Sonntag, 2. Januar 2011

Eine vergebliche Reise nach Jerusalem - Follow-Up zum Fall Firas Maraghy

 
Liebe Leserinnen und Leser,

im August 2010 berichtete Alsharq über den Fall Firas Maraghy. Der Palästinenser aus Ostjerusalem war vor der israelischen Botschaft in Berlin in einen Hungerstreik getreten. Dort protestierte Firas 41 Tage lang gegen die Weigerung israelischer Behörden, seine im Dezember 2009 geborene Tochter und seine deutsche Ehefrau in seinen Papieren zu registrieren. Am 4. September beendete Firas den Hungerstreik nachdem ihm ein Gespräch mit Herrn Amos Arbel, dem Direktor des „Registration and Civil Status Department“ des Innenministeriums Israels, zugesichert worden war. Firas Ehefrau Wiebke Diehl berichtet im Folgenden über die Hintergründe des Hungerstreiks und ihre (vergebliche) Reise nach Jerusalem.

Von Wiebke Diehl

Am Eingang zum israelischen Flughafen Ben Gurion, auf unserem Weg zurück nach Berlin, werden wir und unser Taxi-Fahrer angehalten. Keinesfalls ungewöhnlich, alle Araber, die sich dem Flughafen nähern, werden zunächst am Eingang sicherheitsüberprüft. Der Beamte studiert die Ausweise von Firas und dem Fahrer. Kurz darauf fragt er, wer wir – Firas Frau und Tochter – seien. Firas antwortet. Der Beamte fragt daraufhin, warum Firas uns denn nicht in seine Papiere habe eintragen lassen, dies sei Vorschrift…
Sechs Wochen hatte sich Firas vor der israelischen Botschaft in Berlin im Hungerstreik befunden und damit seine Gesundheit, ja sein Leben, aufs Spiel gesetzt. Hinter ihm ein Plakat, auf dem Artikel 13 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte zu lesen war: „Jeder hat das Recht, sich innerhalb eines Staates frei zu bewegen und seinen Aufenthaltsort frei zu wählen. Jeder hat das Recht, jedes Land, einschließlich seines eigenen, zu verlassen und in sein Land zurückzukehren.“ Viele Unterstützer und Sympathisanten haben Firas teilweise täglich besucht, weit mehr Politiker als wir erwartet hatten, haben sich eingeschaltet und an israelische Behörden appelliert, dieses Grundrecht zu gewähren – vergeblich. Die israelischen Behörden wollen unter allen Umständen vermeiden, einen Präzedenzfall zu schaffen. Denn so wie uns ergeht es tagtäglich vielen Palästinensern im 1967 besetzten und durch das Jerusalemgesetz 1980 völkerrechtswidrig annektierten Ostjerusalem. Menschen, die seit Jahren und Jahrzehnten mit ihrem aus Jerusalem stammenden Ehepartner in der Stadt leben, können dies nur mit Hilfe von sechsmonatig verlängerten Sondergenehmigungen; wird eine solche einmal nicht oder verzögert ausgestellt, drohen bis zu sieben Jahre Gefängnis, sofern die betreffende Person nicht die Stadt – und damit Familie und Haus – verlässt. Neben der aggressiven Siedlungspolitik insbesondere in Ostjerusalem, der extremen Vernachlässigung der arabisch besiedelten Teile und Schulen Jerusalems und der Ausgrenzung möglichst vieler Bewohner der Stadt durch Abtrennung ihrer Wohngebiete mit Hilfe der sogenannten Sperranlage  ist der Entzug des Residenzrechts ein wichtiger Pfeiler der Politik der Judaisierung und damit ethnischen Säuberung Jerusalems.

Firas Maraghy
Firas Fall ist ein gutes Beispiel für diese Politik. Bereits im Mai 2009, als er sich in Jerusalem aufhielt, um sein Laissez Passer, ein Passersatz für staatenlose Palästinenser in Ostjerusalem, zu erneuern, wurde ihm von israelischen Behörden angedroht, er werde sein Residenzrecht in der Stadt, in der schon sein Urgroßvater zu Hause war, verlieren, sollte er nicht im Mai 2011 für mindestens eineinhalb Jahre dorthin zurückkehren. Die Behörde widersprach damit sogar israelischem Recht, nach dem Einwohner Ostjerusalems ihr Aufenthaltsrecht in der Stadt verlieren, wenn sie ihren Lebensmittelpunkt sieben Jahre oder mehr an einen anderen Ort verlegen – und sei es lediglich ins benachbarte Ramallah oder Bethlehem.

