Ein Reisebericht von Katharina Mühlbeyer
Anfang März war ich für zwei Wochen in Saudi-Arabien. Nach einer offiziellen Studienexkursion im Jahr 2008 war es mein zweiter Besuch in dem eher schwer zugänglichen Königreich. Dieses Mal erkundete ich Jeddah und Riyadh auf mehr oder weniger eigene Faust und traf auf unerwartet viele offene Herzen und manch verschlossene Tür.
Die Kunstausstellung im Supermarkt
Die Kunstszene in Jeddah, Saudi-Arabiens kosmopolitischer Hafenstadt am Roten Meer, boomt. Zahlreiche Galerien laden zu Ausstellungen, Empfehlungen werden vor allem durch Mund-Propaganda weitergegeben, so auch an meine Mitreisenden und mich. Wir möchten die athr-Gallery besuchen, denn dort sind „Young Saudi Artists“ zu sehen. Der Ausstellungsort könnte es mit jeder angesagten Hinterhof-Abbruchhaus-Galerie in Berlin aufnehmen, so versteckt ist er. Das Taxi bringt uns Richtung Serafi-Megamall gegenüber von IKEA, ab da telefonieren wir uns zusammen. Eine von uns ist schon dort, hat den Eingang bereits gefunden, musste klingeln, damit aufgemacht wird. Nun erklärt sie uns via Handy den Weg, denn Schilder zur Galerie, denen man folgen könnte, gibt es keine. Wir steigen also an der Megamall aus, daneben ist ein großer Supermarkt. In diesem geht es mit dem Aufzug, den es auch erstmal zu finden gilt, in den zweiten Stock. Dann einen großen Parkplatz überqueren, an dessen Ende hinein in ein großes Bürogebäude, dort mit dem Aufzug in den 5. Stock – geschafft! Wir stehen mitten in einer mittlerweile offenen Galerie, deren Kunstobjekte für Saudi-Arabien kontroverse Themen wie regionale Identität, Religion und Geschlechterverhältnisse nicht scheuen. Wir sind ebenso beeindruckt, wie die saudischen Frauen, die nach und nach als Besucherinnen eintreffen.
'Bookcafés' – Kaffeehäuser, Islam und WLan
Für mich geht es nach der Ausstellung weiter zum Essen mit saudischen Studentinnen, die ich am Vortag kennen gelernt habe. Gemeinsam verlassen wir die Galerie, machen uns mit dem Taxi auf Richtung Nord-Jeddah, wo die gehobene Mittel- bis Oberklasse lebt. Die Superreichen leben am Wasser, in Corniche-Nähe, erklären mir meine neuen Bekannten, als ich nach den immer größeren Häusern mit den immer höheren Mauern frage, die am Taxifenster vorbeirauschen. Unterwegs halten wir kurz an, damit ich einen Blick in eines von Jeddahs 'bookcafés' werfen kann, das Al-Andalus. Gegründet von einem populären saudischen TV-Star, Ahmad al-Shugairi, bietet das Kaffee neben angeschlossener Buchhandlung auch die nötige liberale Atmosphäre, sich auszutauschen, Meetings abzuhalten und, dank W-Lan, vom eigenen Notebook aus Projekte zu verfolgen – eigentlich wie fast überall auf der Welt. Für Saudi-Arabien ist dies jedoch ein großer Schritt, bringt es das Konzept Buchladen/Kaffee/Internet doch mit sich, dass Männer und Frauen aufeinander treffen, Letztere auch ohne männlichen Aufpasser quasi öffentlich verweilen, und zudem allerhand Literatur und Information unter die neugierige und diskussionsfreudige Jugend gebracht wird. Deshalb wurde das Al-Andalus bereits von ultrareligiösen Kräften attackiert, wenngleich Besitzer Al-Shugairi selbst auf festem islamischem Grund steht und in seiner Sendung „Khawater“ (dt., Gedanken) Rat und alltagstaugliche Lösungen für alle Lebenslagen aus islamischer Perspektive bietet. Nichtsdestotrotz, die Stadt spricht von weiteren Eröffnungen dieser zunehmend beliebten kabellosen 'Kaffeehäuser'.
