Freitag, 23. März 2012

Explosion in Damaskus

Abū Ḥasan (Pseudonym) schickt uns einen neuen Bericht über Meinungen von Syrerinnen und Syrern zur politischen Situation. Der Artikel ist eine Fortsetzung des Beitrags Frühling II in Damaskus – das zweite Jahr eines Aufstandes: Entwicklungen, Berichte, Denkanstöße.



Ich bin am Samstag, den 17. März um 7:30 Uhr – punkt genau muss es gewesen sein – von einem lauten Knall aufgewacht. Ein buccccccccccchhhhh, ziemlich laut, lauter und näher als sonst. Der war deutlich. Das erste, was ich nach ein paar Momenten, in denen ich überlegte, was los ist, tat, war auf meine Handy-Uhr zu schauen, da zeigte es 7:31 Uhr an. Ich stand auf, suchte meine Brille und lief total müde auf den Balkon, wo kühle, klare Luft und ein blauer Himmel mich empfingen. Ich sah nichts, aber dafür den Nachbarn auf der Veranda gegenüber, der anscheinend etwas sah, da er aufgeregt etwas ins Haus rief. Da war was. Also entschied ich mich, eine Treppe hinunterzulaufen, auf die Veranda, und krakselte die an die Innenmauer gelehnte Leiter hoch. Oben – immer noch sehr verschlafen – angekommen, konnte ich nichts sehen, weil in die Richtung Gebäude davor standen, in die der Nachbar staunte. Dann plötzlich ein weiteres rummmmsssssss, wieder eine Explosion. Diesmal links von mir. Der Nachbar rief: „Das ist in Mezzeh!“ (ein Viertel in Damaskus). Da da wieder ein Gebäude vor mir stand, wo ich gerade auf der Leiter hing, stieg ich wieder hinunter, die Treppe zu meinem Zimmer hoch und schaute über die Mauer über die Häuser hinweg: Eine hohe, dunkelgraue Rauch- oder Staubwolke stieg in einer Entfernung von 2–3 km auf. Die verzog sich ziemlich schnell (ca. eine halbe Minute).

Die erste Explosion in Qasāʿa, gleich vor Bāb Tūma, hatte mich geweckt. Die zweite sah ich von meinem Balkon aus. Ich machte den Fernseher an, da kam aber noch nichts. Erst um 7:54 Uhr ungefähr, zeigten die beiden syrischen Sender ad-Dunia und as-Syria den knappen rot unterlegten Satz an: „Zwei terroristische Explosionen in Damaskus“. Al-Arabiya wusste da schon mehr, dass nämlich der Fluggeheimdienst getroffen worden sein soll. Gegen 8:05 Uhr habe ich mich wieder schlafen gelegt und bin dann gegen 11:30 Uhr aufgewacht.

Mein Mitbewohner y hat um 7:30 Uhr zum Appell in der Kaserne zu sein. Er ist um 7:15 Uhr an dem Platz, wo die zweite Explosion sich ereignet hat (ǧamārek), mit dem Rad vorbeigefahren. Er geht, so sagt er, immer entweder vor oder nach dem Appell, um nicht um 7:30 Uhr dort anzukommen, weil er glaubte, dass es um diese Zeit das größte Risisko besteht, dass dort, wo viele Sicherheitsgebäude stehen, etwas passiert.

Ich habe mich dann nachmittags mit einer Freundin auf den Weg des Geschehens der ersten Explosion begeben. Wir sind über den Bāb-Tūmā-Platz die Straße entlang gelaufen, die der grüne Bus fährt. Dort, wo er das erste mal links abbiegt (an dem kleinen grünen Platz), dort läuft man weiter geradeaus. Die erste große Straße nach links, da kommt man zum Gebäude des Fluggeheimdienstes. Es ist das Gebäude, das spitz auf den Taḥrīr-Platz zuläuft; dieser ist der Platz, an dem der grüne Bus entlangfährt nach Bāb Tūmā und nach rechts abbiegt, kurz vor der Endhaltestelle in Bāb Tūmā. Sicherheitskräfte standen von der Seite, von der wir kamen, in ca. 100–200 m vor den beschädigten Gebäuden. Nach etwas Hin-und-her-Schauen liefen wir dem Strom nach, rechts, und hinter den Gebäuden entlang.

Von Bāb Tūmā aus die Straße, dort wo der Bus nach links abbiegt, von da aus an, waren alle Glasscheiben der Läden kaputt. Das sind ca. 300–500 m Luftlinie vom Anschlagsort. 500 kg Sprengstoff sollen hochgegangen sein. Viele Glasscheiben waren in den umliegenden Gebäuden am Ort des Geschehens kaputt; auch die nach hinten hinauslaufenden. Ich hatte der syrischen Freundin meine Kamera gegeben, auf der alles Verdächtige gelöscht war und nur Hund und Katze sowie noch anderes drauf zu sehen waren. Sie hat dann auch sehr profesionell und feminin photographiert, ohne dass irgendeiner der Soldaten oder Sicherheitsleute etwas gesagt hätten. Das war unsere große Sorge.

