Abū Ḥasan (Pseudonym) schickt uns einen neuen Bericht über Meinungen von Syrerinnen und Syrern zur politischen Situation. Der Artikel ist eine Fortsetzung des Beitrags Winter in Damaskus.
Ich saß mal wieder bei meinem Freund, dem Goldschmied, in der Werkstatt, von derem Fenster man die etwa 10 m entfernten Gemäuer der prächtigen Umayyaden-Moschee sieht; er ist Christ, um die 25/26 alt und betreibt das Handwerksgeschäft mit seinem Vater. Da kam ein Bekannter in den Laden – hieß er vielelicht Muḥammad (und wäre somit Muslim)? Ich kannte ihn nicht und weiß nichts über seinen Hintergrund, ich sah nur den scharz-weiß-rot-grünen Schal um seinen Schultern, etwas geschafft setzte sich der wohl um die 55 Jahre alte, normal gepflegte Herr auf einen Stuhl (oder ließ sich daraufsacken) und meinte: „Nazzalūnā al-masīrah – ʾaʿadnā šwey wa...“ ,Sie haben uns zur Unterstützungsdemo auf die Straße geholt – na ja, wir blieben und bisschen und dann...‘, die restliche Gleichgültigkeit drückte die Kopfbewegung aus (Mitte Jan. 2012).
Ich saß in der zweiten Januar-Hälfte unten im Raum von meinem Mitbewohner x (Alawit), mit den Jungs, y (Druse) und noch ein Freund (Christ?) waren anwesend. Das Gespräch drehte sich dann um die aktuelle Situation, da sagte y (?): „Wir alle wissen, wer der Grund des ganzen Problems ist; und ich will nur, dass er weg geht. Nur das. Ich will [gar] nicht, dass er zur Rechenschaft gezogen wird.“ Gemeint war Präsident Bašār al-Assad. Seine Stimme war ziemlich aufgedreht und aufgewühlt. Es explodierte fast förmlich aus ihm heraus. X stimmte mit ein: „Ja, ja, gar nicht [mal] zur Rechenschaft muss er gezogen werden.“ Etwas später noch eine Stimme: „Wir wissen nur, wie das alles angefangen hat: Als ein Spiel, in dem die einzelnen Konfessionen gegeneinander aufgewiegelt werden. Alles was danach von sich geht, wissen wir nicht.“ Mit dieser Einschätzung hat er wohl recht. Was hier vor sich geht, ist nicht zu blicken.
Um die selbe Zeit traf ich einen Bekannten in einem der Cafés im Christen-Viertel Bāb Tūma. Er ist aus Derʿā, studiert Kunst und ich habe ihn über meine ehemaligen Mitbewohner (letztes Jahr) kennengelernt. Er erzählte mir, dass er mit einem Engländer zusammen wohnt, der seit ca. 10 Jahren in Syrien lebt und zum Islam konvertiert ist. Das syrische Staatsfernsehen strahlt aus, dass terroristische und vor allem muslimische Banden ins Land eingedrungen wären, und dabei eine Verschwörung des Auslandes gegen Syrien umsetzen. Da meinte ich zu ihm im Spaß, dabei ironisch die syrischen Staatsfernsehennachrichten aufnehmend: „Ah, siehst du, dass sind die Ausläder, die eine Verschwörung gegen Syrien planen, die Muslimbrüder etc.“, und meinte damit seinen englischen Mitbewohner. Das Gesicht des Freundes versteinerte sich, und er fragte mich: „Glaubst du das wirklich?“ Das war kein guter Witz von mir. Aber wir haben das dann aus der Welt bringen können.