Jihad auf der Dachterrasse
Nach dem Al-Andalus geht es weiter zum Essen auf der Dachterrasse eines Restaurants im marokkanischen Stil. Die Abendluft ist feuchtwarm, der Himmel klar, wir machen es uns auf breiten Polstern gemütlich. Wie meistens sitzen Frauen und Männer wie auf stille Verabredung getrennt voneinander, werden wir als Gruppe junger Frauen nicht in die Mitte der Terrasse zu den Männergrüppchen mit Wasserpfeife gesetzt. Wir sind umgeben von anderen Frauen und hier und da sich brav gegenüber sitzenden Paaren, die mit zunehmender Dunkelheit auf eine Seite ihres Tisches rücken. Manche rauchen fast gedankenverloren gemeinsam eine Wasserpfeife, andere lehnen Schulter an Schulter aneinander. Frauen lassen hier und da das Kopftuch sinken, nachdem sie zunächst fast gänzlich verschleiert unter schwarzem Tuch nahezu hereingeschwebt kamen. Gelegentlich funkeln etwas gewagtere Abaya-Modelle durch die schummrige Beleuchtung. Diese gemütliche Atmosphäre wird nur unterbrochen, wenn das Personal plötzlich mit einer Funken sprühenden Geburtstagstorte und wummernden Happy Birthday-Beats durch das Lokal auf einen der Tische zusteuert.
Wir, meine saudischen Begleiterinnen und ich, sind indes mitten in einer Diskussion über alles, was in Saudi-Arabien gemeinhin als 'heißes Eisen' bezeichnet werden kann. Jihad, Hamza Kashgari, Religion im Allgemeinen und der Prophet Muhammad im Besonderen. Die Stimmung ist offen, interessiert, nicht feindselig – wir ringen um Verstehen und Verstanden werden. Von der oft gehörten Warnung, Saudis würden bei kritischen Gesprächen über Religiöses sofort abblocken, merke ich hier nichts.
Im Bezug auf Hamza, wie sie ihn, eigentlich wie einen Freund, beim Vornamen nennen, vertreten die jungen Frauen eine Position, die mir während meines Aufenthaltes mehrmals begegnete. Ja, jeder sollte das Recht haben, seine Meinung frei zu äußern, aber bitte nicht gegen den Propheten und schon gar nicht öffentlich für alle Welt auf twitter – gerade das hat viele provoziert. Schließlich hätte Hamza, so meine Begleiterinnen, ja auch in die nächste Moschee gehen können oder einen der volksnahen Scheichs anrufen können, wenn er Probleme und Zweifel habe. Damit verteidigen sie Hamzas Akt der freien Meinungsäußerung an sich, fordern dafür weder Bestrafung noch gar seinen Tod, stimmen aber gleichzeitig ein in den nicht gerade kleinen Chor jener Saudis, die finden, er solle sich öffentlich entschuldigen, bereuen und „auf den rechten Pfad“ zurückkehren. Dass er von diesem schon länger abgekommen sei, verwirrt durch ominöse Intellektuellen-Zirkel mit Tendenz zu Atheismus und Säkularismus, davon sind nicht wenige überzeugt.
Immer wieder höre ich von einer „neuen Bewegung“, welche die Jugend verführe, eine 'harakat at-tashkeek' (dt. etwa „Bewegung des Anzweifelns“), der Hamza schon lange angehöre. Hinter dem Fall Kashgari steckt demnach mehr als die drei harschen tweets eines jungen Mannes im Clinch mit seinem Propheten. Sie sind ein Teil einer schon länger schwelenden Auseinandersetzung um die gesellschaftliche, religiöse und politische Ausrichtung Saudi-Arabiens. Die Reaktionen auf Kashgari können also nicht nur Ausdruck von Machtkämpfen zwischen Konservativen und Liberalen gelesen werden, sondern spiegeln auch Ärger, Verunsicherung und Ängste breiterer Bevölkerungsschichten gegenüber jenen, die am vermeintlich gemeinsamen Fundament rütteln. In den Worten einer anderen saudischen Bekannten klingt die gesellschaftliche Reichweite von Hamza Kashgaris 'Tat' an: „Dies ist die zweite große Zäsur für Saudi-Arabien nach dem 11. September“.
