Ein Bagger thront nun auf den Überresten des Shepherd Hotels in Ost-Jerusalem. Am Sonntag, den 9. Januar im Morgengrauen rückten die Bulldozer zum Abriss an. Übrig geblieben ist ein politischer Trümmerhaufen.
Das Shepherd Hotel war eines der Wahrzeichen des palästinensischen Teils von Jerusalem. Nun sollen auf dem Grundstück 20 großzügige neue Wohneinheiten für jüdische Siedler entstehen. Geplant ist das bereits seit vielen Jahren, doch internationaler Druck verhinderte bislang den Abriss. Dass es nun so weit ist, sendet ein klares Signal: Die israelische Seite hat keinerlei Interesse an einer konstruktiven Lösung des Konfliktes mit den Palästinensern. „Mit diesem Vorgehen hat Israel alle US-Bemühungen zerstört und jede Möglichkeit für eine Rückkehr zu Verhandlungen beendet“, ließ Palästinenserpräsident Mahmud Abbas durch seinen Sprecher verlauten.
Schon im Frühjahr 2010 war die Genehmigung für das Bauvorhaben in Kraft getreten; doch nachdem selbst die US-Regierung das Vorhaben mit scharfen Worten verurteilt hatte, wurde das Projekt erst einmal auf Eis gelegt.
Die Zerstörung des Shepdherd Hotels nimmt ihren Lauf. Foto: Lea Frehse |
Damals stand die Wiederaufnahme von Friedensverhandlungen in Aussicht, von denen sich zumindest die Regierung Obama eine schnelle Lösung des Nahost-Konfliktes versprach. Inzwischen sind die Gespräche geplatzt: Israel war nicht bereit für die Dauer der Verhandlungen den gemäß der Vierten Genfer Konvention rechtswidrigen Siedlungsbau einzuschränken, der einer Zweistaatenlösung systematisch entgegenwirkt. Das Kabinett von Israels Premier Netanjahu ließ alle Angebote der US-Regierung abblitzen und stellte sie so auf internationaler Bühne als handlungsschwach bloß.
Mit dem jetzigen Abriss widersetzt sich Israel den US-Vermittlungsbemühungen buchstäblich vor den Augen der Weltöffentlichkeit: Das Shepherd Hotel liegt inmitten des Botschaftsviertels Sheikh Jarrah, umgeben von ausländischen Vertretungen und den Büros internationaler Organisationen. Die ließen Protest verlauten:
Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki Moon, nannte es „zutiefst bedauerlich, dass den wachsenden Bedenken der internationalen Gemeinschaft gegen den unilateralen Ausbau illegaler israelischer Siedlungen keine Beachtung geschenkt wird.“
Auch US-Außenministerin Hillary Clinton kritisierte den Abriss. Der Schritt untergrabe die Logik einer vernünftigen und notwendigen Einigung zwischen den Konfliktparteien über den Status von Jerusalem und damit den gesamten Friedensprozess mit dem Ziel einer Zweistaatenlösung.
Dass die Kritik zunimmt, ist letztlich vor allem ein Zeichen dafür, dass sich die israelische Regierung dem Einfluss von außen mehr und mehr entzieht. Weder auf Locken noch auf offenen Widerspruch der USA reagiert Israel, denn ernsthaften Druck muss es bislang nicht fürchten. Friedensverhandlungen hin oder her – die Vereinigten Staaten unterstützen ihren Verbündeten im Nahen Osten doch weiterhin finanziell und bieten politischen Rückhalt.
Da ist fast der Moment herbeizusehnen, in dem Israels Vorgehen drastisch genug ist, dass ausländische Regierungen den kritischen Worten durch Sanktionen Nachdruck verleihen. Denn für diesen Fall wird zumindest in Europa hinter den Kulissen wohl schon mehr erwogen, als auf der Weltbühne zugegeben wird: Am Montag wurde ein Bericht europäischer Diplomaten an das Politische und Sicherheitspolitische Komitee des EU bekannt, in dem sich Vertreter mehrerer EU-Staaten in den Palästinensergebieten für praktische Schritte gegen Israels Vorgehen in Ost-Jerusalem aussprachen.
