Dienstag, 27. März 2012

Presseschau zu den Anschlägen von Toulouse: »Diese Verbrechen können nur weiteren Hass in die Herzen pflanzen«

Die Anschläge von Toulouse beschäftigen die Kommentarspalten von Jerusalem bis Algier. Während man in Israel den Antisemitismus in Europa auf dem Vormarsch sieht, befürchten arabische Medien altbekannte Ressentiments gegen den Islam. Von Christoph Sydow, Amina Nolte und Robert Chatterjee


In Israel wird seit dem Attentat auf den Rabbiner Jonathan Sandler und seine zwei Kinder und einem weiteren jüdischen Mädchen vor einer jüdischen Schule in Toulouse (Frankreich) ausführlich über die Hintergründe und Geschehnisse rund um die Tat berichtet und diskutiert. Anfangs hielt man sich dabei in den israelischen Kommentarspalten auffällig bedeckt, die Motive und Identität des Täters betreffend. Seit der Stürmung der Wohnung des Attentäters Mohamed Merah am 22. März gerät nun aber vor allem Frankreichs Präsident Sarkozy zunehmend in die Kritik: So schreibt Anshel Pepper in der Wochenendausgabe der Haaretz, dass sich der französische Präsident als »Mr. Security« aufspiele, dabei aber keine ernsthafte Untersuchung der Geschehnisse anstrebe, zumal diese auch zuvor (nach Bekanntwerden der Reisen Merahs nach Pakistan und Afghanistan) nicht erfolgt seien.

Ähnliche Töne schlägt auch Avigdor Haselkorn in der Kommentarspalte des Onlineauftritts von Haaretz an: »Desaströs ist das einzige Wort, um Frankreichs Vorgehen im aktuellen Umgang mit islamischen Terrorismus zu beschreiben.« Mohamad Merah, »der Schächter von Toulouse« (Haselkorn) habe von Sakozy die einzigartige Möglichkeit erhalten, auf einer internationalen Bühne schaffen seinen »globalen Jihadismus« zu propagieren.

Auch Schaul Rosenfeld, Journalist für das meistgelesene Online-Nachrichtenportal in Israel YNet macht den Islam als Ideologie hauptverantwortlich für das Attentat in Toulouse: »Viele in Israel und im Westen verurteilen die Morde in Toulouse und die Monstrosität des Attentäters und manche haben den Umfang ihrer Kritik sogar auf die jihadistischen Inspirationsquellen und fundamentalistischer islamischer Aufstachelung ausgeweitet.. Aber dennoch halten sich alle noch zurück, mit dem Finger auf den Islam als ganze Religion zu zeigen (...), einer Religion, die aber solchen Phänomenen, Organisationen und Morden erst Aufschwung verleiht.« 

»Es ist Miriam Monsonegos kleiner Körper, der tot auf dem Asphalt liegt, der die misstönende Kleinlichkeit der Welt zum Schweigen bringen muss«

Die Kritik an Europas (und hier vor allem Frankreichs) angeblich zu laschem Umgang mit Muslimen, mangelnden Kontrollen und Sicherheitsvorkehrungen, wird in israelischen Tageszeitungen vor allem in Verbindung mit einem sich verstärkenden Antisemitismus in Europa diskutiert. Viele Kommentare greifen die Frage nach der Stimmung gegenüber Juden in Frankreich auf und betonen, dass für viele dort nur noch die Abwanderung nach Israel in Frage komme.

Dabei wird auch auf die Geschehnisse des Holocaust als Vergleichsmotiv zurückgegriffen. So schreibt Alan Kaufmann in Haaretz: »Es endet nicht, es gibt kein Ende der jahrhundertelangen Verfolgung jüdischer Kinder und dieser Fakt alleine übertrumpft jede politische Tatsache, jede Theorie sozialer Ungleichheit, jede Ideologie und religiöse Doktrin, jede Meinungsumfrage, jede Außenpolitik, jedes Wort populärer Staatsmänner, auch die gesamte kollektive Stimme der Vereinten Nationen, die versucht, den raison d`ȇtre der Existenz Israels als einem jüdischen Staat zu diskreditieren. Es ist Miriam Monsonegos kleiner Körper, der tot auf dem Asphalt liegt, der die misstönende Kleinlichkeit der Welt über jüdische Rechte versus palästinensische Rechte, Zionismus versus Globalismus, Kapitalismus versus Sozialismus, Religion versus Säkularismus oder Krieg versus Frieden zum Schweigen bringen muss. Genug!«