Hanni und Nanni und der feilschende Taxifahrer
Dann haben wir es plötzlich eilig, in unser Wohnheim auf dem Uni-Campus zurück zu kommen. Um 0:00 Uhr müssen wir da sein, sonst schließt sich das große Tor, das auf das Gelände der Frauenuniversität hinter hohen Mauern führt. Kommen die Studentinnen zu spät, werden die Eltern verständigt, Diskussionen mit Sicherheitspersonal und Wohnheimleitung inklusive. Ein etwas seltsames Gefühl, als erwachsene Frau in so einer Mädcheninternatssituation der 1960er-Jahre zu sein.
Noch tragen es die Damen mit Fassung, doch dann beginnt der Taxifahrer den Preis zu verhandeln, indem er extra langsam fährt. Er hat mitbekommen, dass wir in Eile sind. Sofort wehren sich die Frauen, reden auf den Fahrer ein, lassen sich nicht einschüchtern. Handys werden gezückt. Eine ruft ihren Mann an: man befände sich da und da, im Auto von so und so, es geht hin und her. Ich ärgere mich, dass dieses Land seine Töchter lieber reihenweise solchen Situationen aussetzt, bevor es sie selbst sicher nach Hause fahren lässt. Und bin gleichzeitig beeindruckt, wie tough die Frauen sind. Auch so eine Erfahrung dieser kurzen zwei Wochen: saudische Frauen verhandeln ständig – es geht um ein paar Freiräume mehr, um kleine Siege im Alltag, um das Selbstverständliche, das bitte auch für sie möglich sein soll. Wer ständig abhängig von männlichen Fahrern ist und relativ starker sozialer Kontrolle untersteht, hat gelernt, sich zu behaupten, nicht jede Regel all zu ernst zu nehmen und vor allem – sich nicht alles gefallen zu lassen. Ihr manchmal abfälliger Befehlston irritiert mich dabei oft. Ehemänner, Fahrer und vor allem das überall vorhandene Service-Personal werden – in meinen Ohren – herumkommandiert. Allerdings werde ich das leider auch noch lernen müssen. Denn manchmal passiert es mir, dass ich auf freundliches Fragen oder eine höfliche Bitte einfach ignoriert werde.
Kurz vor Mitternacht stehen wir am Tor, nochmal fünf Minuten Verhandlung mit dem Fahrer, dann sind wir drin. Die eine muss in der „Sicherheitsschleuse“ zwischen Ausgangstür und Innentür warten, bis sie von ihrem Mann abgeholt wird, wir hasten unter den strengen Blicken der Nachtwache in unsere Wohnheime. Ich komme von außen nicht mehr hinein, da das Lehrerinnenwohnheim schon geschlossen ist. Also, zurück, betreten gucken und fragen, wie ich denn nun rein komme. Peinlich, peinlich... am nächsten Morgen weiß natürlich jeder bescheid, dass eine der Gäste zu spät war. Verborgen bleibt hier nichts. Welche von den Deutschen denn das gewesen sei, will die Leiterin wissen. Wir sagen nichts, Hanni und Nanni halten zusammen – Frauensolidarität, die solche Abende überhaupt erst möglich macht.
Anfang März war ich für zwei Wochen in Saudi-Arabien. Nach einer offiziellen Studienexkursion im Jahr 2008 war es mein zweiter Besuch in dem eher schwer zugänglichen Königreich. Dieses Mal erkundete ich Jeddah und Riyadh auf mehr oder weniger eigene Faust und traf auf unerwartet viele offene Herzen und manch verschlossene Tür.