Die Diplomaten fordern unter anderem, Ost-Jerusalem als die Hauptstadt eines zukünftigen Palästinenserstaates zu behandeln, sowie israelische Regierungseinrichtungen und Produkte von Unternehmen jenseits der Grünen Linie und in Ost-Jerusalem zu boykottieren. Zudem wird empfohlen, dass Vertreter der EU bei Räumungen und Zerstörungen palästinensischer Häuser in Ost-Jerusalem anwesend sein, und bei illegitimer Gewaltanwendung durch die israelischen Sicherheitskräfte einschreiten sollen.
Der Bericht war Medienberichten zufolge schon im vergangenen Monat in Brüssel vorgelegt, seiner Brisanz wegen aber bisher nicht veröffentlicht worden. Als Reaktion auf den Abriss fand EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton immerhin deutliche Worte: „Ich verurteile entschieden die Zerstörung des Shepherd Hotels an diesem Morgen und den geplanten Bau einer neuen illegalen Siedlung", sagte sie in am Montag.
Angesichts der internationalen Kritik zog es die israelische Regierung denn auch vor, darauf zu verweisen, dass sie „keinerlei Verbindung zu den Vorfällen“ habe. „Niemand darf von Israel erwarten, Juden den Erwerb privaten Eigentums in Jerusalem zu verbieten“, hieß es in einer Pressemitteilung von Premier Netanjahu.
Israel zählt den Ostteil Jerusalems offiziell zu seinem Staatsgebiet, obwohl die internationale Gemeinschaft diesen Anspruch nicht anerkennt. De facto ist Ost-Jerusalem seit Ende des Sechs-Tage-Krieges 1967 von Israel annektiert.
Seine ca. 250.000 palästinensischen Bewohner sind allerdings weder Bürger Israels noch der Palästinensischen Gebiete. Stattdessen weist eine sogenannte Jerusalem-ID sie lediglich als Einwohner Jerusalems aus. Die erhoffte zukünftige Hauptstadt eines unabhängigen Staates Palästina ist damit momentan für Palästinenser ohne Jerusalem-ID und ohne besondere Genehmigung israelischer Behörden gar nicht zugänglich.
Knapp 190.000 Israelis leben inzwischen in völkerrechtswidrigen Siedlungen in Ost-Jerusalem. Die vorstädtisch anmutenden jüdischen Wohnviertel legen sich wie ein Gürtel um arabische Stadtviertel und isolieren den Stadtkern vom Westjordanland. Die geplante Siedlung auf dem Grundstück des Shepherd Hotels wird eine der letzten Lücken in der Kette von Siedlungen schließen. Und damit auch den kümmerlichen Rest Ausblick auf eine Einigung im Friedensprozess.
Lea ist momentan als Praktikantin der Friedrich-Ebert-Stiftung in Ost-Jerusalem tätig. Bis vor einigen Monaten war die in Ramallah lebende Studentin der Internationalen Politik und Geschichte in Bremen, nun schaut sie sich das ganze in der Praxis an. Der Beitrag gibt die Meinung der Autorin wieder.
Lea ist momentan als Praktikantin der Friedrich-Ebert-Stiftung in Ost-Jerusalem tätig. Bis vor einigen Monaten war die in Ramallah lebende Studentin der Internationalen Politik und Geschichte in Bremen, nun schaut sie sich das ganze in der Praxis an. Der Beitrag gibt die Meinung der Autorin wieder.
1 Kommentar:
Im Kontext des Artikels noch eine Leseempfehlung vom Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (OCHA) der Vereinten Nationen: http://www.ochaopt.org/documents/ocha_opt_sheikh_jarrah_factsheet_2010_10_11_english.pdf
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