In öffentlichen Reden und Rechtfertigungen der gefährdeten Staatschefs im Nahen Osten wird lauthals gepoltert und beleidigt. Beleidigungen können dabei weit mehr, als nur diffamieren. Ein Gastbeitrag von Philipp Meier.
Sie attackieren, beschwichtigen und argumentieren in Reden, welche oft mit Beleidigungen, Anschuldigungen und Entehrungen gespickt sind – Assad, Saleh, Gaddafi und andere (Ex-)Machthaber. Wobei sich letzterer im Rahmen der Revolten zu den denkbar boshaftesten Beleidigungen verstieg. Er sprach von »Ratten« und »Drogensüchtigen« – und meinte damit die libyschen Rebellen sowie alle, die sich am Aufstand gegen ihn beteiligten. Er rief zur Verfolgung jener auf, die »Kinder stehlen2. Weniger blutrünstig und ungewandt, dabei aber genau so beleidigend, agierte Jemens Ex-Staatschef Ali Abdullah Saleh, als er die Aufständischen als »vom Ausland finanzierte Terroristen« betitelte. Damit war er nicht alleine, sondern bediente sich, wie Baschar al-Assad, einem Muster, das weniger unverschämt als dasjenige Gaddafis, obgleich eindeutiger und aufgeladener war. Assad wählte im Zeitraum des Arabischen Frühlings – seit seiner ersten Rede vom 30. März 2011 – die formal wohl maßvollsten, funktional aber eindringlichsten Beleidigungen gegen seine Widersacher.
Beleidigungen als rhetorisches Stilmittel
Beleidigungen sind beabsichtigt, sie werden geplant in eine Rede eingeflochten und stützen die Argumentationskette. Folglich sind Beleidigungen ein rhetorisches Stilmittel. Beleidigungen stellen Vergleiche an, können Identitäten konstruieren, und dabei Lücken zwischen der Wort- und der Äußerungsbedeutung schaffen. Beleidigungen sind nichts anderes als Metaphern. Wenn Gaddafi von »Ratten« und Assad von »Bazillen« spricht und beide dabei die Demonstranten meinen, dann klafft eine große Lücke zwischen der Äußerungs- und der Wortbedeutung. Politiker im Allgemeinen und arabische Politiker im Speziellen bedienen sich gerne der Metapher als rhetorisches Hilfsmittel. Sie steht für die übertragene, beziehungsweise die bildliche Ausdrucksweise; sie vergleicht und postuliert zeitgleich die Gleichheit zweier Gegenstände.
Abstrakte Konzepte und Vorgänge sind schwierig zu erklären, weil sie sinnlich nicht wahrnehmbar sind. Metaphern dienen ihrer vermeintlichen Konkretisierung, weil sie vereinfachen. Einfacher werden heißt reduzieren, heißt andere Wahrheiten ausschließen und im Extremfall Stellvertreter zu bilden. Ein aktuelles Beispiel aus Syrien sind die »Shabiha«. Shabiha bedeutet Gespenst, Phantom oder Geist. Inoffiziell wird in Syrien damit aber eine informelle Schlägertruppe bezeichnet, die dem Regime um Baschar al-Assad nahe steht. Die lose Gruppe verhält sich bedeckt, taucht plötzlich auf und verschwindet alsbald wieder – so, wie dies Phantomen auch zu Eigen sein soll. Die Verbindung von Shabiha zu seiner ursprünglichen Bedeutung aber ist verloren gegangen.
Mit Worthülsen konkretisieren
Die Metapher ersetzt die eigentliche Argumentation, Erklärungen werden obsolet. Sie besitzt eine Deutungsmacht, die es ihr erlaubt, klare Grenzen zwischen Bedeutungen, Gegenständen und Gruppen zu ziehen, und damit nicht nur Identitäten zu definieren, sondern gleichzeitig das Andere zu konzeptualisieren. Assad beschreibt in seinen Reden die an den Aufständen gegen sein Regime teilnehmenden Demonstranten vielfach als »Terroristen«. Diese »Terroristen« sind Landsleute der angesprochenen Zuhörer. Doch durch die bloße Bezeichnung einer losen Gruppe schafft Assad damit eine Vorstellung von einer konkreten Gruppe. Er konzeptualisiert Andersdenkende als das Fremde, als nicht Dazugehörige, als Feinde. Sie bedrohen die Existenz des Systems und damit die jeden einzelnen Bürgers. So ist es ein Leichtes für das herrschende Regime, gegen die Demonstranten Hetze zu betreiben. Mit der richtigen Metapher gelingt es dem Regime, die angesprochene Bevölkerung zu beeinflussen. Am 20. Juni 2011 sagte Assad: »Friede sei mit dem Volk, der Armee, den Sicherheitskräften und all denen, die immer noch darüber wachen, einen Bürgerkrieg zu verhindern, und diesen in die verhassten Tierhöhlen zu verbannen.«
Assad spricht von der »Fitna« (Versuchung, Aufruhr, Zwietracht, Bürgerkrieg), was ein Begriff aus dem religiösen Jargon ist, und in der islamischen Geschichte die Brüche innerhalb der Glaubensgemeinschaft markiert. Ebenso spielt er damit aber auch auf den Bürgerkrieg im Libanon und die bürgerkriegsähnlichen Tendenzen im Irak seit dem Einmarsch der Alliierten 2003 an; diese beiden Kriege werden im Arabischen ebenfalls als »Fitna« bezeichnet. Assad betreibt hier Hetze gegen die Aufständischen, die laut seiner Interpretation, einen eben solchen Bürgerkrieg inszenieren wollen. Mit den Tierhöhlen spricht er den Absichten ihren menschlichen Bezug ab. Weiter sagt er: »Friede sei mit den Seelen Märtyrer, deren Blut Gänseblümchen im Frühling sprießen ließ. Zum Sommer lösten Verschwörung und Totschlag die Jahreszeit der Blumen und Früchte ab. Doch selbst die Zeit der Verschwörung lässt die Blumen in Syrien blühen.«
Assad klagt niemanden direkt an; dennoch wird klar, dass wer sich an der »Verschwörung« und am »Morden« beteiligt, ein Verschwörer und ein Mörder ist. Zudem spricht er hier das erste Mal von »unseren Märtyrern« und zieht damit eine klare Grenze zwischen den regierungsfreundlichen und den regierungsfeindlichen Kreisen.
