sassine-Platz, dass seine
öffentlichkeitswirksame Festnahme und Anklage das Risiko von Attentaten und
Sprengstoffanschlägen keineswegs gebannt hat. Politiker der
Oppositionskoalition 14. März sowie PSP-Chef Walid Jumblat beschuldigten
einhellig das syrische Regime, hinter dem Anschlag zu stecken.
Ein Anschlag dieser Dimension ist nur durch
geschulte Spezialisten durchführbar. Unentdeckte Routen von geschützten
Persönlichkeiten wie Wissam al Hassan aufzudecken, erfordert größeren
geheimdienstlichen Aufwand. Platzierung und zeitgenaue Zündung der Autobombe
benötigen zusätzliche Präzision und Sicherheitsmaßnahmen. Kleinere
Terrorgruppen im Libanon sind zu solch präzisen Operationen nicht in der Lage.
Der Anschlag ist damit nicht zu Vorfällen bei Saida und Sur in den letzten
Jahren zu vergleichen, die zudem meist auf Soldaten der internationalen
UNIFIL-Mission zielten. Die breit geäußerte Vermutung, dass Personen aus der
Nähe des syrischen Regimes hinter dem Anschlag stecken, ist naheliegend, wenn
auch keinesfalls bewiesen. Wie die unmittelbar folgenden Proteste zeigen,
bergen solche Attentate die Gefahr einer weiteren Eskalation konfessioneller
Gewalt im Libanon. Aufflammende Gefechte in Tripoli sollen bereits ein weiteres
Todesopfer gefordert haben.
2 Kommentare:
@Björn Zimprich
Für wie realistisch schätzt Du den Vorwurf, dass al-Hassan selbst im Hariri-Attentat verstrickt war?
Dass der Sohn Saad Hariri ihm vertraut hat, muss ja nichts heißen. Ich persönlich halte Saad nicht für besonders scharfsinnig.
An sich ist es doch absurd einen Verdächtigen in einem Mordanschlag die Zuständigkeit für einen inneren Geheimdienst zu geben.
Ich würde mich über eine Meinung freuen!
Lieber "M.A.",
Danke für deinen Kommentar. Eine fundierte Einschätzung zu dem Fall, kann ich dir leider nicht liefern.
Ich stimme dir aber zu, dass die persönliche Meinung von Saad Hariri für sich noch kein Freispruch ist.
Es wäre damals (2005) sicherlich ratsam gewesen, in alle Richtungen zu ermitteln und zwar gründlich. Das würde heute den Raum von allerlei Verschwörungstheorien bis berechtigten Zweifeln einschränken.
Ich persönlich halte es aber für sehr unwahrscheinlich, dass der Chef-Bodyguard an einem Attentat beteiligt ist und dann unaufgedeckt sieben Jahre weiter Karriere macht ...
Kommentar veröffentlichen