Der Mathemarik-Dozent, Vater einer befreundeten Familie, meinte bei unserem letzten Treffen (Febr. 2012): „Das ist eine historische Phase jetzt, du erlebst sie jetzt mit. Bringst du später deine Enkel nach Syrien und zeigst ihnen das ,balad at-taḫalluf‘ (Land der Rückständigkeit)“? Seine Tochter, eine Freundin von mir, hatte mir das bereits angedeutet, aber bei diesem Treffen ganz offen gesagt: „Ich würde gerne mit dir öfters ausgehen und mit meinen Freunden zusammen etwas unternehmen; aber es geht derzeit nicht. Wir haben Angst. Wir haben Angst, weil du Ausländer bist und dass sie Fragen stellen.“ Gemeint war der Geheimdienst. Ich habe bei diesem Treffen, nach dem Mittagessen bei ihnen, noch meinen ʿŪd (arab. Kurzhalslaute) und meinen restlichen Kram mitgenommen und seitdem haben wir keinen Kontakt mehr.
Eine befreundete Alawitin, aus einer Familie mit hohen Offizieren im Sicherheitsdienst, hat einen Bekannten/ Freund, der eigentlich als Apotheker arbeitet, verheiratet, Familie und Kinder, um die 40. Gleichzeitig arbeite er aber wohl auch für den Geheimdienst. Sie erzählte mir Ende Janaur 2012, er habe ihr berichtet, dass die Regierung gerade dabei ist, die Situation bald unter Kontrolle zu bringen, und dass „die Situation“ (so der terminus tecnicus hier) bald beendet ist. Beim Schreiben dieser Zeilen fällt mir auf, dass jenes Gespräch in der letzten Januar-Woche auf kurz vor Beginn der Offensive in Homs stattgefunden haben muss.
Person z, guter Freund des Hauses, der gegen das Regime ist und zur stillen Opposition zählt – wie eigentlich alle hier im Hause –, erzählte mir um die selbe Zeit (letzte Januar-Woche), dass sich etwas formiert und dass es sich abzeichnet, dass wohl „an diesem Freitag etwas Großes passiert“, dass „die Freie Syrische Armee auf Damaskus zurückt und versuchen wird einzurücken“ – „bald wird es beendet sein“. – Beide, der Apotheker und der Freund, sprachen davon, dass „es“ bald beendet sein, jeder in seiner Vorstellung.
Und wirklich trat eine Veränderung ein: Am Sonntag, den 29. Januar 2012, war ich zu müde, um morgens aufzustehen, stattdessen bin ich gegen 10:30 Uhr von Granatenfeuer und Artelleriebeschuss aufgewacht: „bummmmmhhh – bummmmmhhhh – bummmmmhhhh“, dumpfes, tiefes Donnern, in regelmäßigen Abständen. In angemessener Entfernung, aber sehr deutlich. Luftlinie nicht weit weg, aber weit genug, als dass es das Zentrum der Stadt erreichen könnte. Das waren Kämpfe mit schweren Waffen in den Vororten von Damaskus. Das ging bis ca. 12:30 Uhr mittags, und hätte wohl morgens um 5 Uhr angefangen, wurde mir später berichtet. Am nächsten Morgen, Montag, 30.1., hörte ich das auch nochmal, aber am späten Vormittag gab es dann keine Geräusche mehr. An jenem Sonntag also, entschloss ich mich, mein Zimmer zu putzen und klopfte u. a. meinen Abtreter am Veranda-Geländer aus. Da hier im Haus alles etwas locker ist (– vorhin ist schon wieder die Stromuhr in Flammen aufgegangen, deswegen habe ich die Dunkelheit genutzt und mich an das Schreiben dieser Worte gemacht –), donnerte bei jedem Schlag mit dem Abtreter gegen das Geländer das ganze Geländer und dazu das Wellblechdach und gab schöne Schwingungen durch das ganze Haus ab. Plötzlich riss Person z (siehe oben, letzter Punkt), der bei uns übernachtet hatte, die Tür auf, und mit einem halb verschlafenen, halb erschreckten Gesicht tadelte mich sein Blick. Mein „Dachtest du, dass die uns beschießen?“ wurde von ihm nur mit einem vielsagenden Blick beantwortet. Sowieso habe ich gemerkt, dass Syrer sehr schreckhaft bei lauten, plötzlichen Geräuschen sind.
