Die arabische Welt blickt gebannt auf die Revolte am Nil. Viele Kommentatoren unterstützen den Aufstand gegen das Regime von Husni Mubarak, in Jemen und Kuwait äußern die Zeitungen Unverständnis – auch aus Angst vor einem Überschwappen der Protestwelle ins eigenen Land. Einig ist man sich darin, dass der Einfluss der USA in der Region schwindet.
»Wir stehen vor einer neuen arabischen Welt, in der es keinen Platz gibt für repressive Diktaturen«, schreibt Abel Bari Atwan, Chefredakteur der in London erscheinenden Zeitung al-Quds al-Arabi in seinem heutigen Leitartikel. »Ägypten erlebt eine wahre Revolution, ausgelöst von Jugendlichen, die die Fesseln der Angst lösten um das Regime der Korruption, der Vetternwirtschaft und der mafiösen Geschäftsleute zu stürzen und Ägyptens Rolle und sein internationales Prestige wiederherzustellen.«
Seit seinem Machtantritt vor 30 Jahren vertraue Präsident Husni Mubarak auf die Unterstützung Amerikas und Israels. Doch anders als George W Bush, der noch die Regimes in Afghanistan und dem Irak habe stürzen können, sei Barack Obama nicht mehr in der Lage, Mubarak zu stützen oder eine alternative Staatsführung nach seinem Gusto in Kairo zu installieren. »Obama versucht das System zu bewahren oder zumindest Kontinuität dadurch zu gewährleisten, dass ein 'ägyptischer Ghannouchi' in Gestalt von General Omar Suleiman die Macht übernimmt, der für Israel und die USA akzeptabel ist.« Es sei jedoch höchst fraglich, ob das ägyptische Volk mit dieser Lösung zufriedenstellen ließe.
Jihad al-Khazen richtet den Blick in seinem Kommentar für das ebenfalls in London erscheinende Blatt al-Hayat schon weiter in die Zukunft. »Ich kann nicht vorhersagen, was morgen oder übermorgen passieren wird. Was ich mit absoluter Sicherheit sagen kann ist, dass die Situation in Ägypten sehr schwierig ist. Ich enttäusche die Hoffnungen der ägyptischen Jugend einmal mehr nur ungern, aber ich bin sicher, dass wir selbst mit Albert Einstein als Premierminister und allen lebenden Wirtschaftsnobelpreisträgern Jahre brauchen würden, um Ägyptens wirtschaftliche Probleme zu lösen.
Ägypten hat eine Million Quadratkilometer, von denen nur zehn Prozent bewohnbar sind. Das sind 100.000 Quadratkilometer für 82 Millionen Menschen. Syrien zum Beispiel hat 185000 Quadratkilometer und 22 Millionen Menschen. Syrien hat mehr natürliche Rohstoffvorkommen als Ägypten, verfügt über doppelt soviel bewohnbares Land und hat nur ein Viertel der Einwohner.
Das heißt nicht, dass Ägyptens Probleme nicht gelöst werden können. Es gibt Lösungen, es braucht eine langfristige Reform des Bildungswesens. Das ist kein Fünf-Jahres-Projekt sondern könnte zehn Jahre dauern, ebenso wie der Aufbau einer exportfähigen Industrie oder einer modernen Landwirtschaft.«
»Die Amerikaner haben Mubarak geschaffen«
Die westlichen Regierungen seien von den Entwicklungen in Tunesien und Ägypten überrollt worden, schlussfolgert Kamal Jouzi in seinem Kommentar für die algerische Zeitung al-Khabar. »Die Überraschung ist groß bei Präsident Obama, dass im Moment der Momente die Nachfahren der Pharaonen auf die Straße gingen und Demokratie einforderten. Denn die Amerikaner haben Mubarak genauso erschaffen, wie Frankreich Ben Ali erschuf. Sie unterstützten ihn und ließen ihn glauben, dass er von den Massen geliebt wurde, einfach nur weil er der Bewahrer amerikanischer und israelischer Interessen im Nahen Osten war. Der Westen verstand nicht, dass Demokratie nicht nur in strategischen Institutionen gelebt wird, sondern auch direkt in Sidi Bouzid oder dem Tahrir-Platz gelebt werden kann.«
Die Revolte in Ägypten sei nur ein weiteres Beispiel dafür, dass die arabischen Staatschefs nicht aus den Erfahrungen anderer Länder lernten, erklärt Qenan al-Ghamdi im saudischen Blatt al-Watan. »Entscheidungen, die man in Zeiten des Wohlstands trifft, unterscheiden sich radikal von dem, was in Zeiten der Anspannung passiert. Das zeigte sich in den Ereignissen in Tunesien, das zeigt sich gerade in Ägypten und das zeigte sich in allen ähnlichen Ereignissen und Revolutionen seit Anbeginn der Geschichte.«
Die Entscheidungen, die das ägyptische Regime in den letzten Tagen getroffen hat, seien möglicherweise nicht falsch, kämen aber in jedem Fall 30 Jahre zu spät. »Es ist nicht möglich eine Auszeit zu nehmen oder in das Rad der Geschichte zu greifen, aber leider lernen die Araber nicht aus der Geschichte.« Die Ziele der Aufständischen ließen sich in einem Wort zusammenfassen, so Ghamdi: »Gerechtigkeit«.
