Es begann mit einem Fanal. Am 17. Dezember letzten Jahres übergoss sich der 26-jährige Mohammed Bouazizi in der tunesischen Stadt Sidi Bouzid mit Benzin und setzte sich selbst in Brand. Der Hochschulabsolvent musste Obst und Gemüse verkaufen um seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Nachdem ihm die Polizei seine Waren abnahm, da er keine Verkaufslizenz besaß, versuchte sich Bouazizi das Leben zu nehmen und mit seiner Selbstverbrennung gleichzeitig auf die miserable Lage vieler junger Menschen in Tunesien aufmerksam zu machen. In der vergangenen Woche erlag Mohammed Bouazizi seinen schweren Verletzungen.
Zuvor hatte ihn Staatspräsident Zine El Abidine Ben Ali persönlich am Krankenbett besucht. Die Visite war einer von mehreren Versuchen des Autokraten die Proteste gegen sein Regime zu beenden. Denn seit dem Fanal von Sidi Bouzid vergeht kein Tag in Tunesien, an dem nicht Tausende Menschen auf die Straße gehen um gegen die Regierung zu protestieren. Zunächst waren es vornehmlich junge Leute unter 30, die dem Staat Versagen angesichts der grassierenden Jungendarbeitslosigkeit vorwarfen. Binnen weniger Wochen ist daraus eine Revolte geworden, in der es längst nicht nur im soziale Konflikte geht, sondern die das Regime in Frage stellt. Längst haben die Unruhen alle größeren Städte des Landes erfasst, darunter die Hauptstadt Tunis, Kasserine, Sfax und Monastir. Dabei kamen allein am Wochenende laut Regierungsangaben 14 Menschen ums Leben, tunesische Gewerkschaften und ausländische Medien sprechen von mindestens 20 Toten.
Ben Alis Regierung steht diesem Aufstand bislang weitgehend hilflos gegenüber. Die staatlich kontrollierten Medien verschwiegen zuerst die Proteste, als sie sich nicht mehr leugnen ließen wurden sie heruntergespielt. Außerdem wurden die Opposition und ausländische Kräfte beschuldigt, die Unruhen zu schüren und zu steuern. Der Präsident verurteilte die Unruhen, da sie Investoren und Touristen abschreckten. Er versprach jedoch zugleich, sich um die wirtschaftlichen Probleme seines Landes zu kümmern. Bauernopfer wurde Jugendminister Samir Labidi, den Ben Ali Ende Dezember entließ.
Musterschüler in Not
Europa und die USA wurden von den Protesten in Tunesien mindestens genauso überrascht wie die Staatsführung in Tunis. Denn in vielerlei Hinsicht ist der 10-Millionen-Einwohner-Staat ein Musterschüler des Westens. Nach der Unabhängigkeit 1957 orientierte sich Präsident Habib Bourguiba am Vorbild Frankreich, forcierte die Säkularisierung der Gesellschaft und schuf ein Bildungssystem, das für viele Staaten in der Region zum Vorbild wurde. Sein Nachfolger Ben Ali, der das Land seit 1987 autoritär regiert, setzte diesen Kurs fort. Wirtschaftspolitisch orientiert sich Tunesien weitgehend an den Vorgaben von Weltbank und Internationalem Währungsfond. Vom Weltwirtschaftsforum wurde das Land erst im letzten Jahr als wettbewerbsfähigste Volkswirtschaft Afrikas ausgezeichnet – im weltweiten Ranking landete das Land auf Platz 32, vor Staaten wie Portugal und Italien.
Die Wirtschaftsreformen, dazu gehören unter anderem der Abbau von Subventionen und die Abwertung des Dinars, haben jedoch zu sozialen Verwerfungen in dem nordafrikanischen Staat geführt. Während der Norden des Landes, die Region um Tunis, prosperiert, stagniert die Entwicklung in den südlichen Landesteilen.Die landwirtschaftlich geprägten Regionen Tunesiens im Landesinneren werden seit Jahrzehnten vernachlässigt. Zwar sind die Probleme der ländlichen Regionen nicht nur auf staatliches Versagen, sondern auch auf die schwierigen klimatischen Bedingungen zurückzuführen. Deutlich wird die verfehlte Regierungspolitik jedoch auf einem anderen Feld: Der informelle Wirtschaftssektor wird staatlich unablässig unterdrückt. Tunesier, die wie Mohammed Bouazizi ohne staatliche Lizenz als Handwerker, Händler oder Taxifahrer tätig werden wollen, werden rigoros verfolgt. Der Staat, der mit großem Aufwand Schwarzarbeiter verfolgt, ist gleichzeitig jedoch nicht in der Lage, Arbeitsplätze für seine Universitätsabsolventen zu schaffen.