Ich war in der ersten Februar-Woche beim Freund zu Hause, den ich oben in der Café-Szene erwähnt hatte, der Kunststudent. Ein Freund von ihm saß bei uns, der fünf Tage zuvor aus einem Vorort Kafr Baṭnah nach Damaskus gekommen sei. Er war noch völlig durch den Wind, redete sich viel von der Seele, erzählte von den Geschehenissen. Da meinte er: „Wenn ich eine Waffe bekomme, würde ich sie in die Hand nehmen und kämpfen. Aber die rūsīya (wohl ein russisches Sturmgewehr) kostet inzwischen ... Pfund“ (ich glaube es waren um die 1.000 €?).
Ein alawitischer Freund, der mit einer französischen Freundin zusammen ist, erklärte mir auf meine Fragen hin detailliert: „Am Anfang war ich für den Widerstand: für Reformen, neue Gesetze. Das Wichtigste war für mich, dass das Notstandsgesetz aufgehoben wurde und neue Parteien zugelassen werden. Die Regierung hat dies getan. Damit bin ich zufrieden. Als es gewalttätig wurde, haben die Proteste ihre Legitimität verloren. Ich bin jetzt für das Regime. Jetzt muss erstmal alles platt gemacht werden, der bewaffnete Widerstand gebrochen werden, dann weitersehen und in Ruhe die Reformen durchführen. Ich habe kein Problem, dass ein anderer Präsident kommt. Er soll sich Wahlen stellen und wenn die Mehrheit einen anderen will dann: ,Geh!‘ und dann kommt ein Neuer! Und dann wechseln wir alle paar Jahre. Wie in Europa. Warum soll einer 40 Jahre an der Macht bleiben? Aber nicht so, nicht so im Chaos, erstmal muss Ruhe geschaffen werden und dann die Reformen fortgesetzt werden.“ Auf meine Nachfrage, ob seine Ansichten evtl. auch darin gegründet liegen, dass er Alawit ist: „Natürlich, es ist ja mein Recht, Angst zu haben.“
Eine Freundin aus dem selben Freundeskreis, ebenfalls Alawitin, sagte mir, sie sei schon immer gegen das Regime gewesen: „Aber seit den Demonstrationen konnte man seine Gedanken in Form bringen und ausdrücken.“ Sie ist vor allem gegen die Korruption im Land, bei der derzeiten Situation im Land kann sie aber nicht sagen, dass sie für irgendeine Seite ist. Sie ist neutral. Sie ist sehr viel mehr gegen das Töten und sie meint, dass das Regime weg müsste nach dem, was passiert ist. „Ich persönlich bin aber nicht bereit mein Leben für die Zukunft Syriens aufs Spiel zu setzen, ich will leben, ich will mein Leben leben. Aber es kann doch nicht angehen, dass für eine masīrah (Pro-Präsidentendemonstration) der Verkehr am Sabʿa-Baḥrāt-Platz lahmgelegt wird, während eine muṭāharah (Anti-Demonstration) nicht abgehalten werden darf.
Selbiges hörte ich von M., einem chrstlichen Freund, der in einem Vorort von Damaskus wohnt: Wir waren Ende Oktober/ Anfang November 2011 an der Uni von Damaskus verabredet und warteten dort gemeinsam auf etwas. Da sahen wir, wie eine kleine masīrah innerhalb der Uni abgehalten wurde, nachdem wohl gerade eine Demonstration zuvor aufgeflammt war. Da meinte M. zu sich selbst oder zu einem neben sich, warum die demonstrieren dürfen und jene nicht? Ende April letzten Jahres erinnere ich mich noch sehr starke Töne von ihm gegen die Nachrichten-Sender al-Jazeera etc. gehört zu haben, die gegen Syrien hetzen würden. Ich hatte bisher keine Gelegenheit, ihn nochmal auf seine Ansichten hin zu befragen.