»Ägypten genießt Demokratie und Freiheit«
Omar al-Qurashi nimmt in seinem Kommentar für die staatliche jemenitische Zeitung al-Jumhuriyah einen anderen Aspekt in den Fokus. Unter der Überschrift »Bilder eines Wandels, den wir nicht wollen«, beklagt er die Gewaltausbrüche, von denen Ägypten in den letzten Tagen erschüttert wurde. »Was in Ägypten in den vergangenen Tagen passiert ist, brachte mich zum weinen und ließ mich nicht schlafen. Mir wurde klar, dass absolute Sicherheit und Stabilität nicht bewahrt werden können ohne ein starkes System, das weiß, was Heimat bedeutet und was sie für ihr Volk bedeutet.«
Aus diesen Worten spricht zugleich die Angst, dass die Revolte nach Tunesien und Ägypten bald auch den Jemen erfassen könnte. Doch Qurashi warnt: »Wenn das der Wandel ist, den einige von uns wollten, ohne Wissen um die Risiken und Nebenwirkungen für unsere Länder, dann ist es für uns alle besser, den Kopf in den Sand zu stecken....«
Noch kritischer äußert sich Ahmad al-Jarallah in seinem Beitrag für al-Siyassah aus Kuwait, der großes Unverständnis für die Demonstranten in Ägypten zeigt. »Husni Mubarak ist nicht Zine el-Abedin Ben Ali und Ägypten ist nicht Tunesien. Aber die Protestgruppen bemerken nicht, dass der ägyptische Präsident das Volk reden lässt, bis zu dem Punkt, dass er sie Losungen auf Panzer schreiben lässt. Er ließ ihnen die Meinungsfreiheit, dann trat er auf und äußerte seinen Standpunkt. All das wäre unmöglich ohne die Demokratie und die Freiheit, die Ägypten genießt.« Jarallah vermutet, dass der Iran und die Hizbullah bei der Nil-Intifada ihre Finger mit im Spiel haben.
Anders als Ben Ali werde Mubarak jedoch nicht im Privatjet verschwinden sondern »effektive Lösungen entwickeln«. »Man muss anerkennen, dass die Ära von Präsident Mubarak voller Errungenschaften ist, das wird in Nah und Fern eingesehen. Ohne jedes Vorurteil muss man jedoch eingestehen, dass Ägyptens Errungenschaften genauso groß sind wie die begrenzten Möglichkeiten. Besonders das Bevölkerungswachstum, eines der stärksten weltweit, muss berücksichtigt werden. Es braucht Reformen für ein Wunder, das passiert nicht durch Geschrei auf der Straße.«
Wir hätten übrigens sehr gern auch darüber berichtet, wie die verschiedenen ägyptischen Medien die Geschehnisse in ihrem Land bewerten. Doch das ägyptische Regime hält sein Land noch immer fast vollständig vom Internet abgekoppelt. Daher sind auch die Websites der Zeitungen aus Kairo weiterhin nicht zu erreichen.