Der Attentäter Mohammed Merah hatte sich noch in seiner Wohnung verschanzt, als Ramadan Belamri in seinem Kommentar für die algerische Tageszeitung El-Khabar schon seine Schlüsse zog. »Israelisches Blut ist immer das teuerste«, überschrieb er seinen Leitartikel vom vergangenen Mittwoch. Denn erst als vier Juden in Toulouse getötet worden seien, habe die Welt plötzlich ihre Aufmerksamkeit auf die Ereignisse in Südfrankreich gerichtet. Zuvor hätten die französischen Medien und Behörden noch versucht, die Morde in Montauban zu »verdecken« – einfach deshalb, weil zwei der Opfer Muslime aus Frankreich und der dritte Tote von den Antillen gekommen sei.
Belamri verweist zudem darauf, dass wenige Tage vor den Morden in Südfrankreich niemand »die barbarische Aggression der israelischen Luftwaffe« gegen den Gaza-Streifen verurteilt habe. Widerspruchslos hätten die Medien die israelische Behauptung übernommen in »Selbstverteidigung« gehandelt zu haben. Als ein US-Soldat in Afghanistan 61 (!) Zivilisten erschoss, habe sich die US-Armee damit begnügt, die Tat als »unglückliches Ereignis« abzutun, ohne dass sich in den Medien Widerspruch regte, kritisiert Belamri. »Die zionistische Lobby war erfolgreich dabei, die Politik und Medien dieser Welt zu kaufen. Sie betrachten die Welt nach der Logik von Tel Aviv und seinem Verbündeten Washington – in den Kategorien Israels Sicherheit, Antisemitismus und Islamischer Terrorismus

Asia al-Atrous hingegen lobt in ihrem Kommentar für die tunesische Zeitung al-Sabah, die internationale Verurteilung des Verbrechens. Dennoch würden die unschuldigen Toten im Besetzten Palästina, in Syrien und Irak zu oft vergessen. Für die angeblichen Motive des Serienmörders äußert Atrous kein Verständnis. »Diese Verbrechen können in keiner Weise die Kinder in Palästina oder andere unterdrückte Kinder in der Welt vor Angriffen schützen oder ihnen wiedergeben, was sie verloren. Sie können nur weiteren Hass in die Herzen der israelischen Besatzer, Siedler und Extremisten pflanzen.« Für Atrous ist es unverständlich, dass es offenbar eine Generation junger Muslime in Europa gibt, die glauben, mit ihrem Kampf gegen den »Satan USA« eine »heilige Pflicht« zu erfüllen. »Sind Armut und Verzweiflung die Motivation, ist es ein Gefühl von Marginalisierung und Verlust, ist es die Tatsache, dass sie Unrecht und Erniedrigungen ausgesetzt sind, sind es Rassismus und Hoffnungslosigkeit oder sind es all diese Elemente zusammen, die Menschen in der schönsten Phase ihres Lebens in diese Falle tappen lassen?« Eine Antwort darauf findet die Kommentatorin nicht.

»Wenn sich die Macht, die sich Baba Amr verschanzt hatte, in französischen Städten eingenistet hätte, wie würde dann die französische Armee reagieren?«

Wahib Abu Wasil fragt in seinem Artikel für die saudische Zeitung al-Bilad: »Wovor haben die Muslime in Frankreich heute Angst?« Die Antwort sieht der Kommentator in der drohenden Stigmatisierung der muslimischen Gemeinde – allen voran durch die politische Rechte in Frankreich. Zwar kritisiert auch Abu Wasil die Berichterstattung zur Identität der Opfer von Montauban, bemüht sich aber klarzustellen, dass Muslime wie Juden gleichermaßen von antisemitischen Ressentiments bedroht seien. Insbesondere die Spitzenkandidatin der rechtsnationalen »Front National«, Marine Le Pen, die die Gefahr islamistischen Terrors in Frankreich nicht ernst genommen sieht, bestätige »einen Trend, der Islam und Terrorismus zusehends in eine Topf wirft.«