Ich saß mal wieder unten im Zimmer vom alawitischen Mitbewohner x. Mitte Februar 2012. Es waren Freunde dort, der eine ebenso gerade Wehrdienst Leistender, in der 4. Division. Ich habe übrigens schon einige aus der 4. Division kennengelernt (2–3 Personen vielleicht), in der man wohl auch ganz regelmäßig seinen Wehrdienst ableisten kann. Also, dass dies nur eine dem Regime ergebene Elitetruppe sei, konnte ich bisher nicht verifizieren. Sie waren alle etwas mit Araq angetrunken und am Joint-Rauchen, und die Stimmung war etwas deprimiert – wohl weil das Leben gerade einiges von ihnen an Geduld und Ausdauer abverlangt – keine Aussichten –, gerade für die Wehrdienst Leistenden, von denen wir auch zwei zu Hause haben – Angst vor Anschlägen, die ja gegen sie gerichtet sind. Da brach es aus dem oben Erwähnten hervor: „Glaubt denn jemand von euch wirklich, dass die Krise gelöst werden kann?! Glaubt ihr das wirklich!? Das kann nicht gelöst werden.“ x murmelte von der Seite vor sich hin: „Ja, ja. Ein, zwei Jahre noch.“
Vorgestern war mal wieder eine Blitzdemonstration vor unserem Haus in den Gäschen hier rund herum. Das geht dann 1–2 min, da ziehen eine handvoll Männer durch die Straßen und rufen „Allahu akbar“ und andere Slogans. Was hier zu Hause und in unserer kleinen Welt sich abspielte, war zwar so fein und unterschwellig, aber dennoch ein Bild für die Götter. Ich ging natürlich sofort raus auf den Balkon, die Türen der anderen Zimmer gingen auch sofort auf. a, b und z traten auf die Terrasse, y auch, unten gingen vielleicht auch die Türen auf, der andere spielte weiter Saxophon, bis er zurechtgewiesen wurde, aufzuhören. a lief flink zu mir nach oben und horchte, ein Blinken in ihren Augen, ein Strahlen auf dem Gesicht, sie lauschte und versuchte zu verstehen, was gerufen wurde, dann: „ya! Ihr [Brüder, oder ähnliches...] Verstreut Euch schnell!“ – damit sie nicht gefasst würden. Dann waren sie schon weitergezogen und das Stimmenknäuel löste sich auch schon auf.
Ich saß mal wieder bei meinem Freund, dem Goldschmied, in der Werkstatt, von derem Fenster man die etwa 10 m entfernten Gemäuer der prächtigen Umayyaden-Moschee sieht; er ist Christ, um die 25/26 alt und betreibt das Handwerksgeschäft mit seinem Vater. Da kam ein Bekannter in den Laden – hieß er vielelicht Muḥammad (und wäre somit Muslim)? Ich kannte ihn nicht und weiß nichts über seinen Hintergrund, ich sah nur den scharz-weiß-rot-grünen Schal um seinen Schultern, etwas geschafft setzte sich der wohl um die 55 Jahre alte, normal gepflegte Herr auf einen Stuhl (oder ließ sich daraufsacken) und meinte: „Nazzalūnā al-masīrah – ʾaʿadnā šwey wa...“ ,Sie haben uns zur Unterstützungsdemo auf die Straße geholt – na ja, wir blieben und bisschen und dann...‘, die restliche Gleichgültigkeit drückte die Kopfbewegung aus (Mitte Jan. 2012).
Ich saß in der zweiten Januar-Hälfte unten im Raum von meinem Mitbewohner x (Alawit), mit den Jungs, y (Druse) und noch ein Freund (Christ?) waren anwesend. Das Gespräch drehte sich dann um die aktuelle Situation, da sagte y (?): „Wir alle wissen, wer der Grund des ganzen Problems ist; und ich will nur, dass er weg geht. Nur das. Ich will [gar] nicht, dass er zur Rechenschaft gezogen wird.“ Gemeint war Präsident Bašār al-Assad. Seine Stimme war ziemlich aufgedreht und aufgewühlt. Es explodierte fast förmlich aus ihm heraus. X stimmte mit ein: „Ja, ja, gar nicht [mal] zur Rechenschaft muss er gezogen werden.“ Etwas später noch eine Stimme: „Wir wissen nur, wie das alles angefangen hat: Als ein Spiel, in dem die einzelnen Konfessionen gegeneinander aufgewiegelt werden. Alles was danach von sich geht, wissen wir nicht.“ Mit dieser Einschätzung hat er wohl recht. Was hier vor sich geht, ist nicht zu blicken.