»Wir stehen vor einer neuen arabischen Welt, in der es keinen Platz gibt für repressive Diktaturen«, schreibt Abel Bari Atwan, Chefredakteur der in London erscheinenden Zeitung al-Quds al-Arabi in seinem heutigen Leitartikel. »Ägypten erlebt eine wahre Revolution, ausgelöst von Jugendlichen, die die Fesseln der Angst lösten um das Regime der Korruption, der Vetternwirtschaft und der mafiösen Geschäftsleute zu stürzen und Ägyptens Rolle und sein internationales Prestige wiederherzustellen.«
Seit seinem Machtantritt vor 30 Jahren vertraue Präsident Husni Mubarak auf die Unterstützung Amerikas und Israels. Doch anders als George W Bush, der noch die Regimes in Afghanistan und dem Irak habe stürzen können, sei Barack Obama nicht mehr in der Lage, Mubarak zu stützen oder eine alternative Staatsführung nach seinem Gusto in Kairo zu installieren. »Obama versucht das System zu bewahren oder zumindest Kontinuität dadurch zu gewährleisten, dass ein 'ägyptischer Ghannouchi' in Gestalt von General Omar Suleiman die Macht übernimmt, der für Israel und die USA akzeptabel ist.« Es sei jedoch höchst fraglich, ob das ägyptische Volk mit dieser Lösung zufriedenstellen ließe.
Jihad al-Khazen richtet den Blick in seinem Kommentar für das ebenfalls in London erscheinende Blatt al-Hayat schon weiter in die Zukunft. »Ich kann nicht vorhersagen, was morgen oder übermorgen passieren wird. Was ich mit absoluter Sicherheit sagen kann ist, dass die Situation in Ägypten sehr schwierig ist. Ich enttäusche die Hoffnungen der ägyptischen Jugend einmal mehr nur ungern, aber ich bin sicher, dass wir selbst mit Albert Einstein als Premierminister und allen lebenden Wirtschaftsnobelpreisträgern Jahre brauchen würden, um Ägyptens wirtschaftliche Probleme zu lösen.
Ägypten hat eine Million Quadratkilometer, von denen nur zehn Prozent bewohnbar sind. Das sind 100.000 Quadratkilometer für 82 Millionen Menschen. Syrien zum Beispiel hat 185000 Quadratkilometer und 22 Millionen Menschen. Syrien hat mehr natürliche Rohstoffvorkommen als Ägypten, verfügt über doppelt soviel bewohnbares Land und hat nur ein Viertel der Einwohner.
Das heißt nicht, dass Ägyptens Probleme nicht gelöst werden können. Es gibt Lösungen, es braucht eine langfristige Reform des Bildungswesens. Das ist kein Fünf-Jahres-Projekt sondern könnte zehn Jahre dauern, ebenso wie der Aufbau einer exportfähigen Industrie oder einer modernen Landwirtschaft.«
»Die Amerikaner haben Mubarak geschaffen«
Die westlichen Regierungen seien von den Entwicklungen in Tunesien und Ägypten überrollt worden, schlussfolgert Kamal Jouzi in seinem Kommentar für die algerische Zeitung al-Khabar. »Die Überraschung ist groß bei Präsident Obama, dass im Moment der Momente die Nachfahren der Pharaonen auf die Straße gingen und Demokratie einforderten. Denn die Amerikaner haben Mubarak genauso erschaffen, wie Frankreich Ben Ali erschuf. Sie unterstützten ihn und ließen ihn glauben, dass er von den Massen geliebt wurde, einfach nur weil er der Bewahrer amerikanischer und israelischer Interessen im Nahen Osten war. Der Westen verstand nicht, dass Demokratie nicht nur in strategischen Institutionen gelebt wird, sondern auch direkt in Sidi Bouzid oder dem Tahrir-Platz gelebt werden kann.«
Die Revolte in Ägypten sei nur ein weiteres Beispiel dafür, dass die arabischen Staatschefs nicht aus den Erfahrungen anderer Länder lernten, erklärt Qenan al-Ghamdi im saudischen Blatt al-Watan. »Entscheidungen, die man in Zeiten des Wohlstands trifft, unterscheiden sich radikal von dem, was in Zeiten der Anspannung passiert. Das zeigte sich in den Ereignissen in Tunesien, das zeigt sich gerade in Ägypten und das zeigte sich in allen ähnlichen Ereignissen und Revolutionen seit Anbeginn der Geschichte.«
Die Entscheidungen, die das ägyptische Regime in den letzten Tagen getroffen hat, seien möglicherweise nicht falsch, kämen aber in jedem Fall 30 Jahre zu spät. »Es ist nicht möglich eine Auszeit zu nehmen oder in das Rad der Geschichte zu greifen, aber leider lernen die Araber nicht aus der Geschichte.« Die Ziele der Aufständischen ließen sich in einem Wort zusammenfassen, so Ghamdi: »Gerechtigkeit«.