Die Kunstausstellung im Supermarkt
Die Kunstszene in Jeddah, Saudi-Arabiens kosmopolitischer Hafenstadt am Roten Meer, boomt. Zahlreiche Galerien laden zu Ausstellungen, Empfehlungen werden vor allem durch Mund-Propaganda weitergegeben, so auch an meine Mitreisenden und mich. Wir möchten die athr-Gallery besuchen, denn dort sind „Young Saudi Artists“ zu sehen. Der Ausstellungsort könnte es mit jeder angesagten Hinterhof-Abbruchhaus-Galerie in Berlin aufnehmen, so versteckt ist er. Das Taxi bringt uns Richtung Serafi-Megamall gegenüber von IKEA, ab da telefonieren wir uns zusammen. Eine von uns ist schon dort, hat den Eingang bereits gefunden, musste klingeln, damit aufgemacht wird. Nun erklärt sie uns via Handy den Weg, denn Schilder zur Galerie, denen man folgen könnte, gibt es keine. Wir steigen also an der Megamall aus, daneben ist ein großer Supermarkt. In diesem geht es mit dem Aufzug, den es auch erstmal zu finden gilt, in den zweiten Stock. Dann einen großen Parkplatz überqueren, an dessen Ende hinein in ein großes Bürogebäude, dort mit dem Aufzug in den 5. Stock – geschafft! Wir stehen mitten in einer mittlerweile offenen Galerie, deren Kunstobjekte für Saudi-Arabien kontroverse Themen wie regionale Identität, Religion und Geschlechterverhältnisse nicht scheuen. Wir sind ebenso beeindruckt, wie die saudischen Frauen, die nach und nach als Besucherinnen eintreffen.
'Bookcafés' – Kaffeehäuser, Islam und WLan
Für mich geht es nach der Ausstellung weiter zum Essen mit saudischen Studentinnen, die ich am Vortag kennen gelernt habe. Gemeinsam verlassen wir die Galerie, machen uns mit dem Taxi auf Richtung Nord-Jeddah, wo die gehobene Mittel- bis Oberklasse lebt. Die Superreichen leben am Wasser, in Corniche-Nähe, erklären mir meine neuen Bekannten, als ich nach den immer größeren Häusern mit den immer höheren Mauern frage, die am Taxifenster vorbeirauschen. Unterwegs halten wir kurz an, damit ich einen Blick in eines von Jeddahs 'bookcafés' werfen kann, das Al-Andalus. Gegründet von einem populären saudischen TV-Star, Ahmad al-Shugairi, bietet das Kaffee neben angeschlossener Buchhandlung auch die nötige liberale Atmosphäre, sich auszutauschen, Meetings abzuhalten und, dank W-Lan, vom eigenen Notebook aus Projekte zu verfolgen – eigentlich wie fast überall auf der Welt. Für Saudi-Arabien ist dies jedoch ein großer Schritt, bringt es das Konzept Buchladen/Kaffee/Internet doch mit sich, dass Männer und Frauen aufeinander treffen, Letztere auch ohne männlichen Aufpasser quasi öffentlich verweilen, und zudem allerhand Literatur und Information unter die neugierige und diskussionsfreudige Jugend gebracht wird. Deshalb wurde das Al-Andalus bereits von ultrareligiösen Kräften attackiert, wenngleich Besitzer Al-Shugairi selbst auf festem islamischem Grund steht und in seiner Sendung „Khawater“ (dt., Gedanken) Rat und alltagstaugliche Lösungen für alle Lebenslagen aus islamischer Perspektive bietet. Nichtsdestotrotz, die Stadt spricht von weiteren Eröffnungen dieser zunehmend beliebten kabellosen 'Kaffeehäuser'.
