"Was für Muslime sind wir?" - Diese Frage stellt die französisch-sprachige Wochenzeitschrift "Telquel" und hat aus diesem Anlass mehr als 1100 Marokkaner in einer repräsentativen Umfrage zu ihren religiösen Einstellungen befragt. Die Studie führte das Magazin in Zusammenarbeit mit der Friedrich-Ebert-Stiftung und der König Abdulaziz al-Saud-Stiftung durch.
Die Umfrage zeigt, dass sich Marokkaner in erster Linie über ihre Religion definieren, sich also zunächst als Muslim und dann erst als Marokkaner sehen. Erst dann folgen laut der Studie die Selbstdefinitionen als Araber, Berber oder Afrikaner. "Die Mehrheit der Marokkaner betrachtet die islamische Religion als überlegene Religion. Die muslimische Identität ist die dominierende Identität in unserer Bevölkerung", so die Studie. Nur 14% der befragten Marokkaner erklärten, die Religion sei Privatsache, die überwiegende Mehrheit ist der Ansicht, die Religion solle auch weiterhin eine dominierende Rolle in der marokkanischen Gesellschaft spielen.
73% der Befragten gaben an, täglich zu beten. In der Altersgruppe der 18 bis 24-Jährigen liegt dieser Wert mit 41% am Niedrigsten. Hier gaben zudem 22% der Umfrageteilnehmer aus dieser Altersgruppe an, gar nicht zu beten. 8% der Marokkaner gehen demnach 5 mal täglich zum Beten in die Moschee. 72% der Befragten gaben an zum Freitagsgebet in die Moschee zu gehen, auch hier lag der Wert unter den 18 bis 24-Jährigen mit 35% am Niedrigsten. Trotzdem erklärten 56% der Befragten die heutige junge Generation sei besser über den Islam informiert als vorherige Generationen.
Zum Gebot des Fastens während des Ramadan erklärten 60% der Befragten, dass jemand der dieses Gebot nicht befolge nicht länger als Muslim betrachtet werden könne, 28% sind gegenteiliger Ansicht. 44% der Marokkaner sind der Meinung, jemand der während des Ramadan nicht faste müsse bestraft werden, 41% halten die Entscheidung darüber für die Privatsache eines jeden Einzelnen.
Zum kontroversen Thema des Kopftuches erklärten 83% der Befragten, sie befürworteten das Tragen des Hijab durch die Frau. Gleichzeitig sind 75% der Marokkaner der Ansicht, dass eine Frau auch ohne Kopftuch als Muslimin anerkannt sein könne. Tatsächlich tragen laut der Studie nur 39% der marokkanischen Musliminnen ein Kopftuch.
44% der Befragten befürworteten die Polygamie. Bei den Über-60-Jährigen liegt dieser Wert gar bei 60%, unnter den 18-24-Jährigen sind nur 35% für die Vielehe.
83% der Marokkaner halten das islamischer Erbrecht, nachdem die Frau nur die Hälfte dessen zusteht, das ein männlicher Nachkomme erhält, für gerecht. Unter den 18 bis 24-Jährigen liegt dieser Anteil gar bei 88%. Dieses Ergebnis ist nicht zuletzt deshalb erstaunlich, da mehr als 52% der Umfrageteilnehmer Frauen waren.
Die Frage nach der Geschlechtertrennung wurde in drei verschiedenen Komplexen gestellt. Hinsichtlich der Koedukation von Jungen und Mädchen erklärten 77% der Befragten, beide Geschlechter sollten gemeinsam an Schulen unterrichtet werden. Anlässlich von Familienfeiern, wie Hochzeiten oder Geburtstagen war eine Hälfte der Ansicht, beide Männer und Frauen sollten gemeinsam in einem Raum feiern, während eine ebenso große Zahl für eine Trennung der Geschlechter bei diesen Anlässen votierte. An Badestränden sollten nach Ansicht von 57% der Marokkaner beide Geschlechter in getrennten Bereichen ins Wasser steigen.
20% bzw 17%, der Befragten gaben an, keine Filme zu gucken bzw. Musik zu hören, das dies ihrer Ansicht nach "haram" also nach islamischen Glaubensregeln verboten sei. Ebenso erklärte etwas mehr als die Hälfte der Umfrageteilnehmer die Zinsnahme durch Banken für "haram".
87% der Befragten erklärten, sie besäßen einen Koran und fast 90% gaben an, zumindest einige Suren auswendig rezitieren zu können, obwohl im Gegenzug 58% zugaben, noch nie im Koran gelesen zu haben. Ungeachtet der ausgeprägten Religiösität der Marokkaner ist ihr Wissen über die Religion oft unzureichend. So erklärten fast drei Viertel der Befragten ihnen mangele es an ausreichendem Wissen über die Glaubensrituale des Islam. 60% der Umfrageteilnehmer waren nicht in der Lage die Namen der vier rechtgeleiteten Kalifen, also der ersten vier Nachfolger des Propheten Muhammad als Führer der islamischen Gemeinde, aufzuzählen.
Hinsichtlich der Vermischung von Religion und Politik in Marokko sind 41% der Ansicht, dass sich Politiker nicht in religiöse Angelegenheiten einmischen sollten. Gar 47% sind gegen politische Parteien die sich dezidiert als religiöse Bewegungen verstehen. Unter den 18 bis 24-Jähriegn erklärte jedoch jeder Fünfte seine Sympathie für jihadistische Bewegungen.
Bezüglich der religiösen Toleranz erklärten 39% der Befragten sie akzeptierten das Zusammenleben von Gläubigen und Nichtgläubigen. 41% befürworteten die Idee einer marokkanischen Nation die sich aus Muslimen, Juden und Christen zusammensetzt. 40% lehnen jede Interaktion zwischen marokkanischen Juden und Muslimen ab.
Auffallend ist, dass laut der Studie Frauen bezüglich religiöser Themen intoleranter sind als Männer. So lehnen drei Viertel von Ihnen Eheschließungen zwischen Muslimen und Juden ab - bei den Männern sind nur zwei Drittel dieser Ansicht. Ebenso lehnen unter den marokkanischen Frauen 77% die Idee eines Religionswechsels durch einen Muslim ab, bei den Männern sind es 5% weniger.
Freitag, 14. Dezember 2007
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
1 Kommentar:
Nach der Lektüre dieser Ergebnisse vermisse ich vor allem eines: Logik.
Religion als überaus wichtig und die eigene Glaubensrichtung als überlegen anzusehen, aber nichts über sie zu wissen ist ein Armutszeugnis erster Güte. Ergebnisse dieses blinden Gehorsams sind Intolleranz und das Verharren in unfreien Denkmustern. Den Schaden haben Demokratie und Gleichberechtigung.
Kommentar veröffentlichen