Statt der geplanten Machtdemonstration zur Beisetzung Wissam
al-Hassans sorgt die libanesische
Opposition für Negativschlagzeilen: Nach der Zeremonie kommt es zu
Ausschreitungen und Zusammenstößen mit der Polizei. Derweil wird der Ruf nach
dem Rücktritt der Regierung immer lauter.
Von Björn Zimprich (Beirut) und Bodo Straub. Bilder: Zimprich
Demonstranten vor der Al-Amin Moschee |
Ein buntes Fahnenmeer hat sich einmal mehr auf dem Beiruter
Märtyrerplatz versammelt. Das Hellblau der Zukunftsbewegung von Saad Hariri
mischt sich mit dem Weiß der Flaggen der Force Libanese sowie den stilisierten
Zedern der Kataib. Wie selbstverständlich dabei: die schwarzen Flaggen der
Salafisten oder die grünen der Jamaat al-Islamiya, der islamischen Gemeinschaft,
wie sich der libanesische Ableger der Muslimbrüder nennt. Gruppen, die unterschiedlicher
nicht sein könnten, von konservativen Christen bis zu strenggläubigen Muslimen
demonstieren Einigkeit unter dem Banner der Koalition des 14. März. Auch
vereinzelte Anhänger der Progressiven Sozialisten Partei von Druzenführer Walid
Jumblat haben sich am Märtyrerplatz eingefunden, obwohl die PSP nicht zur
Teilnahme an der Demonstration aufgerufen hat. Allein: Es sind zu wenige.
Hunderttausende Demonstranten hatte die Opposition erwartet, ein paar tausend
sind gekommen.
Was sie eint, ist der Aufruf ihrer politischen Führer sowie
die Abneigung gegen einen starken Einfluss des syrischen Baath-Regimes auf die
Geschicke des Libanon. Die Koalition war 2005 nach den Anschlägen auf den
ehemaligen Ministerpräsidenten Rafik Hariri geschmiedet worden. Die
Massendemonstration am 14. März, die im Westen unter dem Begriff
„Zederrevolution“ bekannt wurde sowie internationaler Druck führten zum Abzug
der syrischen Besatzungstruppen die nach Ende des libanesischen Bürgerkriegs im
Libanon verblieben waren.
Am 21. Oktober wendet sich wieder eine große Menschenmenge
in Beirut gegen den Einfluss des Assadregime im Libanon. Der Auslöser diesmal:
Die Ermordung von Wissam al-Hassan, Brigadegeneral der »Interne
Sicherheitskräfte des Libanons« ISF, sowie sieben weiterer Libanesen, am Freitagnachmittag durch eine Autobombe
im Beiruter Stadtteil Achrafieh.
Wissam al-Hassan war maßgeblich an den Ermittlungen gegen
Ex-Informationsminister Michel Samaha beteiligt, der am 9. August 2012
verhaftet worden war. Samaha wird vorgeworfen, führender Kopf einer
Verschwörung zu sein, die in Zusammenarbeit mit dem syrischen Regime Attentate
im Libanon durchführen sollte.
Großplakate in Downtown Beirut erinnert an den "Märtyrer" Wissam Al-Hassan |
Der Tod al-Hassans, den die libanesische Presse
als „Super-Bulle“ bezeichnet, als „wertvollsten und unersetzlichsten aller
Funktionäre“,
trifft das Land schwer.
„Bachar al Assad hat das Attentat auf den Martyer Wissam al
Hassan persönlich befohlen“ gibt sich Mohammad Kabara aus Tripoli überzeugt.
„Miqati muss sofort zurücktreten! Er hat die Sunniten des Libanon durch seine
Koalition mit der Hizbollah verraten!“ So wie Mohammed denken heute viele am Märtyrerplatz.
Als der Name von Ministerpräsident Najib Miqati auf den Übertragungsleinwänden
erwähnt wird ertont ein Konzert von Pfiffen und Buhrufen. Zahlreiche
Demonstranten halten Plakaten mit dem Slogan „Miqati dégage!“ (Miqati verpiss
dich) hoch. Auch der ehemalige Premierminister des Libanon, Fouad Siniora,
fordert bei seiner Ansprache während der Trauerfeier den Rücktritt Mikatis.