Damit teilt Tunesien seine Probleme mit vielen arabischen Nachbarn. Einen alternden Herrscher, dessen Mandat auf manipulierten Wahlen ruht und der sich steigenden Arbeitslosenzahlen und wachsendem Unmut in der Bevölkerung gegenüber sieht, gibt es so etwa auch in Algerien und Ägypten. Hier wie dort wird die Opposition gegängelt, werden Regimekritiker inhaftiert und nicht selten gefoltert. Doch in keinem arabischen Land sind in den vergangenen zehn Jahren soviele Journalisten ins Gefängnis gesteckt worden, wie in Tunesien. Erst im Sommer 2010 wurde der Journalist Fahem Boukaddous zu vier Jahren Haft verurteilt, weil er zwei Jahre zuvor über Demonstrationen in der Stadt Gafsa berichtet hatte.
Europa schaut tatenlos zu
Der tunesische Staat versucht auch eine unabhängige Berichterstattung über die aktuellen Unruhen zu unterbinden. Blogger berichten davon, dass die Behörden sich in E-Mail-Accounts, Twitter und Facebook einhackten um zu verhindern, dass Berichte über die Zusammenstöße nach außen dringen. Die wenigen ausländischen Journalisten werden daran gehindert sich frei zu bewegen und ungestört zu berichten. Trotz dieser Einschränkungen beklagen vor allem Exil-Tunesier, dass im Westen viel zu wenig über die politische Situation in ihrer Heimat berichtet werde. Einige ziehen Parallelen zum Iran, wo westliche Medien ausführlich über die mutmaßlich gefälschte Präsidentenwahl im Juni 2009 berichtet hatten. Als wenig später Ben Ali in Tunesien in einer offensichtlich unfreien Wahl mit knapp 90 Prozent der Stimmen gekürt wurde, fand das bei CNN und BBC kaum Beachtung.
Zur Stimme des Protestes ist der Rapper Hamada Ben Amor, alias »El General« geworden, der in der letzten Woche den Song »Herr Präsident, dein Volk stirbt« ins Internet stellte. Am Donnerstag wurde der 22-Jährige daraufhin festgenommen, nach Angaben seiner Familie soll er inzwischen wieder auf freiem Fuß sein.
Die EU als wichtigster Handelspartner Tunesiens verurteilte die Gewalt gegen die Demonstranten und äußerte ihr Mitgefühl für die Opfer und ihre Familien. Tatsächlich hat Europa der Politik Ben Alis lange tatenlos zugesehen. Im Assoziationsabkommen mit der EU verpflichtete sich Tunis nämlich unter anderem dazu, »die Demokratie zu stärken und die politische Teilhabe auszubauen.« Keine dieser Zusagen ist bislang eingehalten worden. Ausländischen Menschenrechtsgruppen ist die Arbeit im Land weiterhin untersagt. Konsequenzen wurden in Brüssel bislang nicht daraus gezogen.
Seitdem sich Mohammed Bouazizi Mitte Dezember selbst in Brand setzte sind mindestens zwei weitere junge Tunesier seinem Beispiel gefolgt. Schon jetzt fragen sich einige Beobachter besorgt: »Was passiert, wenn demnächst junge Leute anfangen, sich auf andere Weise das Leben zu nehmen und sich irgendwo in die Luft jagen?« Tunesiens Regierung scheint bislang nur eine Antwort auf die Unruhen in ihrem Land zu haben: eine gewaltsame Niederschlagung der Proteste. Doch auch dem seit 23 Jahren herrschenden Ben Ali dürfte es schwer fallen einen Kampf gegen jene zu gewinnen, die nichts zu verlieren haben.
Montag, 10. Januar 2011
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2 Kommentare:
Danke für den Beitrag und den Hinweis auf das Video von El General!
Ergaenzend sei auf einen Artikel aus Le Monde verwiesen:
http://www.lemonde.fr/idees/article/2011/01/11/tunisie-dictature-mafieuse_1464009_3232.html
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