Wir standen da so, da wies sie einer der zwei jungen Männer an, die an der Ecke in Zivil standen, dass photographieren nicht erlaubt sei und flößten ihr Angst ein, dass die Soldaten gerade jemanden mitgenommen hätten, der photographiert hat. Humbug, denke ich, genauso wie wohl die Hälfte seiner Rede. Er wohne hier in der Nähe, in der Wohnung sei alles heruntergekommen, Spiegel, Glas etc. (Warum steht er dann da rum und räumt nicht zu Hause auf?). Nach der Explosion habe es noch Feuergefecht gegeben. Bewaffnete mit „solchen Bärten“ – mit der bekannten Geste (s. mein letzter Beitrag „Frühling II in Damaskus“). Er stand auf dem Balkon und hätte sich dann auf den Boden geschmissen. Dann unterhielten sie sich noch etwas über die Märtyrervorstellung bei den muslimischen Extremisten und dass sie einen Reisepass mitbekämen, wo drauf stand: „Reise ins Paradies“. Und dann noch vieles andere wusste er zu erzählen – der hatte ein Wissen! Wo er das alles herhatte? Ich glaube, vieles davon war Quatsch.

Wir liefen dann noch um das verkohlte Gebäude herum und standen dann plötzlich direkt vor dem zerbombten Geheimdienstgebäude. Na ja, das komische an der ganzen Sache war, dass ich – und sie auch – dabei keine Gefühle hatten. Das war alles entweder schon bekannt (z. B. von den zerbombten Häusern in Beirut), und deswegen abgestumpft, oder – und das glaube ich eher –, das war einfach eine komische Atmosphäre, die zwischen Theaterspiel und Surrealität lief. Keine Spur von Bedrohlichkeit oder Schauer. Sicherlich auch, weil schon sehr vieles aufgeräumt und weggeräumt worden war, vor allem die verkohlten Autos und Leichen. Auf dem Platz lagen noch Bombensplitter, wenn ich das richtig sehe. Vier sind davon nun in meinem Besitz.

Ein christlicher Freund erzählte mir heute (20.3.), dass er in der Werkstatt gewesen sei, als es geschah. Er sei dann „direkt hin“ mit einem Freund, gegen 8:30 Uhr war er da, und sie halfen dann beim Aufräumen. Die Sicherheitskräfte hätten sie abgetastet und die Ausweise genommen, und dann hätten sie sie hineingelassen und sie hätten mitgeholfen. Er habe die Leichen gesehen und die Autos. Sie hätten da in einer Menschenmenge gestanden, da habe eine Frau den einen Mann gesehen und ihn komisch gefunden, habe ihn angesehen und einem der Sicherheitsleute signalisiert, er solle ihn ins Visier nehmen, da sie ein Stück Sprengstoffgürtel an ihm gesehen habe. Daraufhin hätten die Sicherheitskräfte in die Luft geschossen, damit die Leute auseinanderströmen, hätten dem „Terroristen“ ins Bein geschossen, er sei auf den Boden gefallen, sie hätten ihn überwältigt, dann sei ein Spezialist gekommen und hätte den Bombengürtel entschärft. Die Frau habe den Mann verdächtig gefunden, da dieser durch die Absperrung gekommen sei. Ein anderer Mann sei auch da gewesen und habe eine Pistole gezückt, sei dann aber auch von den Sicherheitskräften überwältigt worden. Einer von beiden habe „so einen Bart“ gehabt (+ bekannte Handbewegung). Das habe er alles erlebt, versicherte er mir...

Dann noch, das aber schon bevor mein Freund dort angekommen sei, wären direkt nach der Explosion zwei Wagen vorgefahren und hätten mit Waffen versucht, das Gebäude zu stürmen. Auf meine Frage, ob die auch „Bärte“ gehabt hätten, meinte er, nein. Man erinnere sich an die Aussage des obigen Herren. Also, ich gebe jetzt keinen Kommentar dazu ab. Jeder darf sich seinen eigenen Reim daraus machen, vor allem was ich über die Glaubwürdigkeit von Geschichtenerzählern in der arabischen Welt in meinem letzten Beitrag geschrieben habe...

Das Gesicherte ist, dass es zwei Explosionen gab. Die habe ich nämlich gehört. Alles andere: „wa Allah ʿalīmun qadīr“ – „und Gott ist allwissend und mächtig“.

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