Um die selbe Zeit traf ich einen Bekannten in einem der Cafés im Christen-Viertel Bāb Tūma. Er ist aus Derʿā, studiert Kunst und ich habe ihn über meine ehemaligen Mitbewohner (letztes Jahr) kennengelernt. Er erzählte mir, dass er mit einem Engländer zusammen wohnt, der seit ca. 10 Jahren in Syrien lebt und zum Islam konvertiert ist. Das syrische Staatsfernsehen strahlt aus, dass terroristische und vor allem muslimische Banden ins Land eingedrungen wären, und dabei eine Verschwörung des Auslandes gegen Syrien umsetzen. Da meinte ich zu ihm im Spaß, dabei ironisch die syrischen Staatsfernsehennachrichten aufnehmend: „Ah, siehst du, dass sind die Ausläder, die eine Verschwörung gegen Syrien planen, die Muslimbrüder etc.“, und meinte damit seinen englischen Mitbewohner. Das Gesicht des Freundes versteinerte sich, und er fragte mich: „Glaubst du das wirklich?“ Das war kein guter Witz von mir. Aber wir haben das dann aus der Welt bringen können.
Der Mathemarik-Dozent, Vater einer befreundeten Familie, meinte bei unserem letzten Treffen (Febr. 2012): „Das ist eine historische Phase jetzt, du erlebst sie jetzt mit. Bringst du später deine Enkel nach Syrien und zeigst ihnen das ,balad at-taḫalluf‘ (Land der Rückständigkeit)“? Seine Tochter, eine Freundin von mir, hatte mir das bereits angedeutet, aber bei diesem Treffen ganz offen gesagt: „Ich würde gerne mit dir öfters ausgehen und mit meinen Freunden zusammen etwas unternehmen; aber es geht derzeit nicht. Wir haben Angst. Wir haben Angst, weil du Ausländer bist und dass sie Fragen stellen.“ Gemeint war der Geheimdienst. Ich habe bei diesem Treffen, nach dem Mittagessen bei ihnen, noch meinen ʿŪd (arab. Kurzhalslaute) und meinen restlichen Kram mitgenommen und seitdem haben wir keinen Kontakt mehr.
Eine befreundete Alawitin, aus einer Familie mit hohen Offizieren im Sicherheitsdienst, hat einen Bekannten/ Freund, der eigentlich als Apotheker arbeitet, verheiratet, Familie und Kinder, um die 40. Gleichzeitig arbeite er aber wohl auch für den Geheimdienst. Sie erzählte mir Ende Janaur 2012, er habe ihr berichtet, dass die Regierung gerade dabei ist, die Situation bald unter Kontrolle zu bringen, und dass „die Situation“ (so der terminus tecnicus hier) bald beendet ist. Beim Schreiben dieser Zeilen fällt mir auf, dass jenes Gespräch in der letzten Januar-Woche auf kurz vor Beginn der Offensive in Homs stattgefunden haben muss.
Person z, guter Freund des Hauses, der gegen das Regime ist und zur stillen Opposition zählt – wie eigentlich alle hier im Hause –, erzählte mir um die selbe Zeit (letzte Januar-Woche), dass sich etwas formiert und dass es sich abzeichnet, dass wohl „an diesem Freitag etwas Großes passiert“, dass „die Freie Syrische Armee auf Damaskus zurückt und versuchen wird einzurücken“ – „bald wird es beendet sein“. – Beide, der Apotheker und der Freund, sprachen davon, dass „es“ bald beendet sein, jeder in seiner Vorstellung.