Jihad auf der Dachterrasse
Nach dem Al-Andalus geht es weiter zum Essen auf der Dachterrasse eines Restaurants im marokkanischen Stil. Die Abendluft ist feuchtwarm, der Himmel klar, wir machen es uns auf breiten Polstern gemütlich. Wie meistens sitzen Frauen und Männer wie auf stille Verabredung getrennt voneinander, werden wir als Gruppe junger Frauen nicht in die Mitte der Terrasse zu den Männergrüppchen mit Wasserpfeife gesetzt. Wir sind umgeben von anderen Frauen und hier und da sich brav gegenüber sitzenden Paaren, die mit zunehmender Dunkelheit auf eine Seite ihres Tisches rücken. Manche rauchen fast gedankenverloren gemeinsam eine Wasserpfeife, andere lehnen Schulter an Schulter aneinander. Frauen lassen hier und da das Kopftuch sinken, nachdem sie zunächst fast gänzlich verschleiert unter schwarzem Tuch nahezu hereingeschwebt kamen. Gelegentlich funkeln etwas gewagtere Abaya-Modelle durch die schummrige Beleuchtung. Diese gemütliche Atmosphäre wird nur unterbrochen, wenn das Personal plötzlich mit einer Funken sprühenden Geburtstagstorte und wummernden Happy Birthday-Beats durch das Lokal auf einen der Tische zusteuert.
Wir, meine saudischen Begleiterinnen und ich, sind indes mitten in einer Diskussion über alles, was in Saudi-Arabien gemeinhin als 'heißes Eisen' bezeichnet werden kann. Jihad, Hamza Kashgari, Religion im Allgemeinen und der Prophet Muhammad im Besonderen. Die Stimmung ist offen, interessiert, nicht feindselig – wir ringen um Verstehen und Verstanden werden. Von der oft gehörten Warnung, Saudis würden bei kritischen Gesprächen über Religiöses sofort abblocken, merke ich hier nichts.
Im Bezug auf Hamza, wie sie ihn, eigentlich wie einen Freund, beim Vornamen nennen, vertreten die jungen Frauen eine Position, die mir während meines Aufenthaltes mehrmals begegnete. Ja, jeder sollte das Recht haben, seine Meinung frei zu äußern, aber bitte nicht gegen den Propheten und schon gar nicht öffentlich für alle Welt auf twitter – gerade das hat viele provoziert. Schließlich hätte Hamza, so meine Begleiterinnen, ja auch in die nächste Moschee gehen können oder einen der volksnahen Scheichs anrufen können, wenn er Probleme und Zweifel habe. Damit verteidigen sie Hamzas Akt der freien Meinungsäußerung an sich, fordern dafür weder Bestrafung noch gar seinen Tod, stimmen aber gleichzeitig ein in den nicht gerade kleinen Chor jener Saudis, die finden, er solle sich öffentlich entschuldigen, bereuen und „auf den rechten Pfad“ zurückkehren. Dass er von diesem schon länger abgekommen sei, verwirrt durch ominöse Intellektuellen-Zirkel mit Tendenz zu Atheismus und Säkularismus, davon sind nicht wenige überzeugt.
Immer wieder höre ich von einer „neuen Bewegung“, welche die Jugend verführe, eine 'harakat at-tashkeek' (dt. etwa „Bewegung des Anzweifelns“), der Hamza schon lange angehöre. Hinter dem Fall Kashgari steckt demnach mehr als die drei harschen tweets eines jungen Mannes im Clinch mit seinem Propheten. Sie sind ein Teil einer schon länger schwelenden Auseinandersetzung um die gesellschaftliche, religiöse und politische Ausrichtung Saudi-Arabiens. Die Reaktionen auf Kashgari können also nicht nur Ausdruck von Machtkämpfen zwischen Konservativen und Liberalen gelesen werden, sondern spiegeln auch Ärger, Verunsicherung und Ängste breiterer Bevölkerungsschichten gegenüber jenen, die am vermeintlich gemeinsamen Fundament rütteln. In den Worten einer anderen saudischen Bekannten klingt die gesellschaftliche Reichweite von Hamza Kashgaris 'Tat' an: „Dies ist die zweite große Zäsur für Saudi-Arabien nach dem 11. September“.