Eben das aber decke sich nicht mit der tatsächlichen Bedrohungslage und den Erkenntnissen zum Täter Merah. So handle es sich bei Rückkehrern aus Ausbildungslagern in Pakistan und Afghanistan um »ein paar Dutzend Männer, die auf Listen des Innenministeriums geführt werden und denen Spezialeinheiten zugeteilt sind, um ihre Bewegungen zu beobachten und sie davon abzuhalten, Schaden anzurichten.«


Einen ganz großen Bogen versucht Nidal Hamadeh in seinem Beitrag auf der Internetseite des libanesischen Fernsehsenders al-Manar zu schlagen, der zum Imperium der vom syrischen Regime unterstützen Hizbullah gehört: »Von Baba Amr nach Toulouse – Die Geschichte der französischen Verbindungen zu al-Qaida«. »Es muss daran erinnert werden, dass Mohammed Merah und seine Waffenbrüder die neuen Verbündeten Frankreichs in Libyen sind.« Mit seiner Haltung im UN-Sicherheitsrat und der Entsendung von Kampfjets hätten Frankreichs Präsident Sarkozy und sein Außenminister Juppé dafür gesorgt, dass salafistische Jihadisten wie Mohammed Merah in Libyen die Macht übernahmen. Sie hätten nun das Ziel, den Jihad nach Syrien zu tragen. Frankreichs Behörden ließen zu, dass Prediger in französischen Moscheen mit finanzieller Unterstützung aus Katar und Saudi-Arabien Gläubige zum Jihad aufriefen – besonders junge Muslime algerischer Abstammung. Der algerischen Regierung sei dies schon lange ein Dorn im Auge, erklärt Hamadeh.

Zum Schluss seines Artikels greift der Autor die Überschrift seines Kommentars wieder auf: »Frankreich brauchte tausend Männer – Soldaten, Polizisten, Feuerwehrleute und die Elitedivision RAID um Mohammed Merrah loszuwerden, der sein Geheimnis mit sich nahm. Wenn sich die Macht, die sich Baba Amr verschanzt hatte, in französischen Städten eingenistet hätte, wie würde dann die französische Armee reagieren? Wie würde sich der französische Staat positionieren? Wie würde der französische Präsident handeln?«


Auch Jihad al-Khazen holt in seiner Kolumne »Uyun wa Azan – Augen und Ohren« für die in London beheimatete panarabische Zeitung al-Hayat weit aus, wobei ihm die Attentate von Toulouse in erster Linie das Stichwort geben, um eine Bilanz des Qaida-Terrors für die islamische Welt zu ziehen. »Wenn der Weg nach Palästina über das Töten von Kindern geht, dann will ich ihn nicht«, beginnt al-Khazen, er wünsche Merah und allen, die Al-Qaida gutheißen oder unterstützen »einen Platz in der Hölle«.

Im Folgenden zeichnet der Kommentator die Blutspur Al-Qaidas im vergangenen Jahrzehnt nach – und vergisst nicht zu betonen, dass die überwiegende Zahl der Terroropfer Muslime waren, sei es im Irak, im Jemen, Algerien oder Somalia. Letztendlich sei Al-Qaida durch die Anschläge vom 11. September auch Schuld daran, »der neokonservativen und israelischen Lobby einen Vorwand gegeben« zu haben, um die Kriege in Afghanistan und dem Irak zu rechtfertigen. Obwohl al-Khazen im Wesentlichen detailliert die Opferzahlen der letzten Jahre auflistet – ohne allerdings die operative Schwächung der Organisation im Zeitraum zu analysieren – kommt er nicht umhin, auch noch einmal Israel pflichtbewusst zu schelten und versteigt sich am Schluss seines Kommentars auf die Aussage: »Die israelische Regierung ist eine terroristische Organisation, genauso wie Al-Qaida, und jeder, der diese oder jene unterstützt ist genauso so ein Terrorist wie diese beiden.«

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Die logische Konsequenz dieses Attentats und aller zukünftigen Attentate von muslimischen Terroristen auf die jüdische Bevölkerung außerhalb Israels ist die öffentliche Anerkennung des Existenzrechts Israels durch die muslimischen Verbände und Organisationen. Alles andere ist Komplizenschaft dieser Verbände und der Gruppe, die sie vertreten, mit dem Täter.

g.c. hat gesagt…

Einmal mehr vielen Dank für diese Presseschau. Interessant zu lesen, welche vollkommen konträren Parallelen und Rückschlüsse man aus diesem Verbrechen ziehen kann.