Und wirklich trat eine Veränderung ein: Am Sonntag, den 29. Januar 2012, war ich zu müde, um morgens aufzustehen, stattdessen bin ich gegen 10:30 Uhr von Granatenfeuer und Artelleriebeschuss aufgewacht: „bummmmmhhh – bummmmmhhhh – bummmmmhhhh“, dumpfes, tiefes Donnern, in regelmäßigen Abständen. In angemessener Entfernung, aber sehr deutlich. Luftlinie nicht weit weg, aber weit genug, als dass es das Zentrum der Stadt erreichen könnte. Das waren Kämpfe mit schweren Waffen in den Vororten von Damaskus. Das ging bis ca. 12:30 Uhr mittags, und hätte wohl morgens um 5 Uhr angefangen, wurde mir später berichtet. Am nächsten Morgen, Montag, 30.1., hörte ich das auch nochmal, aber am späten Vormittag gab es dann keine Geräusche mehr. An jenem Sonntag also, entschloss ich mich, mein Zimmer zu putzen und klopfte u. a. meinen Abtreter am Veranda-Geländer aus. Da hier im Haus alles etwas locker ist (– vorhin ist schon wieder die Stromuhr in Flammen aufgegangen, deswegen habe ich die Dunkelheit genutzt und mich an das Schreiben dieser Worte gemacht –), donnerte bei jedem Schlag mit dem Abtreter gegen das Geländer das ganze Geländer und dazu das Wellblechdach und gab schöne Schwingungen durch das ganze Haus ab. Plötzlich riss Person z (siehe oben, letzter Punkt), der bei uns übernachtet hatte, die Tür auf, und mit einem halb verschlafenen, halb erschreckten Gesicht tadelte mich sein Blick. Mein „Dachtest du, dass die uns beschießen?“ wurde von ihm nur mit einem vielsagenden Blick beantwortet. Sowieso habe ich gemerkt, dass Syrer sehr schreckhaft bei lauten, plötzlichen Geräuschen sind.
Ich war in der ersten Februar-Woche beim Freund zu Hause, den ich oben in der Café-Szene erwähnt hatte, der Kunststudent. Ein Freund von ihm saß bei uns, der fünf Tage zuvor aus einem Vorort Kafr Baṭnah nach Damaskus gekommen sei. Er war noch völlig durch den Wind, redete sich viel von der Seele, erzählte von den Geschehenissen. Da meinte er: „Wenn ich eine Waffe bekomme, würde ich sie in die Hand nehmen und kämpfen. Aber die rūsīya (wohl ein russisches Sturmgewehr) kostet inzwischen ... Pfund“ (ich glaube es waren um die 1.000 €?).
Ein alawitischer Freund, der mit einer französischen Freundin zusammen ist, erklärte mir auf meine Fragen hin detailliert: „Am Anfang war ich für den Widerstand: für Reformen, neue Gesetze. Das Wichtigste war für mich, dass das Notstandsgesetz aufgehoben wurde und neue Parteien zugelassen werden. Die Regierung hat dies getan. Damit bin ich zufrieden. Als es gewalttätig wurde, haben die Proteste ihre Legitimität verloren. Ich bin jetzt für das Regime. Jetzt muss erstmal alles platt gemacht werden, der bewaffnete Widerstand gebrochen werden, dann weitersehen und in Ruhe die Reformen durchführen. Ich habe kein Problem, dass ein anderer Präsident kommt. Er soll sich Wahlen stellen und wenn die Mehrheit einen anderen will dann: ,Geh!‘ und dann kommt ein Neuer! Und dann wechseln wir alle paar Jahre. Wie in Europa. Warum soll einer 40 Jahre an der Macht bleiben? Aber nicht so, nicht so im Chaos, erstmal muss Ruhe geschaffen werden und dann die Reformen fortgesetzt werden.“ Auf meine Nachfrage, ob seine Ansichten evtl. auch darin gegründet liegen, dass er Alawit ist: „Natürlich, es ist ja mein Recht, Angst zu haben.“
Eine Freundin aus dem selben Freundeskreis, ebenfalls Alawitin, sagte mir, sie sei schon immer gegen das Regime gewesen: „Aber seit den Demonstrationen konnte man seine Gedanken in Form bringen und ausdrücken.“ Sie ist vor allem gegen die Korruption im Land, bei der derzeiten Situation im Land kann sie aber nicht sagen, dass sie für irgendeine Seite ist. Sie ist neutral. Sie ist sehr viel mehr gegen das Töten und sie meint, dass das Regime weg müsste nach dem, was passiert ist. „Ich persönlich bin aber nicht bereit mein Leben für die Zukunft Syriens aufs Spiel zu setzen, ich will leben, ich will mein Leben leben. Aber es kann doch nicht angehen, dass für eine masīrah (Pro-Präsidentendemonstration) der Verkehr am Sabʿa-Baḥrāt-Platz lahmgelegt wird, während eine muṭāharah (Anti-Demonstration) nicht abgehalten werden darf.