Hanni und Nanni und der feilschende Taxifahrer
Dann haben wir es plötzlich eilig, in unser Wohnheim auf dem Uni-Campus zurück zu kommen. Um 0:00 Uhr müssen wir da sein, sonst schließt sich das große Tor, das auf das Gelände der Frauenuniversität hinter hohen Mauern führt. Kommen die Studentinnen zu spät, werden die Eltern verständigt, Diskussionen mit Sicherheitspersonal und Wohnheimleitung inklusive. Ein etwas seltsames Gefühl, als erwachsene Frau in so einer Mädcheninternatssituation der 1960er-Jahre zu sein.
Noch tragen es die Damen mit Fassung, doch dann beginnt der Taxifahrer den Preis zu verhandeln, indem er extra langsam fährt. Er hat mitbekommen, dass wir in Eile sind. Sofort wehren sich die Frauen, reden auf den Fahrer ein, lassen sich nicht einschüchtern. Handys werden gezückt. Eine ruft ihren Mann an: man befände sich da und da, im Auto von so und so, es geht hin und her. Ich ärgere mich, dass dieses Land seine Töchter lieber reihenweise solchen Situationen aussetzt, bevor es sie selbst sicher nach Hause fahren lässt. Und bin gleichzeitig beeindruckt, wie tough die Frauen sind. Auch so eine Erfahrung dieser kurzen zwei Wochen: saudische Frauen verhandeln ständig – es geht um ein paar Freiräume mehr, um kleine Siege im Alltag, um das Selbstverständliche, das bitte auch für sie möglich sein soll. Wer ständig abhängig von männlichen Fahrern ist und relativ starker sozialer Kontrolle untersteht, hat gelernt, sich zu behaupten, nicht jede Regel all zu ernst zu nehmen und vor allem – sich nicht alles gefallen zu lassen. Ihr manchmal abfälliger Befehlston irritiert mich dabei oft. Ehemänner, Fahrer und vor allem das überall vorhandene Service-Personal werden – in meinen Ohren – herumkommandiert. Allerdings werde ich das leider auch noch lernen müssen. Denn manchmal passiert es mir, dass ich auf freundliches Fragen oder eine höfliche Bitte einfach ignoriert werde.
Kurz vor Mitternacht stehen wir am Tor, nochmal fünf Minuten Verhandlung mit dem Fahrer, dann sind wir drin. Die eine muss in der „Sicherheitsschleuse“ zwischen Ausgangstür und Innentür warten, bis sie von ihrem Mann abgeholt wird, wir hasten unter den strengen Blicken der Nachtwache in unsere Wohnheime. Ich komme von außen nicht mehr hinein, da das Lehrerinnenwohnheim schon geschlossen ist. Also, zurück, betreten gucken und fragen, wie ich denn nun rein komme. Peinlich, peinlich... am nächsten Morgen weiß natürlich jeder bescheid, dass eine der Gäste zu spät war. Verborgen bleibt hier nichts. Welche von den Deutschen denn das gewesen sei, will die Leiterin wissen. Wir sagen nichts, Hanni und Nanni halten zusammen – Frauensolidarität, die solche Abende überhaupt erst möglich macht.
2 Kommentare:
Hallo,
ich bin auf deinen sehr ausführlichen Bericht durch Google gestoßen. Die Suche hatte eigentlich eher was mit Kaffeekultur in Saudi Arabien zu tun.
Ich werde in Kürze ebenfalls beruflich nach Jeddah müssen und stehe vor eingen Gewissensbissen, gerade in Punkto Frauendiskriminierung, eklatante Religionsauslegung und Sittenwächter.
Durch den technischen Bezug in meinem Job, wird wohl kaum eine Frau meinen Weg kreuzen, ein Umstand der in Deutschland eher als normal anzutreffen ist.
Jedoch werde ich es mir nicht nehmen lassen nach der Arbeit durch Jeddah zu laufen und das Leben zu beobachten.
Da mich persönlich die Kaffeekultur interessiert, hast Du einen Tipp für mich. Wie trinkt der Saudi seinen Kaffee traditionell?
Ich meine natürlich:
"... ein Umstand der in Deutschland eher als unnormal anzutreffen ist."
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