»Ägypten genießt Demokratie und Freiheit«
Omar al-Qurashi nimmt in seinem Kommentar für die staatliche jemenitische Zeitung al-Jumhuriyah einen anderen Aspekt in den Fokus. Unter der Überschrift »Bilder eines Wandels, den wir nicht wollen«, beklagt er die Gewaltausbrüche, von denen Ägypten in den letzten Tagen erschüttert wurde. »Was in Ägypten in den vergangenen Tagen passiert ist, brachte mich zum weinen und ließ mich nicht schlafen. Mir wurde klar, dass absolute Sicherheit und Stabilität nicht bewahrt werden können ohne ein starkes System, das weiß, was Heimat bedeutet und was sie für ihr Volk bedeutet.«
Aus diesen Worten spricht zugleich die Angst, dass die Revolte nach Tunesien und Ägypten bald auch den Jemen erfassen könnte. Doch Qurashi warnt: »Wenn das der Wandel ist, den einige von uns wollten, ohne Wissen um die Risiken und Nebenwirkungen für unsere Länder, dann ist es für uns alle besser, den Kopf in den Sand zu stecken....«
Noch kritischer äußert sich Ahmad al-Jarallah in seinem Beitrag für al-Siyassah aus Kuwait, der großes Unverständnis für die Demonstranten in Ägypten zeigt. »Husni Mubarak ist nicht Zine el-Abedin Ben Ali und Ägypten ist nicht Tunesien. Aber die Protestgruppen bemerken nicht, dass der ägyptische Präsident das Volk reden lässt, bis zu dem Punkt, dass er sie Losungen auf Panzer schreiben lässt. Er ließ ihnen die Meinungsfreiheit, dann trat er auf und äußerte seinen Standpunkt. All das wäre unmöglich ohne die Demokratie und die Freiheit, die Ägypten genießt.« Jarallah vermutet, dass der Iran und die Hizbullah bei der Nil-Intifada ihre Finger mit im Spiel haben.
Anders als Ben Ali werde Mubarak jedoch nicht im Privatjet verschwinden sondern »effektive Lösungen entwickeln«. »Man muss anerkennen, dass die Ära von Präsident Mubarak voller Errungenschaften ist, das wird in Nah und Fern eingesehen. Ohne jedes Vorurteil muss man jedoch eingestehen, dass Ägyptens Errungenschaften genauso groß sind wie die begrenzten Möglichkeiten. Besonders das Bevölkerungswachstum, eines der stärksten weltweit, muss berücksichtigt werden. Es braucht Reformen für ein Wunder, das passiert nicht durch Geschrei auf der Straße.«
Wir hätten übrigens sehr gern auch darüber berichtet, wie die verschiedenen ägyptischen Medien die Geschehnisse in ihrem Land bewerten. Doch das ägyptische Regime hält sein Land noch immer fast vollständig vom Internet abgekoppelt. Daher sind auch die Websites der Zeitungen aus Kairo weiterhin nicht zu erreichen.
1 Kommentar:
Die politische Umstrukturierung ist wahrscheinlich noch die einfachte Herausforderung. Die wirtschaftliche Neuausrichtung Ägyptens wird die schwierigste Ausgabe sein, die Dekaden an Zeit braucht. Man muss sich nur im Vergleich die heutigen neuen Bundesländer (17 Mio Einwohner) nach der Wiedervereinigung (heute 20 Jahre danach) anschauen, um die Dimension der Herausforderung zu verstehen.
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