Später spricht er den »Gegnern des Systems« ihre syrische Nationalität ab, wirft ihnen Sektierertum und die Beschmutzung der »nationalen, panarabischen und moralischen Identität« vor. Seine Vergleiche sind sublimer Art und meistens indirekt. Die Zuhörer aber können diese Anspielungen vielfältig interpretieren. Somit löst Assad bewusst Vorstellungen aus, ohne sich genauer dazu äußern zu müssen.
Durch Schmähungen und Schuldzuweisungen übernehmen die Beschuldigten die Rolle des Sündenbocks. Wenn Gaddafi aufruft, sie »zu jagen«, ist das nichts anderes als ein Freibrief für die Bevölkerung, Gewalt anzuwenden. Er kriminalisiert somit nicht nur die »Schuldigen«, sondern auch die »Unschuldigen«, indem er sie zu Tätern macht. Diese Enthemmung minimiert das eigene Unrechtsbewusstsein, vor allem dann, wenn mächtige Akteure zur Gewalt aufrufen.
Gelingt dabei die Reduktion der Komplexität eines Sachverhalts auf ein einzelnes beschreibendes Merkmal, so ist die Metapher geglückt. Beleidigungen sind dabei einfacher zu verstehen, weil sie aus der Stilebene der primitiveren Umgangssprache stammen, für das Verständnis keine höhere Bildung erfordern und dabei der Mehrheit bekannt sein dürften.
Erfolgreich beleidigen
Degradierungen sind dann erfolgreich, wenn sie die soziale Identität des Täters außerhalb der Gesellschaft verorten können. Gesetzlose, Tiere oder sonst ein Element, was für die Gemeinschaft bedrohlich sein kann. Gaddafi argumentiert damit am 22. Februar 2011 ganz gekonnt: »Wir verdienen Libyen, nicht jene gekauften Ratten. Wer sind sie? Ausländische Geheimdienste haben sie bezahlt, möge Gott sie verdammen! Schande über ihre Kinder, wenn sie Kinder haben. Schande über ihre Familien, wenn sie Familien haben. Über ihre Stämme, wenn sie Stämme haben. Aber nein, sie haben keine Stämme. Die libyschen Stämme sind ehrenwert, sie sind Kämpfer.«
Nicht nur grenzt Gaddafi die Libyer und sich selbst von den »Anderen« ab, er beleidigt sie als »Ratten« und negiert ihre Herkunft. Mit der Beleidigung der »Ratte« stellt er den Tiervergleich an und tabuisiert ihre Existenz in der »menschlichen Umwelt«. Das schafft eine große räumliche Distanz zwischen dem Zuhörer und dem in der Rede als »Ratten« diffamierten Aufständischen. Da allen Zuhörern aber trotzdem klar ist, dass mit den »Ratten« die Demonstranten gemeint sind, vergrößert sich auch die soziale Distanz zwischen den Zuhörern und den Beschuldigten.
Gaddafis Brandrede vom 22. Februar war wild, aggressiv und rhetorisch dürftig. Über eine Stunde lang polterte er gegen alles, was nicht mit ihm war. Die Videos mit Exzerpten seiner Rede wie »Zenga Zenga« wurden auf YouTube mehrere Millionen Male angeklickt. Fatal wurde es immer dann, wenn Gaddafi seine Anhänger zur Gewalt aufrief, und damit das Unrechtsbewusstsein jedes Zuhörers herabsetzt. »Geht raus auf die Straße, sichert sie, jagt sie, verfolgt sie, nehmt ihnen ihre Waffen ab, verhaftet sie, macht ihnen den Prozess, liefert sie den Sicherheitskräften aus (...) oder wollt ihr, dass Benghazi zerstört wird?«
Diskreditierungen können auf verschiedenste Weise eingesetzt werden. Ihr Wesen reicht von subtil bis roh, von diplomatisch bis äußerst bedeutungsgeladen, von taktisch bis ungeplant. Werden Beleidigungen an den richtigen Stellen eingesetzt und mit viel Tiefgang garniert, so sagen sie sehr viel mehr als aus, als dass sie nur diffamieren.
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