Selbiges hörte ich von M., einem chrstlichen Freund, der in einem Vorort von Damaskus wohnt: Wir waren Ende Oktober/ Anfang November 2011 an der Uni von Damaskus verabredet und warteten dort gemeinsam auf etwas. Da sahen wir, wie eine kleine masīrah innerhalb der Uni abgehalten wurde, nachdem wohl gerade eine Demonstration zuvor aufgeflammt war. Da meinte M. zu sich selbst oder zu einem neben sich, warum die demonstrieren dürfen und jene nicht? Ende April letzten Jahres erinnere ich mich noch sehr starke Töne von ihm gegen die Nachrichten-Sender al-Jazeera etc. gehört zu haben, die gegen Syrien hetzen würden. Ich hatte bisher keine Gelegenheit, ihn nochmal auf seine Ansichten hin zu befragen.
Ich saß mal wieder unten im Zimmer vom alawitischen Mitbewohner x. Mitte Februar 2012. Es waren Freunde dort, der eine ebenso gerade Wehrdienst Leistender, in der 4. Division. Ich habe übrigens schon einige aus der 4. Division kennengelernt (2–3 Personen vielleicht), in der man wohl auch ganz regelmäßig seinen Wehrdienst ableisten kann. Also, dass dies nur eine dem Regime ergebene Elitetruppe sei, konnte ich bisher nicht verifizieren. Sie waren alle etwas mit Araq angetrunken und am Joint-Rauchen, und die Stimmung war etwas deprimiert – wohl weil das Leben gerade einiges von ihnen an Geduld und Ausdauer abverlangt – keine Aussichten –, gerade für die Wehrdienst Leistenden, von denen wir auch zwei zu Hause haben – Angst vor Anschlägen, die ja gegen sie gerichtet sind. Da brach es aus dem oben Erwähnten hervor: „Glaubt denn jemand von euch wirklich, dass die Krise gelöst werden kann?! Glaubt ihr das wirklich!? Das kann nicht gelöst werden.“ x murmelte von der Seite vor sich hin: „Ja, ja. Ein, zwei Jahre noch.“
Vorgestern war mal wieder eine Blitzdemonstration vor unserem Haus in den Gäschen hier rund herum. Das geht dann 1–2 min, da ziehen eine handvoll Männer durch die Straßen und rufen „Allahu akbar“ und andere Slogans. Was hier zu Hause und in unserer kleinen Welt sich abspielte, war zwar so fein und unterschwellig, aber dennoch ein Bild für die Götter. Ich ging natürlich sofort raus auf den Balkon, die Türen der anderen Zimmer gingen auch sofort auf. a, b und z traten auf die Terrasse, y auch, unten gingen vielleicht auch die Türen auf, der andere spielte weiter Saxophon, bis er zurechtgewiesen wurde, aufzuhören. a lief flink zu mir nach oben und horchte, ein Blinken in ihren Augen, ein Strahlen auf dem Gesicht, sie lauschte und versuchte zu verstehen, was gerufen wurde, dann: „ya! Ihr [Brüder, oder ähnliches...] Verstreut Euch schnell!“ – damit sie nicht gefasst würden. Dann waren sie schon weitergezogen und das Stimmenknäuel löste sich auch schon auf.
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