Auch per Motoroller sind die Demonstranten unterwegs |
Bereits gestern hatten rund 2000 Libanesen, hauptsächlich
Anhänger der Oppositionsparteien Lebanese Forces und Hariris Future Movement in
Beirut demonstriert. Sie forderten den Rücktritt der Regierung. Premierminister
Najib Mikati hatte auch tatsächlich sein Amt zur Verfügung gestellt. „Ich habe
Präsident Michel Sleiman versichert, dass ich nicht an meinem Posten als
Regierungschef hänge. Er bat mich jedoch zu bleiben, da es sich nicht um eine
persönliche Frage handele, sondern um das nationale Interesse“, berichtete
Mikati. Präsident Sleiman selbst stellte in einer Kabinettssitzung gestern
Abend ebenfalls den Zusammenhang zwischen dem Anschlag auf al-Hassan sowie
dessen Untersuchungen zum Fall Samaha her. Der ehemalige Premierminister Saad Hariri sowie der Druzenführer Walid Jumblatt hatten Syriens Präsidenten
Bachar al-Assad direkt für den Anschlag am Freitag verantwortlich gemacht.
Obwohl sowohl die syrische Regierung als auch die
libanesische Hizbollah den Anschlag umgehend verurteilten und den Vorwurf der
Täterschaft abstritten, mehren sich im In- und Ausland die Stimmen, welche
genau diese beiden für den Anschlag verantwortlich machen. Auch der
französische Außenminister Laurent Fabius beschuldigte Syriens Präsidenten
Bashar al-Assad, den Konflikt in seinem Land über die Grenzen hinaus zu tragen,
sowie die Hizbollah, in den syrischen Bürgerkrieg involviert zu sein.
Heute in Beirut - Flaggen des "Freien Syriens" |
Im Anschluss an die Trauerfeier machte sich eine große
Menschenmenge in Richtung Großes Serail auf, den Sitz der libanesischen
Regierung in Downtown Beirut. Dort kam es zu schweren Zusammenstößen mit der
Polizei sowie dem libanesischen Militär, die eine Stürmung des Serails
verhinderten. Auf den Fernsehbildern war zu sehen, dass die Polizei sich gegen
die Steinwürfe der Demonstranten mit Tränengas zur Wehr setzte, vereinzelt
schossen Beamte in die Luft.
Kata`ib-Mitglieder marschieren zur Kundgebung auf dem Märtyrer-Platz |
Auch in anderen Städten kam es vereinzelt zu gewalttätigen
Auseinandersetzungen. So war zu hören, dass Demonstranten die Autobahn zwischen
Saida im Süden und Beirut zwischenzeitlich blockiert hatten. Nach Berichten der
Libanesischen Nachrichtenagentur NNA wurde auch in Tripoli im Nordlibanon eine
Autobahn blockiert.
Eine zweite Zedernrevolution fand am 21. Oktober nicht
statt. Die Mobilisierung blieb weit hinter der von 2005 zurück und erreichte
auch längst nicht die Ausmaße der Demonstrationen 2011. Damals hatte die Bewegung noch
einmal ihrer Muskeln spielen lassen, nachdem die Regierung Saad Hariris
gestürzt worden war und die Milliardär Najib Miqati aus Tripoli unter
Federführung der Hizbollah ein neues Kabinett bildete. Die libanesische
Opposition scheint langsam, aber sicher die Kontrolle über ihre Anhänger zu
verlieren – ihre Mobilisierungskraft schwindet, und ihr Aufruf zur friedlichen
Demonstration verhallt ungehört.
1 Kommentar:
3Danke für diesen informativen und sachlichen Bericht aus Beirut, mir scheint in der Berichterstattung diverser Medien läuft da eine Kampagne an: Welche konkreten Hinweise gibt es denn zur Urheberschaft des Anschlages? Welche Rolle spielen die neuen sunnitischen Militanten(z. B. in Saida) bei den Protesten und was für Ziel haben die?
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