Zugleich wurde Firas Antrag auf Registrierung unserer Ehe abgelehnt. Als wir im April 2010 unsere damals vier Monate alte Tochter in der israelischen Botschaft in Berlin registrieren lassen wollten, wurde uns auch dies verwehrt. Muss Firas also im Mai 2011 nach Jerusalem zurückkehren, würde unsere Familie getrennt werden, da unsere Tochter und ich keine Aufenthaltsgenehmigung bekämen. Firas wird demnach vor die Wahl gestellt zwischen seiner Familie in Berlin und seiner Familie in Jerusalem sowie seines Residenzrechts in seiner Heimatstadt. Vielleicht würden unsere Tochter und ich noch nicht einmal ein Touristenvisum erhalten, um ihn  zu besuchen – nach israelischer Praxis ist hierfür noch nicht einmal eine Begründung nötig. Jeder israelische Staatsbürger hingegen hat das Recht, seine Kinder innerhalb kürzester Zeit in der Botschaft registrieren zu lassen – dafür müsste er keinesfalls nachweisen, dass sein Lebensmittelpunkt in Jerusalem liegt, wie von uns verlangt und zugleich unmöglich gemacht, da die Voraussetzung – also die Eintragung der Ehe – verweigert wurde.

Nachdem die Botschaft die Eintragung unserer Tochter abgelehnt hatte, schrieb Firas mehrere Briefe an den israelischen Botschafter, ich an das Bundeskanzleramt, das Auswärtige Amt und Abgeordnete aller Fraktionen im Deutschen Bundestag. Erst nachdem all diese Schreiben erfolglos geblieben waren, zog Firas am 26. Juli vor die Botschaft und verweigerte bis zum 4. September jegliche Nahrung.
Von Seiten der Botschaft gab es in dieser Zeit keinerlei ernsthafte Versuche, eine Lösung zu finden, auch wenn dies in Presseerklärungen immer wieder behauptet wurde. Dies gilt selbst für die Zeit, in der das Medieninteresse bereits immens war und Christoph Strässer, menschenrechtspolitischer Sprecher der SPD und Wolfgang Thierse, Vizepräsident des Deutschen Bundestags, Firas besucht und mit dem israelischen Gesandten gesprochen hatten.

Sympathisantinnen während des Hungerstreiks
Auch das „Angebot“, in Jerusalem ein Gespräch mit Herrn Arbel, dem Leiter der für die Angelegenheit zuständigen Abteilung des israelischen Innenministeriums, zu führen, hat sich als erneuter Versuch, die Sache zu verschleppen, erwiesen. Wir waren von Anfang an nicht sehr optimistisch, dass uns in einem solchen Gespräch tatsächlich ein annehmbares Angebot unterbreitet werden würde. Dennoch haben wir uns entschieden, die nicht nur finanziell sehr belastende Reise auf uns zu nehmen. Wir haben somit unsere Bereitschaft zu einer gemeinschaftlichen Lösung unter Beweis gestellt. Herr Polenz, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Deutschen Bundestag, hielt sich ebenfalls in Jerusalem auf.
Schon im Vorfeld der Reise weigerte sich der Botschafter zunächst, uns die von der Leiterin der Konsularabteilung im Beisein von Herrn Polenz zugesicherte Garantie, dass die Ausstellung eines deutschen Passes für unsere Tochter ihrer Eintragung nicht entgegenstehen würde, in schriftlicher Form zukommen zu lassen. Erst als wir uns weigerten, unter diesen Umständen zu fahren, bekamen wir eine schriftliche Bestätigung.

Während des Gesprächs in Jerusalem schilderten fünf Mitarbeiter des israelischen Innenministeriums und einer des Außenministeriums ausführlich die uns bereits hinreichend bekannte Gesetzeslage. Immer mit der Betonung des Unterschieds zwischen „Bürgern“ (Israelis) und (arabischen) „Einwohnern“ Jerusalems, den es angeblich überall auf der Welt gebe. Es drängt sich einem das Gefühl auf, dass jene israelischen Beamten dies tatsächlich glauben… Firas fragte irgendwann, ob sie unsere Ehe und unsere Tochter denn nun eintragen wollten oder nicht, woraufhin Herr Arbel antwortete, er könne doch nicht gegen die eigenen Gesetze verstoßen.
Firas mit seiner Tochter Zaynab
Nach weiteren Diskussionen, während diesen Herr Arbel mitteilte, noch nie etwas von der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte gehört zu haben und mir, wenn ich etwas auf Englisch sagte, stur auf Hebräisch antwortete, brachen wir das Gespräch ab. Firas stellte in Absprache mit Herrn Polenz dennoch beim zuständigen Amt einen Antrag auf Eintragung unserer Ehe und einen auf Registrierung unserer Tochter. Dort weigerte man sich, die Anträge überhaupt anzunehmen. Erst als Firas drohte, den Ort nicht zu verlassen, bevor er eine schriftliche Antwort bekäme, bekam er eine Ablehnung. 

Wir hatten kein anderes Resultat erwartet. Was mit uns geschehen ist und geschieht passiert tagtäglich vielen Menschen. Firas wird im Mai nach Jerusalem fahren, um sein Laissez Passer zu verlängern. Wenn ihm dies verweigert wird, muss er dort bleiben, um sein Residenzrecht nicht zu verlieren – ohne uns. Und vielleicht wird er am Flughafen wieder gefragt, warum er Ehefrau und Tochter nicht habe in seine Papiere eintragen lassen, denn dies sei ja die Vorschrift.

Keine Kommentare: